208. Die Stiftung des Klosters Heiligengrabe.

[224] Riedel: Codex diplomaticus Brandenb. Th. I. S. 464-466.


Im J. 1287 am Freitage nach Himmelfahrt begab es sich, daß ein Jude in dem Dorfe Techow zwischen Wittstock und Pritzwalk herbergte, und wie es nun Nacht ward und er meinte, daß günstige Zeit zu bösem Vornehmen sei, ging er hin zur Kirche des Dorfes, erbrach die Thür und stahl dort das heilige Sakrament. Darauf lief er eilends mit demselben davon nach Pritzwalk, um es einigen seiner dortigen Glaubensgenossen zu bringen, aber er war noch nicht weit fort, als er plötzlich, denn dem Allwältigen behagete nicht sein bösliches Vornehmen, mit einer großen Schwere befallen wurde, daß er nicht fürder kommen konnte, sondern unter einer Eiche (die noch heutigen Tages – 1516 – in dem Wege steht) ruhen mußte. Als er aber darnach wieder zu sich selbst kam, und nur kaum einen Steinwurf weiter gegangen war, kam er an einen See, an welchem ein Galgen stand; an dem hing ein Mann, und oberwärts davon war ein Rad, auf welches derselbe gestoßen und gelegt war; zwischen diesen beiden in der Mitte machte der Jude eine Hölung, rieb das heilige[225] Sakrament in Stücke, legte es da hinein und schüttete es darauf mit Erde zu. Drauf lief er in großer Furcht und mit blutigen Händen nach Pritzwalk. Als nun die Leute andern Tages zur Kirche kamen und alles erschauten, auch erfuhren, daß in der vergangenen Nacht ein Jude im Kruge geherbergt hatte, der mit blutigen Händen nach Pritzwalk geflohen sei; da säumten sie nicht lange, sondern liefen und folgten ihm eilends in großem Zorne, so lange daß sie ihn funden zu Pritzwalk mit andern Juden sitzend und Sprache haltend. Da fragten ihn die Bauern und baten ihn, die Geschichte zu offenbaren und bekennen, aber sie vermochten ihn nicht dazu zu bringen. Da gingen sie zu Rathe und waren alle eines Sinnes, den Missethäter mit Fleiß zu erforschen; und es war ein Bürger da, andächtigen guten Lebens, der versprach ihnen, daß er sich wolle eine Platte scheeren lassen und ganz zubereiten als ein Priester, um so die Wahrheit an den Tag zu bringen. Der kam nun dem Juden mit süßen Worten an »un bath em, doch (l. dorch) den oversten Gott, de loef unde Graß geschapen hedde, ock dorch leve der Oltvädere des Jödesken Volcks, dat he emme doch mochte de Warheit seggen, denn he möchte dat ane allen forchten dhoen, he seghe jo woll, dat hee ehn Preester were, de jümmers dat jene, wat in de Bycht gesegt, by Straffe lives unde Godes vermöge der Geestliken Rechte nich melden moste. De Jöde wart dorch de söten Worde des falsken Preesters beweget, unde gyngk mit em an den Ort, dar he dat hillige Sakrament begraben hädde, doch wolde he[226] em dat nich met synen Vynghern edder hövede wysen, edder süß etliken maten antögen, sondern met synen luchtern Vothe flott he darupp unde sprak: ›Hie ligt jouwe God!‹«1 da kamen die Bauern, die sich im Busche verborgen hatten, griffen ihn an, er ward ins Gefängniß geführt und mußte den Tod durchs Rad erleiden. Darauf wurden die größeren Stücke des zerriebenen heiligen Sakraments vom Blute rothgefärbt in einem Federkiele aufbewahrt, die kleinsten aber wickelte man in ein rothes seidenes Tuch. So kam es zuerst nach Pritzwalk, wohin es der dortige Kirchherr, Namens Werner, mit Gewalt entführte, aber es that dort keine Wunder, sondern allein zu Techow. Nicht lange danach kam auch Bischof Heinrich von Havelberg, der von diesem Wunder hörte, nach Pritzwalk; da er nun nicht allzu viel an die neue Mähr glaubte, ward er hier plötzlich mit schwerer und großer Krankheit befallen, weshalb er gelobte, das heilige Sakrament zu besuchen[227] und von Stund an gesund ward. Als er nun aber auch dem Volk, das ungefährlich da war, die Mirakel von dem Predigtstuhl verkündigen wollte, so ward ihm vom Himmel gezeiget die Heiligkeit der Stätte, denn oberhalb des Grabes sah er den Himmel offen, wodurch er mit so vielen innigen Thränen begossen ward, daß er kein Wort sprechen konnte, sondern seinem Kapellan befahl alles, was ihm begegnet sei, dem Volk zu offenbaren. Darauf gebot er dem Werner von Pritzwalk das Sakrament nicht länger zu behalten, sondern es an seinen alten Ort zurückzubringen, was auch geschah. Als der Markgraf Otto von Brandenburg von diesen Wundern hörte, war er Willens, indem ihm seine Hofleute und Ritter dazu riethen, ein Schloß an derselben Stelle zu bauen; er kam daher in die dortige Gegend und befahl seinen Dienern, die ihm seinen Tisch zu besorgen pflegten, all die Opfer, welche sie dort fänden, zu nehmen und davon eine gute Mahlzeit zu bereiten in einem Dorfe, Namens Mankmus. Aber als er sich zu Tische setzte, geschah es, daß alle Speise so gesotten als gebraten zu Blut ward, und als zum zweiten Male angerichtet wurde, geschah es ebenso. Da erschrak der fromme Fürst gar sehr, fiel mit den Seinen auf die Knie und betete zum Allmächtigen um Gnade; darauf gelobte er bei seiner Treue, so ihm der Allmächtige gesund von dannen hülfe, wollte er selbst die Stätte mit Innigkeit besuchen und daselbst ein Kloster bauen. Als er nun mit großer Angst in einer Nacht betrachtete, wie er das Kloster bauen wollte, so kam eine Stimme vom Himmel[228] die sagte, daß er sich unnütz bekümmere, denn es wäre von Anbeginn der Welt geordnet und ausersehen, daß ein Jungfrauen-Kloster an dem Orte stehen sollte, Cistercienser-Ordens, mit grauen Kappen gekleidet, wie Sankt Bernhard getragen hatte, unter der Regel S. Benedicti. Als nun der Fürst durch solche Verkündigung an die Stiftung des Klosters erinnert ward, so bat er die Aebtissin zu Neuendorf, daß sie ihm zwölf Jungfrauen aus ihrem Kloster schicken wolle, und wiewohl sie dies selbe dem Fürsten nicht weigern wollte oder mochte, so gedachte sie ihm doch zwölf der allerunnützesten zu schicken, weshalb sie in der folgenden Nacht gar schwerlich durch göttliches Geschick gestrafet ward, wodurch sie denn beweget wurde, daß sie selbst mit elf Jungfrauen an den Ort zog, und dem allwältigen Gott daselbst mit ihren innigen Gebeten und Werken die Tage ihres Lebens diente. – So entstand das Kloster zum heiligen Grabe bei dem Dorfe Techow, und das blutige heilige Sakrament in einem Krystall und feinem Tuche ist noch bis auf die Zeit Kurfürst Joachims des Ersten viele Jahre lang durch großen Zulauf vieler Pilgrimme geehrt worden und hat große Wunderthaten verrichtet.

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und bat ihn bei dem obersten Gott, der Laub und Gras geschaffen hätte, und bei der Liebe zu den Allvätern des jüdischen Volkes, daß er ihm doch möchte die Wahrheit sagen, denn er könne das ohne alle Furcht thun, er sähe ja wohl, daß er ein Priester wäre, der nimmermehr das, was in der Beichte gesagt werde, bei Strafe Leibes und Gutes, vermöge der geistlichen Rechte, verrathen dürfe. Der Jude ward durch die süßen Worte des falschen Priesters beweget und ging mit ihm an den Ort, wo er das heilige Sakrament begraben hatte, doch wollte er es ihm nicht mit seinen Fingern oder Haupte weisen, oder sonst in irgend einer Weise anzeigen, sondern stieß mit seinem linken Fuße darauf und sprach: »Da liegt euer Gott!«

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 224-229.
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