Erste Szene.


[233] Koch. Schiller. Die Karlsschüler. Die Generalin.


KOCH links auf dem Sessel schlafend.

SCHILLER rechts auf dem Sessel schlafend.

SCHARPSTEIN rechts oben auf der Treppe schlafend.

HOVER links unten an der Treppe schlafend.

PFEIFFER U. PETERS oben links schlafend.


Sie haben Theatermäntel und dergleichen zur Unterlage und zum Erwärmen. Alle im Clavigo-Kostüm: spanisch und Rokoko-französisch.


GENERALIN von links eintretend, den Vorhang haltend und die Situation betrachtend. Die armen Jungen! Trotz ihrer Not sämtlich eingeschlafen, weil sie eben doch ein gut Gewissen haben. Zu Koch tretend und ihn schüttelnd. Tiroler! Köchle! Koch!

KOCH. Ah! – Ja! – Wo bin ich?

GENERALIN. Im gelben Saale, und auf dem Punkte, Komödie zu spielen![233]

KOCH hat sich ermuntert und umgesehen. Weiß Gott, 's ist alles wahr – brr! Ich friere! Wie weit ist's in der Nacht?

GENERALIN. 's ist gegen Morgen. Die herzogliche Tafel ist beim Dessert und wird sogleich aufgehoben werden. Dann kommen die Herrschaften in den Theatersaal und nehmen den Kaffe und sehen eure Komödie an, so lang' es ihnen gefällt.

KOCH aufstehend. Ach, Sie sind es, Frau Generalin! Sie meinen's gut mit uns!

GENERALIN. Das glaub' ich, und deshalb –

KOCH. Uns hier so im Kostüm biwakieren zu lassen, wie Kunstreitertiere!

GENERALIN. Deshalb hab' ich mich fortgeschlichen und euch ein paar große Kannen Kaffee aus der Kuchel holen lassen – sie werden gleich kommen, und da oben in eurer Garderobe könnt ihr sie zu eurer Stärkung und Ermunterung genießen.

KOCH. Gott lohn's Ihnen an Ihren zukünftigen Kindern.

GENERALIN. Will Er wohl! Das Spaßen wird euch bald vergehen. Die Sache nimmt eine Wendung, der ich nicht über den Weg traue.

KOCH. An den Galgen kann er uns doch nicht bringen!

GENERALIN. Aber ins Loch – den wenigstens da, welcher mehr wert ist, als ihr alle. Auf Schiller zeigend.

KOCH. Das glaub' ich auch – hat der Herzog was geäußert?

GENERALIN. Ach, es sieht sehr garstig aus. Wir haben zwei Verbündete eingebüßt – die Gräfin Franzel und die Laura!

KOCH. Donnerwetter!

GENERALIN. Er hat Sein gutes Teil Schuld dabei! Denn die Blätter des schwäbischen Magazins mit Seinen Liebesgedichten hat doch gewiß Er an die Gräfin spediert. Sie hat sich nun offenbar eingebildet, die Schwärmerei gelte ihr, und Frau ist Frau, wir haben all' unser Herzpünktchen Eitelkeit – wie brav sie auch ist und ohne arge Nebengedanken, 's hat ihr doch geschmeichelt, und jetzt ist die Bescherung fertig.

KOCH. Wieso?

GENERALIN. Nachdem der Herzog die Laura ins Gebet genommen, hat das dumme Kind der Franzel alles gebeichtet und von einem ganzen Buche solcher Lauragedichte erzählt, und daß Spiegelberg[234] eine Dummheit gewesen, und daß der Schiller von all den Schwärmereien der Verfasser sei, und nun ist's vorbei mit dem Schutze der Franzel.

KOCH. Ach, 's ist ja eine edle Dame!

GENERALIN. Edle Dame, freilich! Wenn sie nicht getäuscht worden wäre! Jetzt kommt sie sich lächerlich vor, und über diesen Stein stolpert auch der Edelmut – wo nur der Junge bleibt mit dem Kaffee – Zurückgehend. es kann uns zu spät werden.

KOCH. Und Fräulein Laura hat auch dem Herzoge alles gesagt, was sie weiß von der Schwärmerei?

GENERALIN. Das glaub' ich nicht. Von dieser Geschichte weiß er wohl noch nichts, das fehlte auch gerade noch! Wenn er die Bücher kriegt, dann wär' es Matthäi am Letzten –

KOCH. Hat sie den Mantel wieder?

GENERALIN. Das glaub' ich auch nicht. Ich werde nicht klug aus dem Mädchen, sie ist wie ausgetauscht seit gestern abend. Ihr wißt, wie sehr der Herzog sie liebt.

KOCH. Nun, sie geht ihn wohl auch nahe genug an.

GENERALIN. Das geht Ihn nichts an! Merk' Er sich das! In diesem Punkte bin ich als Pflegemutter des unschuldigen Mädchens wie der Herzog, ich laß mir nicht einen Muck gefallen – wollt Ihr mich auch los sein?

KOCH. Nicht doch!

GENERALIN. Ich fürchte, das Mädchen seid ihr los. Wie's der Herzog in einer fünf Minuten langen Kanzelpredigt vor Beginn der Tafel mit ihr angefangen hat, das weiß nur er, der sich darauf versteht, jemand den Kopf zurechtzusetzen. Kurz, ich erkenne das Mädchen nicht mehr. Sie ist still, sie ist zerstreut, sie ist bald rot, bald blaß, bald lächelt sie vor sich hin, bald treten ihr die Tränen in die Augen – habt Ihr gesehen, daß der Herzog im Examiniersaale einen Augenblick zurücktrat und mit dem Hauptmann Silberkalb sprach? Ich fürchte, er hat einen raschen Beschluß gefaßt, weil er des Mädchens Lebhaftigkeit gesehen, mit der sie den Schiller verteidigte, o, der hat Augen, und ich fürchte, nun läßt er diesen schönen Hauptmann und Kammerherrn eine große Karriere machen und gibt ihm die Laura zur Frau![235]

SCHILLER hat in dieser Rede die Augen aufgeschlagen und fährt jetzt lautlos in die Höhe, ohne daß es bemerkt wurde.

KOCH. Und Fräulein Laura?

GENERALIN. Muß gehorchen! Ist nichts und hat nichts, wenn der Herzog seine Hand von ihr abzieht und – ist ein Mädchen.

KOCH. Das heißt?

GENERALIN. Auf der einen Seite ein schöner Mann, ein vornehmer Herr, ein duftender Herr, der schön französisch spricht – auf der andern Seite nichts, nichts, kein Schimmer von Aussicht, nur Aussicht auf Schimpf und Schande, kurz, wenn mich die Wetterzeichen nicht trügen, so ist sie auf dem besten Wege das einzusehen und mit zierlicher Verschämtheit Frau von Silberkalb zu werden – ach, wir taugen alle nichts, Mannsvolk wie Weibervolk! Trocknet sich die Augen.

KOCH. Das ist nicht möglich! Dieser Engel an solch einen Hofschranzen! Was ist er, was hat er für ein Verdienst, solches Glück anzusprechen?!

SCHILLER. Er hat sich die Mühe gegeben, geboren zu werden und das keinen Augenblick zu vergessen.

KOCH. Armer Moor!

GENERALIN. Ach Gott, der Unglückliche brauchte das nicht zu hören, der wird ohnedies Leid genug finden.

SCHILLER. Jawohl, ich werde Leid genug finden. Wie jener Wicht zum Glück, bin ich zum Unglück geboren. Narr, der ich war, mich einen Augenblick einwiegen zu lassen vom Sirenengesange – und doch, und doch war dies die süßeste Speise, welche meine Seele noch genossen hat, als dies Mädchen gestern abend für mich sprach wie ein erzürnter Engel, für mich, den Verstoßenen! O himmlische Täuschung, du wiegtest mich in Schlummer, und im Traum lispeltest du unaufhörlich in meine Seele, tief in meine Seele hinein: Sie empfindet für dich, sie wagt für dich, sie wird, ja sie wird dich einst lieb haben, sie wird dich lieben, wenn sie dich erst ganz kennt und versteht – lächerliches Puppenspiel, das ich selbst mit meinem armen Herzen treibe! Unterdes läßt sich jenes Mädchen verschachern an einen Zuckermann, dessen Ehrerbietung gegen die Vorgesetzten an Niederträchtigkeit grenzt, unterdes läßt sie ihr Herzlein auf einen andern Ton stimmen, wie ein Instrument stimmt, unterdes wird[236] wieder alles, wie es von jeher war um den Fritz Schiller, und es bleibt ihm wie immerdar nichts übrig, als die Klage der Verzweiflung und die Frage an den Himmel: warum immer diesen Menschen das Glück und mir und meinesgleichen der bittre Kampf und immer wieder die bittre Niederlage, warum, o Himmel?! Er sinkt auf den Sessel.


Pause.


GENERALIN. Das heißt lästern. Gott hat Euch mehr gegeben, als den auswendig Glücklichen.

KOCH. Und es bleibt uns mehr übrig, als die Klage der Verzweiflung.

SCHILLER aufspringend. Jawohl, Anton, die Tat der Verzweiflung bleibt uns übrig! Sie geschehe nun. Tiefe Seelenschmerzen und vor allem dieser schleichende Zorn der innersten Entrüstung zerstören den Körper und trocknen die Säfte des Lebens aus – deshalb muß ich zugrunde gehen, oder ich muß fort von hier, fort auf Nimmerwiederkehr! So sei es. Gute Frau Generalin, Sie sind eine Freundin meiner Mutter. Übernehmen Sie Trost und Entschuldigung für meine gute Mutter, sobald Sie das nächstemal nach Ludwigsburg kommen. Wollen Sie?

GENERALIN. Ja doch.

SCHILLER. Sagen Sie ihr, ich hätte lange geglaubt, nur ihretwegen nicht hinweg zu können aus der Heimat – auch das war eine Betrügerei meines Herzens, welches die Kindesliebe vorschob, um die – andere nicht sehen zu lassen! Jetzt weiß ich's freilich besser und bin nur noch schlimmer daran, indem ich einen Vorwand und eine Illusion in einem Atem verliere.

GENERALIN weinend. Arme Frau! Sie ist so brav und hängt so an ihrem Fritz – das Herz wird ihr brechen!

SCHILLER. Sagt ihr – auch – meines – sei gebrochen. Aber ich könnte hier nicht mehr bleiben. Sagt ihr, der Fritz wäre vielleicht – geliebt worden, aber die tyrannische Macht, welche auch die Herzen kommandiert, hätte ihm diese Seligkeit vernichtet. Anton, jetzt ist nicht mehr die Frage, ob ich draußen verkümmere oder verderbe; jetzt weiß ich, daß ich hier zugrunde geh', jetzt hilf mir hinweg. Verschaff' mir den Jungen, unsern Botenlaufer, damit er einen Auftrag an Streicher besorge![237]

KOCH. Potztausend, der Junge ist am Ende gestern abend im Kamin des Examiniersaals vergessen und eingeschlossen worden!

GENERALIN. Nein, ich hab' ihn mitgenommen, und er sollte eben den Kaffee bringen – aber ehe ihr so etwas Gewaltsames tut, überlegt doch erst –

SCHILLER. Das ist überlegt.

KOCH. Schiller hat recht. Seine Lage kann nur schlimmer, nicht aber besser werden. Wenn der Herzog von den Räubern erfährt – Ihnen, edle Freundin, brauchen wir's nicht länger zu verschweigen – dann ist der Hohenasperg ihm unfehlbar und gewiß!

GENERALIN. 's ist also wirklich wahr mit dem Spitzbubenstücke –?

KOCH. Wirklich wahr.

GENERALIN. Aber, Kinder, was macht ihr auch für heillose Streiche – ach, mein Gott, da fällt mir erst der Rieger ein! Ihr habt doch nicht in eurer Wohnung Exemplare von dem Stücke?

SCHILLER. In meiner Wohnung? Allerdings. Hinter dem Ofen stehen zwei mannshohe Stöße von Exemplaren –

KOCH. Eignen Verlags!

GENERALIN. Barmherziger Himmel, dann sind wir verloren! Rieger ist mir während der ganzen Tafelzeit sorgfältig ausgewichen und ist – richtig, ich hab's mit halbem Ohr gehört – hierher nach dem gelben Saale beordert – und Rieger war gestern abend in Schillers Quartier kommandiert, um alle dort befindlichen Schriften in Beschlag zu nehmen.

KOCH. Kreuzelement!

SCHILLER. In mein Quartier!? So ist denn die Tyrannei erfüllt bis auf den letzten Buchstaben. Bis in die Privatwohnung dringt die Zudringlichkeit der Spionerie, und sie wartet nicht mehr ab, daß das Mißfällige auf dem Markte erscheine, sie schleppt es selbst aus den Markt, um es strafen zu können. Himmel und Erde, das Tier des Waldes hat seine Höhle, wohin ihm die Zudringlichkeit seiner Feinde nicht folgen kann, nur der Mensch hat keinen Schlupfwinkel mehr vor den schmutzigen Tatzen der menschlichen Jagdherren. Holla auf Nach hin ten. ihr trägen Schläfer – wer hat euch zu schlafen erlaubt? Die Natur? Diese lumpige Natur ist ein Kinderspiel. Euer wirklicher Herr befiehlt euch, Komödie zu[238] spielen! Er hat fünf Stunden gespeist und getrunken und geschwatzt, jetzt will er verdauen und den Schlaf herbeilocken, und dafür ist die Dichtung brauchbar, wenn sie einmal vorhanden ist, und ihr, junge Brut, sollt sie vor ihm herunterleiern zwischen Schlafen und Wachen – So wird der Dichter belohnt, wenn er nicht gestraft wird!!


GENERALIN. Schiller, Schiller, sei Er doch vernünftig!

KOCH. Schrei wenigstens nicht so, wenn du noch auf Rettung hoffen willst.

GENERALIN. Der Hof kann jeden Augenblick eintreffen – da kommt der Bube.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 233-239.
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