[76] Die Vorigen. Oecolampadius.
ULRICH Oecolampadius an der Hand ergreifend und mit ihm einige Schritte zurückkehrend.
O frommer Herr! Ehrwürdiger
Oecolampadius! Euch trifft es gleich wie mich.
Sagt, wißt Ihr schon die große Trauerbotschaft?
OECOLAMPADIUS das Haupt wehmütig senkend.
Wohl weiß ich sie. Vom Ritter komm ich eben, der
Sie mir verkündet.
ULRICH hastig.
Und was sagte er?
OECOLAMPADIUS.
Er sagte nichts. Auf seiner Stirne lag
Des tiefsten Schweigens feierlichster Ernst.
Ich aber ging in meine Kammer hin,
Mein überfließend Herz vor Gott zu schütten[76]
Und im Gebete mich zu kräftigen.
O daß wir diesen Tag erleben mußten!
ULRICH mit Feuer.
Verzaget drum nicht! Noch ist nichts verloren,
Noch soll kein Kaiser das Palladium
Der Nation uns durch sein Machtwort rauben,
Noch lebt in deutschen Männern deutscher Sinn,
Und unser Arm weiß noch das Schwert zu schwingen!
Bald soll sich wenden, was Euch niederdrückt.
Er will mit großen Schritten zum Zimmer hinaus, wird aber von Oecolampadius zurückgehalten.
OECOLAMPADIUS.
Wie, Herr! Versteh ich recht? Ihr wollt doch nicht
Zum Aufstand greifen wider Kaisers Majestät?
Die reine Lehr' des Evangeliums
Durch rohe irdische Gewalt beflecken?
Bedarf es des? Glaubt Ihr, das Heilige,
Das Licht der Wahrheit und Vernunft, das uns
Ist aufgegangen, könnte jemals in
Dem Zeitenlauf der Unvernunft erliegen
Und würde nicht sich durch sich selbst verbreiten?
ULRICH von Oecolampadius zurückgehalten und einige Schritte zurückkehrend, mit Leidenschaft.
Ehrwürd'ger Herr! Schlecht kennt Ihr die Geschichte.
Ihr habt ganz recht, es ist Vernunft ihr Inhalt,
Doch ihre Form bleibt ewig – die Gewalt!
Er will wieder fort, wird aber von neuem von Oecolampadius, der ihm in den Weg tritt, zurückgehalten.
OECOLAMPADIUS.
Bedenkt, Herr Ritter! Unsre Liebeslehre
Wollt Ihr durchs Schwert, das blutige, entweihn?
Ihr wollt –
ULRICH halb unwillig und mit gesteigerter Leidenschaft.
Ehrwürd'ger Herr! Denkt besser von dem Schwert!
Ein Schwert, geschwungen für die Freiheit, ist
Das fleischgewordne Wort, von dem Ihr predigt,
Der Gott, der in die Wirklichkeit geboren.
Das Christentum, es ward durchs Schwert verbreitet,
Durchs Schwert hat Deutschland jener Karl getauft,
Den wir noch heut den Großen staunend nennen.
Es ward durchs Schwert das Heidentum gestürzt,
Durchs Schwert befreit des Welterlösers Grab![77]
Durchs Schwert aus Rom Tarquinius vertrieben,
Durchs Schwert von Hellas Xerxes heimgepeitscht
Und Wissenschaft und Künste uns geboren.
Durchs Schwert schlug David, Simson, Gideon!
So vor- wie seitdem ward durchs Schwert vollendet
Das Herrliche, das die Geschichte sah,
Und alles Große, was sich jemals wird vollbringen,
Dem Schwert zuletzt verdankt es sein Gelingen!
Er stürzt ab, indem ihn Oecolampadius umsonst zurückzuhalten sucht.
Ausgewählte Ausgaben von
Franz von Sickingen
|
Buchempfehlung
Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro