55. Der Schlüssel im Grabe.
Mündlich.

[53] In der Gegend von Magdeburg, andere sagen auch in der Mark, ist vor mehreren Jahren ein Bischof oder Graf gestorben, der ist ein gar reicher Mann gewesen; da er nun aber an seinen Schätzen sehr gehangen, so hat er sie verborgen und auch der Schlüssel zu dem Kasten ist verschwunden; man sagt, der liegt bei ihm in dem Grabgewölbe und die Erben könnten ihn nur erlangen, wenn sich einer finde, der neun Nächte hintereinander[53] bei dem Sarge wache, dann werde der Todte erlöst sein und den verschwundenen Schlüssel herausgeben. Aber das ist ein gar schweres Ding, denn der Verstorbene erscheint oft als ein ungestaltes Gespenst, das halb thierische, halb menschliche Gestalt hat, dann wieder oben als ein großer Hund, unten als ein Pferd sich zeigt und dem ähnliche Gestalten annimmt. Deshalb haben alle, die ihn zu erlösen versuchten, wieder von ihrem Unternehmen abstehen müssen, da sie zuletzt die Furcht übermannte, und keiner hat es bis jetzt über vier Nächte ausgehalten; weshalb auch die Erben dem, welcher ihn wirklich erlösen wird, für jede Nacht, da er wacht, tausend Thaler geboten haben.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 53-54.
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