10. Szene.

[136] Hasemann. Wilhelm. Emilie.


HASEMANN pustend. Puh! Kinder, es ist aber furchtbar heiß bei Euch.

EMILIE. Ja, wenn du mit einem so riesigen Pelz herumläufst –

HASEMANN. Den brauche ich ja für die Reise, wir haben manchmal im September schon Nachtfröste, und geheizt wird auf der Bahn noch nicht. Vorsicht ist die Hauptsache beim Reisen.

WILHELM ist in den Hintergrund gegangen und hat die dort liegenden Kissen aufgehoben. Was haben Sie denn da?

HASEMANN. Das ist eine ganz neue, sehr praktische Erfindung: Entgleisungskissen.

WILHELM. Was?

HASEMANN. Entgleisungskissen – als Präservativmitel. Die Kissen werden um die Hände und Beine geschnallt, und dann ist die Gefahr eines Gliederbruchs oder einer Verrenkung im Falle einer Entgleisung lange nicht so groß.

WILHELM. Sie scheinen mir doch ein bißchen zu vorsichtig zu sein.

HASEMANN. Man kann beim Reisen nie vorsichtig genug sein. Sagt mal, Ihr habt wohl schon geheizt?

EMILIE. Bewahre, aber lege doch den schweren Pelz ab. Will ihm helfen.

HASEMANN. Nein, laß nur, es ist gut, wenn man beizeiten fertig ist und nicht im letzten Augenblick erst nach seinen Sachen suchen muß.

EMILIE. Aber du willst doch nicht bis zum Abend in dem Pelze herumlaufen?

HASEMANN. Wir werden ja sehen.

WILHELM. Wohin reisen Sie denn eigentlich?

HASEMANN. Hat's Euch meine Frau nicht erzählt? Nach Holzdorf. Ich habe nämlich da einen weitläufigen Stiefcousin gehabt, der ist gestorben, und morgen muß ich[136] zum Erbschaftstermin da sein. Wißt Ihr, wo Holzdorf liegt? Sechste Station – Anhalter Bahn. Berlin 8 Uhr 12. Großbeeren wird nicht gehalten. Trebbin 8,55. Luckenwalde 9,13. Jüterbog 9,22. Holzdorf 10,5. Zurück von Holzdorf nachmittags 5 Uhr 15. Jüterbog 5,58. Luckenwalde 6,16. Trebbin 6,34. Großbeeren 6,57. Ankunft Berlin 7,35. abends. Seht Ihr, das ist der Vorteil, wenn man das Kursbuch studiert hat – ja!

WILHELM. Das ist wohl die erste Reise, die Sie machen?

HASEMANN. Praktisch ja, aber theoretisch bin ich schon durch ganz Europa gereist, inklusive Dampfschiffe und Post. Und wenn man seine richtigen Vorstudien gemacht hat, dann ist das 'ne Kleinigkeit. Ein gewöhnlicher Reisender z.B. würde 'rausfahren nach der Bahn, sich sein Billet kaufen und in den Zug steigen; ich aber bin heute früh schon nach dem Bahnhof gefahren, um mir für heute Abend das Billet zu besorgen.

WILHELM. Haben Sie es denn bekommen?

HASEMANN. Nein, aber ich habe mich wenigstens gemeldet und mit dem Kassierer bekannt gemacht; außerdem habe ich meine Uhr nach der Bahnhofsuhr gestellt – nun kann mir gar nichts mehr passieren. Jetzt esse ich schnell, dann packe ich meine Sachen, lese noch 'mal das Kursbuch durch, und um fünf Uhr setze ich mich in die Droschke. Dann will ich 'mal sehen, ob ich nicht richtig nach Holzdorf komme.

EMILIE. Vater, du scheinst mir sehr aufgeregt zu sein?

HASEMANN nimmt die Kissen und Reise-Effekten wieder auf. Das bin ich auch, der Gedanke an die Reise regt mich auf. Reisen ist meine Leidenschaft, das wißt Ihr ja. Alle bedeutenden Männer reisen leidenschaftlich, und das ist ein Glück. Was sollten wir z.B. rauchen, wenn Columbus nicht die Passion gehabt hätte zu reisen? Wie hätte Meyerbeer die Afrikanerin machen können, wenn sie ihm Fatzke de Gamo nicht entdeckt hätte? Also adieu, Kinder. Ab durch die Mitte.

WILHELM. Glückliche Reise.

EMILIE. Adieu, Vater!


Während Hasemann abgeht, Emilie und Wilhelm ihm lächelnd nachsehen, fällt der Vorhang.

Schlußmusik im Orchester.


Ende des zweiten Aktes.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 136-137.
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