Erste Szene.


[57] Gottsched. Frau Gottsched. Bald darauf Cato.


GOTTSCHED aus seinem Zimmer links kommend; er ist unruhig. Ist er zurück?

FRAU GOTTSCHED gleichzeitig aus ihrem Zimmer – dem vordersten rechts – kommend. Du bist unruhig?

GOTTSCHED. Gott bewahre, nicht doch, nein!

FRAU GOTTSCHED. Du hast doch wohl zu viel gewagt mit Einreichung der Protestation in diesem Augenblick!?

GOTTSCHED. Dafür bin ich Gottsched! Ich bin diesen bedeutenden Schritt meinem Namen schuldig![57]

FRAU GOTTSCHED. Nun, dann führe ihn ruhig durch, auch wenn er gefährliche Schwierigkeiten erregt.

GOTTSCHED. Jawohl! jawohl! Das versteht sich! Er ist unruhig bis an die Mitteltür gegangen und hat den rechten Flügel derselben aufgemacht, nach links hinübersehend. Ah, da kommt Er! da ist Cato! – Hier herein, Cato! Hierher, hierher! und er zählt ausführlich, erzählt!

CATO in Livree, welche im wesentlichen der Livree des Schladritz gleicht. Jawohl, Herr Professor. –

GOTTSCHED. Jawohl! also –

CATO. Also ich bin aufs Rathaus gegangen und hab' den Herrn Bürgermeister gesucht.

GOTTSCHED. Richtig!

CATO. Der hatte aber viel zu tun und, wie es schien, den Kopf erstaunlich voll, als ob sich's um eine schreckliche Einquartierung für die Stadt handelte, und es lief alles durcheinander, und man stieß mich hierhin und stieß mich dahin, und ich konnte meinen Antrag nicht anbringen.

GOTTSCHED halb freudig. Na, und Er bringt sie wieder?

CATO. Na, da dacht' ich, fang' mit der Hauptsache an, Cato! Ich schrie also auf einmal: Vom Herrn Professor Gottsched, Senior der philosophischen Fakultät, und so weiter, und so weiter – da paßte alles auf.

GOTTSCHED zu ihr. Ein ganz gescheiter Bursche, wenn's Für sich. denn sein mußte!

CATO. Und der Herr Bürgermeister nahm das Schreiben, machte es auf und las –

GOTTSCHED. Nun?

CATO. Und las sehr lange, und –

GOTTSCHED. Nun?

CATO. Und schüttelte den Kopf.

GOTTSCHED. Was?

CATO. Aber sehr. Dann sagte er: Das hieße die schlimme Lage auf die schlimmste Spitze treiben.

FRAU GOTTSCHED. Das sagte er?! Er ist ein kundiger Mann, Gottsched!

GOTTSCHED. Still doch! Weiter!

CATO. Das sagte er. Und er setzte hinzu, er ließe Ihnen in[58] der Geschwindigkeit mündlich vorschlagen; denn zum Schreiben gäb's keine Zeit –

FRAU GOTTSCHED. Nun?

GOTTSCHED. Was?

CATO. Sie möchten die Eingabe lieber zurücknehmen!

FRAU GOTTSCHED. Siehst du!

GOTTSCHED. Possen!

CATO. Das sagt' ich auch! Mein Herr Professor, sagt' ich, macht so was nicht zum Zeitvertreib! Das ist reiflich überlegt, und er hat es in Sachen der freien Wissenschaft für nötig befunden!

GOTTSCHED. So so!

FRAU GOTTSCHED. Das sagte Er?

CATO. Ja! Sich besinnend. Nun ja, ich hatte es hier so gehört, und damit war's gut. Ich konnte gehn; er legte die Schrift auf den grünen Tisch und murmelte: Wenn nur Seydlitz nicht selber kommt, der versteht keinen Spaß!

GOTTSCHED. Keinen Spaß! Ungeziemlich. Wir spaßen nicht!

FRAU GOTTSCHED. Und wie steht es sonst? Hat Er was gesehn, was gehört?

CATO. Gesehn und gehört, aber 's ist nicht sonderlich.

GOTTSCHED. Was ist's?

FRAU GOTTSCHED. Redet, redet!

CATO. Die Grimmsche Gasse ist bis ans Fürstenhaus ganz verstopft von Fuhrwerk, das noch geschwind herein gewollt und sich festgefahren hat. 's ist ein Mordspektakel da, und was ich so von einzelnen Kutschern aufgeschnappt habe, das klingt verdächtig.

FRAU GOTTSCHED. Nun?

GOTTSCHED. Wie so? wie so?

CATO. Von allen Landstraßen rückten preußische Truppen heran, und sie täten gar nicht, wie geschlagen, sondern sehr vergnügt und sprächen von einem großen Siege, den sie gewonnen hätten.

FRAU GOTTSCHED ängstlich aufschreiend. Gottsched!

GOTTSCHED. Zunächst Gerücht, das falsch sein kann! Und König Friedrich ist mir und den Wissenschaften hold!

FRAU GOTTSCHED. Aber er ist weit entfernt in Schlesien! Und du weißt am besten, daß du ihm in der zweiten Audienz nicht besonders gefallen hast.

CATO. Ja, und noch eins für die Frau Professorin! Mitten[59] unter der festgefahrenen Wagenburg drüben am Eingange der Ritterstraße schien mir die Kutsche der Frau Gräfin von Manteuffel zu stecken, die Sie ja wohl erwarten.

FRAU GOTTSCHED. Schon!? – Aber woher kennt Er denn die Kutsche der Gräfin Manteuffel?

CATO für sich. Blitz! Laut. Ja, ich kenne sie auch nicht, die Kutsche. Aber den Kutscher kenn' ich. Das heißt den Kutscher selbst nicht, aber er trug gerade solche Livree wie der Gottfried, das heißt der Reitknecht, der heute morgen hier war, und weil zwei Damen drin saßen, da dacht' ich mir's.

FRAU GOTTSCHED. Da hat Er ganz recht! Und nun helf' Er gleich dem Schladritz, daß der Tisch gedeckt und angerichtet werde.

CATO. Zu Befehl! Abgehend für sich. Da hätt' ich bald dummes Zeug gemacht! Ab.

GOTTSCHED ist unruhig hin und her gegangen. Dem Schladritz? Ist es denn nicht möglich –

FRAU GOTTSCHED. Nein, es ist nicht möglich, ich kann den Mann jetzt nicht entbehren, da die Kathrine fortgelaufen und so viel im Hause zu tun ist. Der neue Mensch kennt ja mein Hauswesen noch nicht, und wie soll ich's denn bestreiten, da Manteuffels nun da sind und Graf Bolza durchaus hierbleiben soll.

GOTTSCHED. Ich kann doch den vornehmen, einflußreichen Mann jetzt nicht fortjagen!

FRAU GOTTSCHED. Du hättest für ihn sorgen, ihn aber nicht in deinem Hause unterbringen sollen: das kann ja, wenn es entdeckt würde, deine nun ohnehin gefährdete Lage nur verschlimmern!

GOTTSCHED. Laß das!

FRAU GOTTSCHED. Freilich! Jetzt ist's allerdings zu spät! Aber jetzt brauchen wir Vorschriften. Soll der Graf Bolza auch vor Manteuffels verborgen, oder soll er ihnen unter fremdem Namen vorgestellt werden? Denn es darf doch jetzt niemand mehr seinen Namen wissen, viel weniger nennen, da seine Todfeinde die Stadt besetzen? –

GOTTSCHED. Vor Manteuffels? Die kennt er ja!

FRAU GOTTSCHED. So?

GOTTSCHED. Wenigstens hat sich's schon lange um Bekanntschaft gehandelt zwischen ihm und diesen Damen.

FRAU GOTTSCHED. Wie das?[60]

GOTTSCHED. Mein Gott, das solltest du doch aus Dresden besser wissen als ich. Eine Partie ist im Werke zwischen ihm und der Komtesse Wilhelmine.

FRAU GOTTSCHED. Nicht möglich!

GOTTSCHED. Nun, was ist dabei zu erschrecken?!

FRAU GOTTSCHED für sich. Deshalb ist er hier! Der Verräter!

GOTTSCHED. Was hast du denn?

FRAU GOTTSCHED. O nichts, nichts! – Ich bewundere die Schlauheit, welche trotz aller Gefahr unser Haus benützt im Einverständnisse mit den Damen von Manteuffel!

GOTTSCHED. So ist's nun wohl gerade nicht. Eigentlich Er greift nach den Briefen, welche noch auf dem Tische liegen. kennt er sie nicht persönlich und war überrascht.

FRAU GOTTSCHED. Falsches Spiel! Ein Lebemann weiß wohl ein junges Mädchen zu bestimmen!

GOTTSCHED. Das junge Mädchen weiß schwerlich was von ihm. So viel mir bekannt, sind ihre Blicke Selbstgefällig lächelnd und den Brief Wilhelminens einsteckend. ganz wo anders hin gerichtet. Da ist Einen zweiten Brief hinreichend. auch noch ein Brief für dich von der Gräfin, den Gottfried mitgebracht. Sie hat hastig geöffnet und hineingesehn. Was steht darin? Du zitterst ja!

FRAU GOTTSCHED. Höflichkeiten – Redensarten!

GOTTSCHED. Aber was ist dir denn?

FRAU GOTTSCHED. Nichts, nichts! Die vielen Aufregungen belästigen meinen Kopf.

CATO meldend. Die Herrschaften von Manteuffel sind vorgefahren!

FRAU GOTTSCHED. Ach! – Führt sie von außen in mein Zimmer! Gottsched, begrüße sie; ich bin jetzt außerstande. Laßt mir einen Moment Erholung; es wird mir gleich besser sein!

GOTTSCHED Cato zum Abgehen winkend, welcher denn auch die Tür wieder schließt, spricht im Gehen nach hinten. Von wie gebrechlichem Ton sind doch die Weiber! Er öffnet im Vorübergehen Bolzas Zimmer, das zweite rechts, und ruft hinein. Die ersehnten Damen sind angekommen, lieber Graf, und erwarten Sie auf dem Zimmer meiner Frau – zunächst als den Grafen Balthasar, nicht wahr? Verstanden? Wir spielen Roman! Zur Frau. Luise! Balthasar heißt unser Held! Lachend ab.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 57-61.
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