27. Das Kieltröbchen oder Kielkröbchen.

Mittheilungen des Historischen Vereins zu Osnabrück, 1850, S. 397. Von J. Sudendorf.

[24] Einer Bäuerin am Dümmersee hatten die Schinonten ihr noch nicht getauftes Kind gestohlen, und an dessen Stelle ein aufgefangenes Wasserweibchen oder, wie die Sage lautet, ein Kielkröbchen hingelegt. Aber das Kielkröbchen konnte nicht gedeihen. Da fuhren seine vermeintlichen Aeltern mit ihm über den Dümmersee, um es zu seiner Genesung nach Rulle zu bringen. Während der Kahn über die Flut des Dümmer dahinfuhr, zwischen weißen und gelben Seerosen, welche auf dem Wasser wie Sterne erschienen, tauchte ein anderes Kielkröbchen aus der Tiefe auf und rief: »Kielkröbken, wo wustu hen?« worauf jenes aus dem Kahne antwortete:
[24]

»Ick will na Rulle.

Un da mi laten weihen

up dat ick mag gedeihen

as en änner kind.«


Vgl. Norddeutsche Sagen, Nr. 36, 2, mit der Anm., und unten Nr. 75; Pröhle, Unterharzsagen, Nr. 156. Nach einer in den Mittheilungen gegebenen Anmerkung wurden (nach dem Pastoratlagerbuche zu Bramsche) zu Rulle und auf der Johannitercommende Lage am Johannistage Kinder gegen Brot gewogen; der Mittheiler verweist zugleich auf Grimm, Deutsche Sagen, Nr. 82; weihen wäre also nicht das hochdeutsche Wort, sondern gleich dem neuhochdeutschen wiegen, doch hat der Spruch bei Grimm auch wigen und gedigen, das weihen oder taufen scheint deshalb das Richtigere. – Der Name Schinonten ist entweder Entstellung aus Schönaunken, oder Schin hat dieselbe Bedeutung wie in schînhelle, lichthell; über Schönaunken vgl. zu Nr. 51.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen und einigen andern, besonders den angrenzenden Gegenden Norddeutschlands 1–2. Band 1, Leipzig 1859, S. 24-25.
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