Ein und achzigster Brief

Rosalia an Mariane S**.

[277] Glücklich bin ich mit meinem treuen Oheim zurück gekommen und nun hören Sie, warum er mich so lange bey Ihnen gelassen, und noch sonst spazieren geführt hat. Das Erste um vieles von seinen Geschäften auf einige Zeit zu besorgen und das Zweyte, um Clebergs Ankunft in der Gegend meines künftigen Wohnsitzes zu erwarten. Er ist schon seit acht Tagen auf dem Lande, nur eine Stunde von hier, und hatte unsre Rückkunft verbeten, bis er die Zimmer in unserm Hause, welche er sich nach, seinem Geschmack anordnen wolte, durch dem Tapezirer, den er als Bedienten mit gebracht, fertig gemacht haben würde. Und auf die Anzeige, daß er nur noch uns erwarte, reiste mein Oheim ab. – Abends kamen wir hier an, und speisten bey Frau G** zu Nacht, die mit ihrem Mann ausserordentlich vergnügt über unsre Rückkunft schienen. Otte und seine Julie zeigten den nehmlichen[277] Grad ausserordentlicher Freude. – Ich schlief sehr zufrieden über die Liebe dieser zwey Familien ein, und träumte gewiß nicht von Cleberg, und seinem Aufzug, als hier angestelten Residenten des Hofes von N**; noch weniger aber dachte ich an die Eile mit welcher mein Oheim dieses und alles Uebrige veranstaltete. Ich stand in Wahrheit sehr wohl und gesund auf. Mein Oheim freute sich bey dem Frühstück darüber mit Herrn und Frau G** Diese fragte mich, ob ich nicht etwas Neues von Kleidungsstücken mitgebracht hätte? ––

»Warum fragen Sie mich denn, bey alle den Männern?« sagte ich; denn Otte war auch in seinem Frack bey uns. – »Sehen Sie, wie Alle lächeln, daß so gar die erfahrne und weise Frau G** sich nicht enthalten kann, der Göttinn Tändeley ein Opfer ihres Verstandes zu machen, und, anstatt nach neuen, guten Menschen und Sachen zu fragen, nur gleich nach Kleiderzeug begierig ist.« ––

»Hätt ich gewußt, erwiederte sie, daß eine so ernsthafte Anmerkung über mich das Erste wäre, so Sie auspacken würden: so[278] hätte ich mit meiner Frage zurückgehalten. Indessen will ich den lieben Onkel da fragen, ob Rosalia nicht etwas Artiges von ihm geschenkt bekam? – –

Ich glaube, es muß artig seyn; denn Rosalia hat es selbst ausgewählt und sie soll ihre Freundinn auch für die spitzige Note, über Ihre unschuldige Neugierde, schadlos halten – und sich darin putzen; damit Sie und Julie gleich sehen können, ob es ihr gut steht und die Form artig ist.« ––

»Aber, lieber Onkel, es ist zu kostbar im Hause, und ich mache heute noch keine Besuche.« ––

»Das will ich auch nicht. Aber eine kleine Galla kannst Du ja unsern Freunden und uns selbst, über unsre Rückkunft, machen.« –

Ich sah ihn noch einmal mit einem kleinen lächelnden Kopfschütteln an. Er klopfte mir freundlich auf die Backe. »Thu es, Liebe, und mache mir Ehre für mein Geld!« –

Da sah ich, daß es ihm Ernst war, und ich versprach es; – zog auch in der That das weiße, von schön gemuschtem Seidenzeug, auf die Taille passende, und sehr reich garnirte Kleid an, wie auch die übrigen Stücke, so[279] dazu gehörten, und ging um eilf Uhr in sein Zimmer. –– »Sind Sie zufrieden, lieber Oheim, daß ich so schön bin?« ––

»Ja, Liebe!« sagte er, – »Du bist wahrhaftig schön, wie eine Braut. Du mußt einmal auf Deinen Trauungstag so gekleidet seyn!« ––

»Das will ich auch, weil es in England, das ich liebe, so gebräuchlich ist.« ––

»Käme nur heut Dein Cleberg!« ––

»O, nein! das will ich nicht, mein Oheim. – Der Rock soll in Jahr und Tag noch schön genug zum Brautrock seyn.« –

»Wenn aber deine Gesichtsfarbe nicht so heiter wäre, wie heut, so verdrösse wichs. Denn Du siehst recht gut aus. Cleberg würde in Dich verliebt, wenn er es noch nicht wäre.« ––

»Lieber Oheim, warum plagen Sie mich heute so viel mit meiner armen Figur?« –

»Arm, Rosalia! – Du bist heute wahrlich nicht arm, glaube mir.« ––

Sein Bedienter kam, ihm zu sagen, daß es halb zwölfe sey. Da wünschte er mir guten Morgen auf Wiedersehen; wie er immer zu hnn pflegt, wenn er mich wegschicken will.[280] Ich ging in mein Zimmer zurück, wohin Madame G** und Julie in kurzer Zeit nachkamen, weil sie mein Oheim, wie sie mir erzählten, zu mir gebeten habe. Sie lobten mein Kleid und mich wieder, eben wie mein Oheim. ––

»Kinder Gottes! sagte ich, lassen Sie es mit diesem Ton genug seyn. Ich bin fürwahr meiner selbst herzlich müde. Es dünkt mich, ich müsse einmal mit meiner Kleidung und Person etwas sehr tadelhaftes hier gethan haben, well ich den ersten Tag meiner Rückkunft so sehr damit gestraft werde. – Sagen Sie mir meinen Fehler, liebe Julie; ich will mich gewiß bessern.« ––

Sie versicherten mich, daß es gar keine Spötterey sey, sondern daß sie nur meinem guten Oheim in seinem unschuldigen Scherz beygestimmt hätten. Wir assen zu Mittage recht munter, aber etwas geschwind, denn wir wollten zu Kahnberg einen Besuch machen, sagte mein Oheim. Herr und Frau G** begleiten uns. – Herr G** entschuldigte sich; sie aber nahm es an. – Ich wollte mich umkleiden, es wurde nicht erlaubt und wir fuhren in einem schönen neuen Wagen mit vier Postpferden[281] nach Kahnberg. Ein Stück Wegs davon hielten wir stell. Der Bediente fragte an; aber sie waren nicht zu Hause. ––

Frau G** sagte da meinen Oheim bittend. »O, wir wollen nicht den nehmlichen Weg zurück. Fahren Sie doch über Langensee; dann kommen wir bey dem Seethor in die Stadt zurück, welches ohnehin näher an meinem Haus ist; und heut ist Kirchweihe da. Wir sehen also vielleicht auch im Vorbeyfahren einen Bauertanz.« – –

»Nun ja,« – sagte ich, – »ich hab auch einen Kirchweihrock an« – –

»Ich bin es recht sehr zufrieden,« antwortete mein Oheim. »Kennen Sie jemand da, Frau G**? oder hat der Ort eine gute Schenke?« – –

»Das weiß ich nicht. – Aber der Pfarrer, ist ein sehr rechtschafner Mann; der hat seine Schwester bey sich, die eine meiner liebsten Jugendfreundinn war. –– Wenn Sie ein wenig ausruhen wollten, würde es die Leute und mich unendlich freuen.« –

»Aber, liebe Frau G**,« fiel ich ein, – »auf Kirchweihtagen sind immer eine Menge Besuche bey den Pfarrherren. – »Wollen[282] wir dennoch hin? Ich bekenne, es freuet mich nicht sehr.« – »Aber, wenn es Ihnen, mein lieber Oheim, angenehm ist, so wissen Sie schon, daß Ihr Vergnügen immer das meinige in sich schließt.« ––

»Ich wünsche, Rosalia, daß Du in der That die Sache heut so nehmen mögest. Dein Herz ist ja immer so bereit gewesen, Freude zu geben, wo du konntest, und Antheil an dem Vergnügen Andrer zu nehmen. Was ists, wenn wir auch Leute antreffen, so sind es gewiß lauter fröliche Gesichter und ich liebe die sehr.« ––

»Lieber, lieber Oheim! ich will auch so seyn, wie Sie mich am liebsten haben. – Liebe Frau G**, führen Sie uns zu Ihrer Freundinn.« ––

Nun wurde dem Postillion befohlen, stark zuzufahren. – Eine Viertelstunde vor dem Dorf, kam ein wohlgekleideter Mensch in vollem Galop geritten und fragte, ob wir des Herrn Pfarrers Gäste wären? Frau G** sagte lächelnd. »Das weiß ich nicht. Aber, wenn er noch Gäste braucht, so wollen wir kommen.« ––[283]

Der Mensch ritt wieder davon, und einem Wäldchen zu. – Als wir näher kamen und das Dorf recht sehen konnten, kamen aus dem Wäldchen bey zwanzig Bauern geritten, die alle hübsch geputzte Mädchen hinter sich sitzen hatten. Die Hüthe der jungen Pursche, die Haarzöpfe der Mädchen, die Mähnen und Schweife der Pferde, alles war mit allerley Bändern verziert und eingeflochten und sie zogen ganz stattlich vor uns her. In dem Dorf wurde Musik gemacht, und von den Bauern auch dazwischen geschossen. Ich fieng an mich wegen der Pferde zu fürchten. Aber er wurde still; nur die Musik dauerte fort.

Mein Oheim winkte dem Menschen, der uns vorher angeredt hatte, und die reitende Bauern mit ihren Mädchen zu comandiren schien. – Er fragte ihn, was denn ihr Aufzug bedeute?

»Ey, hat Ihnen denn der Herr Pfarrer nichts geschrieben?« –– »Nein, mein Freund. Ihr habt euch auch an uns geirrt, denn wir sind keine eingeladne Gäste des Herrn Pfarrers.« ––

»Das thut nichts, sagte der Kerl. Ich nehm heut, nach der Bibel, Alles auf der Landstrasse mit zum Hochzeitmahl.« ––[284]

»Ihr seyd gewaltig lustig, sagte Frau G**. Was ist bey euch zu thun?« ––

»Zu thun? Recht viel! – Da sehen Sie, forn bey uns sind vier Bräute, die werden heut alle copulirt. Wir haben unsern neuen Oberamtmann bekommen und der stattet sie alle aus und giebt dem ganzen Dorf, alt und jung, reich und arm, zu tanzen, zu essen und zu trinken.« ––

»Das ist brav, sagte Frau G**. Aber eure armen Leute werden doch nicht viel tanzen; das ist nur für euch lustige Reiche.« –

»Was, die Armen? – Die werden besser tanzen als ich; denn die haben am meisten von ihm bekommen, und wer des Guten nicht gewohnt ist, dem schmeckt es besser, als dem, der alleweil vollauf hat.« ––

»Also hat er den Armen auch gegeben? – Das ist viel, von einem Oberamtmann. Die machen sonst die Reichen arm.« ––

»O, der gewiß nicht, wenn er so bleibt. Er ist schön, und redt so gut, und so, wie Bauern, wenn sie redlich sind, und schafft auch Recht. Er hat da die Woche über in Pfarrhof helfen weißen und mahlen und ist auch den Morgen noch in die große Zehndscheure[285] gegangen, ob alles recht gemacht sey? denn dort tanzen wir heut Nacht.« –– Da sah er mir steif in das Gesicht. – –

»Jungfer! hat Sie schon einen Schatz?« –

»Ja, guter Freund! Warum fragt ihr? Möchtet Ihr sie haben,« –– sagte Frau G**.

»Ey behüte Gott! – so eine schöne Stadtjungfer ist nicht für Bauern. – Aber für unsern Herrn Oberamtmann wär es was.« –

»Ich bedanke mich,« – sagt ich. – »Aber da er so schön ist, hat er gewiß auch schon einen Schatz.« ––

»Höre Sie, man hat gesagt, mit des Herrn Pfarrers Gästen, käm sie mit – und deswegen sind wir Brautleute voraus geritten. Es thut aber nichts. –– Sie ist auch ein recht artigs Jungferchen, Ihre Tochter« – sagte er zu meinen Oheim, »es reut uns nicht.« – –

»Ihr sollt auch eine Aussteuer für Eure vier Brautleute von mir haben,« sagte mein Oheim.

»Nun, – man sagt, mit Verlaub,« da bückte er sich gegen uns – »ein Narr macht zehen. – Aber da macht unser guter, neuer[286] Oberamtmann, noch ein guten Mann, – und das ist mehr werth. Juhe! – auf Wiedersehen!« – rief er; schwung seinen Huth – und jagte voraus; kam aber noch einmal zurück und rief uns zu einen Platz anzusehen, der würde des Oberamtmanns Garten. – »Ich bin der Sohn vom Bauernhof daneben, und er will mir die neue Sachen lehren, wo alles doppelt wächst. Da baut er ein Haus hin, und sehen Sie, von dem Platz da, kann er in die Stadt und unser Dorf sehen.« ––

Es ist wahr, was er sagte. – Aber nun waren wir würklich im Dorf – Alle junge Mädchen und Buben, sauber gekleidet, hüpften herum, streuten Gras und wilde Blumen gegen uns. Alles war reinlich, aber doch ganz ländlich, und alle Gesichter freudig. – Wir fuhren an den Pfarrhof, Auf diesem waren alle Mauern geweißt und unten mit einer Einfassung bemahlt; oben an der Mauer, wie auch am Hause und Fenstern lauter breite, blaue Gewinde gemahlt, welches in der That recht schön stand. – Der Pfarrer und seine Schwester kamen unter die Hauslbüte, freuten sich über Frau G**, stutzten anfangs über uns, waren[287] aber sehr höflich und führten uns in ihr Wohnzimmer, das sehr hübsch ausgeputzt war. – Frau G** fragte da ob es wahr sey, daß sie heut ein Fest über ihren Oberamtmann hätten, wie der Kerl sagte? Der Pfarrer beantwortete es mit Ja, und vielen Lobsprüchen und Erzählungen all der gütigen und menschenfreundlichen Sachen, die der junge Mann seit vierzehn Tagen gethan. – »Sein Amthaus ist nicht gebaut und er wohnt in meinem obern Stock; daher konnte ich Sie nicht hinauf führen.« – Die Schwester erzählte auch eine Menge artige Sachen; besonders daß er vier Paar junge Leute ausgestattet und alle Arme gekleidet hätte. – Mein Oheim hatte Thränen in den Augen – »und mich erquickt das Lob, so ich von einem Mann machen höre, der gewiß eine edle Seele haben muß.« sagte ich, mit eben so viel Bewegung wie mein Onkel.

»Ich bin froh, Rosalia, daß Kahn nicht zu Hause war; wir hätten sonst den schönen Nachmittag nicht genossen und es ist doch süß, einen schätzbaren Menschen mehr zu kennen.« ––[288]

»Gewiß, mein lieber Oheim, dieser Mann muß rechtschaffen seyn, weil er, beym Antritt seines Amtes, doch wenigstens die Herzen seiner Untergebnen mit Freude und Zufriedenheit zu erfüllen sucht.«

Ich sah meinen Oheim voll Freude über diese meine Erklärung. Er ging nachdem von mir, blieb eine Zeitlang weg und indessen wurde mir noch immer von dem vortreflichen Beamten vorgeredt. Ich segnete ihn herzlich, und als der Pfarrer sagte, er wünsche, daß wir ihn kennen lernten: so versicherte ich, daß es mich freuen würde.

Nun kam mein Oheim zurück und winkte mir an der Thür. – Ich eilte zu ihm, und er führte mich an der Hand in des Pfarrers Garten, der auch gar artig aufgeräumt war. –

»Ich habe den Beamten gesprochen, sagte er, er ist ein lieber junger Mann.« – –

»Das muß seyn, wenn Alles, was der Pfarrer mir noch sagte, wahr ist.« – Wir waren da am Gartenhause, wo wir hinein gingen, weil man die Zehendscheune sehen konnte. Die war ringsum mit Garben und Fichtenreisig, in Kränzen mit Bändern gebunden, verziert; – große, lange Tische[289] standen auf beyden Seiten gedeckt, und Bänke umher! – Wein- und Bierfässer, Körbe mit Brod und Kuchen. – Inwendig war die Scheune auch bis an die Balken aufgeputzt und schön mit Laternen behängt. Ein fröhliges Gewühl von Leuten dabey, das mich sehr rührte. ––

»Du hast also die guten Landleute noch lieb?« ––

»O, mein Oheim, das wissen Sie, wie sehr ich immer ihr Wohl und Weh empfand, wenn wir reisten.« ––

»Nun werden wir nicht mehr viel reisen, mein Kind! Aber das Andenken der Freude, die Dein Kopf und Herz mir die drey Jahre hindurch machte, wird immer in mir bleiben, bis ich meine letzte Reise machen werde.« ––

»Lieber Oheim, warum kommen Sie bey dem Anblick so fröhlicher Menschen auf diese traurige Idee?« ––

»Rosalia! wilst Du sie mit nehmen? – Wilst Du mir den Tag so glücklich machen, als ich es wünsche, und als er für alle gute Menschen hier ist? Sag, liebe Rosalia, – wilst Du es thun?« ––[290]

»Können Sie das fragen? – Theurer Oheim, sagen Sie! was kann ich thun?« – Er reichte mir seine Hände zitternd, und äusserst bewegt, sagte ich es, seine Hände haltend und an ihm hinauf sehend. –– Er faßte mich in seine Arme und eben so bewegt, wie ich, sagte er:

»Nun, Rosalia! so gib heut Clebergen Deine Hand. – Er ist Oberamtmann hier. – Er ists, der alle das Gute hier veranstaltete.« ––

Ich sank auf den Stuhl. –– »O, mein Onkel!« – war Alles, was ich sagen konnte; und den Augenblick, war Cleberg bey uns, zu meinen Füssen. »Rosalia! meine theure Rosalia! fassen Sie sich. – Es soll nichts, nichts geschehen, als was Sie selbst wünschen.« ––

Frau G** und mein Oheim setzten sich eine Zeitlang in den Garten. Was konnt ich thun? – Einwilligen! – meines Oheims Segen und Thränen über uns fliessen sehen, und in der Kirche des Dorfs, mit den vier ausgestatteten jungen Bäurinnen und Taglöhnerbräuten getraut werden. ––[291]

Die Freude der guten Leute, ihre Glückwünsche für uns, daß wir in der nehmlichen Kirche, im nehmlichen Augenblick, die nehmlichen Pflichten gelobten, und von Gott auch nur die nehmliche Segenssprüche hörten, – das freute sie unendlich. Dieser Gedanke unterstützte mich und die Freude meines Oheims auch; sonst weiß ich nicht, wie ich es ausgedauert hätte. Wir zogen mit den andern verbeyratheten jungen Leuten aus der Kirche. Cleberg führte mich voraus, die Andern folgten uns.

»Sie haben mir doch die Ueberraschung vergeben? Sie war nicht mein Werk. – Unser gute Oheim wollt es.« – Ich schwieg. – Er fuhr fort: »Liebenswürdige Rosalia! vergeben Sie es um der redlichen Glückwünsche willen, die wir erhielten.« – Ich versicherte ihn meiner Zufriedenheit und ging mit an die Scheune, wo das Essen und Trinken ausgetheilt wurde und die Dorfmädchen den Bräuten eine schön gemahlte Kunkel zum Geschenk brachten, wovon der Rocken mit einer grossen Menge Flachs umwickelt, und mit Kinderhäubchen, Breypfännchen und Kinderklappern behängt war. – – Die Weiber und[292] großen Mädchen zusammen, brachten auch mir eine, eben so, aber mit dem feinsten Flachs beladen, mit einem schönen Wiegenband umwickelt, an welchem ein Breytopf, und ein Kinder-Waschnapf von Silber, eine Windel mit seinen Spitzen und Häubchen und Hemdchen angeheftet waren. – Das hatte auch mein Onkel verordnet. – Ich setzte mich und spann ein Paar Fäden. – Was diese Kleinigkeit den Leuten für Spaß machte, und wie sie mir zuguckten! Dann brachten die jüngern Mädchen einen Topf Milch, einen Korb mit Hühnern, einen mit Eyern und einen großen Topf Butter; stellten alles vor mich hin, und saugen ein Liedchen, wie die Aeltern eins bey der Kunkel gesungen hatten. Die Männer führten, nach dem Gebrauch, dem Oberamtmann einen Zug Ochsen mit dem Joch herbey. Die jungen Leute und Knaben, ein Kuhkälbchen und zwey Schaafe. Diese waren mit Bändern gezieret und der Schultheis sagte einen Spruch dabey. – Ich bot allen Weibern und Mädchen die Hand, dankte ihnen und gab jeder ein Geschenk an Geld, das ich in einem Körbchen auf einen Stuhl neben mir hatte. –– Cleberg machte es bey den[293] Männern so, daß sie Alles wieder zurück und noch Ueberschuß über ihre Auslagen bekamen. – Sie luden mich zum Tanz, den ich mir verbat! ausser dem kurzen Reihentanz, der um die Kunkel gehüpft wird; weil es meinem Oheim selbst gelüstete, mit mir und den vier Bräuten herum zu springen. ––

Sie sehen, Mariane, daß es nicht möglich war, zu mir selbst zu kommen. Wir gingen ins Pfarrhaus zu rück, wo wir in einem artig ausgemalten Zimmer ein feines und schmackhaftes Abendbrod fanden, wovon ich aber wenig essen konnte, weil die Gedanken von der so jähen Aenderung meines Standes, und all die Bewegungen meines Gemüths, die schon bey dem Frühstück angefangen hatten, mir Kopf, Herz und Magen genugsam anfüllten. – Mein Oheim war nicht gleich mit uns in das Zimmer gegangen und ich lehnte mich an ein Fenster, das in den Pfarrgarten, und auf das Feld ging, aber nicht auf den Platz der Scheune, sondern auf eine ganz einsame Strecke Landes. – Cleberg war bey mir. Da er aber sah, daß ich nur tiefsinnig vor mich hin, und dann mit Seufzen in die Ferne blickte, ihn nicht ansah, nicht[294] aufsuchte: so machte er mit der Hand gegen Frau G**, und die Andern ein Zeichen, daß sie weggehn möchten; – und so bald wir allein waren, fiel er vor mir auf seine Knie. –

»Ach, Rosalia! mein Glück ist nicht das Ihrige! – Ich seh, ich fühl es. – Gehorsam für Ihren Oheim, Gefälligkeit allein hat Sie an den Altar geführt. Ich hatte wohl Vorbedeutung, daß Ihre feine Empfindsamkeit beleidigt seyn würde. – Was soll ich thun? – liebe angebetete Rosalia! was kann ich thun – um Sie zu versöhnen, und zu beruhigen?« ––

»Stehn Sie auf, mein theurer, angetrauter Freund! – stehn Sie auf und glauben Sie, daß ich gewiß bey meinem Bündniß mit Ihnen mich eben so glücklich achte, als ich mich bemühen werde, Sie mit mir zufrieden zu sehen. – Es ist nicht Kälte, lieber Cleberg! nur etwas Müde, von so verschiedenen, sich so schnell folgenden Gefühlen. Sie sind von allen Männern, die ich kannte, der Einzige, der je meinem ganzen Herzen, und ganzen Kopf gefiel. – Sie werden es bleiben, und alle, alle meine Zärtlichkeit ist Ihre.« ––[295]

Meine Augen füllten sich mit Thränen. – Sein schönes feuriges Auge stand auch voll Wasser, als er, bey dieser Versicherung, voll Liebe und Vergnügen mich anblickte. Er stand auf und schloß mich mit Entzücken in seine Arme. – »Nun ist der Tag schön, nun ist er mir süß! Rosalia, Du sollst glücklich, gewiß glücklich in diesen Armen und an diesem Herzen seyn! – Es ist Tugend und Adel darin, wie in Deinem.« ––

Ich wurde doch blaß und zitternd. Er rufte Frau G** und meinen Oheim. – Beyde baten mich auch wegen der Ueberraschung um Vergebung und Cleberg ließ mich einige Tropfen guten Weines mit etwas Brodt nehmen. Der Pfarrer nebst seiner Schwester wurden nun gerufen und wir speisten alle recht munter. –– Um acht Uhr fuhren wir nach Haus; – Cleberg mit uns. – Da sagte mein Oheim: »Nun Kind, vergieß alles Unangenehme. Freue Dich meiner und Clebergs Freude! – Es war doch besser so. – Eine Bewegung hättest Du immer erdulden müssen, – versprochen warest Du schon lange. –– Ihr kennt und liebt Euch; – die Neugierde der Stadtleute und ihr Geschwätz[296] um Dich herum, wäre Dir gewiß lästiger gewesen, als die treue Lustigkeit Eurer Amtsunterthanen. – Es ist alles so verabredet gewesen, eh wir kamen; und heut, um halb zwölf, als mein Bedienter mir die Stunde anzeigte, hab ich den Herrn Residenten bey dem Stadtmagistrat vorgestellt, und unsre Frau G** da, und Julie haben als gute, Schwesterliche Freundinnen, zu Allem geholfen was ich für Dich wollte. – Nun sey zufrieden und zeige mir es in Deiner Miene!« – Er küßte mich da, und ich mußte den Kopf an das Kutschenfenster halten, daß er mich bey dem Schein der Fackel betrachten konnte! –– Frau G** umarmte mich. – »Vergeben Sie mir mein Schweigen und bleiben Sie, als Madame Cleberg, meine Freundinn wie Sie waren.« – Was konnt ich sagen? Ich küßte sie wieder, und sprach zufrieden mit. –– Wir stiegen an meinem Haus aus, wo Otte, Herr G**, Julie und ihre Schwester, nebst unsern Mägden und Bedienten, im Vorhaus uns bewillkommten; alle schön gekleidet und alles schön beleuchtet; denn schon unten brannten an den Wänden mein und Clebergs Namenszug hinter gelben[297] Glaskugeln, und an der Stiege hinauf bis in den Saal, waren diese Kugeln von allerley Farben, in Bogen und unsere Namen. – So war auch der Saal, wo, nach den Bewillkommungen und Glückwünschen, mein Oheim mir sagte: »Dieses Zimmer must. Du auch sehen« – und nach einem Segen, den ich auf meinen Knien empfing, wie er mir ihn auf seinen Knien gab, mich allein ließ, und meine Stubenmagd mir schickte. ––

Die vier Zimmer, so Cleberg hatte zurichten lassen, sind unsre Schlafzimmer. – Grün und weiße halbseidne Tapeten und Bettvorhänge mit breiten Streifen, ein schöner Nachttisch, der des Tags nichts als Tisch ist und inwendig alles Nöthige hat. In meinem Zimmer Clebergs Bildniß, wie er bey dem Eislaufen gekleidet war, in Lebensgröße; und in Seinem das Meinige, eben so im Pelzauzug, der ihm meine Gestalt so schön zeigte. – Es scheint, als ob in jedem Zimmer nur ein kleines Bettchen wäre. weil die Scheidmauer nur so weit durchbrochen ist, als die Bettgestelle reichen, die sich gegenüber stehen, und des Tags durch eine Feder, wenn die Betten gemacht werden, eine von dünnen Brettern und[298] mit Tapeten überzogne Wand sich dazwischen setzt und wir jedes in unsern Zimmern allein sind. – – So hat er auch ein Cramoisin und Weißes für meinen Oheim gemacht und ein mit lauter Gemälden im Großen, von London, Paris und Neapel, nebst neumodischen Stühlen geputzt. Alles Weißzeug, alles Hausgeräth fand ich fertig.

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 277-299.
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