7. Die grüne Feige.

Deilinghofen.
(Vgl. den »Hasenhüter« in Bechstein's Deutschem Märchenbuche, S. 128.)

[226] Ein König, der eine einzige schöne Tochter hatte, bekam einen gar sonderbaren Einfall. Er ließ im ganzen Lande ausrufen, wer ihm um Weihnachten eine grüne Feige bringe, der solle Gemahl seiner Tochter werden. Nun war da ein Mann auf dem Lande, der hatte drei Söhne, von denen der älteste ein Schuster, der zweite ein Schneider war, der jüngste aber gar kein Handwerk trieb, sondern nur den Küchenpeter machte. Eines Tags um Weihnachten findet der Vater dieser drei Burschen einen Baum im Walde, an welchem drei grüne Feigen hingen. Er nimmt sie mit nach Hause, legt eine davon in ein Körbchen und sagt zu dem ältesten Sohne: »Zieh dein bestes Zeug an und bring diese[226] Feige zum Könige!« Der Bursche kleidet sich flugs an und macht sich auf den Weg. Er kommt in einen großen Wald, da begegnet ihm ein altes Männchen und fragt: »Was hast du in dem Korbe?« – »Ih, was wollt' ich drin haben! 'n Dreck«, sagt der Schuster. »So!« versetzt das Männlein, »ist's 'n Dreck, soll's auch 'n Dreck bleiben.« Der Bursche setzt nun seinen Weg fort und langt endlich vor dem königlichen Schloße an. Hier fragt ihn die Wache, was er wolle. Er sagt: »Dem Könige eine grüne Feige bringen.« Man läßt ihn durch. Als er vor den König tritt und sein Körbchen überreicht, findet sich's so, wie das Männlein gesagt hatte. Der Bringer erhält tüchtige Prügel und den Laufpaß. Daheim erzählt er, seine Sendung sei unglücklich abgelaufen, unterläßt aber, rein auszubeichten, wie es hergegangen. Da sagt der Schneider: »Jedenfalls mußt du dich recht dumm gestellt haben; ich würde es schon klüger anfangen, wenn der Vater mich mit einer andern Feige senden wollte.« – »Geh denn!« sagt der Alte und legt ihm die zweite Feige in ein Körbchen. Der Schneider hatte dasselbe Abenteuer im Walde, antwortete dem Männlein noch unbescheidener und ward im Schloße noch reichlicher mit Prügeln bedacht, als sein Bruder. Heimgekehrt, mochte auch er keinen reinen Wein einschenken, sondern gab ebenfalls nur an, die Botschaft sei ihm misglückt. Jetzt verlangt der Aschenpeter mit der dritten Feige geschickt zu werden. Seine Brüder sagen: »Was willst du dummer Teufel da machen; dich laßen die Wächter nicht einmal durch.« Der Jüngling läßt indeß seinem Vater keine Ruhe, bis er ihm gestattet, mit der dritten Feige zu gehen. Auch er trifft das Männlein im Walde. Als er gefragt wird, was er im Körbchen habe, antwortet er offen und bescheiden: »Eine grüne Feige, die ich dem[227] Könige bringen soll.« – »Nun, mein Sohn«, sagt das Männlein, »wenn du eine grüne Feige darin hast, soll's auch eine grüne Feige bleiben. Aber weil du ein so ehrlicher Jüngling bist, will ich dir auch etwas schenken. Hier hast du ein Pfeifchen! Wenn du darauf flötest, kommt alles, was du dir wünschest.« Der Bursche steckt dankend das Pfeifchen ein und gelangt vor das Königsschloß. Als er nach einigen Schwierigkeiten Einlaß erhalten, überreicht er sein Körbchen, und siehe! die Feige war nicht verwandelt. Aber der Königstochter steht es schlecht an, den Burschen zum Gemahl anzunehmen. Sie sagt: »Unter einer Bedingung will ich dich: wenn du hundert Hasen, die im Stalle sind, acht Tage im Walde weidest und keinen verlierst.« Er nimmt das an, und sein Pfeifchen setzt ihn in den Stand, am ersten Abend alle hundert zurückzubringen. Da denkt die Prinzeßin: »Hier muß List helfen.« Verkleidet reitet sie Tags darauf durch den Wald, wo er hütet, und fragt: »Willst du mir nicht einen Hasen verkaufen?« – »Verkaufen nicht«, sagt er, »aber abverdienen kannst du mir einen.« – »Und womit?« fragt sie weiter. »Wenn du dem Esel, den du reitest, den Hintern küßest«, versetzt er. »Lieber das«, denkt sie, »als diesen Bauer zum Mann nehmen«, und läßt sich's gefallen. Er gibt ihr einen Hasen. Als sie aber eine Strecke fort ist, läßt er sein Pfeifchen ertönen. Stracks macht sich der Hase los und ist im Nu wieder bei seinem Hüter. So hat er auch am zweiten Abend alle hundert beisammen. Am folgenden Tage kommt die Königin verkleidet, und ihr geht's ebenso. Am vierten Tage entschließt sich der König, einen Versuch zu machen, und ihm geht's nicht beßer. Als die acht Tage um sind, denkt der Jüngling, er werde nun die Prinzeßin erhalten. Aber jetzt verlangt der König noch eine[228] Leistung. »Du mußt mir«, sagt er, »zuvor drei Säcke voll Wahrheiten bringen.« Da bittet der Bursche sich Bedenkzeit aus, verläßt das Schloß und geht dem Walde zu. Indem er sich so den Kopf zerbricht und am Ende traurig alle Hoffnung aufgeben will, trifft ihn das Männlein und erkundigt sich theilnehmend, warum er so niedergeschlagen sei. Als er seine Sache erzählt hat, ruft er aus: »O, das ist ja gar nichts! Sage nur, was beim Hasenhandel vorgefallen ist!« Er geht darauf wieder ins Schloß und sagt: »Ich habe das Verlangte.« – »Laß hören!« versetzt der König. »Als ich die Hasen hütete«, hebt der Jüngling an, »da kam am zweiten Tage die Prinzeßin und wollte mir einen abhandeln; sie erhielt ihn aber nicht eher, bis sie ihrem Esel den H–« – »Halt!« ruft der König, »ein Sack ist voll.« – »Tags darauf«, fährt der Bursche fort, »kam auch die Königin und wollte mir –« – »Halt!« ruft der König, »der zweite Sack ist voll.« – »Am folgenden Tage«, sagt der Bursche, »kam auch der –« – »Halt!« ruft der König, »auch der dritte Sack ist voll.« Der König veranstaltete nun die Hochzeit, da wurde tüchtig geschmaust und getrunken. Ich bin auch mit darauf gewesen und in die Küche gegangen. Als ich da ein wenig am Braten nippelte, hat mich der Koch mit dem Schaumlöffel vor den Hintern geschlagen, daß ich geflogen bin bis hierher.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen und einigen andern, besonders den angrenzenden Gegenden Norddeutschlands 1–2. Band 2, Leipzig 1859, S. 226-229.
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