234. Die Eselswiese und die neun Bruno's.

Mündlich.

[208] Auf dem Schloße zu Querfurt wohnte vor langen Jahren einmal ein Graf Bruno, der war ein großer Heidenbekehrer und machte viele Reisen zu denselben. Nun hatte er auch eine Frau, die schalt einmal eine Bettlerin aus, daß sie so viele Kinder gebäre und doch nicht wiße, wovon sie ernähren, da ward sie von derselben verwünscht. Und als sie nun das nächste mal in die Wochen kam, gebar sie neun Knaben auf einmal. Der Graf Bruno war aber eben wieder zu einer Reise zu den Heiden aufgebrochen und als er auf die Wiese vor dem Thore kam, wurde sein Esel stätisch und wollte nicht weiter, und so viel er sich auch abmühte, er konnte ihn nicht von der Stelle bringen. Da sah er das als ein göttliches Zeichen an, daß er die Reise nicht unternehmen solle, und kehrte um. Indeß hatte die Gräfin, welche fürchtete, ihr Mann möge Arges von ihr denken, wenn er erführe, sie habe[208] neun Kinder auf einmal geboren, der Wehmutter befohlen, acht derselben in einen Keßel zu thun und sie zu ertränken. Als diese nun mit dem Keßel zu dem Born am Schloß kam, der noch der Brunosborn heißt, begegnete ihr Graf Bruno, der eben auf's Schloß zurück kehren wollte, und da eins der Knäblein schrie, fragte er sie, was sie im Keßel habe; da konnte sie's denn nicht verschweigen und erzählte ihm alles, was sich zugetragen. Da gebot er ihr zu schweigen über das, was er thun würde, und hieß ihr seiner Frau sagen, sie habe die Kinder ertränkt. Er aber nahm die Kinder und that sie bei verschiedenen Leuten in einer Gaße, die noch die Bruno'sgaße heißt, unter und ließ sie dort erziehen. Als sie nun erwachsen waren, ließ er sie eines Tages alle acht, wie den neunten anziehen, und fragte die Gräfin, was eine solche Mutter wohl verdiene, die ihre eigenen Kinder ersäufe, er habe einen solchen Fall und wiße keine Strafe dafür. Da sagte sie, eine solche müße auf glühenden Schuhen stehen; und kaum hatte sie das ausgesprochen, so ließ er ihre neun Kinder, die er bis dahin verborgen, hervortreten und sagte ihr, sie solle aus diesen ihr eigenes Kind aussuchen. Das konnte sie aber nicht und nun ließ er das Urtheil, welches sie selbst gesprochen, an ihr vollziehen. Zum Andenken aber, daß der Esel ihn von seiner Reise abgehalten, ließ er auf der Wiese, die noch die Eselswiese heißt, eine Kapelle erbauen, in der alljährlich in der Osterwoche, wo sich das ganze zugetragen, großer Ablaß ertheilt und zugleich ein Markt abgehalten wurde. Das letztere findet noch alljährlich statt und den Keßel, nebst den eisernen Schuhen, auf welchen die Gräfin ihre Strafe erduldet, bewahrt man noch im Schloß.

Quelle:
Adalbert Kuhn / W. Schwartz: Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848, S. 208-209.
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