Drey und vierzigster Brief

[275] Madame G** behielt mich Vorgestern noch eine Zeitlang in ihrem Zimmer, wo sie wiederholte, daß sie platterdings dem Herrn C** richtige Ideen von ihrer Freundinn geben und sie durch seine Liebe und Hochachtung, für alles, was sie bisher gelitten hätte, schadlos halten wolle! – Gestern sprach sie mir mit der nehmlichen Lebhaftigkeit davon, und sah dabey aus, wie Jemand, der einer schönen Aussicht zulächelt. – Ich wußte nicht, wie sie es anfangen wollte, besonders, da sie mir sagte, daß sie sich meiner bedienen würde, um das Hauptrad ihrer Maschiene in Gang zu bringen. Nun kam sie heut Mittag, um zwey Uhr, mich zum Spatzierenfahren, allein mit ihr, abzuholen, und ich mußte meine Uebersetzung des Glücks der edlen Liebe und die Abschrift des englischen Aufsatzes von Madame D** mitnehmen. Unterwegs sagte sie: »Rosalia! wir werden bey der Hütte des Hirten aussteigen, an der Hecke hingehen; und dort auf der kleinen Bank setzen wir uns,[275] und lesen ganz aufmerksam unsere zwey Papiere; da wird mein Bruder mit Herrn C** unvermerkt zu uns kommen, und über unser gelehrtes Aussehen ein wenig spotten; da werde ich behaupten, daß ich Englisch von Ihnen lernen wollte, und daß ich Sie bey dieser Uebersetzung angetroffen hätte, die Sie mir nun vorlesen müßten. – Mein Bruder versteht die Englische Sprache; Herr C** auch. Der Erste wird gleich unsre Papiere begehren, um sie mit Herrn C** zu lesen. Das Uebrige wird sich dann weisen.«

Alles gieng, wie sie es veranstaltet hatte: Herr Fr** und C** machten Anspruch auf unser Heft Papier. Ich war mit dem Ganzen nicht so völlig zufrieden, und vertheidigte ernsthaft meine Aufsätze gegen den Raub. Aber meine Madame G** erhielt die Oberhand. Die beyden Herren gingen mit ihrer Beute von uns, und wir fuhren zurück. – Herr Fr** kam spät, mit uns zu Nacht zu essen, und sagte seiner Schwester: C** hätte bey Lesung des Charakters von Arundel gestockt. Herr Fr** wäre eingefallen: »Mein Freund C**, dieser Lord und Sie sind nur[276] Ein Mann; denn jeder Zug dieses Charakters ist Ihrer!« – Am Ende wäre C** ganz besonders still und nachdenkend geworden; hätte ihn gefragt, ob wohl diese Aufsätze von mir wären? Fr** habe geantwortet, er glaube es nicht; denn, was sollte Rosalia L** mit der Idee einer Witwe, mit dem, mit so viel Zärtlichkeit gezeichneten Bilde des Herrn C** machen? – Dann hätte er ihm die Aufsätze bis den andern Tag lassen und versprechen müssen, nachzuforschen, woher sie kämen.

Wie alt ist dieser Brief geworden, meine Mariane! Aber die Treiberinn G** ist daran Ursache. Sie schleppte vor sechs Tagen mich und Madame D** in aller Früh nach R**, ungeachtet es regnigt aussah. Die Herren Fr**, C** und G** kamen nach, aber erst gegen Abend. Wir Frauenzimmer hatten, wegen der Gemächlichkeit des Aufsatzes, englische Hüte, und, nach dem Willen der Frau G**, auch alle drey, die hier neu aufgekommene Kleidung, von grauem englischen Marly, auf den Leib passend, an. – Mich däuchte, Herr C** stutzte etwas darüber. – Madame D** war anfangs auch[277] über seinen Anblick bewegt; doch glaubte ich zu bemerken, daß sie nach und nach sich dem süssen Gedanken überließ, den Mann, den sie liebte, von ihrer Rivalinn entfernt, und ganz aufmerksam gegen sie zu sehen: doch konnte sie nicht bey dem Nachtessen ausdauren, und gieng viel früher als wir übrige zu Bette. Ohne was zu reden, umarmte sie Madame G** und mich, mit einem Ausdruck in ihrem Gesicht, der die ganze Fülle ihrer edlen Zärtlichkeit, und ihrer geheimen Bekümmernisse anzeigte. Herr C** hatte ihr nachgesehen, und sagte dann zu uns beyden: »Ich glaube, Madame D** muß ihre liebste Freundinn seyn, denn ihr Umgang scheint mir in gleichem Maaß geistreich und zärtlich:« –

»Sie haben Recht,« sagte Frau G**, »es ist eine unschätzbare Frau, der ich alle Süßigkeit und allen Trost einer vertrauten Freundschaft zu danken habe.« –

Herr Fr** fiel ein: »Was ich am meisten an ihr achte, ist die Gelassenheit und Ruhe ihres Geists; sie beobachtet und empfindet richtig, sie hat viele Kenntnisse, thut viel[278] Gutes und sucht gar nicht zu schimmern, oder vorzudringen.« –

»Gewiß nicht,« sagte Frau G**, »sonst würde sie nicht auf den Gedanken bestehen, hieher zu ziehen! – Sie hat auch,« fuhr Frau G** gegen ihren Mann fort, »heute Früh, gleich wie wir angekommen sind, die Miethe für das an unsern Garten stosende kleine Landguth richtig gemacht. Ich habe dazu gedacht, ein regnigter Tag würde sie etwas zurück halten; aber es scheint, daß die trübe Witterung ihrer kleinen Melancholie am anständigsten war.« –

»Sie wird also noch einsamer leben, als bisher?« sagte Herr C**.

Jeder sagte hier noch etwas, zu ihrem Lobe. C** schwieg dabey; schlief aber, wie Herr Fr** erzählte, beynah gar nicht, und sah bey dem Frühstück tiefsinnig aus. Madame D** aber war in ihrem weißen Nachtzeuge ganz reizend, und die Sanftmuth ihres Wesens und Gesprächs nahm uns alle ein. Die drey Herren gingen, während wir Frauenzimmer uns kleideten, das gemiethete Landguth zu besehen. Wie sie wiederkamen, waren wir in dem großen alten Saale des Schlosses,[279] dessen Wände mit alten Fresko-Gemählden geziert sind. Herr C** näherte sich gleich der Madame D**: »Wir haben die schöne Einsiedlerhütte gesehen, worein Sie sich verbergen wollen. – Wird sie ihren Freunden eben so verschlossen seyn, als Ihr Haus es seit einiger zeit gewesen ist?« –

Frau D** that in der ersten Verwirrung die Frage: »Habe ich denn Freunde, die dieses bedauern?« und fing an, auf und ab zu gehen. Herr C** ging mit ihr, und Herr G** zu seinen Amtsleuten. Ich war in einer Ecke des Saals, mit Madame G** Schach zu spielen. Herr Fr** lehrte michs. Die muthwillige G** rief auf einmal ganz laut: »Schach der Königin!« – Ein Seitenblick machte mich aufmerksam, und ich sah die zwey Spatziergänger vor einem Gemählde, wovon Herr C** die Schönheiten erklärte; aber sein Auge voll Geist schien eher das mahlerische Ebenmaaß der Madame D**, als die richtige Zeichnung der Gruppen des Gemähldes zu betrachten. Madame G** stund auf, näherte sich ihnen, faßte beyde an den Armen. »Emma und Arundel bey den Ruinen!« sagte sie. Frau D**[280] wurde feuerroth, und senkte ihren Kopf und Blicke zur Erde; Herr C** aber nahm eifrig eine ihrer Hände und rief aus: »O, wie glücklich wäre ich; wenn Frau G** wahr gesagt hätte!« – Madame D** faßte sich; zog ihre Hand zurück. »C**! nichts Galantes von Ihnen, ich bitte Sie. Ihre kalte, ganz kalte Hochachtung, aber keine spielende, große Empfindungen! Gönnen Sie mir das Glück, Sie hochzuschätzen!« – Der rührende Ton ihrer Stimme bey diesem; ihr Blick auf ihn; eine süsse, flüchtige Cramoisinröthe über ihren feinen blassen Wangen, und das anmuthsvolle halbe Wegwenden ihrer ganzen schönen Person, war ein vortrefliches Bild! C** war voller Bewegung, und sah sie mit Lieb' und Feuer an. Sie neigte sich, und ging mit Frau G** weg. C** legte sich an ein Fenster. Er sah die beyden Frauen im Garten, und bat um Erlaubniß, sie zu begleiten; lief auch eilig fort. Madame G** kam eine Viertelstunde nachher allein wieder; küßte mich, und gab ihrem Bruder zugleich die Hand, indem sie, mit einer Thräne der Freude im Aug', uns sagte: »Nun ist meine D** glücklich, und zwar durch mich![281] C** wird ihr Gemahl!« – Wir freuten uns; und die vier Tage über, da wir noch in R** blieben, nannten wir sie Emma und Arundel. Und da beyde frey und unabhängig waren, besorgte Herr Fr** den Trauschein vom Magistrat, und den fünften Tag, eine halbe Stunde vor unserer Rückreise in die Stadt, erhielten sie durch den so ehrwürdigen Pfarrer in R** ihre Einsegnung. Herr und Frau G** überließen ihnen das Schloß und alle Einrichtung, sammt der Köchinn und den Bedienten, auf so lange sie wollten. Denn sie wünschten, die ersten Tage ohne Zeugen und Geräusche hinzubringen. Nur schickte Madame G** der nunmehrigen Frau C** ihre Kammermagd mit Kleidung und Weißzeug hinaus. Sie sind auch noch nicht gesinnt, in die Stadt zu kommen, weil sie, wie sie beyde schreiben, sich von den verlohrnen Tagen ihres Lebens und ihrer Bekanntschaft zu besprechen hätten; ihr Landguth einrichteten, und sich auf den künftigen Sommer Spatziergänge aussuchten, um gegen die Langeweile gesichert zu seyn.

In der Stadt war viel von der schnellen Heyrath und von dem sonderbaren Geziere[282] der Frau C** die Rede, daß sie Niemand zum Zeugen haben wolle! Wie froh sie über den Verlust ihres Wittwenschleyers wäre! C** hätte immer den schlauen Weltweisen gewacht, wäre aber durch das altkluge Mädchen, Rosalia, und die Klopfjägerinn G** in das Netz der prüden D** getrieben worden! Sie möge aber Sorge tragen, ihn nicht zu sehr einzustricken, sonst würde er seine ältern Freundinnen um Hülfe bitten, welche leicht etliche Schleifen auflösen und dem fein singenden Vogel Luft machen würden, ohne sich an das Gegirre des zarten Weibchens zu kehren! – Madame G** sagt geradezu: Dies sey die Rache der abgewiesenen Liebhaberinnen und Coquetten, die beyde viel verlohren hätten.[283]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 275-284.
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