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[213] Abends zur verabredeten Zeit traf Friedrich, mit Christinen zusammen. »Hat's was gegeben?« fragte er. Sie verneinte es. »Bei mir hat's schon eingeschlagen!« sagte er und erzählte ihr den Auftritt, den es über Mittag abgesetzt hatte, wobei er jedoch die grellen Farben desselben sehr zu mildern Sorge trug. Christine weinte und sagte: »Ich hab's wohl vorausgesehen, daß ich den Deinigen nicht recht sein werd. Ach Frieder, wie wird's mir gehen? Da liegen viel Berg und Täler dazwischen, bis wir zwei zusammenkommen.«

»Reut's dich?« fragte er. »Mich reut's nicht.«

»Solang du so gegen mich bist, wie jetzt, reut's mich auch nicht. Aber wir werden eben viel zu leiden haben miteinander, das gibt schon der Anfang. Es ist kein gut's Zeichen, daß es uns gleich am ersten Tag so hinderlich gehen muß. Ich möcht nur auch wissen, was für ein Neidhammel uns bei deiner Mutter verraten hat.«

»Das möcht ich auch herausbringen«, sagte er. »Hat dich vielleicht einer von den ledigen Buben gesehen gestern nacht, wie du den Brief ins Beckenhaus tragen hast?«

»Mit deinen ledigen Buben!« spottete sie. »Du meinst immer, das ganz ledig Mannsvolk sei hinter mir auf dem Strich.«

»Ich sag's nicht aus Eifersucht«, entgegnete er. »Aber es ist ja wohl möglich, daß dich einer auskundschaftet hat und hat dich vielleicht mit mir[214] reden sehen. Du sagst ja selber, der Neid werd ihn getrieben haben.«

»Ich bin keinem begegnet«, sagte Christine, »und wenn mich je einer gesehen hätt, hätt er mich nicht erkannt, so flink bin ich gewesen. Nur einer fällt mir ein, der hat mir ins Gesicht gesehen und könnt mich möglicherweis erkannt haben. Den rechnet man aber kaum zu den ledigen Buben, und er wird dich nicht eifersüchtig machen. Der Fischerhanne ist's gewesen; der ist vor seinem Haus gestanden und hat, scheint's, auf das Schießen gehorcht, hat aber dabei geschnattert vor Kälte.«

»Der Fischerhanne!« rief Friedrich. »Jetzt weiß ich, wo ich dran bin. Der weißblütig Neidteufel hat mich von jeher verfolgt. Da ist gar kein Zweifel, der ist dir gestern nacht nachgeschlichen – wenn ihn nur der Mordschlag troffen hätt! – und hat auch heut meinem Gang nachgeforscht. Dem möcht ich jetzt für die zerbrochene Scheib eins von seinen Gesichtsfenstern ausstoßen oder ein Eck von seinem siebeneckigen Kopf wegschlagen.«

»Nein, du wilder, gewalttätiger Bub!« sagte Christine, »laß du ihn lieber in Frieden, sonst würdest nur aus Übel Ärger machen.«

»Es ist auch wahr«, erwiderte er. »Und zudem, seit du mein bist, ist mir's so wohl, daß ich der ganzen Welt in Fried und Freundschaft die Hand geben möcht. Ich muß mich eigentlich zwingen, dem Fischerhanne gram zu sein, wie er's ja doch verdient. Auch meinem Vater hab ich heut kein bös Wort geben können, wiewohl's nicht recht von ihm[215] ist, daß er sich gegen unser Verhältnis hat einnehmen lassen und hat mich gar nicht anhören wollen.«

»Bleib du immer so«, sagte Christine, »und wie du lieb gegen mich bist, so sei's auch gegen deine Nebenmenschen. Wir müssen die Hindernisse, die man uns in den Weg wirft, durch Liebe zu überwinden suchen.«

»Aber dem Racker tu ich doch noch einmal einen Tuck«, bemerkte Friedrich. »Es gibt Menschen, mit denen man in Liebe und Güte nicht fertig wird, sonst fressen sie einen aufm Sauerkraut.«

»Du solltest eher auf das denken, wie du ihn gewinnst, damit er uns nicht weiter verschwätzt.«

»Dafür ist schon gesorgt: meine Frau Mutter hat zu verstehen gegeben, sie hab ihn abgefunden, damit er dem Pfarrer nichts zutrage. Der schreit schon, wenn einer am Sonntag eine Bettlad anstreicht. Wie würd er erst einen Lärm machen, wenn er erführe, was wir für einen Gottesdienst miteinander gehalten haben.«

»Red doch nicht so gottlos heraus!« unterbrach ihn Christine. »Es ist ja eine Sünd und eine Schand, wie du schwätzt!«

»Was? Wenn ein Bub sein Mädle in Arm nimmt, die unser Herrgott füreinander geschaffen hat? Da müßtest du ja Reu und Leid tragen für jeden Kuß, den du mir heut unter der Kirch geben hast!«

»Ach, Gott verzeih mir's! Ich hab dich eben so lieb, und darum hab ich's getan. Aber recht ist's[216] doch nicht, und so davon zu reden, das ist sündlich.«

»Du Annemergele, du! Aber wir wollen nicht streiten. Komm, wollen lieber küssen.«

»Mein'twegen, die Kirch ist ja schon lang aus.«

Sie gingen, sich küssend und umschlingend, weit ins beschneite Feld, ohne dem Frost eine Gewalt über ihr Jugendfeuer zu gönnen; ja, sie warfen einander, wenn sie sich müde geküßt hatten, mit Schneeballen, und traf er sie mit einem gar zu derben Wurfe, so gab dies wieder Anlaß zu Söhnungsbitten und neuen Liebkosungen. Dazwischen zerstreute er ihre stets auftauchenden Besorgnisse wegen der Zukunft durch die bündigsten Versicherungen und Schwüre. Der Mond sank erblassend gegen Westen hinab, und die ersten Schauer der Morgenkälte wehten über die Flur, als sie sich endlich trennten. Immer später kam in den nächsten Nächten die abnehmende Sichel auf den Schauplatz, und immer noch traf sie das Paar und beleuchtete eine Glückseligkeit, die sich um die Welt nichts kümmerte. Wenn aber je Christine wieder zu sorgen und zu zagen begann, so wußte Friedrich sie zugleich zu necken und zu trösten. »Ich glaub, der Mut verfriert dir«, sagte er, »wir werden uns in der Hüterhütte bergen müssen. Sieh, du bist mein Weib vor Gott, ich werd nicht von dir lassen und nicht eher ruhen, bis du es auch vor den Menschen bist. Ich hab einmal gesagt: Ich will! und das Wollen in eigner Sach ist viel stärker, als das Nichtwollen in fremder Sach. Wenn ich eher den Kopf hergeb als meinen Willen und[217] mein Herz, und das darfst mir zutrauen, so wird das Nichtwollen schon mürb werden. Merk dir nur eins und laß dir's gesagt sein: Will und Lieb, die stiehlt kein Dieb.«

Quelle:
Hermann Kurz: Der Sonnenwirt. Kirchheim / Teck 1980, S. 213-218.
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