96.

Mündlich.

[96] Der heilige Ludgerus ist aus Friesland nach Westfalen gekommen und hat hier zuerst das Christenthum gepredigt. Eines Tags ist er auch nach Billerbeck gekommen und hat hier seinen Durst an einem Brunnen gestillt, darum liegt der Löffel, mit dem er das Wasser geschöpft hat, dort noch an einer eisernen Kette.

Auf seinen Zügen ist er mit seinen Begleitern auch in die Gegend gekommen, wo jetzt Werden liegt und die Gegend hat ihm trefflich gefallen, sodaß er gesagt hat, hier werde noch einmal eine große Stadt erstehen. Als ihn einer seiner Begleiter gefragt hat, wie das wol geschehen möge, da ja kaum ein Haus hier stehe, habe er gesagt: »Was nicht ist, kann noch werden«, und darum hat man die nachher hier erstandene Stadt Werden genannt. Diese hat sich aber um deshalb bald ansehnlich vergrößert, weil der heilige Mann, ehe er gestorben ist, befohlen hat, man solle seinen Sarg von zwei Ochsen fortziehen laßen und ihn da begraben, wo sie stehen blieben; die Ochsen sind darauf mit dem Leichnam aufgebrochen und haben ihn nach Werden gebracht; hier hat sich aber plötzlich eine Stimme hören laßen, die gesprochen hat: »Hier will ich ruhen.« Da hat man den Heiligen dort begraben und seine Prophezeihung ist eingetroffen[96] und Werden ist eine ansehnliche Stadt geworden.


Vgl. Stahl, Westfälische Sagen, I, 99; Panzer, II, 48, 54; Meier, Schwäbische Sagen, Nr. 357, 1, weisen Ochsen in gleicher Weise die Grabstätte. Auf ähnliche Weise wird die Leiche des heiligen Gallus durch Pferde zu Grabe geführt, Kemble, I, 354.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen und einigen andern, besonders den angrenzenden Gegenden Norddeutschlands 1–2. Band 1, Leipzig 1859, S. 96-97.
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