Vierter Auftritt

[155] Ulrich von Hutten. Die Vorigen.


ULRICH eintretend, in Reisekleidung; zum Wirt.

Nehmt meines Pferds Euch an.


Wirt ab.

Nach dem Vordergrunde schreitend.
[155]

Welch eine Nacht!

Wie stimmt dies Unwetter zu meinem Innern.

In Strömen peitscht der Regen. Also strömt

Bange Besorgnis durch die Seele mir,

Auflockernd alle feste Manneskraft.

Und wie der jähen Blitze gelber Schein

Unsichern Lichts die Finsternis erhellt,

Zuckt Ungewißheit peinvoll durch die Brust,

Im grellen Streiflicht der Befürchtungen

Des Freundes unbekannte Lage zeigend.


Er hat inzwischen Barett, Mantel und Handschuhe auf einen Tisch gelegt an der den Bauern entgegengesetzten Seite des Zimmers. Diese haben währenddessen, scheinbar eifrig mit einander plaudernd, verstohlen, aber forschend, Ulrich betrachtet, vor allen Jos Fritz.


JOS FRITZ für sich.

Den Ritter, mein ich, sollt' ich kennen.

ULRICH zu dem zurückkehrenden Wirt.

Seid

Ihr da der Wirt?

WIRT.

So ist es, Euer Gnaden.

ULRICH.

Bringt einen Becher Weins.

WIRT.

Sogleich.


Ab.


JOS FRITZ der inzwischen von seinem Sitze aufgestanden und, um ihn besser zu betrachten, um Ulrich herumgeschlichen, der in Sinnen verloren dasteht.

Bei Gott!

Ich will verdammt sein, wenn er es nicht ist!


Er kommt Ulrich noch näher und entfernt sich dann einige Schritte.


Kein Zweifel mehr, er ist's! Welch günstiges

Zusammentreffen! – Unbenutzt es lassen,

– Jos Fritz, wär' Torheit, mehr als Torheit noch,

Und größere als dir gegeben ist. –

– Wie dies Begegnen unklare Gedanken,

Unsichre Plane, still gehegte Hoffnung

Zur vollen, reifen Blüte plötzlich bringt!

Wenn's einer bei ihm kann, ist er's – und er

Ist's wieder, wenn es einer will. – – Wenn je

Ein Augenblick dazu geschaffen war,

– So ist's der jetzige – – Hui! – –


Den Kopf entschlossen schüttelnd.


Drauf und dran!


Er nähert sich wieder Ulrich.
[156]

ULRICH sinnend.

Die erste Nacht auf deutschem Boden wieder! –

Vielleicht, daß ich sie nutze, daß ich hier

Auskunft, wenn dürft'ge nur, erlangen kann.


Er sieht auf und gewahrt Jos Fritz, der ihn ganz nahe lauernd betrachtet; mit der Hand nach dem Degengriff fahrend.


Was wollt Ihr mir? Zurück, wenn's Euch beliebt!

JOS FRITZ.

Herr Ritter, sprecht! Erkennt Ihr mich nicht mehr?

ULRICH.

Ich Euch sowenig, wie Ihr, hoff ich, mich.

JOS FRITZ.

Wie denn, Herr Ritter! Ich sollt' Euch nicht kennen?

Euch nicht, die Blüte Eures Standes, Euch,

Den besten Mann in Deutschland! – Aber nein,

Will Euch nicht schmeicheln. Einer lebt noch, der

Mit Euch sich messen kann. Doch dieser eine ist

Eu'r bester Freund. Mit Stolz, nicht Eifersucht


Sich ihm nähernd und leiser redend, daß ihn die Bauern nicht verstehen.


Erfüllt des Franzens Lob – Ulrich von Hutten.

ULRICH betroffen zurückfahrend.

Und wer seid Ihr?

JOS FRITZ.

Ah so! Ja, ich vergaß,

Daß Ihr mich nicht in voller Schönheit schaut.

Verzeiht! Gleich bin ich's selbst.


Er nimmt Bart und Pflaster ab und wirft sie auf den Tisch der Bauern.


So – nun ist Euch

Vielleicht getreuer Eu'r Gedächtnis.

ULRICH.

Wie?

Ihr seid's, Jos Fritz!

JOS FRITZ.

Derselbe, Herr!

ULRICH umherblickend.

Dann nehmt

Vor des Gesetzes Weibeln Euch in acht;

Noch hat man Euch den Bundschuh nicht zu Lehen,

Noch den zu Untergrünbach nicht vergessen.

JOS FRITZ.

Pah! Zeiten ändern sich. Vielleicht ist nah

Die Zeit, wo sich Jos Fritz vor keinem Weibel

Zu fürchten braucht.

ULRICH.

Gleichviel. In jedem Fall

Konnt' ich nicht bessere Begegnung wünschen.

Ihr seid ja die Posaune dieses Reichs,[157]

Der Zunftmeister der Neuigkeiten. Was,

Wo immer auch, sich zutrug, oftmals selbst

Eh' es sich zutrug noch – Ihr wißt es stets.

Ihr könnt die Ungeduld der Seele stillen,

Mir Kunde geben, wie mit Franz es steht.

JOS FRITZ.

Gewiß, das kann Euch niemand besser sagen,

Denn just aus jener Gegend komm ich her.

Allein von wo kommt Ihr, daß Ihr nichts wißt

Von Eurem Freund?

ULRICH.

Geradeswegs von Zürich.

JOS FRITZ.

So sprach die Wahrheit das Gerücht, das Euch

Dorthin ziehn ließ, um von den Eidgenossen

Dem Ritter Hülfe zuzuführen? Habt

Ihr sie erlangt?

ULRICH.

Wohl hätt' ich es, wenn nicht

Er, der in Zürich ausgetrieben lebt,

Ulrich von Württemberg, noch im Exil

Der Fluch des deutschen Volks, aus altem Haß

Auf Sickingen und mich durch seine Ränke

Und mächt'ge Freundschaft, die er dorten hat,

Zu hintertreiben es gewußt, daß uns

Die Schweizer hielten ihr gegebnes Wort.

JOS FRITZ.

Hm! Um so besser!

ULRICH.

Um so besser, sagt Ihr?

JOS FRITZ.

Verzeiht, Herr, ich versprach mich. Um so schlimmer,

Wollte ich sagen, um so schlimmer steht's.

ULRICH.

Als ich erkannt, vergeblich sei mein Mühen,

Verließ ich Zürich, um zu Franz zurück

Den Schritt, den sehnsuchtsvollen, jetzt zu lenken.

– Allein, statt Rede mir zu stehn, macht Ihr

Mich reden. Gebt jetzt Auskunft mir. Wie steht's

Mit Franz?

JOS FRITZ.

Noch eins; wie weit wißt Ihr von ihm?

ULRICH.

Das letzte, was wir sicher hörten, war,

Daß er des Pfalzgrafs Lande überfallen,

Die Feste Borberg sich erstürmt. Seitdem

Hat er uns keine Botschaft mehr geschickt.

JOS FRITZ.

Ja, das war noch im Winter. Doch seitdem

Hat sich das Blatt gewandt. Eh' er's erwartet

Und eh' sein Heer noch eingetroffen war,[158]

Sind ihm die Fürsten alle drei vereint

Plötzlich vor Landstuhl, seine Burg, gezogen.

ULRICH hastig.

War er darin? Und konnte er nicht fort

Zur Ebernburg?

JOS FRITZ.

Konnt's! Tat es nicht. Ich glaube,

Es ist ihm jetzt Beschwer, daß er's nicht tat.

Zwar anfangs wehrt' er sich gewaltig,

Trieb sie zurück und fing Heinrich von Elz

Samt seinen Reisigen. Drauf schickt er ihnen spöttisch

Einen Trompeter raus: sie hätten neu Geschütz,

Er neue Mauern, und begierig sei er

Zu hören, wie das aneinander kläng'!

– Er rechnete auf Hülfe und Entsatz

Von seinen Freunden –

ULRICH leidenschaftlich schnell.

Und was taten die?

Die Ritterschaft, die Landauer? sagt an!

JOS FRITZ.

Doch immer größre Haufen rückten nach,

Da schlossen sie ihn ein und gaben ihm

Gemach zu hören, schossen ihm gar bald

Die besten Batterien zugrund –

ULRICH mit gesteigerter Leidenschaft.

Die Freunde aber,

Die Freunde, sagt, wo blieben sie?

JOS FRITZ.

O Herr!

Da steht's nicht mehr wie sonst. Die meisten sind

Bedenklich jetzt und zweifelhaft geworden,

Andre nicht fertig mit den Rüstungen.

Das Schlimmste war, das Ganze kam zu schnell;

Man ahnt noch nicht den Franz in solchem Drang.

Die Fürstenbergs –

ULRICH einfallend.

Wie? Sie sogar, sie ließen

Den Franz im Stich?

JOS FRITZ.

Nein, höret doch! Zwei Boten

Schickt' er an sie mit Kunde seiner Not,

Zur Eile sie zu treiben, und von ihnen

Hätt' er wohl sicher Hülfe auch empfahn.

Doch beide fing man – war im Lager grade,

Als man den zweiten brachte – Herr, nie hab ich

Solch tollen Jubel je gesehn! Es war

Ein Hexensabbat, wie sie alle sprangen!

Denn in dem Briefe stand's von Franz bezeugt,[159]

Verloren sei er, nahten sie nicht schnell,

Vereint mit andern, die er drin erwähnte.

ULRICH.

Verloren Franz! Eh' stürze auf uns ein

Des Himmels ehernes Gewölbe!


Zum Wirt.


Führt

Mein Pferd mir vor. Ich selbst will Botschaft reiten,

In ihren Burgen wach die Schläfer klopfen!

Von Burg zu Burg jag ich den Schreckensruf:

Franz in Gefahr! heraus –

JOS FRITZ einfallend.

Herr, mäßigt Euch.

Ihr kämt nicht weit. Ihr wißt – Euch droht die Acht!

Und mit der Hülfe kämt Ihr doch zu spät.

Schon als ich fortzog, stand es so, daß kaum

– Franz selber schrieb's – sich vierzehn Tage noch

Landstuhl könnt' halten. Nein! Ihr ändert nichts.

Verloren ist die Burg.

ULRICH.

Verdammnis über dich,

Daß du von ihm und von verloren sprichst

In einem Atemzug! Die Burg verloren

Und Franz darin?! – Und ist er es, so will

Ich's mit ihm sein. Mein Pferd! –


Er stürzt nach der Tür.


JOS FRITZ ihm nacheilend.

So hört doch, Herr!


Er hält ihn auf und führt ihn am Arme zurück.


Er ist verloren – doch – noch gibt es Hülfe!

Greift zu – und alles ist mit einem Schlag

Von Grunde aus geändert.

ULRICH betroffen.

Hülfe, sagst du?

Hülfe! Verstand ich recht?

JOS FRITZ.

Hört, Herr! Und horcht

Fein zu.


Er nimmt Ulrich unter den Arm und geht mit ihm leise sprechend nach dem Hintergrund zu. Bei den ersten Worten bereits sieht man Ulrich auf das lebhafteste ergriffen werden.


ZWEITER BAUER.

Was nur der Jos da mit dem Ritter spinnt?

ERSTER BAUER.

Gewichtig scheint's. Seht nur, wie hastig er

In ihn hinein spricht. Und der Ritter, seht,

Kann kaum noch an sich halten. Ganz in Aufruhr

Versetzt ihn Jos.[160]

DRITTER BAUER.

Was es auch sei, er bringt's

Auf's Seine mit ihm. Unter Kaisers Räten

Lebt nicht ein feinrer Kopf als wie Jos Fritz.

ERSTER BAUER.

Ja, das muß wahr sein. Jos versteht's, und gleich

Gilt's ihm, ob Bauer oder Rittersmann.

Wo er sich einhackt, beißt er schnell sich fest

Und lenkt Euch nach Belieben, wie die Angel

Den Fisch lenkt, welcher auf den Köder biß.


Jos und Ulrich sind inzwischen, leise aber mit heftigen Gebärden sprechend, wieder nach dem Vordergrunde zurückgekehrt.


ULRICH leidenschaftlich.

Ist es kein Trug, welcher mein Ohr verführt?

An achtzigtausend? Sagtet Ihr nicht so?

JOS FRITZ.

Soviel zum mindsten, welche gleich sich heben.

– Ich bin kein Schriftgelehrter, kann's Euch nicht

Fein auszählen mit Dinte und Papier;

Das aber sag ich Euch, mein Kopf verbürg' es:

Wie in der Höhlung des Geschützes nichts

Zurückebleibt, wenn sich der Schuß entzündet,

Vielmehr getrieben durch des Pulvers Kraft

Die Ladung all im Schwung nach außen hagelt,

So speien aus auf ein gegeben Zeichen

Der Allgau, Kraichgau, Wasgau, all die Gau'n,

Die Kreise all, die ich vorhin Euch nannte,

Was von Bevölkerung darinnen wimmelt.

Zur leeren Höhlung wird der Dörfer Bau,

Lebendig wird das Land und wälzt sich fort.

Was nicht ganz Kind mehr und was noch nicht

Ganz wieder ist zum Kinde worden, greift

Zur Hellebarde und zieht jubelnd mit.

Und wie vordem zur Zeit der Völkerwandrung

Ein Volk das andre stieß, also stößt jetzt

Ein Gau den andern, reißt ihn treibend fort

Zum großen Kreuzzug für des Volks Erlösung!

ULRICH.

Und die Bedingungen?

JOS FRITZ.

Die eine nur,

Die ich vorhin Euch schon genannt.

Zu unsrem Hauptmann schwör' er sich – beschwöre

Die zwölf Artikel, die vor uns, gleichwie[161]

Jehovah in der Feuerwolke zog,

Ein zündend Manifest herziehen sollen!

Sein Ansehn, Anhang und sein Feldherrngeist

Verdoppeln unsre Macht. Mit solchem Haupt

Ist unsres Spieles Ausgang uns gewiß.

Nicht beßre Stunde könnten wir erwarten!

– Sagt Eurem Ziska denn: Willigt er ein,

So steigt sein »Ja« in Feuerzeichen von

Den Bergen nieder, flammt durch Deutschlands Himmel

Und brennt zu Asche den gemeinen Feind.

ULRICH feierlich.

So weit ein Mensch für einen andern kann

Einstehn, steh ich indes Euch für das Ja

Aus Franzens tiefster Brust mit diesem Handschlag ein.

– Doch wie jetzt zu ihm dringen?

JOS FRITZ.

Laßt das mir.

Verkleidet schaffe ich Euch in die Burg,

Geleit Euch selber hin, an ihrem Fuße

Der Antwort harrend, die Ihr bringt.

ULRICH.

So laßt

Sofort uns ziehn.

JOS FRITZ.

Noch diese Nacht.

ULRICH dringend.

Nein, jetzt!

Wer kann dem Augenblick gebieten – wer,

Der sein Gebieter nicht, darf ihn verschenken?

JOS FRITZ.

Sei's drum! –


Zu den Bauern.


Freunde, von hinnen muß ich unverzüglich

Mit diesem Ritter ziehn. Die Stunde der Beratung,

Verschlungen wird sie von dem Nahn der Tat.

Großes geht vor. Die Sonne des Gelingens,

Sie steht in scheitelrechtem Glanz ob unsrem Plan.

Lebt wohl! Bald hört ihr mehr. Doch drei von euch

Geleiten mich in einiger Entfernung,

Denn viele Boten hab ich auszusenden.

MEHRE BAUERN.

Wir sind bereit. Wen du bezeichnen wirst,

Zieht deinen Spuren nach. Glück auf, Jos Fritz!

ANDERE.

Glück auf!


Jos Fritz mit Ulrich, von allen gefolgt, ab.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 155-162.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Franz von Sickingen
Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
Franz von Sickingen

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon