Siebenter Auftritt

[165] Philipp von Rüdesheim im Helm und mit gezogenem Schwert von einigen Knappen gefolg. Unmittelbar nach ihm Marie mit angstvollen Gebärden, mit Balthasar und den Knappen leise sprechend. Mählich füllt sich der Hintergrund mit Knappen und Mannen.


PHILIPP hastig auftretend.

Ward's dir gemeldet schon? Es stürmt der Feind,

Schon nahn die Leiterträger sich den Mauern.

FRANZ zum Knappen.

Bring mir den Helm!

MARIE die sich bis dahin in stummer Angst zurückgehalten.

Vater, ich flehe Euch!

Werft diesmal Euch nicht ins Gewühl der Schlacht.

FRANZ.

Laß mich, mein Kind.


Zu Philipp.


Von welcher Seite schickt er

Zum Sturm sich an?

PHILIPP.

Dem Haupttor droht sein Angriff,

Und von der Ostseite sind aufgestellt

In starken Reihn Beobachtungskolonnen.

FRANZ der inzwischen den ihm gebrachten Helm aufgesetzt hat.

Wohl! –

Wilhelm von Waldeck leite die Verteid'gung

Der Burg – Du, Philipp, mit der Hälfte der

Besatzung machst, wenn jene handgemein,

'nen Ausfall durch das kleine Tor, im Rücken

Die Reihn der Stürmer fassend. – Mir

Läßt du mein Roß ans Gartenpförtchen führen;

Dreißig Getreue stellst du dort mir auf.

Hast du durch deinen Ausfall erst auf dich gezogen

Der Feinde Meng' und Achtsamkeit, so stürz ich

– Hinaus ins Freie!

MARIE aufschreiend.

Vater!

FRANZ.

Vielleicht, daß ich

Den nahen Wald ohn' Hindernis gewinne.

Erreich ich ihn – so höret ihr von mir!

Was sich entgegenwirft – durchbrochen werd' es.

Zum Tod bereit sei jeder, der mir folgt.

Jetzt, Philipp, halt ich Wort. Ich will hinaus!

PHILIPP.

Gesegnet sei dein Einfall! Du ins Freie,

Ich in den Feind! Mir nach, Ihr Leute!
[166]

Er stürzt ab mit sämtlichen Mannen bis auf zwei Knappen, die bei Franz zurückbleiben.


MARIE sich auf Franz zustürzend.

Vater!

Laßt Euch beschwören! Wagt Euch nicht hinaus!

So wenig Mannschaft – Gott – die Angst

Stockt mir das Blut! O hört auf meine Ahnung,

Es wird nicht gut –

FRANZ gütig.

Laß mich, Marie!

BALTHASAR.

Nein, haltet ihn!

Auch mir schwebt Schlimmes vor. Und doch – laßt ihn!

Wenn es gelänge – Deutschland, welch ein Tag!


Ganz nahe ertönt starke Kriegsmusik.


MARIE sich noch fester an den Hals Sickingens hängend, der sich loszuwinden sucht.

Vater, ich laß Euch nicht! Ich fleh Euch an!

FRANZ sich mit Gewalt aus ihren Armen losringend.

Zurück, mein Kind! Mich ruft das Vaterland,

Ihm fiebern meine Pulse heiß entgegen.

Dein Los vertrau ich güt'gen Mächten an,

Mich rufen jene, die den Irrtum rächen.

Ich komme, Deutschland! kaufe jetzt mich los

Von allem Fehl und eitlen Erdenschwächen;

Zog ich die Mauer zwischen dir und mir,

So ist's an mir, sie wagend zu durchbrechen!


Er stürzt ab mit gezogenem Schwert, von den beiden Knappen gefolgt; Marie sinkt zusammen.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 165-167.
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Franz von Sickingen
Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
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