Vierte Szene.


[192] Die Vorigen ohne den Hauptmann, bald darauf General Rieger.


GENERALIN. Herr Gott, da ist ja mein Alter – ich erschrecke immer, wenn ich ihn hier im Schlosse sehe; es ist gewöhnlich ein Unglück im Anzuge, wenn er vom Asperge heruntersteigt.

GRÄFIN winkt. General Rieger! Was führt Euch zum späten Abende vom Asperge herab nach Stuttgart?

RIEGER. Meines Durchlauchtigsten Herrn Befehl, Hochgräfliche Gnaden. Hochderselben erwartet fürnehmen Besuch aus fernen Landen, und bei solcher Gelegenheit verlangt sein Herz, daß das Haus frisch gesäubert werde von allem Unrate der Übeltäter.

GENERALIN. Dacht' ich's doch!

GRÄFIN. Was heißt das, General? Ihr wollt' doch nicht Eure armen Gefangenen noch ärger mißhandeln, wenn der Herzog Besuch empfängt. Mich dünkt, das wäre eher ein Grund, ihre Ketten zu lüften, wenn nicht zu lösen.

RIEGER. Die Gesangenen sind nicht arm; denn das Himmelreich steht ihnen offen, und ein weiser Regent ist strenge.

GENERALIN. Das ist nicht wahr!

RIEGER. Es ist ein Wort der Schrift.

GRÄFIN. Ein weiser Regent ist milde. Ich wiederhole Euch. General, was ich Euch durch Eure Frau schon zu wiederholten Malen habe sagen lassen, daß ich Eure finstere Auslegung des Christentums nicht gutheißen, Eure Strenge gegen die Gefangenen nicht loben kann vor dem Herzoge.

RIEGER. Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er.

GRÄFIN streng. Wollt Ihr wieder in Euer unterirdisch Gefängnis zurück, um die Liebe des Herrn gegen Euch noch höher zu preisen?


Kurze Pause.


Seid unbesorgt, ich bin nicht von derjenigen Frömmigkeit, welche Gott nur in Leid und Trübsal sucht. Im Gegenteile, ich glaube in Gott zu wandeln, wenn ich meinen Mitmenschen zu[192] Zufriedenheit und Freude verhelfe. – Deshalb hab' ich die Bäbele da schon heruntergeholt von Eurer Seite, weil ihr Herz gepeinigt wurde von Eurer schwarzen Lebensfarbe, und die Laura desgleichen, und ich werde ihnen den Besuch bei Euch oben ganz untersagen, wenn Ihr fortfahrt, die Trockenheit Eures Herzens für eine Gottseligkeit auszugeben, wenn Ihr fortfahrt, die armen Gefangenen mit verkehrt gedeuteten Bibelsprüchen in Verzweiflung zu bringen. – Das merkt Euch! Wenn der Herzog auch leider Kerkermeister braucht, so hat er doch ein zu edles Herz, um nicht wenigstens in der Wahl des Kerkermeisters auf den menschlichen Rat seines Weibes zu hören. Sie ist entrüstet hin und her gegangen und setzt sich aufs Sofa. Laura geht hin zu ihr und küßt ihr die Hand. – Pause.

GENERALIN. Das ist ihm schon recht.

GRÄFIN. Was habt Ihr denn wieder anzuklagen? Es betrifft wohl wieder den unglückseligen Schubart?

LAURA. Mein unglücklicher Lehrer!

GRÄFIN. Ist er noch nicht genug gepeinigt? Hat er zu seufzen gewagt über so schreckliches Schicksal?

RIEGER. Er hat es endlich verlernt, wieder den Stachel zu löken. Die Gnade des Herrn ist ihm aufgegangen in der Finsternis des Kerkers; aber die Jugend hier unten mißkennt und mißdeutet seinen Zustand der Gnade. Von dieser Jugend hab' ich einen anzuklagen, wenn mein irdischer Herr das Schloß meines Mundes öffnet.

GRÄFIN aufstehend. Wen?

GENERALIN. Rieger! Schon wieder einen Menschen unglücklich machen!

GRÄFIN. Rieger! Ihr habt das schrecklichste Los eines Menschen erfahren! Von diesem Schlosse aus habt Ihr einst Württemberg beherrscht, bis Eure Feinde Euch schmählich zu Boden und in den tiefsten Kerker warfen; in grauenvoller Gefangenschaft habt Ihr jahrelang geschmachtet, ärger geschmachtet als das verworfenste Geschöpf – hat Euch so schreckliche Erfahrung nicht gelehrt, daß der Mensch den Menschen lieben solle?

RIEGER. Gott verläßt uns in der Freude, in der Trübsal findet er uns. Mich fand er in dem tiefsten Loche von Hohentwiel, wo mein Leib in Schmutz und Wasser verdarb, meine Seele aber erquickt wurde.[193]

GRÄFIN. Entsetzlich! Und wer ist der Unglückliche, den Ihr anklagen wollt?

RIEGER. Ich will nicht, ich muß. Der Befehl meines Herzogs, der Geist der Wahrheit zwingt mich, diesen jungen Mann zu bezeichnen.

GRÄFIN. Wer ist's?

GENERALIN. Wie heißt er?

RIEGER. Von der Gnade des Herzogs ist er auferzogen worden in der Karlsschule, die Gnade des Herzogs hat ihn angestellt beim Regimente als einen Helfer bei leiblichen Gebresten –

GENERALIN. O Gott – sein Name?

GRÄFIN. Sein Name? Sein Name?

LAURA. Sein Name!

RIEGER. Des Hauptmanns Sohn in Ludwigsburg, Friedrich Schiller.

GRÄFIN. Schiller! wie ich gefürchtet –

GENERALIN. Schiller!

LAURA. Wieder Schiller! Das ist doch wirklich der Matador!


Trommelwirbel und klingendes Spiel von unten.


GRÄFIN. Da kommt der Herzog! Sie geht rasch zur Generalin nach rechts hinüber – Rieger tritt zurück, nach hinten blickend, Laura geht nach links hinten zur Ecktür, durch welche Silberkalb eintritt, dem sie bittend was zu sagen scheint, und der dazu die Achseln zuckt. O Gott, Bäbele, und nun muß ich auch gerade den unglücklichen Menschen, den Schiller, hierherbestellen, daß der Herzog an ihn erinnert werde! Richtig, da ist der Hauptmann zurück, und der ist auch falsch, ich wag' es nicht, ihn mit Kontreordre zu beauftragen, und über diesen Rieger, deinen Mann, vermag ich nichts, er weiß, wie fest er beim Herzoge steht.


Während dieser Rede sieht man in den hinteren Zimmern einige Soldaten und Diener sich aufstellen.


LAURA herüberkommend. Mama! Der garstige Hauptmann will die beiden Leute nicht abbestellen!

GENERALIN. Komm' mit! Du mußt Kundschaft einziehn.


Geht mit ihr bis an die Tür rechts, dort bedeutet sie dieselbe pantomimisch an der Schwelle, schickt sie

fort und bleibt hart an der Türe stehen. – Unterdessen kommt Silberkalb zum Sofa, sieht das Blatt des »Magazins«, liest halblaut »Entzückung an Laura«, und steckt es rasch zu sich, während die Frauen nach rechts, wo Laura abgeht, Rieger aber nach hinten sehn.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 192-194.
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