Scena I.

[38] Günther, Alex, Gabriel.


GÜNTHER.

Ich danke Got zu diser fart,

das er mich heint die nacht bewart

für allem übel und mir gebn

biß auf den heutign tag das lebn.

ALEX.

Ein guten morgen, bruder mein;

hast auch noch all die schafe dein?

GÜNTHER.

Got danke dir, mein bruder, schon;

verhoff, mein schaf ich all werd han.

ALEX.

Hat dir der wolf noch keins gestolen,

das du deim herren must bezalen?

GÜNTHER.

Got lob, ich weiß noch wenig drumb,

Got helf, das mirs zum besten kom;

ich hab noch keinen wolf gesehn.

ALEX.

Und bei mir warn noch gestern zwen,

und wolten meine hammel zelen,

erwischten eines bei der kelen,

darmit sie wolten gar darvon;

dennoch sie mir es musten lan,

das haben meine hund gemacht.[38]

GÜNTHER.

Was hastu vor ein art mitbracht?

kan ich nicht einen von dir haben?

ALEX.

Ja wol, du wirst sehn, wie sie traben

den wolfen nach ins weite feld,

seind zu bezalen nicht mit geld.

der ein heißt Walt, der ander Taus,

den dritten hab ich noch zu haus,

der ist fürwar der aller best;

seind alle drei meins vettern gwest.

darunter geb ich einen dir.

GÜNTHER.

Ich sag dir großen dank dafür.

laß hören, wie klingt deine leiren?

ALEX.

Ja, bruder, weil wir heute feiren,

so sol es sein ein geistlich gsang.

was hat dein pfeife vor ein klang?

GÜNTHER.

Sie hat so gar ein hellen schal;

wann ich schon bin im tiefen tal,

so hört man mich an meiner pfeif.

ALEX.

Hör zu, ein loch hinunter greif,

so wolln wir stimmen bald zusammen.

GÜNTHER.

Nun laß hergan in Gottes namen!

vater unser im himmelreich, etc.

ALEX.

Wolan, wir pfeifen beid zugleich.


In dem sie pfeifen, kommen die engel und werfen etliche raketlein umb die hirten.
[39]

GÜNTHER.

Hilf, lieber Got, was war diß nur,

das uns allhie jetzt widerfur?

ALEX.

Von wannen kam uns dises her?

ich bin erschrocken mechtig ser,

das mir die sackpfeif ist entfallen.

GÜNTHER.

Schweig still, ich hör ein stimm erschallen.

GABRIEL.

Fürchtet euch nicht, seid frölich all,

groß freud ich euch verkünden sol,

die allem volk wird widerfaren.

den sie gehofft vor vielen jaren,

nemlich euch heut geboren ist,

eur heiland, der herr Jesus Christ,

in der stat David, Bethlehem.

ein jeder hie das zeichen nem,

das ir werdt finden dises kind

bei einem esel und eim rind

wol in der harten krippen liegen,

die ist des kindes köstlich wigen.

der alte stal ist sein schön schloß,

sein reichtum ist nur armut groß,

sein betten sein das dürre heu,

darob sich euer keiner scheu.

diser wird euer heiland sein,

erlösen euch von hellscher pein.

des danket Got in ewigkeit,

seid frölich all zu diser zeit.


Damit gen die engel wider nach dem tron, singende: all er und lob sol Gottes sein etc.


GÜNTHER.

Nun, lieber bruder, Got sei lob,

der uns hie zu vernemen gab,[40]

das unser heiland sei geborn,

der uns all, die wir warn verlorn,

erretten sol von sünd und tot;

gelobet sei der höchste Got!

ALEX.

Gen Bethlehem wir wollen gen

und die geschicht daselbst besehn,

die uns zu gut geschehen ist,

wolln sehn den herren Jesum Christ.

GÜNTHER.

Wolln wir die pfeifen auch mit nemen?

ALEX.

Wer wolt sich seines handwerks schemen?

nims mit und ge fort in der eil,

die schaf befel ich Got dieweil.

GÜNTHER.

Darzu den lieben engelein,

die werden ire hüter sein.


Gen damit pfeifende hinweg.


Quelle:
Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert. Leipzig 1868, S. 38-41.
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