[125] Emilie. Eduard.
EDUARD einen Blumentopf unter dem Arm, tritt durch die Mitte ein. Verehrte Freundin – – Sie hört mich nicht, sie scheint in Gedanken zu sein? Ich möchte sie nicht gern erschrecken. Räuspert sich. Hm! Hm! Sie hört noch immer[125] nicht. Aber ich muß mich doch bemerkbar machen. Ich werde leise in die Hände klatschen. Klatscht in die Hände und läßt dabei den Blumentopf auf die Erde fallen.
EMILIE erschreckt auffahrend. Ach!
EDUARD. Guten Morgen, liebe Freundin. Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich Sie erschreckt habe – ich wollte Ihnen zum Geburtstag gratulieren.
EMILIE. Das ist ja sehr liebenswürdig von Ihnen.
EDUARD sich bückend. Der Topf ist zersprungen, aber die Blume ist noch ganz. Es ist eine Tulpenzwiebel, die ich selber gezogen habe.
EMILIE hilft Eduard den Topf aufnehmen und setzt ihn auf einen Tisch. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Reicht ihm die Hand.
EDUARD. O, es ist ja so wenig – nur, damit Sie sehen, daß ich Ihren Geburtstag nicht vergessen habe.
EMILIE. Wollen Sie sich nicht ein bißchen zu mir setzen? Aber Sie müssen kein so trauriges Gesicht machen, Herr Klein, ich kann das nicht sehen, das verstimmt mich.
EDUARD. Sie wissen ja, warum ich traurig bin – ich werde es immer sein, wenn ich sehe, wie andere Menschen glücklich sind.
EMILIE. Sie werden doch nicht Ihr Leben lang unglücklich sein wollen?
EDUARD mit einem wehmütigen Lächeln. Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben.
EMILIE. Ach, schämen Sie sich doch! Ein junger Mensch, gesund, ohne Nahrungssorgen, geachtet und gern gesehen von seinen Freunden – wie kann der so blasiert sprechen?
EDUARD. Blasiert? Ach nein, ich bin nicht blasiert. Ich kann mich über ein Blümchen freuen, über einen schönen Stein, über die Sonne, wenn sie ihren goldigen Reflex aufs Wasser wirft, oder über den Mond, wenn sein weißes Licht die dunklen Wolken durchbricht – die ganze Natur ist für mich ein Born der Freude! Aber mein Herz ist wund, und die Pharmakopöe hat der Natur noch kein Kraut abgewonnen, das solche Wunden heilt.
EMILIE. Sie denken noch immer an Rosa?
EDUARD. Ach ja!
EMILIE. Da sie aber doch für Sie verloren ist –?
EDUARD. Verloren – ja – vielleicht durch meine eigene Schuld.[126]
EMILIE. Wieso das?
EDUARD. An jenem Tage, als Rosa sich mit Herrn Körner verlobte, da hatte ich auch um ihre Hand angehalten. Aber Ihre Frau Mutter wies mich so schroff ab, sie ließ mich nicht zu ihr, sie sagte, mein Zungenfehler – das Lispeln – würde Rosa abstoßen. Und wer weiß, ob sie mich nicht ebenso gut genommen hätte, wie Herrn Körner, den sie doch auch nicht liebt.
EMILIE. Wie können Sie so etwas sagen!
EDUARD. Weil ich es weiß, liebe Emilie. Glauben Sie, daß eine Frau, die ihren Mann liebt, nur Zerstreuungen außer dem Hause suchen würde – ohne ihn? Ich stehe oft, wenn ich nachts Dienst habe, an dem Fenster der Löwenapotheke und sehe in dem Hause gegenüber einen Mann unruhig die Zimmer durchlaufen, ich sehe, wie er in das Schlafzimmer tritt, sich über die Wiege seines Kindes beugt, dann nach einer Weile ein Fenster öffnet und ausspäht nach seiner Frau, die sich inzwischen in Gesellschaften, auf Bällen, am Arme eines Anderen amüsiert. Und Sie glauben, daß diese Frau ihren Mann liebt? O nein! Rosa ist nicht glücklich, und das schmerzt mich am meisten.
EMILIE. Wenn das wirklich wahr ist, so ist es Rosas eigene Schuld.
EDUARD. Möglich, aber ich kann mich doch des Gedankens nicht entschlagen, daß es anders gekommen wäre, wenn –
EMILIE. Wenn sie Ihre Frau geworden wäre?
EDUARD. Ja, warum nicht? Oder glauben Sie, daß ich nicht imstande sei, eine Frau glücklich zu machen?
EMILIE. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, daß Sie ein sehr guter Ehemann sein würden, und Sie werden auch gewiß noch ein Mädchen finden, das besser zu Ihnen paßt, als Rosa.
EDUARD. O nein! Ich habe abgeschlossen mit der Welt, ich heirate nie!
EMILIE. Ach, sprechen Sie nicht so dummes Zeug, sonst werde ich böse. Wenn wir das nächstemal im Verein wieder Gesellschaftsabend und Ball haben, dann müssen Sie mit; ich plaziere Sie in die Nähe einiger Freundinnen von mir – ich weiß schon, wen ich Ihnen aussuche – und dann wollen wir doch sehen, ob Sie nicht Feuer fangen.
EDUARD. Ich? o –![127]
EMILIE. Ja, ja, Sie. Stille Wasser sind tief – ein Streichholz brennt nicht, so lange es in der Schachtel liegt. Wir wollen doch sehen, ob Sie nicht aufflackern, wenn ich Ihnen ein Paar schelmische Mädchenaugen als Zündstoff in die Nähe bringe.
EDUARD. Sie meinen es gut, Sie wollen mich aufheitern, und beinahe könnte ich auch lachen.
EMILIE. Na, dann lachen Sie doch! Es steht Ihnen viel besser, als diese immerwährende Leichenbittermiene!
EDUARD. O, ich zeige nicht jedem meine trübsinnige Miene; nur Ihnen, weil ich weiß, daß Sie mich verstehen.
EMILIE. Am Ende könnte mir's aber doch auch zu viel werden.
EDUARD aufstehend. Freilich, ich will Ihre Geduld auch nicht mißbrauchen; ich bin sowieso schon zu lang geblieben.
EMILIE. Na, zu gehen brauchen Sie darum noch nicht.
EDUARD. O doch, ich muß. Adieu, liebe Freundin, und nochmals meine herzlichste Gratulation.
EMILIE Eduards Hand drückend. Sie müssen mir versprechen, in Zukunft auch heiterer zu sein. Versuchen Sie's nur, es geht schon.
EDUARD. O, ich versuche es ja – sehr oft sogar. Und es geht auch – so lange wenigstens, bis irgend ein Ungefähr meine Gedanken wieder auf das Eine lenkt, was ich nicht verschmerzen kann. Seien Sie mir nicht böse, liebe Emilie, daß ich Sie so schlecht unterhalten habe; mir hat es doch eine rechte Erleichterung gewährt, daß ich mich wieder einmal habe aussprechen können. Jetzt haben Sie Ruhe vor mir – ja, lange – ich tu's so bald nicht wieder, gewiß nicht. Ab durch die Mitte.
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