Zweite Szene.


[32] Gottsched unsichtbar. Frau Gottsched. Graf Bolza. Später Schladritz außen.


GRAF BOLZA tritt durch die Mitteltür ein, welche ihm Schladritz, draußenbleibend, öffnet und wieder schließt. Er betrachtet Frau Gottsched einen Augenblick. Sie ist es selbst! Eilt auf sie zu. Schönste Frau!

FRAU GOTTSCHED welche halb mit dem Rücken nach der Mitteltür gesessen, springt auf. Um des Himmels willen, Graf Bolza! Was führt Sie nach Leipzig?!

BOLZA. Wenn es mein Herz wäre, würden Sie mir zürnen?

FRAU GOTTSCHED erschrocken nach Gottscheds offnem Zimmer blickend. Wollen Sie meinen Mann begrüßen? Er arbeitet hier im offnen Nebenzimmer.

BOLZA ohne sich umzusehn. Was frag' ich nach ihm!

FRAU GOTTSCHED. Herr Graf!

BOLZA. Sie haben recht! Den Preußen gegenüber ist er fast so mächtig, als Sie am Hofe zu Dresden mächtig sind, und die Preußen –

FRAU GOTTSCHED. Können jeden Tag in Leipzig einrücken!

BOLZA. Wahrhaftig?

FRAU GOTTSCHED. Was in der Welt hat Sie veranlassen können, Ihren sichern Aufenthalt im Gebirge zu verlassen?

BOLZA. Die Not! Es war ja vorbei mit der Sicherheit[32] meines Aufenthalts! Prinz Heinrich von Preußen rückte mit seinem Heerteile in die Berge hinauf, und man erwartet in der Gegend von Freiberg eine Schlacht. Seydlitzens Reiter durchstreiften alle Schluchten, und gerade dieser verwegene Offizier verfolgt mich persönlich, er beschuldigt mich der Parteigängerei für Österreich, im Grunde aber will er liebes Kind werden bei den Deutschen, indem er den Italiener in mir auf Tod und Leben verfolgt; ja er hat sogar seinen Soldaten ein Signalement meiner Person mitgeteilt!

FRAU GOTTSCHED. Und gerade er, gerade Seydlitz kann jeden Tag wieder in Leipzig sein!

BOLZA. Das wäre entsetzlich!

FRAU GOTTSCHED. Aber warum haben Sie sich denn hier herab in die Ebene gewendet, warum nicht nach dem viel sicherern Böhmen hinüber?

BOLZA. Ich war überrascht worden; ich sah mich abgeschnitten von der böhmischen Grenze, und Galant. mein Magnet zog mich nach Norden! Meines Herzens Gedächtnis ist ein dringender Gläubiger: es ist fast ein Jahr, meine Gnädigste, daß Feldmarschall Daun Sachsen und Dresden sicherstellte, und daß ich Sie sehen und Ihnen meine Huldigung andeuten konnte.

FRAU GOTTSCHED sich nach Gottscheds Zimmer umdrehend. Aber Herr Graf –

BOLZA. Seit so langer Zeit schmachte ich fern von Ihnen.

FRAU GOTTSCHED. Mein Gemahl, Herr Graf, ist kein Freund solcher Galanterien, wenn sie an seine Frau gerichtet werden, und Sie bedürfen in diesem Augenblicke gar sehr seiner Hilfe. Er hat soeben ein dringendes Geschäft, welches der nahe und vielleicht einrückende Feind nötig macht. Entschuldigen Sie, daß ich noch eine Weile zögere, ihm Ihre Ankunft mitzuteilen. Setzen Sie sich! Zeigt auf einen Stuhl am Sofa, während sie selbst das Sofa einnimmt. und lassen Sie uns überlegen, wie Sie hier in Leipzig am sichersten zu verbergen sind. Was für einen Plan haben Sie selbst? Was für Anknüpfungen und Bekanntschaften haben Sie?

BOLZA. Gar keine, meine Verehrungswürdige, als mit Ihnen. Sie wissen, daß die Sachsen, und die Leipziger besonders, schlecht zu sprechen sind auf meinen Vater und auf mich. Diese Leute bilden sich ein, wir benachteiligten sie, weil wir die Meißner Porzellanfabrik ausgebeutet. Sie machen es uns zum Vorwurf, daß wir,[33] Italiener sind, und daß man unsre Landsleute überhaupt in Dresden leiden möge. Sie hassen uns, weil Graf Brühl uns wohlwill. Kann ich bei einem dieser Leute Hilfe ansprechen in der Gefahr, welche mich plötzlich umringt?

FRAU GOTTSCHED. Kaum! Und diese Leute haben auch gar nicht so unrecht, Ihnen nicht wohlzuwollen –

BOLZA. Wie?

FRAU GOTTSCHED. Gerade Leipzig mußten Sie deshalb um jeden Preis vermeiden.

BOLZA. Und das sagen Sie, welche mit der Literatur Englands, Frankreichs und Italiens so vertraut ist, so Hand in Hand geht, welche den Austausch zwischen den Nationen durch geistvolle Bearbeitungen so rühmlich befördert, welche das nationale Vorurteil so tätig bekämpft; das sagen Sie, deren anmutige Bildung mich im Zirkel des Kurprinzen entzückte! O, Sie sagen es gewiß nicht im Ernste! Nein, meine angebetete Frau, ich könnte mich der Gefahr freuen; denn sie treibt mich in diesem Augenblicke, Ihnen mein Herz ohne Rückhalt zu öffnen, Ihnen ohne Scheu zu sagen: daß ich bezaubert bin von Ihnen, und daß ich alles wage um ein Zeichen Ihrer Huld –

FRAU GOTTSCHED bei den letzten Worten aufspringend und seine Hand zurückweisend eilt auf Gottscheds Zimmer zu. Gottsched! Gottsched!

BOLZA. Was tun Sie?


Pause.


FRAU GOTTSCHED mit etwas schwächerer Stimme. Gottsched!

GOTTSCHED von innen, etwas weiter zurück als das letzte Mal. Keine Störung! Ich brauche Sammlung!

BOLZA leise. Und ein liebendes Herz können Sie verraten wollen?

FRAU GOTTSCHED ebenso. Sie vergessen, Herr Graf, daß ich keine Italienerin, daß ich eine verheiratete Deutsche bin – o mein Gott!

BOLZA leise. Ihr Herz erwacht! Hören Sie Ihr Herz!

FRAU GOTTSCHED. Mein Herz gehört meinem Gatten und meiner Pflicht!


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 32-34.
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