7. Wie die Schöppenstädter ein verlorenes Wort wiedersuchen.

[151] Als die Schöppenstädter an ihrer Stadt, wie sie es anderwärts auch gesehen hatten, ein Thor bauten und nun damit fertig waren, da wußten sie nicht, wie sie das Ding nennen sollten, denn sie hatten wohl die Thore anderer Städte gesehen, aber es war ihnen nie eingefallen, zu fragen, wie man ein solches nenne. Da fiel ihnen denn ein, daß die klugen Braunschweiger ihnen wohl würden helfen können, wie sie es schon manches mal gethan, und sie schickten daher einen Boten dahin, um das Wort zu bekommen; damit er es aber nicht etwa unterwegs vergeße, trugen sie ihm auf, es sich nicht allein sagen, sondern auch auf einen Zettel schreiben zu laßen. Das geschah denn auch und der Bote trabte fröhlich nach Schöppenstädt zurück. Indeßen war es Abend geworden, und als er nahe an die Stadt kommt und das erste Licht sieht, da freut er sich so sehr, daß er das Wort vergißt; aber für den Fall hatte man sich ja vorgesehen, der Zettel war ja dazu da, und sogleich griff er nach demselben; aber o Jammer! den Zettel hatte er auch verloren. Da ging er denn betrübt nach der Stadt und verkündete seinen Unfall, und es wurde sogleich ausgerufen, der Zettel wäre fort, alles sollte sich aufmachen, ihn zu suchen. Da lief ganz Schöppenstädt mit Heugabeln und Mistforken herbei, um, da es bereits ganz finster geworden war, das verlorene Wort vielleicht wieder aufzugabeln. Aber lange stachen sie vergebens auf dem ganzen Wege umher, und der Bote mußte vorangehen und den Weg zeigen, den er genommen hatte, und von links und rechts stachen sie mit den Forken um ihn[151] herum, daß die Funken stoben. Da wollte es das Glück, daß in der Finsterniß einer dem Boten mit der Heugabel durch den Fuß stach, daß er laut aufschrie und die Schöppenstädter meinten, er habe das Wort oder den Zettel gefunden; aber bald sahen sie, daß es sich anders verhielt, und einer fragte mitleidig: »isset denn dôr?« (ist es denn durch). – »Dôr, dôr, dôr!« rief er vor Freuden und sein Schmerz war vergeßen, »so hieß das Ding!« und fröhlich kehrten die Schöppenstädter nach Hause zurück.

Quelle:
Adalbert Kuhn / W. Schwartz: Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848, S. 151-152.
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