Hundert und neunter Brief

Rosalia an Mariane S**.

[226] Heute wird, denke ich, mein Brief Farben haben, wenn ich so glücklich bin, alles zu schildern, was seit einigen Tagen hier geschah. Madame Grafe ist mit einer artigen neu verheyratheten Nichte bey uns und Cleberg hat schon vor einer Woche einen sehr guten Maler hier, der ihn, Fritzgen und mich auf ein Stück für Latten malen soll. Der junge Mann ist voll Genie, und so ganz von seiner Kunst trunken voll, daß ihm alles eine malerische Stellung, einen malerischen Faltenbruch, ein malerisches Licht hat, und erblickt er so[226] etwas, so wirds den Augenblick aufgezeichnet. Ich glaube, daß er mich wohl schon zehenmal skizzirt hat. Wir haben Herbst gehalten, und dazu auch die ganze Ittensche Familie eingeladen. Unsere Leute waren alle hübsch gekleidet; alle Mägde hatten weiße Schürzen, alle Buben rothe und gelbe Bänder auf den Hüthen; die Körbe waren alle neu, und wir auch nett angezogen. Mit Hüthen und kleinen Handkörben giengen wir mit dem Zuge nach dem großen Baumgarten, der dem jedesmaligen Beamten von Seedorf gehört. Die Bäume waren alle gestützt und schienen sich zu freuen, daß sie ihrer Last erledigt werden sollten. Wir pflückten von den niedern Aesten selbst, unsere Männer brachen mit den Stangenkörben vieles ab, und die Knechte kletterten dann auch auf die Bäume. Wir Frauen wollten gleich die Haushälterinnen machen, zogen Handschuh an und suchten die schönsten Aepfel und Birnen zum Aufheben aus. Cleberg machte halt! indem er ohne Unterschied den zehnten Korb für die fünf arme Familien bestimmte, die keine Obstbäume haben, und diesen zehnten Korb bekommen sie, so wie er gefüllt war, mit Groß und Kleinen eben wie ich in mein Haus. Wir hatten eine Harfe[227] und zwey Flöten, die spielten unterdessen, daß wir sammleten. Unser Maler half bald, bald aber lehnte er sich an einem Baum und krizelte geschwind einem Umriß dieser oder jener Gruppe. Es wurde gesungen, Kuchen gegessen, Kuchen unter die Armen, die ihr Obst abholten, ausgetheilt, und dann einige Korbwagen beladen nach Hause geführt. Die Mägde und Knechte trugen immer ihrer drey zwey Körbe voll hinterher. Ein Knecht in der Mitte mit jeder Hand die Henkel eines Korbes und dann zwey Mädchen, die an den andern Henkeln trugen; die Musik ging voraus, und wir alle wieder mit fort; das Obst wurde in die Tenne verschlossen. Wir assen munter zu Nacht und waren die zwey folgenden Tage sehr eifrig mit dem Aussuchen, zu Most, zum Trocknen und zum Verwahren. Ich ließ süssen Birnmost kochen, Apfelwein machen, ganze und halbe Aepfel schälen und dann sorgfältig in einem großen, dazu eingerichteten Schranke trocknen. Da saßen die Ittenschen Töchter, Mad. Grafe, ich, Julie und das muntere junge Weibchen in meinem großen untern Saale, all mit weißen Schürzen, mit den Mägden beysammen und schälten mit silbernen Obstmessern so eifrig,[228] als müßten wir davon leben, ordneten und legten es auf die Hurten zum Trocknen. Da ist Hannchen, welche die feinen großen Birnen, die schon etwas zu rief oder anbrüchig waren abwischte und schälte; ihre Schwestern, die sie entzwey schnitten und besorgten; Hannchen aber die Schaalen mit etwas reinem Wasser kochte, bis alles zu Brey wurde, dann den Brey durch ein Haarsieb laufen ließ, nochmal ganz dick einkochte, und dann die halb trocknen Birnen darein tauchte, und auf Papier wieder in den Trockenofen brachte, wieder eintauchte und platt drückte, vollends trocknete und in flache Schachteln legte, da sie wie glasirt aussehen und gegen das Licht gehalten, ganz durchscheinend sind. So machte sie es auch mit Zwetschen, und nun gießt sie Apfelgelee ein, die sie ohne Zucker verfertigt. Sie nimmt Porstorfer-Aepfel, macht sie mit einem Tuche rein und reibt sie auf dem Reibeeisen klein, läßt sie über Nacht in einem irrdenen Gefäße stehen und zieht den Saft durch ein Haarsieb ab, welchen sie im Zuckerkessel so lange kochen läßt, bis er dick und eine Sülze wird. Alle diese häuslichen Geschäfte sind mit vielen Freuden verknüpft. Meine Mägde sind doppelt fleißig, wenn ich so mit[229] dabey bin und auch doppelt reinlich. Unsere Männer ergötzen sich auch daran und waren schon bey dem Trocknen der feinen jungen Bohnen, der Auskernererbsen, der Kirschen und Pflaumen um uns herum, und schienen uns um so mehr zu achten, als wir Eifer und Geschicklichkeit zeigten. Ich sagte immer, Wir, weil Julie und ich uns so nennen; da wirklich unsere Arbeiten und Vergnügen ganz gemeinschaftlich sind. Alle diese häuslichen Vortheile haben wir Hannchen Itten zu danken, und ob wir schon zwey stattliche Damen sind, so machen wir uns doch eine Freude und Ehre daraus, von dem schätzbaren Mädchen zu lernen, was wir nicht wissen. In dem Hause meiner Tante, die mich erzog, war das, was man eine gute Stadtwirthschaft heißt, üblich. Sie faßte gewiß alles Gute in sich, was eine wohldenkende Privatfamilienmutter wissen und thun soll. Ich mußte alle Art häuslicher Näherey, vom Männerhemde aus holländischer Leinwand an bis auf das Küchen-Handtuch, recht gut und geschwind zu verfertigen und zuzuschneiden wissen; das Waschen, Plätten und besonders schönes sorgsames Ausbessern, so gut wie unsere Näherin verstehen; Einrichtung[230] der Zimmer, das Kochen und jede Mägdearbeit lernen; damit ich einst meine Leute mit Verstand regieren könnte und nicht meine Mägde klüger wären, als ich. Daneben behauptete sie, das einzige Vorrecht des bessern Standes wäre, in Allem doppelt so viel zu wissen und zu thun, als die Geringeren. Daher kommen der Unterricht in Musik, Zeichnen, Blumenmalen, Sticken, Putzarbeit verfertigen, die Erlaubnis des Lesens und das Lernen der Sprachen. Oft war ich ihr böse und gram; aber, wenn sie nun noch lebte, so reisete ich zu ihr; um ihre Hände zu küssen und ihr zu danken. Die Kenntnisse einer Landwirthschaft aber waren mir in allen ihren Theilen fremd. Frau Itten hatte sie vom Lande mit sich gebracht und ihre Kinder gelehrt. Eben so ging es mir auch mit Flachs, Spinnerey und Weberkenntnissen, meine theure Freundin Hannchen theilte mir schwesterlich alles mit, was sie davon wußte und hatte auch die Einrichtung mit den Witwen und Mädchen ihre Spinnerey allein besorgt. Ich versichere Sie, meine Liebe, daß mich das Auslesen, Abwischen, ein wenig Abkochen, auf weißen Tüchern ausbreiten und Abtrocknen, hernach langsames Dörren unsere[231] Böhnchen und Erbsen eben so freute, als meine Tapetenarbeit an schönen seidenen Stühlen, die ich nähe. Julchen kam zu mir und half in allem, dann ging ich und Hannchen alle Tage zu ihr, bis auch alles zu Stande war. Mittheilung ist gewiß doppelter Genuß und das Leben der Freundschaft das süsseste Leben der Erde. Das edle gute Hannchen und ihr so ganz rechtschaffener Bruder, freuten sich, mir durch ihre wirthliche Talente etwas von demjenigen zu vergelten, was sie mir schuldig zu seyn glauben, und uns freute, daß die schätzbare Mutter dieser Kinder in der Achtung, die wir für Hannchens Wissen und Geschicklichkeit haben, einen Lohn für ihre vieljährige Erziehung, Mühseligkeit und Sorgen erhält. Denn ich zeigte ihr schon hier meine großen Zuckergläßer voll trockenen Gemüßes, darunter Artischokenboden, kleine Morcheln, und ein Versuch in Wiesenspargel war, der uns recht gut gerathen ist. Meinen Vorrath an Flachs, Hanf, und schon gesponnenem Garn, wies ich auch, als Früchte von Hannchens Unterricht und Freundschaft. Linke verdarb diese Herbstfreude, da er nur einen Tag da blieb und seitdem nicht mehr kam. Wir hatten alle gehoft, daß er Hannchens[232] Lohn und Glück werden sollte, aber er war den Tag, da eben die Eltern und alle Kinder bey uns waren, erst wenige Minuten vor dem Essen gekommen, hatte wenig gesprochen und blieb auch des Abends nicht bey uns, so, daß wir nicht hätten tanzen können, wenn nicht Ott ein paar Vettern bey sich gehabt hätte, wovon einer schon vier Wochen bey ihm ist, der auch unserm Hannchen gern nachgeht, und als ein von Reichthum unterstützter Mensch ihr mit Zuversicht schöne Sachen sagt.

Frau Grafe und ihre Nichte bleiben hier, bis Frau Cotte sie abholt. Die junge Person ist hübsch, gut, voll Heiterkeit eines schuldlosen Herzens, hat ungemein vielen natürlichen Geist, und hat oft die witzigsten Gedanken, lacht gern innig und treuherzig über den geringsten Anlaß, hängt weder an Putz noch ausserordentlichen Zeitvertreiben, haßt die Tadelsucht und Schwätzereyen mit einem ihrem Herzen Ehre machenden Abschen, jede Fähigkeit zu thätiger Tugend ihres Standes und zu Kenntnissen liegt in ihr unverdorben und ohne falsche Richtung, und sie kann in allem einen der schätzbarsten weiblichen Charaktere nach Geist und Seele werden. Ihre Erziehung war[233] kunstlos, aber voll Sorgfalt, daß nichts an ihr bös oder verkehrt würde. Dieses Weibchen erhält durch den Zufall eines der schönsten Portraits von sich, die jemals gemacht wurden. Frau Grafe mag zuweilen einmal spielen, da saß ich mit Cleberg bey ihr am Lombretisch in des Malers Zimmer, weil mein Mann gern eine Zimmerwandrung macht, wie er es heißt. Die Thüre geht gerade auf die Treppe, deren Fenster gegen Abend stehen. Unser Spieltisch war oben im Zimmer, der Maler sah uns zu, und das Weibchen hatte ein wenig auf dem Clavier getändelt, das an der Wand nah an der Thüre steht; sie hörte auf, nahm ein Buch und setzte sich seitwärts gegen uns ohne den Stuhl zu wenden, der einer von den Weidenstühlen von Metz ist, wovon die Lehne nur aus zwey runden Stäben in die Höhe und zwey schmalen Zwerchstücken besteht, so, daß wir die ganze Gestalt des guten Geschöpfs dadurch sehen konnten. Ihre Kleidung war eine Pekesche von weißem mit rosenfarbenen Punkten durchzeichneten Zitz, mit einer Einfaßung von lauter Rosenzweigen. Ihre hübschen leicht frisirten Haare waren nur mit einem kleinen Aufsatz von Flor geziert, über welchen ein Gewinde von[234] rothen und weißen Rosen herum gebogen war; ihre heitre Gesichtsfarbe, lebhaften schwarzen Augen zeigten sich schön; der linke Arm war artig über die Lehne des Stuhls mit dem Buche in der Hand hingelegt, und von der rechten Hand nur ein paar Finger sichtbar, welche die Blätter umwendeten. Das Clavier von braunem Holze, die Gemählde auf der Wand auch in dunkler Farbenmischung, besonders eins dessen sehr breiter schwarzer Rahmen gerade den Grund hinter dem jugendlichem Kopfe machte, und alles das durch die offene Doppelthüre von der Abend-Sonne beleuchtet, that die herrlichste Wirkung. Unser Maler rief uns, wie ein entzückter Mensch, aufzusehen, bat zu gleicher Zeit die junge Frau, ja sitzen zu bleiben und sich zeichnen zu lassen. In Wahrheit batten wir alle niemals eine reizendere Beleuchtung eines Gegenstandes gesehen: denn die junge Person und ihre Kleidung allein mit einem Stück des Fußbodens wurden von der Sonne bestrahlt, und die Wand mit den Gemählden, nebst dem Clavier wurden nur durch den Widerschein er hellt, und dienten also gerade zum Grunde, der die vorstehende Figur um so mehr erhob. Das[235] Weiße der Kleidung, die Rosenranken der Einfassung, die florne Schürze, der Faltenbruch, die hellbraune Lehne des Stuhls und die etwas dunklere Decke des Buches nahe gegen den Kopf; in diesem wieder ein blühendes Gesicht und dann, die sich zum Lichtbraunen senkende Haare und die Rosen darinn; alles mit Glanze der neigenden Sonne übergossen; machte wirklich eines der schönsten Gemählde. Auch ging es nicht verlohren, denn nachdem der gute entzückte Künstler, so schnell er konnte, das Ganze richtig hinzeichnete, besonders die Beleuchtung bemerkte, so fing er auch gleich den zweyten Tag an, das Portrait des niedlichen Weibchens zu mahlen. Das Stück wird in Lebensgröße gemacht. Er will, sagt er, sein Meisterstück daran verfertigen; es müßte ihm seine Aufnahme in der Akademie verschaffen; und wirklich scheint es, als ob die Musen seine Farben und seinen Pinsel begeisterten, so schnell und vortreflich wächst das Ganze unter seinen Händen zur Vollkommenheit hinan und stellt eine ganz einnehmende Gestalt dar, die dem Mahler und dem Gegenstande Ehre macht, und dem Auge aller, die es jemals sehen werden, ein großes Vergnügen gewähren wird. Ueberhaupt[236] hat dieser junge Mann ganz den Enthusiasmus seiner Kunst; wie ein Poet jemals den Einfluß des Apolls fühlen kann; auch geht er gleich hin, sich alles zu bemerken. Unser Bild für Latten ist eben so schön, aber im Kleinen genommen. Bey Fritzgens Feldgen ist an dem Birnbaum ein Grasplatz, der an den geschonten Traubengeländer hinläuft. Dies macht eine Seite von unserm Gemählde. Cleberg, in einer leichten Kleidung am Birnbaum gelehnt, bläset die Flöte und ich tanze mit Fritzgen; Hanns steht am Geländer und sieht uns zu; in der Ferne sieht man unser Haus, und vor diesem einen Theil des Gartens. Das Ganze ist drey Schuh breit und zwey Schuh hoch; sieht sehr freundlich und uns ähnlich.[237]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 3, Altenburg 1797, S. 226-238.
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