Acht und funfzigster Brief

[418] Nun wissen Sie, meine Freundinn, die Hauptzüge des Charakters und des Lebens der Frau van Guden, und Sie denken, daß sie mir um so viel werther war, da ich sie nun ganz kannte. Ich mischte unter meinen Dank für ihre Erzählung eine Art von Staunen, wie es wohl möglich wäre, daß man Sie verkannt und nicht immer geliebt habe? – Sie sagte: »Ihre Freundschaft für mich thut hier wirklich die Frage, die meine Eigenliebe damals that, und es auch nicht fassen konnte. Aber jetzt, da ich gegen Andre eben so billig, als gerecht gegen mich selbst bin, finde ich es ganz leicht, daß ich, mit all meiner wahren Güte, Mißvergnügen verursachen kann. Jede Art von Stärke, oder Gewalt, die bey einem Weichlichen oder Schwachen gezeigt wird, giebt um unangenehme Besorgnisse, wenn sie nicht grade zu seiner Unterstützung oder überhaupt zu seinem Besten gebraucht wird. Die zu große Lebhaftigkeit, mit der ich bisher bey allen[418] Gelegenheiten für jedes Gute sprach, mag oft in einer und andern Person eine Erinnerung einzelner Versäumnisse der Ausübung desselben hervorgebracht haben; und, meine Liebe, wir machen es mit Personen, die wir ungefehr ein uns entwischtes Versehen bemerken hören, nicht, wie mit dem Spiegel, den wir in dem Hause eines Freundes oder Bekannten antreffen, dem wir es Dank wissen, wenn er uns zeigt, daß wir eine Bandschleife, eine Palatine, oder eine Blume nicht gut geordnet haben. Und dann hatte ich bey meiner Güte nicht genug Anschein des Sanften und Duldenden, was man im Französischen durch Caractere de douceur ausdrückt, und mit welchem in der That süsser zu leben ist, als mit mir. Denn gewiß, zu viele Lebhaftigkeit hindert die Grazie des Verstandes und der Geberden, wie es bisher mit mir geschehen ist; und dann hat es seine gegründeten Ursachen, daß man den, der immer gleich gut scheint, mehr liebt, und ihm mehr Dank weiß, als dem, der sagt: Ich will gut mit Euch seyn; – ich will Euch ertragen. –[419]

Es ist wahr, meine Talente gaben mir viel Zufriedenheit mit mir selbst, und ich wollte sie mittheilen, wie mein Geld. Ich mag es in der Art, sie zu zeigen, versehen haben, weil sie mir so wenig Freunde machten; und ich muß also auch mit den Folgen zufrieden seyn. – Wie wenig dazu gehört, eine empfindliche Eigenliebe, oder einmal gefaßte Ideen des Guten und Richtigen, zum Widerwillen und Verdruß zu bringen, beweiset mein Unmuth über den Herrn von P**, wegen seines galanten Bezeigens, womit er die Damen in N** unterhielt. Dieser Unmuth siegte über meine Liebe für ihn. Warum sollte ein Mißvergnügen, das ich meinen Bekannten gab, nicht über eine zufällige Freundschaft gesiegt haben?«

Ich sagte hier: »Ach, der Fall war anders mit Ihnen. Eifersucht überfiel Sie, da Sie den Mann ihres Herzens der nun frey war, bey anderm Frauenzimmer so aufmerksam sahen.«

»Es mag etwas davon seyn; aber es ist ganz in meiner Seele, daß ich vortrefliche Leute, ohne die geringste Erwartung von Gegenachtung, innig liebe und ehre; wie[420] es mir hundertmal ergeht, wenn ich das Eole und Große in einem Charakter der alten Geschichte, oder in Nachrichten von Jetztlebenden finde, die so weit von mir entfernt sind, daß ich sie niemals antreffen, oder ihnen bekannt werden kann.« –

»Auf diese Art ist ihre Liebe eigentlich nur Dank für das Vergnügen, so man Ihnen giebt, einen schönen moralischen Charakter darzustellen?«

»Sie können Recht haben, meine Liebe; denn ehemals haßte ich auch, sobald ich einen starken moralischen Mangel bemerkte. Aber ich habe mich nun von dem Eigensinn befreyet, alles nach meinen Modellen gestaltet zu sehen; und die Mannigfaltigkeit in der moralischen Welt giebt mir eben so viel Zufriedenheit, als die, so ich in der physischen bewundre. Ich werde es in Zukunft mit meinem Geist und Herzen, wie mit meinem Körper machen. Wenn ich, in meinem ruhigen Gange, an einen Stein stoße, oder mich an einem Dorne ritze, so wäre mein Zorn unvernünftig. Die Natur des erstern ist Härte, des zweyten stachelicht. Wenn meine Empfindlichkeit ihnen zunahe kommt,[421] so leidet sie; ich muß mich also in Acht nehmen, wenn ich sie noch öfter in meinem Wege antreffe.« –

»Liebe Madame Guden! Sie lehren wich da sehr Vieles, was mir mein Leben erleichtern kann.« –

»Und auch das Leben derjenigen, die um Ihnen sind. Denn wir üben niemals keine kleine, oder keine große Tugend aus, ohne andern Gutes und Vergnügen damit zu geben.« –

»Das ist wahr; aber es giebt auch viele Tugenden, zu deren Ausübung ein großes Vermögen gehöret.« –

»Warum fällt Ihnen just diese Betrachtung ein?« –

»Weil ich niemals keine von den großen Tugenden werde ausüben können, die ich an Ihnen verehre.« –

»Ich dachte wohl, daß mein Reichthum diese Idee hervorgebracht hätte. Aber wie wäre es, Rosalia, wenn ich Ihnen bewiese, daß Sie mehr Gutes thun können, als ich; und mehr innern Frieden genießen werden?« –

»Dies scheint mir nicht möglich!« –[422]

»Wenn Sie, meine Liebe es ganz eigen auf das deuten wollen, was ich hier in der Vorstadt gethan habe, so haben Sie Recht. Aber da es ausgemacht ist, daß niemals zwo Sachen einander vollkommen gleich waren: so können es unsere Handlungen auch nicht seyn; so wenig es unsere Umstände sind. Sie werden also die Güte Ihres Herzens auf eine andere Art weisen, und das Meiste aus dem Reichthum Ihrer edlen Gesinnungen und ihres feinen Geistes schöpfen müssen. Und dabey ist mehr Mühe, aber gewiß auch ein höheres Vergnügen, als wenn der freygebige, gute Reiche, Geld für die Leidende giebt.« –

»Vergeben Sie, werthe van Guden, wenn ich Ihnen freymüthig bekenne, daß es mich auch leichter dünkt, mich an Ihren Platz zu stellen, als es Sie dünken würde, wenn Sie den meinigen einnehmen müßten.« –

»Das ist noch eine Frage; denn Sie wissen die Fabel mit den Bindeln, da ein jeder glaubte, daß der andern ihre leichter wären.« –

»Ach! Sie wissen es nicht so, wie ich.« –[423]

»Das ist wahr; aber Sie haben mir auch noch nichts gesagt.« –

»Sie waren mir wichtiger, als ich mir selbst.« –

»O, Rosalia! wünschen wir nicht auch das ganz Neue zu hören anstatt dessen, was wir schon lange wissen?« –

»O, Madame Guden, warum strafen Sie mich so oft über die Neugier, welche, Sie müssen mich es sagen lassen, der außerordentliche Ton Ihres Charakters nothwendig hervorbringen mußte.« –

»Vergeben Sie diese Art Strafe, wenn Sie eine zweyte Ursach anstatt der ersten sagen.« –

»Ja, aber ich will mich auch rächen; denn ich will Ihnen sagen, was mein vermuthliches Loos seyn wird; und sie sollen mir seinen Gebrauch entwerfen.« –

»Das thue ich sehr ungern; denn just dieser Leichtigkeit, mit welcher ich ehmals Umrisse von dem zeichnete, was ich an der Stelle dieses oder jenen machen würde, just dieser hatte ich den Grund der Abneigung zuzuschreiben, die ich mir zuzog; und ich möchte Ihre Liebe nicht verlieren.« –[424]

»Das wird auch mit mir nicht geschehen. Erlauben Sie mir, daß ich Sie bey dieser Gelegenheit nur auf der Seite des Talents ansehe, das Sie haben, schöne Zeichnungen zu machen; und mir von Ihnen, wie man oft bey dem Vorsatz zu bauen thut, einen Riß nach Ihrer Einsicht machen lasse, wenn Sie den Raum des Bodens wissen, den ich dazu verwenden kann.« –

»Ich will es, Rosalia. Aber Sie müssen mich dann auch die Anmerkungen wissen lassen, die Kunstverständige darüber machen werden.«

Dies versprach ich ihr; und das nächstemal erzähle ich ihr meine vorläufige Verbindung mit C**, meine Aussichten und den Wohnplatz, den ich haben werde.[425]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 418-426.
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