Zwey und neunzigster Brief

Rosalia an Mariane S**.

[455] Mein Oheim ist mit Clebergen, wegen dessen, was er ihm von den Ittens schrieb, und für sie zu thun wünschte, ausserordentlich zufrieden, und dankt dem Himmel, daß er sich, in Beurtheilung seines Charakters, nicht betrogen habe; freut sich auch, daß unser Hof jetzo einen Minister hat, der sich nicht zu groß dünkt, eine Familiengeschichte anzuhören, die, ob sie schon nur den kleinen Zirkel eines alten Privathauses betrift, dennoch der Menschheit Ehre macht.

»Unserm edlen Minister von H**,« sagt mein Oheim, »der mit philosophischen Geiste Menschen und Staaten durchdenkt, nur Wahrheit und Natur würklich schätzt und liebt, und bey dem das, was er an sich selbst am meisten achtet, nicht das Zufällige seiner adelichen Geburt und nicht die Ehrenstellen sind, die er bekleidet, sondern das, was er sich durch unermüdeten Fleiß an[455] Kenntnissen erwarb; und sein moralischer Charakter, den alle aufgeklärte und edel gesinnte Menschen äusserst in ihm verehren; der mit sanftem Eifer und stiller Größe, Gutes zu würken sucht und die erste Freude seiner Ministerstelle und seines Ansehens in dem Augenblick fühlte, da er einem rechtschaffnen, mit großen Fähigkeiten begabten, aber nicht genug bekannten Manne die beste Stelle verschafte, und seine zweyte Freude von dem Tag an zeichnet, wo der Unterricht der Jugend unter seiner Anordnung und Vorschrift sich gründete und glücklich fortgeht: – Diesen Minister konnt ich, schreibt er, auf einem Spaziergange, wo er Einfalt, Schönheit und Güte der Natur mit so viel Einsicht und Empfindung bewunderte, mit einem fleißigen Bauer so liebreich sprach, am Ende des Lobes, welches er dem Ackersmanne und nach diesem allen Privattugenden gab, von der ausübenden Tugend meines Neffen und seiner Nachbarn reden; – war sicher, daß ich mit Vergnügen angehört und in meinem Gesuch unterstützt wurde. –– Ach, möge der vortrefliche Fürst, den Gott uns gab, ja niemals Rathschläge hören, und ihm keine[456] annehmlich vorgetragen werden, als die aus einer so reinen, Menschen und Gerechtigkeit liebenden Quelle kommen! –– Schreiben Sie ihrem neuen Neffen,« sagte er mir, »daß er fortfahren soll, in Ihre Fußstapfen zu treten, und daß ich ihm viel mehr danken und ihn ehren werde, wenn er mir verborgenes Gute zu belohnen zeigt, als wenn er den Fehlern und Schwachheiten der armen Menschen nachspürte und sich dadurch ein Verdienst machen wollte.« ––

Ist dieser Zug allein nicht hinreichend, Ihnen, meine Mariane die größte Hochachtung für unsern Minister einzuflössen! – Aber niemals vergiebt er Fehler gegen die Rechtschaffenheit und Pflichten eines Amts; und das schätzt mein Oheim sehr. ––

Meine Liebe! – wie sonderbar ist dies! – vor zwey Tagen erhielt ich den Brief meines Oheims, aus welchem ich Ihnen heute früh obige Auszüge machte; und diesen Abend kam er selbst, und kündigte mir und Cleberg an, daß wir mit ihm auf acht Tage nach der Residenzstadt unsers Fürsten reisen müßten. – Ach, wie ungern thu ich das! – Frau G**, die mit uns zu Nacht speißte, macht mir[457] noch dabey über die Besuche bange, die ich bey dortigen adelichen Damen werde ablegen müssen. – Die böse Frau verderbt mir damit meinen Schlaf, denn ich habe dies noch geschrieben eh Cleberg von dem Zimmer meines Oheims kam. – Aber jetzt gute Nacht! –

Und heute, nur eiligen guten Abend bis aufs Wiederkommen. – Adieu sagte ich diesen Morgen auch ganz kurz. Ich mußte meine zehn schöne Putzsachen einpaken lassen, und nun früh schlafen gehen, daß wir bey anbrechenden Tage auf dem Wege seyn können. Sie sollen bey meiner Zurückkunft hören, ob ich eben so von unserm Minister denke, wie mein Oheim. ––


Montags; gerade vierzehn Tage nach unserer Abreise, ganz ausgeruht und nachgedacht.

Da bin ich wieder! mit neuen Ideen bereichert, im alten Guten bestärkt, und von Vorurtheilen befreyet, die man mir mitgegeben hatte. ––

Schöner kann beynah keine Lage seyn, als die Lage der Stadt C**, an dem Zusammenfluß zwey schiffreicher Ströme, der R**[458] und der M**. – Weinberge auf einer, Kornfelder, Wiesen, Obst- und Nußbäume auf der andern Seite; die Festung an einem, die Stadt an dem andern Ufer; – nahe und entfernte Gebürge, und dann die reizende Fläche, durch welche man, von dem Festungsberge, den R** hinfliessen sieht. ––

Ich habe unsern Fürsten und Ihre Hoheit, Seine Prinzeßinn Schwester, selbst gesehen und gesprochen. Wie viele Leutseligkeit und Herablassung wohnt neben Größe der Geburt und Tugenden, in ihnen! Es geht mir auch, wie meinem Oheim. Möge doch ihnen Beyden nichts als reine Wahrheit, Treue, Verdienst und ehrerbietige Liebe sich nähern! – weil, wie man sagt, die besten Fürsten sehr oft von feinen, bösen und eigennützigen Menschen umgeben sind, die ihre Güte mißbrauchen. ––

Die zwey Damen der Fürstinn sind sehr verehrungswürdig und vereinigen alle Eigenschaften in sich, die von rechtswegen Adeliche immer besitzen sollten, weil sie, nach der Ordnung der sittlichen Welt, die tägliche Gesellschaft der Fürsten sind, und freymüthig mit ihnen sprechen können. – O, wie innig heftete[459] sich mein ganzes Herz an den edlen, starken Charakter, voll Klugheit und Güte, welcher die Hofdame von N – d – f, unschätzbar macht. ––

Cleberg ist von dem Minister ganz und gar eingenommen, – nicht allein wegen der besondern Achtung welche er ihm bewieß, sondern wegen der vielen Wissenschaften, wegen seines Geschmacks an schönen Künsten, und weil er sehr vergnügt schien, mit einem Menschen zu sprechen, der auch nützlich gereist war, und Kenntniß und Freude bey seiner schönen Büchersammlung bezeigte. Bey dem Gegenbesuch den er bey meinem Mann und Oheim ablegte, sah ich ihn auch, voll Ernst und Würde in seinem Bezeigen und seiner edeln Gestalt. Diese Würde war auch in seiner Höflichkeit gegen mich; sie begleitete seine Bescheidenheit, und jede Unterredung. –– Als er weg war, fragten mein Mann und Oheim mich, wie er mir gefallen hatte? – Ich sprach in einem sehr lebhaften Ton der Verehrung von ihm. – »Aber er ist ja gar nicht galant,« sagte Cleberg, »und Du bist doch so ein schönes junges Weib.«[460]

»Pfui!« sagt ich, – »ein Mann, wie dieser, galante Sachen sagen! – das wäre ja ärgerlich. Ich möchte ihn gleich die Hälfte seiner Verdienste berauben können, wenn er den Galanten machen wollte. Dies soll er den Kammerherren und Kammerjunkern überlassen; so wie sie ihm Weisheit und Arbeit, Ruhm und Sorgen seines Platzes überlassen müssen.« ––

»Aber, wenn er nun nicht höflich gegen Dich gewesen wäre, was würdest Du gesagt haben?« sprach mein Oheim. ––

»Ey. Höflichkeit und das, was man galant nennt, ist weit verschieden. Ich habe an seinen Blicken bemerkt, daß er mich, auch so gar meiner eignen Person wegen, seiner Achtung würdig hielt. Diese flüchtigen Blicke, in denen er den Kenner des Schönen und Artigen zeigte, ohne seine edle Kälte dabey zu verlieren, waren meiner feinen Eigenliebe viel schmeichelhafter, als wenn er mir schöne Tändeleyen gesagt hätte, die, unter uns sey es bemerkt, noch keinem einzigen Menschen einen Funken Ruhm erwarben, und auch keinen besondern Aufwand von Geist erfordern; sonst würdet Ihr Männer[461] diesem Euren Talent schon längst einen Lorberkranz geflochten haben. Aber noch nie hab ich einen Mann von Gefühl und Geist am Ende der Beschreibung des wahren männlichen Verdiensts, wie Sie Beyde den Minister mir mahlten, in einem Ton der Verehrung sagen hören; er ist auch sehr galant bey Damen, weiß ihnen so gut, als irgend ein artiger Mensch, schöne Sachen zu sagen. – Wenn sie so was von diesem Manne wissen, so erzählen Sie mir es ganz geschwind, damit ich meine Seele nicht zu sehr mit Verehrung überlade. – Es schadet mir zwar so nichts; er gehört in eine andre Welt, als ich, – und da mag er galant seyn, so viel ihm gut dünkt.« ––

Cleberg und mein Oheim lachten herzlich über mich. »Aber Rosalia!« sagte mein Oheim, »Cleberg suchte doch auch artig um Dich zu seyn und schöne Sachen zu sagen. Warum äussertest Du diesen Widerwillen nicht auch gegen ihn?«

»Ich weiß nicht mein Onkel, ob es edler Stolz seiner Seele, oder feine Kenntniß meines Charakters war, was ihn verhinderte, meine Achtung und meine Liebe mit dieser[462] Alltagskunst zu gewinnen. Denn er sagte mir wenig, war auch mit Andern nicht galant, und das Wenige, so er nach langem Schweigen sagte, war ernsthaft, aber so ganz für mich, für mein Herz gesagt, daß er mich glücklich, und sich auf ewig beliebt machte.« ––

Cleberg umarmte mich. »Meine liebe, sonderbare Rosalia! sieh ich will Dir was bekennen. Schon vier Jahr liebst Du mich; – Du bist nun mein! Aber Deine Hochachtung für meinen Charakter und meine Denkungsart, ist mir so werth, daß ich untröstlich wäre, wenn ich diese Gesinnung in Deinem Kopf und Herzen vermindert sehen sollte. Denn unsre Verömdung soll in Nichts den Gang der Leute nehmen, die Du Alltagsleute nennst. – Du bist kein Alltagsweib, und ich schmeichle mir, auch eine gleiche Ausnahme unter jungen Männern zu verdienen; so wie ich sicher bin, immer süsses, wahres Glück des vernünftigen Mannes, in meinem Leben mit dir zu genüssen, wenn auch schon diese reizenden Wangen welkend, Dein Auge matt und die schönen kastanienbraunen Haare silberfarb seyn werden. Laß mich nur immer[463] der einzige Vorgezogne in Deiner Seele seyn. Ich kann auch keine Alltagsliebe, und Alltagshochachtung leiden.« ––

Er wandte sich gegen meinen Oheim und faßte eine seiner Hände, während er mich mit einem Arm umschlungen hielt. »O, mein Oheim! Ehrenstellen und Vermögen, die ich durch Sie erhalten habe, sind der geringste Theil meines Glücks. Aber Wahrheit und Stärke Ihrer Seele, die Sie in Rosalien, neben weiblicher Feinheit des Gefühls, und zärtlicher Liebe pflanzen konnten, – das, das macht mich selig.« ––

Sagen Sie, liebe Mariane! war das nicht eine schöne Stunde meines Lebens, die mir allein meine Reise nach C** auf ewig werth machen muß? ––

Ich machte bey allen Damen Besuche, und habe es gestern bey Mademoisell Bogen in zahlreicher Gesellschaft erzählt. Alle, Alle haben mir auf das gütigste begegnet, mir meinen Besuch erwiedert; eben so, wie Frauenzimmer meines Standes mir viele Höflichkeit und Begierde nach meiner längern Bekanntschaft zeigten. Da waren nun bey den Bogens einige Personen die mir sagten: ––[464] »ja, das ließe sich von den Damen sagen, weil sie mich nicht lange gesehn hätten; denn sonst würden sie mir auch die Geringschätzung haben fühlen lassen, die sie gegen Leute der übrigen Klassen hätten.«

»Wir wollen billig seyn,« sagte ich. »Wenn wir nun in einer Gesellschaft sind, wie diese hier, würden wir es gerne haben, daß sich Leute von andern unter uns stehenden Klassen zu uns drängten? würden wir nicht auch näher zusammen rucken, um unsre Plätze unvermischt zu erhalten? – Ich für meinen Theil habe gar nichts gegen die eingeführte Rangordnung zu sagen, und bin aus Erfahrung überzeugt, wenn man dem Adel seine gerechten Vorzüge läßt, und zeiget, daß man sie erkennt, und von ihm nicht mehr fordert, als uns gebühret: so ist er gewiß auch gegen uns gesinnt, wie es Klugheit und Billigkeit wollen. Unser Spotten und Tadeln ihres Stolzes ist lächerlich und fließt auch aus übertriebnem Hochmuth. – Natürlicher Weise faßt der Stand des Adels, so wenig als andre lauter verdienstvolle Personen in sich; aber ich kenne Viele? die in Wahrheit den Adel der Seele mit dem Adel ihres[465] Namen vereinigen, und die ich mein ganzes Leben äusserst verehren werde.« ––

Vielleicht, meine Mariane, hab ich zu lebhaft widersprochen. Aber ich kann nichts Unrechtes, und nichts niederträchtig Hoffärtiges leiden. Es ist in Wahrheit unbillig, wenn wir zu sehr auf den Ahnenstolz losziehen. Denn sagen Sie, ist nicht eine ganze Nation auf den Namen und Ruhm eines Mannes stolz, der in Wissenschaften oder großen Thaten sich vorzüglich merkwürdig machte? – Ist nicht die Privatfamilie stolz, in deren Schoos er erzeugt wurde? – Nun so geht es denen, die seit Jahrhunderten den Namen eines ruhmwürdigen oder mächtigen Mannes führen. Daß sie manchmal dieses Gefühl übertreiben, ist wahr und empfindlich; aber wann, in was, ist jemals eine Leidenschaft im Gleichmaaße geblieben? ––


Hier, meine theure Freundinn! wieder ein Blätgen mehr, und einen Tag weiter. Wenn es so fortgeht, so muß ich Ihnen in Zukunft nur halbe Briefe schicken, oder alle Vierteljahr[466] ein Tagebuch, und indessen nur dann und wann eine Zeile mit der Nachricht meines Wohlseyns; wie ich es mit der van Guden mache, bis ich ihr, nach unsrer Verabredung, immer von Zeit zu Zeit vier oder sechs von den Briefen mittheilen kann, die ich Ihnen schrieb und die Sie mir wieder leihen wollen. ––

Dieser hier, ist von Cleberg gelesen worden. Er kam freundlich, aber zu einer mir unverhoften Stunde, in mein Zimmer, fragte, an wen ich schriebe? Ich sagt es. Er bat mich, ihm etwas davon zu lesen; ich that es. Er schien zufrieden, hielt sich aber besonders bey dem Zuge auf wo von Alltagsleuten gesprochen wird. – Ich fragte ihn da, ob es ihm Ernst gewesen, als er mich versicherte, daß ihm meine Hochachtung eben so werth sey, als die von Fremden oder von einem Manne? »ja meine Liebe! sie ist es mir in Allem, was edles und feines Gefühl der Seele betrifft; weil Du von Allem, was menschliche Gesinnungen angeht, große und richtige Begriffe hast, und weil ich, in meiner Klasse, einer der besten Menschen seyn möchte, und Du, als die nächste Zeuginn meines Lebens, mich durch Beyfall belohnen, oder durch eine[467] liebreiche Erinnerung auf dem edlen Weg erhalten kannst, den ich wandeln will.« –

Ich war gerührt, erstaunt und glücklich, alles zugleich; nahm seine Hand, die eine der Meinigen hielt, druckte sie mit beyden Händen an meine Brust, sah mit Zärtlichkeit ihn an: »Theurer Mann! Du heiligest den Werth, den, ich gesteh es Dir, meine Eigenliebe auf mein Herz und auf meinen Kopf gelegt hatte. Ich darf also Dich beobachten, Dir Freude zeigen, wenn ich Gedanken und Handlungen von Dir sehe, die den edlen, rechtschaffenen Mann bezeichnen, wenn ja Feuer des männlichen Charakters in gewißen Anlässen Dich zu einer Heftigkeit führte, die Deiner unwerth seyn könnte. – Mein Cleberg hat also die kleine, niedrige Besorgniß nicht, daß feine beste Freundinn stolz werden, oder sich in Etwas über ihn erheben möchte, wenn er ihr manchmal eine Bitte für sein Wohl und seine Ruhe zugestünde.« –

»Salie! diese Besorgniß könnte nur ein Mann haben, dessen Seele durch Eitelkeit, und Eigendünkel so eingeschränkt und verblendet wäre, zu glauben, daß er niemals fehlen könne; und dieser Mensch würde[468] auch von den größten und weisesten Mann nichts annehmen. Ich will Dir aber auch weisen, daß mein Vertrauen in Deine Einsichten nicht ohne Gränzen ist. Denn in Allem, was jemals Ausrichtung der Pflichten meines Amts betreffen kann, werd ich weder Dich, noch irgend ein andres Weib anhören. Aber in Ansehung der Verhältniße mit andern Menschen und des Einflusses, den kleine Sachen haben können, da sollen mir Deine Vorstellungen und Vermuthungen willkommen seyn. Ich wäre ja elend, wenn ich Mißtrauen in die Absichten Deines Herzens setzen sollte; – des Herzens, das mit all seiner Zärtlichkeit sich mir eigen gab. Nein! ich will den schönen Stolz, der in Dir Achtung fodert, weil er Achtung verdient, nicht verletzen; und auch darinn niemals kein Alltagsehmann werden, dem lieben Geschöpfe, das ich wählte, und das, mit Vertrauen auf mein Herz, mein Eigenthum wurde, mit Geringschätzung zu begegnen, wenn ich nun so die Blüthe von Schönheit und Freude genossen haben würde. –– das soll nicht seyn, meine Salie! und ich will auch von Dir immer verdienen, daß[469] Du Alles, was ich an Dir liebte, und was mir mein Glück versicherte, sorgfältig erhalten und vervollkommnen sollst.« ––

»Das will ich, bester Mann! Sage mir nur, was Dir angenehm ist.« ––

»Noch Alles, in Allem,« – sagte er lächelnd, indem er mich vom Kopf bis zu den Füssen beschaute; und dann zu Otten ging, den er mit Julien zum Abendessen brachte. – Dünkt es Sie nicht, daß auf diese Art das Glück meines Lebens dauerhaft seyn wird? Ich will schön, recht schön auf kleine Sachen Achtung geben, nie keine rügen, die sich nur auf mich beziehen, nur mir empfindlich wären; –– sondern bloß, was Andre, und die Ruhe und den Ruhm von Clebergen angehen kann, keine von meinen Pflichten versäumen, und, wie mich die van Guden schon belehrte, immer in meinem Hause am liebenswürdigsten seyn. –

Es freut mich, daß der Ton meines Hauses Fremden und Einheimischen gefällt, und daß man zufrieden ist, alle Nachmittage bey uns wohl aufgenommen zu seyn und gute Gesellschaft zu finden, ohne von mir eine ängstliche Erwiederung der Besuche zu fodern. – Die Ittenschen Töchter kommen nun wechselweis[470] alle Tage Eine in mein Haus, arbeiten und eßen bey mir; so wie auch die Töchter des Geheimenraths von E** und B**, lauter artige, tugendvolle Mädchen. Mein Cleberg hat würklich einen herrlichen Gedanken gefaßt und will, auf meine Bitte, unter seinem Büchervorrath eine Auswahl machen und sie uns zum Lesen geben, so daß, wenn die Andern arbeiten, Eine von ihnen liest; und ich junge Sibylle, sagt er, solle dann, nach meinem Mehrwissen, mit ihnen darüber sprechen. Auch will er manchmal kommen und was vorlesen oder erzählen, von dem, wies junge Männer bey einem Frauenzimmer anzutreffen wünschen, die sie zu ihrer Freundinn, Gattinn und Mutter ihrer Kinder haben möchten. »Denn, sezte er hinzu, ich bin nun verheyrather, und kann etwas von unsern Männergeheimnissen bey den liebenswürdigen Freundinnen meiner Rosalia entdecken. – Wir sagen uns manchmal, wenn wir einen Kreis blühender Schönen beysammen sehen, und all ihre Reitze und Annehmlichkeiten in Person und Bezeigen bemerken: Das thun sie für uns! – sie folgen den geheimen Befehlen der Natur, welche von ihnen will,[471] daß sie uns zu gefallen suchen sollen; so wie uns von ihr leise zugeflüstert wird, daß wir allein in ihnen das süsseste Glück finden werden. Aber, setzen wir dann hinzu, die guten Kinder wissen doch nicht Alles, was uns freut. Schön, artig, witzig, ist etwas, so wir nicht entbehren möchten; aber wahre Güte, wirthschaftliche Kenntnisse, und Geschmack an vernünftigen, edlen Dingen, mit denen wir uns gern beschäftigen, – das ist Grundlage unsers daurenden Wohls.« ––

Er mischte eine Menge schmeichelhafte Sachen für sie alle darunter, und die muntere junge Louise L** forderte ihn auf, ihr allerseitiger Lehrmeister zu seyn. Sie verspreche für sich und ihre Gesellschafterinnen viele Aufmerksamkeit und Folgsamkeit; aber er solle auch für die edlere Bildung der jungen Mannsleute sorgen, damit sie artige Mädchen auch liebenswerthe Bewundrer haben möchten. Sie wolle ihm auch hie und da erzehlen, was gute Frauenzimmer zu wünschen hätten, damit sie ihre künftigen Herren Meister ihren Söhnen mit gutem Gewissen zum Beyspiel anpreisen und den Gehorsam mit Hochachtung verbinden könnten. Sie hätten sich ohnehin Alle[472] vorgenommen, ihn und mich zu beobachten, um ein Muster von Verdiensten, und von dem Glück eines Frauenzimmers zu nehmen. –

»Sie geben mir und Rosalien eine schöne Rolle! – Salie! Du bist die Tugend, und ich, das Glück, so Dich belohnt!«

»O, die hochmüthigen Männer die! – Glück der weiblichen Tugend zu seyn!« – sagte Frau G**, »Wäre dies nur immer wahr! – aber Ihr seyd so oft nichts, als Uebung- und Zuchtmeister dieser Tugend!«

Cleberg floh hier aus dem Zimmer, mit einer Bewegung von Angst gegen Frau G**. Adieu, beste Mariane, adieu. ––[473]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 455-474.
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