Vier und sechzigster Brief

[1] Madame Guden ist eine sonderbare Erscheinung in unsrer Weiberwelt. Ich habe Ihnen geschrieben, daß sie niemand suchte, als unsere beyden Mahler und den Kupferstecher. Nun kann ich Ihnen melden, warum sie dieses that.

Ich fand sie heut munter, und glänzend von inniger Freude. Sie ist schön, sehr schön, wenn die Farbe der Heiterkeit des Geistes ihre Züge belebt. – Sie umarmte mich zärtlicher, als jemals. –

»Meine Liebe. Sie müssen heut eine gegenwärtige und zukünftige Freude mit mir theilen.[1] Ein edles Herz kann nichts allein genießen. Ich fühl es, ich muß einen Freund, oder eine Freundinn haben, denen ich sagen kann:


ich bin im Paradiese.« ––


Sie führte mich in ihr Zimmer; da waren drey Kasten von Pappendeckeln auf einem großen Tisch – Sie wies darauf.

»Hierinn, Rosalia! ist Erndte und Saamen von Glückseligkeit für mich.« –

Ich antwortete ihr, daß ich sehr erfreut wäre, dieses zu hören; denn so genieße sie auch einmal, was sie Andern gäbe. – Sie drückte mich mit einem Arm an sich, mit dem andern hob sie einen Deckel auf, und nahm ein Papier weg. Da sah ich das Bild eines blühenden Baums und die Aufschrift – Frühlings Bilder – für den ältern Sohn des Herrn von Pindorf. Sie blickte dabey durchdringend auf mich. ––

»O, Madame Guden! wo ist Ihr Zorn gegen Pindorfen hingekommen!« – »Zorn! Rosalia, Zorn? – Ist der Schmerz der Liebe Zorn? Oder glauben Sie, daß aus einer Seele, wie die meinige, eine Leidenschaft so leicht auszurotten ist? – Was wäre meine Liebe[2] gewesen, wenn ich nicht Entschuldigung der Fehler, die mich beleidigten, gesucht – und einen Schleyer über das mangelhafte Stück meines Götterbilds geworfen hätte! – Vielleicht ist auch ein kleiner Anfall von Rache dabey. Denn wenn schon der Ton der Bilder und die reichen Geschenke, mit denen ich sie begleiten werde, dem Herrn von Pindorf ein Beweis meiner daurenden Zärtlichkeit seyn müssen, so sagen sie auch zugleich: dieses gefühlvolle Herz, – dieser erfinderische, geschmakvolle Geist und das Vermögen dieser Frau wäre dein und deiner Kinder gewesen, wenn du den wahren Werth dieser Liebe erkannt hättest. – Das mag aber seyn wie es will; mein Gedanke ist vortreflich gerathen, und die fünf Leute, so daran arbeiteten, stehen nun zusammen, um dies, was ich zeichnen und mahlen ließ, in Kupfer zu stechen und damit zu handeln. Von mir haben sie so viel verdient, daß sie den Verlag bestreiten können – Sehen Sie, der gute Erfolg[3] meiner Erfindung und die Aussicht auf den Gewinst dieser Leute ist Erndte. Dies, was in dem Geist der Kinder von Pindorfs an Kenntnissen und an Freude ihrer Herzen über die schönen Bilder entstehen wird, ist Saame von Glückseligkeit. Und, Rosalia! ist nicht jeder Beweis der Liebe, Genuß, höchster Genuß?« –

Nun fing sie an, mir die Bücher zu zeigen. Sie hat der Brüder ihre so mit einander verbunden, daß immer einer den andern nöthig hat, um das Ganze einer Vorstellung zu wissen; und sie denkt dadurch eine Grundlage zu der Ueberzeugung des Nutzens der Brüderlichen Freundschaft zu stiften.

Ich will Ihnen einige Bilder davon beschreiben, und die Bücher mit den Zahlen 1. 2. 3. – bezeichnen, wie sie bey den Kindern folgen; nur nicht so vollständig, als ich sie sahe. –

1.) Das Erste ist eine Landschaft nach Kleists Frühling. Trübe Wolken, die sehr vom Winde getrieben werden – aber auf einer Seite die Sonne, deren Strahlen auf einem Berg mit Schnee bedeckt fallen, den sie schmelzen,[4] wovon ein wilder Strom entsteht, der den Fluß anschwellt. Dieser führt Eisklumpen mit sich. Von Pindorf steht mit seinen Kindern auf einem Altan und weißt ihnen dieses. An dem Ufer des Flusses sind Bauern, die mit starken Stangen die Eisklösse abzuwenden bemüht sind. –

Die Zeichnung und dann die Haltung der Farben ist äußerst richtig und wahr. Auf das weisse Blat, – gegen den Bildern über, schreibt Frau Guden selbst eine Art Auslegung davon – in einem einfachen und eindringenden Ton der Seele.

2.) Im zweyten ist es schon belebter. Ein Theile des Dorfs. – Der Himmel ist freundlich. – Ein Bauer bessert seinen Pflug, einer die Hecke seines Gartens, ein dritter hilft dem Wagner eine Speiche in ein Rad machen.

3.) Buch des Mädchens. – Da ist die Bäurinn, welche nun durch das neu wachsende Gras, Hofnung zu mehr Nahrung für ihre Kühe, und also auch zu mehr Milch und Butter hat; – räumt ihr Milchstübchen, säubert und ordnet alle Milch- und Käsegefässe. –

1.) Bauern im Felde, die die Gräben der Wiesen und Aecker austiefen. An einem großen[5] Stück steht ein Pachter, mit seinen Knechten und verabredet den Anbau der übrigen Felder, – nachdem er mit der Wintersaat zufrieden scheint.

2.) Baum- und Gemüsgarten, – wo man beschäftigt ist, das Moos und die Raupennester wegzubringen. – Von beyden wird etwas durch ein Vergrößerungsglas betrachtet. – Man gräbt die Bette im Garten und macht sie eben. ––

3.) Der Blumengärtner reinigt leere Blumentöpfe. – In einem Glashause sieht man inländische Blumen, dann Zwiebeln, Wurzeln und Saamen davon. Allerley Gartenarbeitgeräthe werden vorgesucht und geordnet. –

Herr von Pindorf sagt seinen Kindern: – Diese Leute machen Entwürfe und Anstalten, zu arbeiten – und wir, zum Vergnügen. Wir wollen aber sorgen, daß unsre Frühlings Zeitvertreibe uns eben so nützlich werden, als diesen rechtschafnen Leuten ihre Bemühungen.

1.) Hier ist ein Spaziergang auf das Feld. Herr von Pindorf erklärt seinen Kindern das Pflügen und Säen, und redet zu ihnen mit vieler Achtung vom Ackerbau und den Bauern. –

2.) Schöne Wintersaat, Kleefelder und Graswiesen; Dabey eine Heerde Vieh. –[6] Herr von Pindorf weist auf das eine und andre: ––

»Hier, Nahrung für uns; – da, – für unsre guten Kühe und Pferde.« –

3.) Saamen zu verschiedenem Gemüse. Was jedes am liebsten ißt, – damit besäet es ein Stückgen. ––

1.) Sie sehen Bäume pfropfen, aushauen, biegen und anbinden; lernen sie auch kennen.

2.) Erste mühsame Arbeit im Weinberg. Bewunderung des köstlichen, überfliessenden Safts, durch das dünne unscheinbare Holz der Reben.

3.) Der Baumgarten in voller Blüthe, und ein artiger Reihentanz von mehreren Kindern um blühende Bäumchen, die man in die Mitte des Baumgartens stellte. – Alle Kinder haben Sträusse von Obstblüthe auf den Hütchen. Die Musik ist eine Schalmey. ––

1.) Brut verschiedener Vögel, und Art ihre Nester zu bauen. ––

2.) Raubvögel in der Luft und auf dem Wasser. ––

3.) Taubenzucht und Hünerhof. ––[7]

1.) Spaziergang in den Wald bey dem ersten Grün, wo ihnen die mancherley Arten von Bäumen und ihr Nutzen gewiesen wird. –

2.) Ein Teich mit Enten. – Schönheit und Munterkeit der Vögel kommt viel von ihrer Reinlichkeit. ––

3.) Milch- Butter- und Käse-Zubereitung; mit einer, dem kindlichen Alter angemessenen Beschreibung des Nutzens des Rindviehes, während die Kinder in dem Baumstück Milch essen. ––

1.) Fischerey mit dem Angel an einem Bach nach Thomsons Frühling. ––

2.) Schaafherden, Schaafschur; kleiner Auszug der Woll- und Webereygeschichte, – Spinnerey und Weberstühle. ––

3.) Die Tochter hat die Seiden-Würmer; ihre kurze Geschichte, – Bandweberey. Hier folgen durchaus schöne Bilder von allen Seiden- und Wollarbeiten, nebst einer deutlichen, kindlichen Erzählung von den wunderbaren Eigenschaften der Säfte der Pflanzen, und dem Dienst, Nutzen und Vergnügen, so die Menschen durch ihren Verstand und Geschicklichkeit daraus ziehen; – daß der Saft des Maulbeerblats in dem Leibe des Wurms zur[8] Seide bereitet werde und dadurch dieses schlecht aussehende Thierchen so vielen tausend geringen Menschen Nahrung, und so vielen Vornehmen Vergnügen gebe. ––

Bey den Schaafen würden die Kräuter, die sie fressen, zu guter Milch, Fleisch und Wolle. – So auch bey dem Rindvieh. Bey diesem entstünde auch die starke Haut, wovon alle Gerber, Schuster, Riemer und Sattler Arbeiten bekämen. – – Dann ist ein Bild von dem Flachs- Hanf- und Baumwollenpflanzen; – daß also ihre Hemden, alles Weißzeug – und ihre mußelinen Manschetten auch aus Kräutern herkämen. – Dann der Uebergang zu den Bienen und ein schönes Bild davon. – Eine herzliche Wendung, wie nützlich auch die kleinsten Thiere, – wie sehr schätzbar die Menschen sind, welche sich mit Verarbeitung all dieser Sachen, zum Nutzen und Vergnügen Anderer beschäftigen. – Dann fangen die Bilder alles dessen an, woraus ihre Geschenke bestehen. ––

1.) Silberbergwerk. – Stuffen davon, und wie es geläutert wird. ––

2.) Goldarbeiter, der eben an den Gefässen arbeitet, die sie bekommen.[9]

3.) Porcelanfabrik und Magazien. – Es wird aus Stein, Sand und Salz gemacht; – so wie auch

1.) Glas und Spiegel ––

2.) Die schönen Farben in ihren Malerkästchen bestehen auch aus Erde, Metallen, und dann auch aus Kräutersäften. ––

3.) Zimmer eines Malers. – Aus der Mischung zweyer Farben entsteht die dritte. –

1.) Mahagony Holz; dessen Heimath. – Etwas von Schiffarth und Flüssen ––

2.) Schreiner und Drechsler. – Diese haben die Risse und einzelne Stücke ihrer Schreibtische vor sich; dabey wird beschrieben, was diese Leute im Grossen, im Hause und auch zu ihren Spielsachen verfertigt haben. ––

3.) Die Tochter hat allerley Stik- Näh- und Webereygestelle, wo Mädchen sitzen und arbeiten, an lauter Sachen, welche die kleine Pindorf geschenkt bekommt. ––

Der schöne Lichtschirm, den Frau Guden für Pindorfen webte, ist da aufgespannt – und man sieht die Worte: Ewige Freundschaft, die im Englischen hinein gewebt sind, um die ein Kranz von vergieß mein nicht, gebogen ist ––[10]

1.) Allerley Spiele von Kindern ihres Alters.

2.) Bilder, was Kinder anderwärts lernen müssen oder schon wissen, die von ihrer Größe sind.

3.) Arbeiten armer Kinder in Nadelfabriken, Wollspinnen etc. etc. – – Schön geputzte Knaben, die mit grossen Gebunden Bücher zur Schule gehen, worinn arm und gut gekleidte Kinder ihres Alters sind. ––

Der Reiche und Vornehme ist klein und unwissend, wie der Geringe. – Beyde haben Sorgen und Unterricht nöthig. – –

Die Uhrmacher; ein artiges Bild von den Uhren ihrer Schreibtische – Schreibkunst; Kinder die es lernen und gerade die Linie aufschreiben.

Wahrheitsliebe und Gehorsam gegen Eltern und Vorgesetzte sind die Tugenden unserer Kindheit. ––

1.) Ein Gewitter. – Herr von Pindorf mit ihnen am Fenster und die Erzählung des Nutzens und Entstehens; ganz kindlich um ihnen die Furcht zu benehmen.

2.) Herr von Pindorf auf einem Hügel, – die Tochter auf seinem Schooß, – die beyden Söhne in einem Arm geschlossen, und mit der[11] andern Hand auf die schöne Gegend umher weisend:

»Seht, meine Lieben, wie schön aller Saamen der Erden, alle Früchte der Bäume wachsen und keimen! – Möge, o meine Kinder, der anfangende Unterricht des Wissens und der Tugend, die ich mit väterlicher Treue in eure Seelen zu pflanzen suche, auch Wurzel fassen und aufgehen! – Denn Gott, der die Erde, die ihr seht, mit allen Blumen und Bäumen so schön erschuf, und allen Thieren und Menschen das Leben gab, hat mir befohlen, euch zu lieben, für eure Gesundheit, eure Nahrung und Kleidung zu sorgen, euch alles Gute zu lehren, eure Fehler zu verbessern und euch geschickt und glücklich zu machen. Wenn ich es thue, so will er mich belohnen. Versäume ichs, so wird er mich strafen; so wie er auch den Kindern, ihre Wahrhaftigkeit, Güte und Folgsamkeit zu belohnen, versprochen, – und auch ihren Ungehorsam, ihre Bosheit und Lügen ahnden würde.« – –[12]

Auf diese Art werden die Bücher der vier Jahres Zeiten eingetheilt, – immer das Bedürfniß des Vergnügens und der Erhaltung, mit der Liebe des Schöpfers, der Nebenmenschen – und den daraus folgenden Kenntnissen und guten Eigenschaften verbunden. – Auf den Winter, wenn alles Vaterländische, was sie die gute Jahrszeit über selbst sehen konnten, ihnen bekannt ist, da bekommen sie ausländische Pflanzen, Thiere, Gebäude, Menschen, und was wir aus andern Welttheilen ziehen – und uns der angewehnte Gebrauch nöthig gemacht hat, zu sehen; und nicht einen Augenblick ist die Herablassung zum kindlichen Begriff versäumt. ––

Ich hoffe, diese Beschreibung war Ihnen nicht unangenehm. Mich entzückte das alles, und ich denke, da die Liebe der Freundinn all dieses in der Frau Guden hervorbringe: so soll sie einst in meinem Herzen einen gedoppelten Gebrauch dieses Buchs für meine eigenen Kinder schaffen. Sie will mir ein Exemplar zum Hausgeschenk geben. – Aber jetzt rüstet sie sich zu einer Reise nach W –, welches der Wohnsitz der Herrn von Pindorf ist. – Sie weiß, daß er abwesend ist, und will also nur[13] seine Kinder sehen und ihnen die Geschenke selbst geben – auch sich nach dem Ruf seiner ersten Frau – und nach dem seinigen erkundigen. ––

»Vielleicht, sagt sie, höre ich, was mich vollends heilen kann. – Denn die Beleidigung meiner eignen Liebe bewürkten es nicht. – Wenn er aber gegen Grundsätze des Edlen, – Wahren – und Menschenfreundlichen handelt; wenn er in grossen Anlässen seines Lebens niedrig, klein – und bösartig erscheint: – O, Rosalia, da werde ich freylich von meiner mich abzehrenden Zärtlichkeit und Sehnsucht genesen. – Aber, was wird der Schmerz seyn, der mich darüber zerreissen wird!« ––

Sie geht – unaufhaltsam dem entscheidenden Augenblick ihres Jammers entgegen. –[14]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 1-15.
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