Ein und neunzigster Brief

Rosalia an Mariane.

[435] Hier ist noch ein Brief voll Ittens, so wie einst einige voll Henrietten von Essen, Madame S**, Julie, Otte, und noch mehr der van Guden und der Wollinge voll waren. Aber was soll ich Ihnen schreiben, wenn es nicht von den Gefühlen meiner Seele ist? denn alle Gegenstände des Nachdenkens, Durchforschens und Wissens sind Ihnen schon bekannt oder liegen so reichhaltig in Ihren Büchern, daß vielleicht selbst ein männlicher Geist Ihnen nichts Neues darüber sagen könnte. – Sie versicherten mich an einem der glücklichen Tage, die ich den letzten Herbst mit Ihnen verlebte, daß die Art, wie ich Menschen und Sachen betrachtete und beschriebe, so eigen sey und Ihnen so sehr gefalle, daß ich immer fortfahren sollte, Ihnen von der Menschen- und Gotteswelt, die in meinen Gesichts-Kreis käme, Original-Gemälde von meiner Hand zu schicken. – Das hab ich immer mit[435] vielem Vergnügen gethan. Denn, gute, angenehme Eindrücke noch einmal zu fühlen, und zugleich meiner Mariane St** einen kleinen Zeitvertreib damit zu machen; etwas für die beste, edelste Freundinn zu thun, und zu seyn: ach wie viel reines, grosses Glück geniesse ich darinn! –– Lassen Sie es mir, so lang es seyn kan; es wird wohl eine Zeit kommen, da meine Briefe nicht mehr so groß werden können, als ich sie machen wollte. ––

Gestern hatte ich große Gesellschaft. Frau G** und Julie waren auch dabey, und früher als die Andern gekommen. Da erzählte ich ihnen etwas von dem, was ich bey Frau Itten gesehen, und las ihnen die Abschrift meiner Briefe an Sie.

»Alles das ist herrlich und schätzbar, sagte Frau G**; aber Weibchen! das sollst Du mir nicht ohne Unterschied vor allen Männer erzählen. – Vor Weibern wohl, denn wir nehmen von Tugenden, wie von Kappen und Bändern, nur das, was zu unsrer eigenen Freude taugt. – Aber da könnt es reiche Geizteufel, oder andre Haustyrannen von Männern geben, die heim gingen, und ihre Weiber und Töchter in die heßlichen[436] Nester verbannten, wo die armen Geschöpfe schon ohne das ihr Leben meist mit ihnen zubringen müssen; sie aber spazierten doch, wie der Rath Schlafhaube da, alle Tage nach ihrem Kaffeehause, hätten ihre Freyheit und ihr Späßchen, während die arme Frau bey ihrem schnurrenden Spinnrad ihren murr- und stuzköpfigten Herrn geduldig erwarten müßte. – Laßt mir Euren Cleberg und Otten aus dem Hause; er steckt brennbares Zeug in ihnen, das nur auf diese Gattung Funken wartete, und Ihr würdet euch wundern, was das für eine sprühende Flamme gäbe.« ––

O, Madame G**, was für häßliche Arbeit machen Sie da aus meinem so schönen Bilde! – Julie, haben Sie auch so was gedacht? ––

»Ganz und gar nicht! Es dünkt mich, daß die Familie sehr glücklich und nachahmungswürdig ist.« ––

»Was doch die guten Tugend; Schwärmer und Schwärmerinnen abgeschmakt seyn können! – Ich schätze gewiß diese Frau nicht weniger als Ihr. Sie that das Beste und Edelste, was Sie nach ihren Umständen[437] thun konnte. – Rosalia Cleberg; und Julchen Otte sind in andern Verhältnissen, haben andres Schicksal, und sollen auch anders thun; denn, mit ähnlichen Gesinnungen und Wesen, hätten sie dem guten Ernst nicht aus dem engen Gängelbande, und Hannchen nicht aus dem Keficht geholfen. Wir wollen der Vorsicht nachahmen; Verschiedenheit herrscht bey ihr in Allem, – und ein jedes kann vollkommen seyn. – Rosalia konnte die Nachahmungssucht niemals leiden und ich glaube, sie möchte nun gar gern eine schön geschnitzelte Bettlade, und Vorhänge mit Franzen darum haben, um gleich am lieben Morgen, mit einem ehrwürdigen Gesicht heraus zu gucken. Aber denken Sie doch, ob Ittens Schlafmütze zu dem ganz und gar neumodischen Geniegesicht Ihres Clebergs taugte? – Gewiß eben so wenig, als Frau Ittens Dormeuse zu Ihrem Stutznäschen! Ehren Sie und lieben Sie die Leute, so viel Sie wollen; aber ahmen Sie nichts nach, als die Krankenstube, denn das ist in der That recht gut. Es wäre ewig schade, an Ihrem schönen Hausplane was abzuändern. Unnöthige Possen und[438] Tändelausgaben machen Sie ja so nicht; und da Ihnen die Vorsicht Vermögen gab, arme arbeitsame Hände zu beschäftigen und zu bezahlen, so fahren Sie auf Ihrem Wege fort. Frau Itten mag nun anfangen, für ihre Enkelgen zu spinnen, denn ich sehe schon ihr Hannchen an Linkens Seite ins Brautbett wandeln. Eins will ich aber doch auch helfen ins Gewerbe des Denkens bringen: daß Mädchen und Mütter sich gar sehr betrügen, wenn sie glauben, daß viele Bekanntschaften und Putz, um so früher Männer schaffen.« ––


»Mir kommt auch ganz glaubwürdig vor,« sagte meine sanfte Julie, »daß, wenn hie und da beym Bekanntwerden des jungen Herrn Itten, mit vieler Achtung von seiner Erziehung und dem rühmlichen Fleisse seiner Frau Mutter und Schwestern gesprochen würde, die Neugierde rege gemacht, und dann Stückweis etwas erzählt werden sollte. Besonders wenn man sich, nach Kenntniß der Umstände, die Zuhörer aussuchte, könnte Gutes geschaft werden, das freylich wenn man das Ganze hört, gerade durch die Vollkommenheit,[439] so darin liegt, der Eigenliebe Andrer etwas hart auffällt.« ––

»Ist hier nicht ein Stück Ihrer van Guden wohl angebracht?« fragte Frau G**. »Denn schrieb nicht diese einmal: – Großes, ungewöhntes Gute, ohne Vorsicht dargestelt, schadet oft bey Menschen, die an Vorurtheilen haften. –– Sie sehen doch auch, Liebe!« fuhr sie fort, »daß die schönen Sachen, die Sie uns mittheilen, nicht verloren sind; nur mit dem Unterschied, daß Julie sie in der That anwendet, und ich die Worte recht säuberlich im Gedächtniß behalte.« ––

Nun kamen die Uebrigen zusammen, und diese Unterredung wurde abgebrochen; hatte aber auf mich einen zu tiefen Eindruck gemacht, um eine Sylbe vergessen zu haben. – Ich hatte in meinem Herzen Frau G** rauh und unempfindlich gescholten, weil sie mir meine innige Freude des Mittheilens dieser Familiengeschichte, gleichsam verdorben hatte. Aber ich fand nachdem doch, daß ihr Urtheil ganz richtig ist. Und zudem hat sie den Anlaß gegeben, daß die so fein fühlende Julie Orte, durch diese Mühe welche sie nahm, meine[440] gerizte Empfindsamkeit zu trösten, und doch der Frau G** nicht ganz Unrecht zu geben, auf den wahren und herrlichen Vorschlag kam, den sie that. Ach, es ist immer wahr, ich bin zu eifrig bey dem Guten, und wie mir Frau G** einmal sagte, ich suche das Erdreich nicht sorgfältig genug aus, auf welches ich säen wollte. Hab ich mich aber nicht darin gut ge macht, daß ich so gern den Beweiß eines Unrechts erkenne?


Dienstags früh

Schrieb ich nicht letzthin, daß meine Briefe nicht mehr so lang werden könten, als ich wollte? Sehen Sie, Liebe! am verwichnen Donnerstag fing ich an, und wurde fünf Tage gehindert ihn zu endigen. Aber dafür hab ich ausgesuchte Stunden genossen. –– Cleberg und Otte kamen von ihrem Spaziergange mit Ernst Itten so zufrieden zurück, daß mein Mann in einen großen Eifer gerieth, den jungen Mann bald eigen zu haben. Ich war also den Freytag und Sonnabend beschäftigt, sein Zimmer zurecht zu wachen, daß er Montags früh dasselbe beziehen könnte. – Sein, von seinem Vater verfertigter Schreibetisch[441] und Stuhl wurden gebracht, wie auch ein Koffer, mit seinem Weißzeug und Kleidern, welches, wie er mir sagte, seine Schwestern gern hätten auspacken wollen, aber die Mama habe es nicht erlaubt. – »Es war mir leid; denn meine Schwestern lieben mich, und sie sagten, nun würden sie so nicht mehr die Freude haben für mich zu sorgen; sie wünschten nur, in dem fremden Hause, mir alles so zurechte zu machen, wie ich gewohnt sey und dabey auch meinen neuen Aufenthalt zu sehen. – Die Mama glaubte, es wäre Unbescheidenheit, daß vier Mädchen so in Ihr Haus kämen; denn es würde doch jede betrüben, die zurück bleiben sollte. – Ey! sagten sie alle, die Frau Residentin ist aber so voll Güte, und hat sie nun in den zwey Besuchen selbst Mama geheissen, und uns alle so freundlich eingeladen.« ––


»Das ist wahr, liebe Kinder! Aber wir müssen diese Güte um so weniger mißbrauchen.« ––


»Das erkannten die guten Mädchen auch, und genügten sich also, mir meinen Koffer zu packen. Jede legte, mit Thränen der[442] Freude und Wehmuth das zurecht, was sie für mich gearbeitet hatte, denn ich bekam diese vierzehn Tage über noch Manches aus der Vorrathskammer meiner guten Mutter, und wenn der Segen, den sie mir dabey gab, auf mein Wohlverhalten würkt,« sagte der edle Jüngling, indem er meine Hand nahm und küßte, »so werde ich Ihre und Ihres Gemahls Güte immer verdienen.« –

Ich dachte da auf ein Mittel, den guten Mädchen ihren so billigen Wunsch zu erfüllen, und glücklicherweise gab ein Tadel meines Mannes den Anlaß dazu. Er ging in Ittens Zimmer, fand alles gut, nur die weißen Vorhänge wären zu kurz; – ob ich diesem Fehler nicht noch abhelfen könnte, indem ich andre aufmachte? – das konnt ich nicht, weil ich für den obern Stock noch nicht doppelte Vorhänge habe, aber durch Falbala konnt ich sie verlängern. Die waren aber auch noch nicht gemacht, und wer garnirte mir in einem Nachmittage sechs Vorhänge! Aber, wenn ich nun zu Mama Itten ginge, und sie bäte, mir ihre vier Töchter zu diesem Freundschaftsdienst auf den Nachmittag zu erlauben? –– Ich maß die Weite und Länge,[443] schnitt die Falbala zurecht, legte sie nett zusammen und auf jeden Theil eine Portion Zwirn und die Schnur zum Aufnähen der Falten, stellte vier Stühle in meinem Wohnzimmer in eine Reihe legte auf jeden eine Falbala, auf den fünften aber, der mein war, zwey, sagte niemand nichts und als Cleberg mit Itten, nach dem Mittagsessen, in den Hof und kleinen Hausgarten ging, die Kutschenremise, und die Pferde besah, eilte ich in meinem Hauskleide zu Mama Itten, bat sie um die hülfreiche Hand meiner jungen Freundinn und führte die lieben Mädchen alle viere zugleich über die Strasse in mein Haus. – Die gute Frau willigte so gern in meine Bitte, freute sich, daß sie mir einen Dienst erweisen könne, und daß die Geschicklichkeit der Nadelarbeit ihrer Töchter der erste Anlaß zu einem Ausflug von dem väterlichen Hause wäre. –– Dann gefiel es ihr auch, daß ihre Kinder mit mir gingen und also alle Nachbarn sahen, daß ich sie selbst abgeholt hätte, und das ihnen guten Kindern Ehre machte. – Ich mußte erlauben, daß sie ihre gut genähten Kleider an zogen; sie wollten geschwind fertig seyn, sagten sie. – Ach, wie büpften die guten[444] Geschöpfe so freudig nach ihrer Kammer, und gewiß waren sie bald fertig. –– Auch ihre selbstgeklöppelten Spitzenhauben, die sie aufsetzten, nahmen ihnen nicht viel Zeit weg, denn sie sind nur nach Art französischer runden Schlafhäubchen gemacht, die ganz plat ins Gesicht gehen und breite Bänder umgebunden haben. Sie sahen alle recht lieblich aus, und ich würde mich über diese Reihe Schwestern gefreut haben, wenn sie mein gewesen wären, so wie sie mich als Nachbarinnen freuten. – Ich nahm die zwey Jüngern jede an eine Hand und ging an den Thorweg. Die Mutter folgte die Stiege herunter, schweigend und weinend, mit den zwey Aeltern. –– »Adieu, Mama!« sagt ich, »heut Abend bring ich meine Schwestern wieder; – Wir wollen recht brav und fleißig seyn.« – Sie konnte nichts sagen, als: »Gott segne Euren Ausgang! grüßt doch den Ernst.« ––

Meine Magd hatte an dem Fenster der Gesimstube auf mich gewartet, die Hausthür war also gleich offen, wie wir kamen. Ich verbot, meinem Manne und Herrn Itten etwas zu sagen, und zog mit meinen artigen, schüchternen Mädchen, in mein Zimmer. In[445] der That waren sie alle bebend und schlossen sich an mich, wie junge Küchelgen, die von den Flügeln der Mutter weg sind, etwas Kälte fühlen, und sich an eine andre, freundliche Henne anschmiegen wollen. Sie getrauten sich nicht recht umzuschauen, ungeachtet Neugierde nach dem Aussehen meines Hauses, mit der Freude ihres erfüllten Wunsches, in ihren Gesichtern war. Ich umarmte Alle, und hieß sie willkommen in meinem Hause, und setzte hinzu, ich hoffte sie öfter zu sehen. –

»Wie gütig sind Sie! – ach, das wäre glücklich! – unser guter Ernst hat uns immer schöne Tage gemacht.« – Das sagten sie so in der holden Verwirrung gemeinschaftlichen Vergnügens. – Hannchen sah dann die Stühle. – »Ist dies unsre Arbeit, Frau Residentin?« »Ja, meine Lieben! wollen wir anfangen?« und ich nahm meinen zugeschnittenen Theil. Wie schön war die liebreiche Eile, die sie bezeigten, als jede ihre Zwirnfäden, die ich nur vom Strange geschnitten hatte, um ihren artigen Hals hing, die Leinwand in einer Hand hielt und mit der andern Nadelbüchsgen und Fingerhut suchte; dann sich setzte, und mit so viel Anstand, und[446] Artigkeit sie insgesamt sich fertig machten ihre Aufgabe zu nähen, wie die guten, zum gehorsamen Ton gewöhnte Stimmen, mich fragten, wie breit die Säume seyn sollten; und als ich antwortete, ich hätte den Anfang dazu schon gelegt, –– wie sie da nachsuchten! – ach, Mariane! es war recht viel süsses Andenken meiner wohlverlebten, blühenden Jahren, in alle dem für mich! –– Nun nähten sie alle eifrig, und spannten den Saum über ihre Finger. Das war ungemächlich, und hält sehr im geschwinden Nähen auf. –– Da sagt ich: Wartet, Kinder! dem will ich abhelfen, und stand auf, ging in mein Nebenzimmer und hohlte da ein klein, rund Tischgen, nahm ein Küssen von einem Lehnstuhl und band dies auf dem Tischgen fest. Dann mußten sie sich da umher setzen und jede konnte ihre Arbeit anheften. Dieser Einfall machte den lieben Mädchen Freude, und so nah um mich sitzend, wurden sie trauter und schwazten recht artig mit mir von allerley Arbeiten, nur, wenn sie was gehen oder eine Thür auf- und zumachen hörten, da stuzten sie und wurden etwas roth und unruhig, weil sie natürlicherweise nichts[447] als fremde Gesichter erwarteten, von deren guten oder bösen Gesinnungen sie nichts wußten. Als wir nun so recht im Eifer waren, in die Wette zu arbeiten und ich ihnen mit Fleiß zeigte, daß ich auch einen hohen Werth auf eine geschickte Hand legte, welches ihnen sehr gefiel, weil es den Preis der Ihrige bezeichnete: – Da trappelte es stark im Nebenzimmer. Sie zuckten sich zusammen, und es fehlte wenig, so hätten sie sich auch wie schüchterne Täubchen geduckt. Als die Thür aufgemacht wurde, und Cleberg mit ihrem Bruder herein trat, eh eine von ihnen aufsah, waren sie aus Verlegenheit schon roth und blaß geworden; aber ein Ausruf ihres Bruders: –– »O, meine Schwestern!« – und dann der, von Cleberg, »wie schön ist das meine lieben, lieben Nachbarinnen!« –– brachte sie gleich in Ruhe und zum Ausdruck der reinsten Herzensfreunde, mit ihrem Bruder und Freunden zu seyn. – die zwey artigen jungen Männer gingen rings um unser Tischgen, betrachteten es, und die jungen Frauenzimmer hatten nun Muth genug zu sprechen und zu erzählen, daß dieses Nähküssen von meiner Erfindung sey; daß ich sie selbst geholt hätte[448] und so weiter. – Itten war entzückt, das sah ich, und Cleberg ging nach einigem Scherzen von uns. – Eine Viertelstunde nachher kamen Otto und Linke, staunten auch an der Thür über den Anblick, kamen aber mit ihrer gewöhnlichen ehrerbietigen Miene zu mir, machten den Frauenzimmern eine Verbeugung, die sie mit dem liebenswürdigsten Anstande, aber vielem Erröthen erwiederten. Linke umarmte Itten, als ich ihnen die Frauenzimmer genannt hatte, und wünschte ihm Glück, ihr Bruder zu seyn. Hannchen senkte da ihren Kopf tiefer gegen ihre Arbeit und sah eifriger darauf als vorher, hingegen Linke, auch mehr auf sie, als ihre Schwestern. Die drey Männer stellten sich dann in eine Ecke des Zimmers, wo Itten mit überfliessender Dankbarkeit von mir, und Liebe von seinen Schwestern sprach. – Aber, eh wir es uns versahen. kam Cleberg, machte beyde Flügel der Thüre auf, und hatte Herrn und Frau Itten an den Händen. »Da sehen Sie, was meine Frau mit Ihren Töchtern macht.« –– Ach, was Freude bey Vater, Mutter und Kinder! – Der Sohn Heinrich und auch Reinhold kamen nach. Cleberg bemerkte daß[449] Frau Itten sorgsam nach Ott und Linke sahe. Da nahm er diese Beyden und sagte: »Herr Rath! Frau Räthin! – dieses sind meine verdienstvollen, werthen Freunde, Otte, und Linke, die auch Freunde meines jungen Herrn Itten sind, und sich gewiß freuen, durch mich eine der schäzbarsten Familien unsrer Stadt kennen zu lernen;« und zu diesen sagte er: »Dies sind die vortrefflichen Eltern und Kinder Itten, die bisher, wie ein durch ihren Anherrn vergrabner Schatz, in dem alten Familienhaufe wohnten, bis mir der Himmel das Glück schenkte, sie zu entdecken.« – Frau Itten dankte durch eine Verbeugung; aber es freute sie, daß mit so viel Achtung von ihnen Allen gesprochen wurde, und er sagte, daß er die beyden Herren auf dem Kaffeehause hätte kennen lernen und sie immer sehr höflich gegen ihn gewesen wären. – Cleberg nahm mich dann bey Seite: »Salie! ich habe heute früh meinen erpressen Bothen vom Oheim zurück bekommen. Ernst wird in zwey Jahren Unteramtmann zu Langensee, und Heinrich kommt ins Stipendium. Ich will Alle beym Nachtessen haben, und Deine Köchin weiß schon was; rede[450] nun noch das Uebrige mit ihr ab. – Bey den Ittens dürfen wir so nichts Kostbares haben.« ––

Der liebe, rasche Mann hätte mich bald für Freude krank gemacht. Er war mir so werth, daß er die Sache der Itten so betrieben und ausgeführt hatte. –– Da mußten nun die Eltern an unsere Redlichkeit glauben; Denn einsame Menschen, die sich aus Schmerz und Mangel abgesondert haben, sind gegen die Versprechen der Glücklichen so mißtrauisch, und dann hatte ich auch gefürchtet, daß Clebergs Eifer erkalten möchte, und daß er mit dem Stipendio zu viel gesprochen hätte. – Das war nun alles wie es mein Herz wünschen konnte. Ich ging durch eine Seitenthüre zu meiner Köchin, ordnete noch alles an, gab Weißzeug und etwas Confect her, und kam wieder, da die guten Mädchen schon meine Arbeit genommen hatten und fertig machten, indem die Aeltere ausserordentlich geschwind nähet. – Wir kamen mir Falten und Allem noch zurecht, und Cleberg, der die Herren alle in einem Nebenzimmer unterhielt, hatte mit ihnen vielen Spaß. Als ich nun oben in Ittens Zimmer die Falbala an die[451] Vorhänge zu nähen, mit meinen artigen Arbeiterinnen aus meinem Zimmer daher zog; ich, mit einem Licht voran, und eine Falbala am Arm; dann Hannchen Itten mit ihrer Arbeit; Caroline, die wieder ein Licht hatte, Dorchen keins, aber Marie wieder. Wir hatten uns zusammen beredt, daß Keine von uns nach den Mannsleuten sehen und wir unsern Gang ganz gerade nach Ittens Zimmer nehmen wollten. Das geschah auch, und unsere Mama mußte auch über unsern Ernst lachen. Sie liessen uns ziehen: aber, als wir nun oben Jede an einem Vorhange sassen, die ich nicht abgenommen hatte, und immer Zwey an einem Fenster und bey einem Lichte geschäftig nähten, kamen die Männer mit Cleberg und der Mama nach, hatten Alle an der drolligen Art dieser Arbeit eine Freude und wollten endlich uns auch helfen. Weil es wieder mit dem Anheften beschwerlich ging, so boten sie sich zum Halten an. Ernst Itten kam so bescheiden zu mir, daß ich ihm gleich anwies, wie er den Vorhang halten sollte. Hannchen war neben mir am nehmlichen Fenster, und Linke bat sie, in einem ehrerbietigen Ton, ihm zu erlauben, ihr zu helfen. Die[452] Einwilligung, die sie mit einem Anmuthsvollen Nicken ihres schönen Kopfes gab, war sehr reitzend. Sie sah Linken nicht an, er hingegen blickte voll Glück und Liebe nach ihr hin. Cleberg und Otte hatten sich zu Caroline und Dorchen gesetzt, und die kleine muntre Marie hatte ihre Mutter, und ihre zwey jüngern Brüder zu Gehülfen bekommen. Der gute Vater Itten ging von einem Fenster zum andern und spaßte über unsre sonderbare Nähtherey. – Als wir nun, abgeredter maßen, einander zuriefen, ob wir fertig wären, denn es durfte Keine vor der Andern aufstehen, da fehlte es noch bey Marien, die im innern Zimmerchen war; und Hannchen bat mich um Erlaubniß, ihr zu helfen. Ich ließ sie gehen. Sie machte Linken ein so artig Compliment für seine Mühe. daß er aus Vergnügen darüber, und tausend andern Gefühlen, nicht halb so klug aussah, als Hannchen. – Cleberg bat dann den Vater, die Mutter und zwey ältere Söhne, mit ihm zu kommen, wo er ihnen dann die fürstlichen Dekrete zustelte und sie bat, mit ihrer Familie bey uns die Abendsuppe zu essen, aber ja keinen Dank oder sonst etwas davon zu sagen; und als sie Alle[453] so von Ausdrücken der Bewunderung und Freude überflossen, verließ er sie, weil er die gute Julie Otte holen wollte um mit ihrem Mann bey uns zu seyn. – Was war das für ein seliger Abend! wie theuer, wie werth war mir mein Mann! Er setzte sich bey Frau Itten und Mariechen; ich hatte den Vater und Reinholden zu mir genommen, Julie saß zwischen Ernst und Heinrich; Ott und Linke besorgten Hannchen und Caroline; Dorchen und die Jüngste waren auch bey Cleberg. – Der Vater weidete sich an der zufriedenen Miene seiner Kinder, und die Mutter sah, bald sorglich, bald fröhlich, auf sie umher, betrachtete aber auch mein Tischzeug, die Speisen, mein Vorlegen; winkte bald der einen, bald der andern Tochter mit den Augen, auf mich, oder Julien zu sehen. – Und mit wie viel Mutterfreude und Liebe sah sie ihren Ernst und ihren Heinrich an! – Sie und ihr Mann müssen sehr schön gewesen seyn. Aber man kann von ihr doch sagen, das salzige Thränen ihre Wangen verzehrt haben; denn sie ist sehr hager und blaß. – Alle gingen glücklich nach Haus, und Ernst, der sie heim begleitete kam mit Segen für ihn und uns zurück.[454]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 435-455.
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