Siebenter Auftritt

[66] Kabinett des Kardinal-Legaten im andern Flügel der Burg. Aus einem Seitengemach treten der Kardinal-Legat und der Erzbischof.


ERZBISCHOF RICHARD.

So trug sich's zu, wie ich Euch hab erzählt.

LEGAT.

Bedenklich, höchst bedenklich! – Und der Ausgang

Des Zwiegesprächs, Ew. Liebden kennt ihn nicht?

ERZBISCHOF.

Ich ging, als Karl erschien. Doch hinter mir

Sah ich Hans Renner auch den Saal verlassen.

Selbst der Minister schien zur Überlast,

Und ganz allein wollt' Karl mit ihm verhandeln.

LEGAT.

Seltsam! – Doch was sie auch verhandelten

Und wie sich's endete – ein Dorn ist uns

Der Mann – der Hasser Roms, der Freund von Hutten,

Der Schutz Reuchlins –

ERZBISCHOF.

Und Luthers beste Stütze!

Des Adels Seele, der sich um ihn schart,

Den mit dem eignen Geiste er durchdringt

Und uns bereits zum Feinde umgewandelt.[66]

LEGAT.

Es gilt ihn auszureuten, diesen Dorn.

ERZBISCHOF.

Ja, reutet nur, Herr Kardinal! Er wird

Die Finger Euch gar unsanft blutig stechen.

LEGAT.

Was hat Ew. Liebden vor? Sagt's grad heraus.

– Ich weiß, habt Ihr Gefahr einmal erkannt,

Sinnt Ihr sofort, sie auch zu bändigen.

ERZBISCHOF.

Am Sinnen liegt's auch nicht. Ich sann schon lange.

Heut war der Zufall mir um etwas günst'ger;

Ist es nicht viel, ist's doch ein Hoffnungskeim.

Jedoch sprecht Ihr zuvor: könnt Ihr den Kaiser nicht

Erregen wider Franz?

LEGAT.

Zum Angriff ihn

Auf Sickingen bestimmen? Ganz unmöglich!

Zu tief steht er in des Franziskus Schuld,

Ist noch zu jung, dies gänzlich zu verachten!

– Jedoch – wenn andere den Ritter überziehn,

In böse Händel ihn verwickeln, könnt' ich

Vielleicht – vielleicht, sag ich, Herr Erzbischof –

Zum ruh'gen Gehenlassen ihn vermögen.

ERZBISCHOF achselzuckend.

Wenn Ihr nicht weiter seid, dann müssen wir noch lang

Ertragen die Gefahr, die uns bedroht!

So lang vielleicht, bis ganz versäumt die Stunde,

Da wir sie etwa meistern noch gekonnt.

LEGAT.

Jedoch Ew. Liebden sprach soeben selbst

Von eines Zufalls Gunst?

ERZBISCHOF.

Ich nützte sie

Soweit es ging! Ihr wißt, mit welchen Augen

Gerechter Furcht und Sorge lange schon

Der Fürsten Mehrzahl auf Franziskus blickt.

Der Pfälzer nur hing fest an ihm, und freilich

Hat er der Gründe viel, ihm Dank zu wissen.

Nun seht, hierin war mir der Zufall günstig heut.

Es war ein harter Strauß – doch endlich wich er

Der Furcht, die ich in ihm heraufbeschwor,

Und seines Standes fürstlichem Intresse.

Drei Fürsten haben wir, der Pfälzer, ich

Und Hessens Philipp, heut den Bund geschlossen –

LEGAT rasch einfallend.

Bund wider Sickingen?

ERZBISCHOF.

So ist sein Name nicht,[67]

Doch so sein Sinn; dem Schein nach haben wir

Ein altes Bündnis nur erneut, das früher schon

Von Hessen, Trier und Pfalz errichtet ward,

Ein Schutzbündnis, das jeden von uns dreien

Nicht nur zu stetem Schirm dem anderen verpflichtet,

Sondern, bis alle eingewilligt, auch

Am Friedensschluß ihn hindert.

LEGAT mit Bedeutung.

Ich verstehe!

ERZBISCHOF.

Und dieses ist mein Sinn! Was Franz auch unternimmt,

Ich werfe mich in seinen Weg und mit mir

Der dreien Fürstentümer ein'ge Macht.

So glückt es uns vielleicht, Gefahr zu mindern,

Eh' sie zum Abgrund wird, der uns verschlingt.

LEGAT.

Gar große Zeitung kündet mir Ew. Liebden,

Und folgenschwere Frucht kann sich gar leicht

Entwinden ihrem Schoß.

ERZBISCHOF.

In also böser Zeit

Nimmt man das Kleinre selbst wie Großes auf

Und schätzt gleich Hülfe – schwachen Hoffnungsstrahl.

LEGAT.

Wohl habt Ihr Recht! Wohl ist es böse Zeit.

Nie war der Kirche Wohl so sehr bedroht,

Nie war sie selbst in ihren tiefsten Festen

So sehr gefährdet, Herr, wie eben jetzt.

Was diesen Tagen sich entwinden wird,

Die Frucht, zu der der Same jetzt gestreut –

Sie droht der Kirche ihren Untergang!

ERZBISCHOF.

Wem sagt Ihr das! 'nem Manne, dessen Haar

Grau färbte dieser letzten Jahre Lauf!

Auch braucht sich's nicht mehr zu entwinden erst, zu reifen –

Es steht gereift in voller Stärke da!

Wenn dieser Luther weiter um sich greift,

Wenn schneller Sturz ihn eilends nicht verschlingt –

So sinkt der Bau des Vatikans in Trümmer!

LEGAT.

Der Luther ist's, der also Euch beängstet?

ERZBISCHOF.

Wer sonst? Wen anders könnt Ihr selber meinen

Als diesen Dämon, der nun seit vier Jahren

Mit immer kühnrem Angriff uns bedrängt,

Das Reich verwirrt, in unsern eignen Reihn,[68]

In jedem Stand sich Freund und Anhang zeugt,

Vier Jahre schon und ungestraft bis heut!

LEGAT.

Sorgt nicht! Luther soll untergehn. Er soll

Und muß es – doch die wirkliche Gefahr

Stammt nicht von ihm und stirbt mit ihm nicht ab.

ERZBISCHOF.

O unterschätzt ihn nicht! Täuscht Euch nicht selbst.

Es handelt sich diesmal um keine Häresie,

Es gilt diesmal nicht einen Arnold bloß,

Einen Savonarola zu bekämpfen!

Der deutsche Geist steht wider uns in Waffen –

Sein Fahnenträger kämpft der Luther vor!

LEGAT.

Ich schätz ihn, wie Ihr sagt. Doch seh ich die Gefahr

So nahe nicht wie Ew. Liebden – wenn vielleicht

Auch um so größer nur. – Euch schreckt die Ungewißheit,

Ob Karl für uns Partei ergreifen wird.

So mancher Fürsten und des Adels Neigung

Zu Luther ängstigt Euch! Ihr überseht,

Daß unsre beste Macht im Herz der Völker wurzelt.

ERZBISCHOF.

Da eben ist es, wo er sie bedroht!

LEGAT.

Ihm ist's, sie zu entwurzeln, nicht gegeben.

Was ein Jahrtausend brauchte, still sich zu verbreiten,

Fest zu verwachsen mit des Menschen Geist,

Mit seinem Denken, Fühlen, der Gewohnheit

Leis unbewußter Regung zu verwachsen –

Meint Ihr, daß wirklich dies erliegen werde

Der neuen, in sich selbst gespaltnen Lehre,

Die prüfend glauben, glaubend prüfen will?

Die auf des Geistes Zeugnis sich beruft

Und doch ihn bindet an ein totes Wort?

Ein Buch für göttlich nimmt und dennoch wagt,

Nach eigenem Belieben es zu deuten?

Die Forschung und Gnade ratlos ringt,

Die unvereinbaren, in eins zu binden?

Von einer Lehre, die gen Himmel blickt,

Wird nie der Todesstoß der Kirche drohn,

Solang man glaubt, wird man an uns auch glauben!

ERZBISCHOF.

So glaubt Ihr an die Ewigkeit der Kirche?

O sprecht so fort, denn selige Gewißheit

Tönt Euer Wort in mein besorgt Gemüt.

LEGAT gedankenvoll.

Ewigkeit sagtet Ihr? – In dieses Wortes[69]

Dunkelen Falten lau'rn Medusenhäupter,

Versteinernd den, der in die Falte späht.

ERZBISCHOF.

Ich bitt Euch, sprecht! Sagt Eure Meinung ganz

Und rätselt nicht in dunklem Widerspruch,

Gefahr bald fürchtend und sie leugnend bald.

LEGAT.

Wer leugnet sie? Doch heißt sie mir nicht Luther!

In andrer Tiefe seh ich ihren Quell.

An unserm eignen Busen liegt der Feind,

Und grade wir, Italiens Kirchenfürsten,

Wir nähren ihn mit unserm eignen Blut.

Verflucht das Danaergeschenk, das uns

Der Moslem gab! Als nach dem Fall der Stadt

Des Konstantins die flücht'gen Griechen kamen,

Zu uns verpflanzend, unter uns verbreitend

Die Trümmer ihrer Kunst und Wissenschaft,

Ja, da begann's! Unseliger Verblendung voll

Hingen an ihrem Hals im Götterrausche

Die Bembos, Medicis, Italiens Beste alle!

Die junge Schlange säugten sie heran.

Aus schöner Formen ewigen Gesetzen

Ergoß ein Geist des Diesseits und Hienieden,

Goß eines schönren Menschtums dunkle Ahnung

Sich in die Brust der jenseitsgläub'gen Welt,

Uns dienend erst, um sichrer uns zu täuschen!

Aus Rafaels Madonnen schaut heraus

Des Heidentumes schöne Götterfratze,

Und schwellend predigt eine neue Lehre

Des Tizians Fleisch! Zu allen Völkern ging

Von uns die Regung aus – ihr Selbstverständnis

Findend bei Euch! Im Kampf Reuchlins, da ward

Es klar, welch neuer Drang die Welt bewegt.

Schaut um Euch her! Wer sind des Luther Stützen!

Hat in der Pfaffen Reihen dieser Pfaffenstreit

Nahrung und Anhalt sich zuerst erzeugt?

Die Hutten, Crotus, Reuchlin und Erasmus,

Sie sind's, die ihn mit lautem Jubel grüßten.

Die »Humanisten« nennt sich dieser große Bund,

Im Namen schon verratend sein Geheimnis.

Ein neues – Menschheitsevangelium,

Das ist der Kern, der in dem Proteus steckt,

Der sich uns kämpfend jetzt entgegenwirft.[70]

Luther – nur seine erste schnell entschwundne Häutung!

Doch grad im Drange unsrer eignen Schläge

Entpuppt er sich, wirft von sich Haut auf Haut,

Wächst durch Enthüllung steht zuletzt dann da

Im Feuerglanze seines eignen Lichts!

Schreit durch die Welt »Ich bin's!« greift in der Völker Herzen,

Schreibt Diesseits und Genuß auf seine Banner,

Reißt ein den Himmel, rast durch Raum und Zeit,

Ein jedes neu erspäht Naturgesetz

Und jeden Fund verklungener Geschichte

Zu einem Bolzen schmiedend, den er abschießt

In unsres Glaubens Allerheiligstes,

Und stellt sein Evangelium des Menschen

Entgegen kühn dem von dem Menschensohn!

– Dann wird es heiß! es senkt sich unsre Schwinge,

Dann wenden sich die Völker von uns ab,

Der neu errungnen Braut, der Wirklichkeit,

In ihre üpp'gen Arme feurig stürzend.

Vor des Genusses roter Sonne lischt

Verblassend aus der fahle Stern des Jenseits,

Dann – naht sich unsre Götterdämmerung!


Er hat zuletzt wie in einer Art von Vision gesprochen und fährt jetzt mit nach oben ausgestreckten Armen fort.


Doch nein! Wie wunderbar sind Deine Wege, Herr!

Durch Dunkel führst Du uns zu Deinem Licht,

Verwandelst in Triumph, was Sturz uns droht,

Und die Gefahr selbst muß, gleich einem Sklaven,

Den Thron uns schmieden, der uns fester trägt.

ERZBISCHOF.

Eu'r Auge glüht, und über diese Erde

Schwingt sich Eu'r Geist, von Gott emporgehoben.

Das Nächste seh ich hell, jedoch vor Eurem Blick

Liegt selbst der Zukunft großes Buch entsiegelt!

So sprecht! Entschleiert, was der Geist Euch zeigt.

Wie soll uns die Gefahr den Sieg verleihn?

Befest'gen uns, was Sturz uns drohen muß?

LEGAT.

Was heut uns schmerzt und uns mit Sorg' erfüllt,

Ist unsrer Fürsten feindliches Verhalten,

Die neidisch unsrer Macht und selbst nicht ahnend

Den Dämon, den sie arglos auferziehn,

Sich auf die Seite unsrer Gegner reihn.

Und lange noch wird diese Prüfung währen.[71]

– Doch wenn erfüllt sich hat der Kreis der Zeit,

Wenn jene Stunde der Gefahr sich naht,

Das Reich des Antichrists, das uns verkündet ward,

Wo frevelnd sich auf seinen eignen Boden

Der Menschengeist gestellt – dann hat er auch

Im gleichen Angriff feindlich mitumstrickt

Den Stab des Bischofs und des Fürsten Zepter!

Dann tritt die Umkehr ein – von neuem wird

Das weltlich Schwert zum will'gen Arm der Kirche,

Kehrt reuig wieder in den Mutterschoß,

Und eine Doppelkette windet sich

In unzerreißbar eherner Umarmung,

Die geistliche und weltliche Gewalt,

Erwürgend um das Haupt des Antichrists,

Des Menschengeists, der auf sich selber fußt!

Dann stehn wir fest in Fülle neuer Macht,

Und aus dem Leichnam trotziger Vernunft

Schlägt neuen Keim der Kirche Herrlichkeit!

ERZBISCHOF ihn umarmend.

Und Amen! ruft mein Herz für alle Zeiten!


Vorhang fällt.

Ende des zweiten Aktes.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 66-72.
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Ausgewählte Ausgaben von
Franz von Sickingen
Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
Franz von Sickingen

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