Siebente Szene.


[250] Oben aus der Mitteltür erscheinen Schiller, dann Koch und die vier Schüler, später links von oben Laura.


HAUPTMANN. Durchlaucht haben befohlen –

HERZOG. Herunter mit dem Clavigo! – Hin und her gehend.


Schiller steigt herab; Hauptmann folgt.


GENERALIN. O Gott, o Gott!

HERZOG. Daher! – Er bildet sich ein, Talent zu haben!?

SCHILLER. Nein, Durchlaucht.

HERZOG. Er bildet sich ein, Komödie spielen zu können!?

SCHILLER. Nein – Durchlaucht.

HERZOG. Wohl gar, Komödien machen zu können –?!

SCHILLER. Nein, Durchlaucht.

HERZOG. Er bildet sich ein, ein Genie zu sein?

SCHILLER. Nein, Durchlaucht.

HERZOG. Schweig Er still, mit Seinem unverschämten Nein, was bei euch hochmütigen Burschen innerlich doch Ja heißen soll – ich sage Ihm: Er kann gar nichts! Das hab' ich aus Seinem Clavigospiel gesehen, Er kann gar nichts. Er hat ja die Rolle gesprochen, wie ein Schulbube, Er hat sie geheult, statt sie zu sprechen, Er spricht schwäbisch statt deutsch. Er hat keine Vorstellung von Übergängen und Nüancen, Er hat also auch keine Vorstellung von einem Kunstwerke, Er ist ein Stümper in allem, was er anfängt!

SCHILLER. Leider ja, Durchlaucht.

HERZOG. Was? Ich brauch Seine Bestätigung nicht. Ein schlechter Doktor ist Er lange schon, ein gefälliges Benehmen lernt[250] Er auch Sein Lebtage nicht, und das ganze klägliche Menschenbild, wie es dasteht, steift sich seit Jahren auf ästhetische Qualitäten. Ästhetische Qualitäten! Da haben wir's denn auf einmal gesehen, wie es damit beschaffen ist; geschmackloser Plunder ist's! Was bleibt also übrig an dem ganzen Patrone, der seit zehn Jahren hier erzogen und gebildet worden ist, was? Zieh' Er die Summe Seiner Herrlichkeit zusammen und sprech' Er sie aus!

SCHILLER halblaut mit niedergeschlagenen Augen. Ein verfehltes und verschrobenes Menschenbild, das sich kein Haar günstiger ansieht, als Durchlaucht es eben geschildert haben.

HERZOG. Was?

GRÄFIN. O Gott!

GENERALIN. O Jammer!

SCHILLER wie oben. Ein verfehltes Menschenbild, das für ausschweifende Pläne nicht Kenntnis und Talent genug besitzt, für regelmäßige Tätigkeit aber durch ausschweifende Phantasie bereits unrettbar verdorben ist, ein verlornes Menschenbild, das man ins Meer werfen soll, wo es am tiefsten ist. Die Last meiner Fehler wird dafür sorgen, daß ich nie wieder ans Tageslicht komme.


Pause.


KOCH von oben. Durchlaucht führen auf solchem Wege sich und den Schiller links ab von der Wahrheit!

HERZOG. Was untersteht Er sich?!

KOCH. Der Schiller kann ein Genie sein, auch wenn er schlecht Komödie spielt, und wir haben alle schlecht gespielt, weil wir nicht geschlafen haben, und weil wir dazu kommandiert worden sind, wie die Pferde zum Traben – den ersten Akt hatten wir auf der Zunge, und trab trab, heißt es auf einmal zweiter Akt! Deshalb hat man von uns nichts weiter als eine Pferdekomödie erwarten können.

SCHARPSTEIN, HOVER UND PFEIFFER. Ja, ja, ja!

HERZOG. Impertinenter Tiroler, ich werde dafür sorgen, daß du Schritt reiten lernst. Vorkommend. Die Jungen wollen mir über den Kopf wachsen.

GRÄFIN halblaut. Weil sie eben keine Jungen mehr sind.[251]

GENERALIN. Und wie Männer behandelt sein wollen.


Der Herzog sieht sie zornig an.


HAUPTMANN. Ew. Durchlaucht –

HERZOG ärgerlich. Was will Er?

HAUPTMANN. Ich habe einen Auftrag auszurichten, welcher das in Rede stehende Thema komplettieren kann. Regimentsmedikus Schiller hat sich allerdings eines Weitern mit dem Theater beschäftigt und, wie ich gestern schon anzudeuten die Ehre hatte, ein förmliches Stück geschrieben.

HERZOG. Fang' Er nicht wieder Sein abgeschmacktes Spitzbubenzeug an, wenn Er's nicht beweisen kann.

HAUPTMANN. Ich kann es beweisen, Durchlaucht.

HERZOG. Was?

HAUPTMANN. Fräulein Laura hat mich mit den Beweisen ausgerüstet, weil sie hoffte, den jungen Poeten dadurch bei Ew. Durchlaucht zu empfehlen.

GENERALIN. Himmel!

GRÄFIN. Der Unglückliche!

SCHILLER. Das Fräulein!

HERZOG. Deutlich!

HAUPTMANN. Im Namen dieses verkannten Dichters überreicht sie Ew. Durchlaucht durch meine unwürdige Hand das merkwürdige Werk des Regimentsmedikus Das Stück aufschlagend. betitelt »Die Räuber«, ein Schauspiel von Friedrich Schiller.

ALLE. Die Räuber!

SCHILLER. Allmächtiger, und das von Laura!

GRÄFIN. Nun ist alles verloren.

GENERALIN. Laura!


Pause.

Laura ist während dieser Szene oben in teilnahmvollster Bewegung, welcher man ansieht, daß sie die Täuschung erkennt.


HERZOG. Das ist wohl nicht möglich! – Er ergreift das Buch.

HAUPTMANN. Da ist auch der aufsteigende Löwe unter dem Titel mit der Umschrift »in Tyrannos« – ganz wie ich Durchlaucht gestern berichtete.


Kurze Pause.


HERZOG. Ist das wirklich von Ihm, Schiller?

SCHILLER. Ja, Durchlaucht.[252]

HERZOG. Und gedruckt –?

HAUPTMANN. Auch in die Welt versendet und dem kurfürstlichen Theater in Mannheim zur Aufführung präsentiert und dringend empfohlen – –


Kurze Pause.


HERZOG. Ist das wahr, Schiller?

SCHILLER. Ja, Durchlaucht.

HERZOG. Und unter diesem rohen Titel? Und wahrscheinlich von rohem, exzentrischem, verbrecherischem Inhalte –?

SCHILLER. Ja, Durchlaucht.

HERZOG immer zurückhaltend. Warum sagt Er zu allem ja? Was soll das heißen?

SCHILLER. Ich sehe plötzlich ein, daß alles nichtswürdig gewesen, worauf ich eigensinnig mein phantastisch Leben aufgebaut. Aus dem Spiegel der Welt grinst es mich an wie ein verzerrtes Gespenst. Ich habe Menschen zu schildern gemeint und muß entdecken, daß ich die Menschen gar nicht gekannt, ich bin nichts gewesen als hochmütig, und es geschieht mir recht, wenn ich gedemütigt und vernichtet werde –

GENERALIN leise schluchzend. O Gott!

HERZOG. Das heißt also pater peccavi, und Er bittet um Gnade –?

SCHILLER. O nein! Mir nützt keine menschliche Gnade, denn sie kann mir nicht die Schöpfungskraft verleihen, welche ich zu besitzen wähnte, sie kann mir nicht die stolze Kraft meines Geistes und Herzens wiedergeben, welche mich über alles erhob – ich glaube nicht mehr an mich selbst, und damit ist alles verloren, und was sonst mit mir geschieht, ist gleichgültig, da ich mir selbst nichts mehr gelte.


Pause.


HERZOG ihn ansehend. Er ist ein wunderlicher Heiliger, der aber doch kuriert werden muß! Ins Buch sehend. Da hat Er ein gutes Motto gewählt aus Hippokrates: Was Medikamente nicht heilen, das heilt Eisen, was Eisen nicht heilt, das heilt Feuer, Feuer und Schwert! Das können wir ja mit Ihm versuchen. Den Skandal und die Schande, welche er mir im Auslande angerichtet als Eleve meiner Akademie, kann ich freilich nicht mehr ungeschehen machen, aber[253] ich kann dafür sorgen, daß dies nicht weiter vorkommt. Kurze Pause. Ihr da oben könnt zu Bette gehn und die Ferien mit den andern genießen, solange meine Gäste hier sind. Später wollen wir über das Vorgefallene sprechen. An dem da könnt ihr euch unterdes ein Beispiel nehmen. Kurze Pause. Gestern abend hat Er Seinen Degen eingebüßt, heut' büßt Er Seine Freiheit ein. Er begibt sich von hier auf die Schloßwache. Soll ich Ihn hinführen lassen, oder soll ich mich auf Sein Wort verlassen, daß Er sich allein hinfinden wird?

SCHILLER. Ich gehe von hier auf die Schloßwache.

HERZOG zum Hauptmann. Leg' Er das Buch zu den konfiszierten Papieren auf meinen Tisch. – Sobald ich's gelesen Zu Schiller. wird Er meine Meinung erfahren; – für Seinen braven Vater wünsch' ich, daß der Inhalt des Buches besser ist, als der Titel und die freche Entstehung und Verbreitung desselben. – Zur Ruh! – Im Hinausgehen einen Augenblick vor Laura stehenbleibend, die langsam von oben herabgekommen ist, dann ab.

GENERALIN. Unglückliches Kind!


Alle ab, außer Laura und Schiller.

Der Hauptmann rechts hinauf durch die obere Mitteltür ab. Pause.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 250-254.
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