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[347] Gleich noch am nämlichen Abend ging Christine in das Pfarrhaus, um im Auftrag ihres Verlobten, der auf sie wartete, den Herrn Pfarrer zu bitten, daß er[347] sie am nächsten Sonntag proklamieren möge. Sie kam aber bald wieder zurück und erzählte, der Pfarrer habe gesagt, er wisse nichts von Majorennisation und Regierungsresolutionen, sei auch nicht verpflichtet, den Amtmann zu fragen, ob etwas Derartiges eingelaufen sei; so könnte ihm jeder kommen.

»Gleich morgen gehst zum Amtmann«, sagte Friedrich, »denn jetzt ist er auf der Jagd. Es ist besser, du gehst, weil er mir gesagt hat, ich soll nicht ungeboten vor ihn kommen.«

»Ja«, sagte sie, »und wenn du kämst, könnt's leicht Häupeleien geben, weil du so strobelig bist. Wir müssen jetzt trachten, daß wir vollends im Frieden durchkommen. Lieber geh ich, ich fürcht mich nicht mehr so vor den Herren. Aber was soll ich denn dem Amtmann sagen, woher wir wissen, daß die Resolution da ist? Die Kathrine dürfen wir nicht verraten, die ist unser guter Engel.«

»Sagst, ich wiss es von Stuttgart her, daß die Resolution vor einigen Wochen schon abgangen sei. Gib acht, das wird ihm Füß machen.«

»Das ist der Red noch einmal wert«, rief Christine und lachte; »jetzt meint er, du habest ihn verklagt, und kriegt Angst.«

»Laß ihn nur nicht schlupfen, weder links noch rechts«, sagte er. »Bekennen muß er. Morgen ist Samstag, und am Sonntag müssen wir das erstmal proklamiert sein.«

Mit lachendem Munde kam Christine den andern Morgen aus dem Amthause. »Ich hätt nicht glaubt«,[348] sagte sie, »daß so ein rundes Gesicht so in die Länge gehen könnt. Sieh, so lang ist's worden, wie ich mein Sprüchlein aufgesagt hab. Er hat sich dann aber gleich gefaßt und hat gesagt, die Resolution sei allerdings da, und er würd sie dir schon noch eröffnet haben, es sei ja nichts Pressantes.«

»So, nichts Pressantes? Ich wollt, das Wasser ging ihm einmal bis an Hals, und ich stünd dabei und könnt sagen: ›'s pressiert gar nicht, Herr Amtmann, mit Ihrem Wohlnehmen.‹«

»Es hat ihm aber doch rechtschaffen pressiert«, fuhr sie fort. »Sieh, da ist die Schrift, die soll ich dem Pfarrer bringen, daß es mit dem Proklamieren weiter kein' Anstand hab.«

»Lauf, Christinele, lauf tapfer! Du arm's Weib du, mußt dich halbtot springen um unsere Heirat, und trägst doch den Ehkontrakt mit Brief und Siegel an dir.«

»Ich wollt, du müßtest ihn tragen«, maulte sie, »damit du auch wüßtest, wie das beschwerlich ist.«

»Halt's der Pfarrer auch nicht für pressant?« fragte er, als sie wiederkam.

»Er hat gesagt, es sei eine Sünd von dir, daß du deinem Vater nicht gehorchest, und er sag mir's ins Gesicht, daß so eine ungleiche Heirat eine rechte Dummheit sei und auch ein bös End nehmen werd, aber er hab jetzt sein Gewissen salviert und uns gewarnt; morgen werd er uns proklamieren.«

»Er soll uns ausrufen und einsegnen, nachher mag er schwätzen, soviel er will. Jetzt ist's gewonnen.«

Als er von ihr wegging, begegnete er seiner Schwester[349] Magdalene, die eben über die Gasse ging. »Du«, sagte er seelenvergnügt, »morgen werd ich von der Kanzel runtergeschmissen. Du gehst doch auch in die Kirch?«

»Ach Gott, ist's so weit?« rief sie. »Ja, wenn ich kann, will ich gehen.«

»Können!« sagte er, »ich hab noch nie gehört, daß die Weibsleut nicht in die Kirch gehen können, sonderlich, wenn's Neuigkeiten drin gibt.«

»Weiß 's denn der Vater schon?« fragte sie. »Grad will ich zu ihm.«

»Er erfährt's jetzt gleich. Wir haben einen Weg.«

»So, du bist also jetzt majorenn, und ich hab dir nichts mehr zu befehlen?« sagte der Sonnenwirt, als sein Sohn ihm die Neuigkeit angekündigt hatte. »Nun, jetzt kannst du freilich tun, was du willst, aber ich bin jetzt auch nicht mehr verantwortlich dafür.«

»Vater«, sagte die Chirurgin, »der Bruder fragt, ob ich morgen in die Kirch geh. Gehet Ihr?«

»Es wär schon not, daß man für ihn beten tät«, sagte die Sonnenwirtin, die sich der Antwort bemächtigte; »aber ich sorg nur, die Leut könnten's so ansehen, als ob wir unsre Billigung dazu gäben, und der Vater wälzt ja selber alle Verantwortung von sich ab.«

»Ich sag nicht, du sollest daheim bleiben«, antwortete der Sonnenwirt seiner Tochter, »und dein Mann kann's dir auch nicht verbieten, in die Kirch zu gehen. Auch wär's christlich, wenn's einmal sein soll, daß wenigstens eins von der Familie dabei wär.[350]

Aber ich kann mich nicht dazu entschließen, ich tät mich ja selber aufs Maul schlagen.«

»Aus Christenpflicht ging ich auch gern dazu«, nahm wieder die Sonnenwirtin das Wort, »aber ich könnt's nicht prästieren, den Blicken so ausgesetzt zu sein, denn natürlich, die ganz Gemeind guckt uns an, wenn wir gegenwärtig sind. Ich weiß nicht, mit was ich die Straf verdient haben sollt, ich hab mich nicht vergangen.«

»Das ist wahr«, seufzte die Chirurgin, »ich könnt die Augen nicht auftun und tät's doch spüren, wie ich die Zielscheib wär, und alle Andacht wär mir verdorben.«

Die Türe ging auf, und der Krämer trat mit seiner Frau herein. »Ich muß um Entschuldigung bitten«, sagte er, »daß ich in meinen Hauspantoffeln komm, aber es läßt mir keine Ruh. Weiß's denn der Herr Vater schon? Es ist im ganzen Flecken herum, daß der Schwager morgen mit seiner Jungfer Christine proklamiert werd. Ist's denn wahr? Was, und die Familie erfährt so was zuletzt?«

»Das wird aber morgen ein Geläuf sein!« rief die Krämerin. »Mein Mann, der los Vogel, hat gesagt, wir könnten einen hübschen Profit machen, wenn wir unsern Kirchenstuhl vermieten täten. Gebt acht, morgen gibt's am heiligen Ort Händel, denn's fehlt an Platz.«

»Wir reden eben davon, ob wir auch gehen sollen«, sagte die Sonnenwirtin, »aber die Chirurgussin und ich, wir meinen, wir könnten's nicht aushalten, wenn einen alles so ansieht.«[351]

»Herr meine Sünd!« schrie die Krämerin. »Ich weiß nicht, was mir für ein Unglück passieren könnt, wenn alles um mich rum druckt und guckt und murmelt! Da könnt mich ja was ankommen, wovon man in Ebersbach noch nach hundert Jahr reden tät.«

»Schad ist's aber doch, wenn wir drum kommen«, sagte der Krämer. »So ein Paar sieht man nicht alle Tag. Er ist so mager und sie so dick.«

»Sie wird mich schon pflegen, daß ich wieder zu Kräften komm«, versetzte Friedrich, der alle diese Stiche mannhaft verbiß. Doch war er froh, sich mit einem Scherzwort loskaufen zu können, und beurlaubte sich von der Familie, ohne die Bitte, die er an ein sonst geliebtes Mitglied derselben gerichtet hatte, bei den andern zu wiederholen.

Er brachte den Rest des Tages bei seiner Braut und den Ihrigen zu, wo es ungeachtet des Mangels und der Ungewissen Aussicht in die Zukunft sehr heiter zuging. Der Hirschbauer sprach an diesem Tage zum erstenmal wieder seit langer Zeit und konnte aufrecht im Bette sitzen. Aus jedem Worte aber, das der Bräutigam redete, gab sich das befriedigte Selbstgefühl zu vernehmen. Er konnte jetzt seinem Mädchen und ihrer Familie Wort halten.

Als er abends heimkam, nahm ihn sein Vater auf die Seite. »Laß mit dir reden«, sagte er. »Jetzt hast du alles noch in der Hand. Ein Wort beim Pfarrer, und die Proklamation unterbleibt. Ich will dir was sagen: wenn du zurücktrittst, so soll dein Diebstahl ungeschehen und begraben sein. Bis jetzt ist nicht[352] davon geschnauft worden, das hab ich in der Hand.«

»Schwätzet doch nicht immer von Diebstahl«, sagte Friedrich. »Was ich aus meinem Mütterlichen ersetzen kann, das ist mein'twegen genommen, aber nicht gestohlen.«

»Wie meinst du, daß man's vor Amt ansehen werd?«

»Weiß ich das? Ich hab das Gesetz nicht gemacht, und Ihr auch nicht.«

»Du hast's, scheint's, vergessen, wohin dich dein Husarengriff geführt hat.«

»Nein, ich weiß noch recht gut, daß man mir damals eröffnet hat, das Einsacken könnt man vielleicht meiner Jugend und Unverstand nachsehen, aber nach einem alten Reskript – ich weiß nicht mehr, die Jahreszahl ist noch aus dem vorigen Jahrhundert gewesen – sollen ungeratene, unartige Kinder, bei denen der Eltern Zucht nicht anschlage, in Sprengen und eisernen Banden zu öffentlichen Arbeiten angehalten werden, und sonach sei das Zuchthaus eigentlich eine Begnadigung für mich. Wenn Ihr es also meint, so könnt Ihr mich beim Amtmann und Vogt verklagen, wie Ihr mich beim Kirchenkonvent verklagt habt.« – »Du schreckst mich nicht«, dachte er bei diesen Worten, mit festem; Auge den unsichern Blick seines Vaters festhaltend.

»Sind das artige Kinder«, fragte dieser, »die ihren Eltern das Korn im Sack aus dem Haus tragen?«

»Wisset Ihr nicht, Vater? der Crispinus hat Leder gestohlen, um den Armen Schuh draus zu machen,[353] und hat's doch zum Heiligen gebracht, wiewohl er's, glaub ich, sogar bei Fremden gestohlen hat.«

»Wir sind lutherisch. Da gelten keine solche Späß.«

»Nun, so machet doch endlich Ernst und bringet mich ins Zuchthaus. Dann muß eben die Hochzeit aufgeschoben werden, bis ich wieder rauskomm.«

»Ich sag noch einmal, tritt zurück, so lang's noch Zeit ist.«

»Nein, eher will ich mich stocken und blocken lassen. Entweder setzt mich ins Zuchthaus, wenn Ihr nichts Besseres wisset, oder gebet mir mein Mütterlich's heraus, damit die Sach auf ein oder die ander Art endlich in Ordnung kommt.«

»Zu deinem Hochzeitstag kannst's haben, wenn du von deinem Tugendspiegel nicht lassen willst, und kannst dann gleich auch Tauf davon halten. Ich möcht nur auch wissen, was du an ihr find'st. Ich will nicht weiter mit dir streiten, ob du dich mit dem Crispinus vergleichen kannst, aber wenn du das sein willst, so sag nur selber, was du von deiner Crispina hältst, die sich gestohlene Sachen zutragen läßt; denn das leid't kein Zweifel, da machst mir nichts weiß.«

»Angenommen, es sei so, wisset Ihr denn, ob sie's weiß, woher ich's hab?«

»Sie wird wohl denken, es sei dir in der Hand gewachsen?«

»Vater, wenn sie reich war, so möcht sie tun, was sie wollt, Ihr würdet anders von ihr denken. Jetzt ist sie einmal mein, und das Kind, das sie unterm Herzen trägt, ist mein Kind und muß zu seiner[354] Mutter einen Vater haben, wie ich zu meinem Vater eine Mutter haben sollt.«

»So renn in dein Verderben, wenn du nicht anders willst«, sagte der Alte, nahm das Licht und ging in seine Kammer.

Quelle:
Hermann Kurz: Der Sonnenwirt. Kirchheim / Teck 1980, S. 347-355.
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