Elfter Auftritt

[175] Die Vorigen. Bald darauf Balthasar mit Ulrich von Hutten wiederkehrend. Ulrich trägt dieselbe Kleidung wie in der dritten Szene, darüber ein Mönchsgewand, welches jedoch beim Eintreten ebenso wie die Kapuze weit zurückgeschlagen ist.


ULRICH noch hinter der Szene.

Verwundet, sagt Ihr? Pah!


Eintretend.


Sein Eisenleib, ich weiß, spottet der Wunden!

Es ist nicht Zeit, verwundet jetzt zu sein.

FRANZ hat sich bei den ersten Tönen von Ulrichs Stimme halb aufgerichtet und ruft dem schnell eintretenden Ulrich mit starker Stimme entgegen.

O Ulrich, du!

ULRICH.

Ich komme, Franz, und bringe

Der guten Botschaft viel! Es rüsten sich,

Durch meine Boten deiner Lage kundig,

Mit Macht die Freunde jetzt zum Beistand dir.

FRANZ zurücksinkend.

Zu – spät!

ULRICH erstaunt stehenbleibend.

Zu spät?


Er sieht sich verwundert im Kreise der Umstehenden um.


Die Burg ist übergeben,

Es sagt' es ein Gemurmel mir, als ich

Sie schnell hinanstieg. Doch – was läge an dem Haus?[175]

Du hast dich selbst – du hast dich zum Gefangenen

Ihnen ergeben! Wie?


Er blickt die Umstehenden an, die ihre Gesichter zur Erde neigen.


So ist's. Ich lese

In ihren Blicken die Bestätigung.

Nun wohl! Ich bringe beßre Kunde noch.

Mach dich bereit, Franz, Großes zu vernehmen.

Die Zeit ist da! Der Bauer greift zum Schwert!

Dich heischt zum Führer er. In seinem Auftrag

Steh ich vor dir. Sprich aus ein Wort – und dir

Ersteht ein Heer von hunderttausend Bauern.

Das Land steht auf! Nicht lange sollen sie

Dich zum Gefangnen haben – laß ein Zeichen

Von dieses Turmes Höh' mich geben – und

Eh' sie auf ihre Schlösser dich gebracht,

Eh' sie von hinnen ziehn – verschlingt sie schon

Die große Flut, in welcher sie dann treiben

Mit ihren Reiterfähnlein, Lanzknechthaufen,

Gleichwie Ertrinkende auf hoher See!


Ulrich macht, Franz mit Spannung ansehend, eine erwartungsvolle Pause.


FRANZ schwach.

Zu spät – du sprichst mit einem – toten Mann!

ULRICH schrickt heftig zurück; er sieht einen Augenblick wie Bestätigung suchend starr auf die Umstehenden, welche mit dem Ausdruck höchster Erschütterung zu Boden sehen. Er wankt einen Schritt auf Franz zu, stürzt aber sofort mit dem gellen Schrei zu Boden.

Tot!


Tiefe Pause.


FRANZ mühsam mit unterbrochener Stimme.

Ulrich – ich danke dir – daß ich dich nochmals sah

Erfüllt ist jetzt mein Wunsch – doch nun –

Verweile länger nicht – verlaß die Burg –

Die Fürsten können wiederkehren – geh –

Sie greifen dich – erschwer nicht meinen Tod –

Die Aufregung hat ihn beschleunigt – nur

Für wenige Minuten hab ich Leben –

Geh, Ulrich, geh! Füg mir's nicht zu, daß dich

Mein brechend Auge als Gefangnen sehe –

Für spätre Zeiten – für die Sache – rette dich –

Ich fleh dich – geh – o meine Stimm' – ich kann

Nicht mehr – sag's ihm, Marie – beweg du ihn! –[176]

MARIE an Ulrich herantretend mit langsamer Stimme.

Ulrich! von Euch dacht' Trost ich zu empfangen,

Und ich muß Trost und Fassung Euch verleihn?

ULRICH erhebt sich langsam, sein Gesicht ist totenbleich, sein Auge gläsern, seine Stimme feierlich und dumpf.

O schweig, Marie – entweihe nicht

Mit kleinem Trost so Ungeheuern Schmerz.

Dir stirbt der Vater – mir der Seelenfreund;

Vielleicht gäb's Trost dafür – gält's hier nichts andres!

Zusammenbricht mit diesem einen Mann

Das deutsche Vaterland – in Scherben liegen

Die Hoffnungen, für welche wir gelebt.

Machtlos mit seinem Tod, weicht bang zurück

Der Adel, wirft ans Fürstentum sich hin,

Das um sich greifend unser Reich zerreißt;

Zu seinem Schranzen sinkt er schnell herab!

Des Halts beraubt, sich selbst mißtrauend, spinnt

In seines Weichbilds Sondervorteil sich

Der Städter ein und stirbt dem Ganzen ab.

– Der Bauer nur bleibt treu dem großen Zweck,

Er greift zum Schwert – doch auf sich selbst beschränkt,

Schleppt er zur Metzgerbank nur seinen Leib,

Zur blutigen, bedeckt mit seinem gräßlich

Gevierteilten Gebein die weite, deutsche Erde –

Die schaudernde! Mit Siegers Rechten wird

Gewütet in dem eignen Land, entrissen

Wird ihm der alten Freiheit letzter Rest,

Und lange Nacht bricht an, in schwarzen Schleier

Die Trauerzukunft dieses Landes hüllend.

Du stirbst und nimmst in deine Grube mit,

Was dieses Leben lebenswert gemacht.

Mich trägt mein flücht'ger Fuß jetzt ins Exil,

Doch nicht auf lange; wen'ge Wochen, und –

Es eint sich meine Asche deinem Staub.

Künft'gen Jahrhunderten vermach ich unsre Rache!


Er wankt der Tür zu.

Der Vorhang fällt.

Ende.
[177]

Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 175-178.
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Franz von Sickingen
Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
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