Vierter Auftritt


[115] Die Gräfin – Eulalia – Der Major.


GRÄFIN. In den Garten, liebe Freundin, in die frische Luft!

EULALIA. Mir ist recht wohl – Wenn Sie sich nur um mich nicht beunruhigten; Bittend. wenn Sie mich lieber ganz allein ließen! –

MAJOR. Nicht doch, gnädige Frau, die Zeit ist kostbar. Er will fort, morgen schon. Lassen Sie uns gemeinschaftlich auf Mittel denken, Sie mit Ihrem Gemahl auszusöhnen.

EULALIA. Wie, Herr Major? Sie scheinen mit meiner Geschichte bekannt zu sein.

MAJOR. Das bin ich. Meinau ist mein Freund seit meinen ersten Jugendjahren; wir haben vom Kadett bis zum Hauptmann miteinander gedient. Seit sieben Jahren waren wir getrennt: der Zufall führte uns heute wieder zusammen, und sein Herz schloß sich mir auf.

EULALIA. Nun fühl' ich, was es heißt: den Blick eines ehrlichen Mannes nicht ertragen zu können! – O Gräfin! verbergen Sie mich vor mir selbst!


Sie verbirgt ihr Gesicht am Busen der Gräfin.


MAJOR. Wenn ungeheuchelte Reue, ein Leben ohne Tadel, nicht einmal Anspruch auf Verzeihung der Menschen geben; was hätten wir denn einst vor Gott zu hoffen? – Nein! Sie haben genug gebüßt. Der schlummernden Tugend entriß das Laster auf einen Augenblick die Herrschaft in Ihrem Herzen. Die erwachte Tugend bedurfte nur eines Blicks, um es für ewig daraus zu verscheuchen. – Ich kenne meinen Freund. Er denkt stark wie ein Mann, und fühlt fein, wie[115] eine Frau. Ich eile zu ihm, Madam, als Ihr Geschäftsträger. Mit dem Feuer der Freundschaft will ich das Werk beginnen, damit ich, wenn ich einst auf den Lauf meines Lebens zurückblicke, verweilen könne bei einer guten Tat, die mir Zufriedenheit im Alter gewähre. – Auf fröhliches Wiedersehen.


Er will gehen.


EULALIA. Was wollen Sie tun, Herr Major? – Nein, nimmermehr! – Die Ehre meines Gemahls ist mir heilig. Ich liebe ihn unaussprechlich; aber ich kann nie wieder seine Gemahlin werden, selbst wenn er großmütig genug wäre, mir verzeihen zu wollen.

MAJOR. Ist das Ernst, gnädige Frau?

EULALIA. Nicht diese Benennung; ich bitte Sie. Ich bin kein Kind, das sich der Strafe entziehen will. Was wäre meine Reue, wenn ich einen andern Vorteil dadurch zu erlangen hoffte, als den eines minder tobenden Gewissens?

GRÄFIN. Aber wenn nun Ihr Gemahl selbst –

EULALIA. Das wird er nicht, das kann er nicht.

MAJOR. Aber er liebt Sie noch.

EULALIA. Nun so muß er nicht! er muß sein Herz von einer Schwachheit losreißen, die ihn entehrt.

MAJOR. Unbegreifliche Frau! Sie haben mir also gar keinen Auftrag zu erteilen?

EULALIA. Doch, Herr Major. Ich habe zwei Bitten, deren Erfüllung mir sehr am Herzen liegt. Oft, wenn ich im Übermaß meines Kummers an jedem Trost verzweifelte, kam es mir vor, als würd' ich dann ruhiger sein, wenn das Schicksal mir den Wunsch gewährte, meinen Gemahl nur noch ein einziges Mal zu sehen, ihm mein Unrecht zu bekennen, und dann auf ewig von ihm zu scheiden. – Das also meine erste Bitte. Eine Unterredung von wenig Minuten, wenn er meinen Anblick nicht verabscheut. Aber daß er ja nicht wähne, ich wolle auch nur den mindesten Versuch machen, seine Verzeihung zu erhalten. Daß er ja überzeugt sei, ich wolle meine Ehre nicht auf Kosten der seinigen wiederherstellen. – Meine zweite Bitte – ist – um Nachricht von meinen Kindern.

MAJOR. Wenn Menschlichkeit und Freundschaft etwas über ihn vermögen, so wird er keinen Augen blick anstehn, in Ihr Verlangen zu willigen. Mit einer Verbeugung. Ich eile –

GRÄFIN. Gott sei mit dir!

EULALIA. Und mein Gebet!


Major ab.
[116]

GRÄFIN. Ihm nach, liebe Freundin! Einen Gang im Schatten der Linden, bis er mit Hoffnung und Trost zurückkehrt.

EULALIA vor sich hinstarrend. Wie sich das in meinem armen Herzen durchkreuzt! Hier mein Gemahl, dort meine Kinder. – Hier entflohene Freuden und Schrecken der Zukunft – dort die mütterliche Wonne des Wiedersehens. – Ach! teure Gräfin! es gibt Augenblicke, in welchen man Jahre durchlebt; Augenblicke, welche schwarzes Haar in grau zu wandeln vermögen, und tiefe Runzeln auf jugendliche Wangen furchen.

GRÄFIN. Das heißt: der Kummer zerstört mächtiger, als das Alter. Aber solchen Augenblicken muß man aus dem Wege eilen. Fort! hinunter in den Lindengang! Die Sonne wird bald untergehen. Ein solches Schauspiel der Natur zerstreut.

EULALIA. Recht! Die untergehende Sonne ist ein Schauspiel für einen Unglücklichen.

GRÄFIN indem sie, von Eulalien begleitet, abgeht. Der des kommenden Morgens nie dabei vergessen darf. Ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 115-117.
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