Fünfte Szene.


[94] Gottsched. Frau Gottsched. Gellert. Es bleiben Cato, Bolza und Katharina; es kommen später Siegmund und Schladritz.


GOTTSCHED. Da haben wir's! Da haben wir's!

FRAU GOTTSCHED. Mein Gott, warum hast du gezögert!

GELLERT. Fassung! Fassung!

FRAU GOTTSCHED zu Bolza. Treten Sie doch wenigstens in Ihr Zimmer!

GOTTSCHED. Nein, um des Himmels willen, jetzt verschlimmert es ja nur die Sache, wenn er beim Visitieren gefunden wird!

FRAU GOTTSCHED. Aber vielleicht wird nicht visitiert!

BOLZA die Hand am Degen. Ich danke Ihnen, Madame, ich will den Herrn Professor so wenig als möglich kompromittieren!


Die Trompeten, welche einen Augenblick geschwiegen, beginnen den Dessauer Marsch von neuem, jetzt im Vorsaale. Es fährt bei diesem nahen Tone alles bestürzt auseinander und rangiert sich: links vorn am Sofa Cato, dann Frau Gottsched, dann Gellert, sämtlich auf der linken Seite – die

Mitte bleibt frei – auf der rechten Seite, der Mitteltür zunächst, Bolza, dann Gottsched, dann Katharina ganz vorn.

Pause.

Man hört den Marsch. Schladritz reißt von außen unter Komplimenten die Tür auf, und Siegmund erscheint auf der Schwelle. Dies geschieht während der letzten[94] Takte des ersten Teils vom Marsche. Dieser erste Teil wird nicht wiederholt, und mit den ersten Takten des zweiten Teils tritt Siegmund kurz an und marschiert gravitätisch mit dem Stock an die Stiefel schlagend und links und rechts blickend bis in den Vordergrund, nach dem Takte singend.


»Und wenn der alte Fritze kommt

Und klopft sich auf die Hosen,

So lauft die ganze Reichsarmee,

Panduren und Franzosen!«


Beim letzten Takte tritt er scharf auf, macht halbe Wendung gegen die an der Tür erscheinenden Trompeter, vor denen Schladritz, sich die Ohren zuhaltend, ins Zimmer hereinweicht, erhebt den Stock und ruft. Halt! – 's ist genug!

SCHLADRITZ schließt unter Verbeugung gegen die außenbleibenden Trompeter die Tür.

CATO jetzt erst einmal flüchtig nach Siegmund blickend, für sich. Donnerwetter, auch grade derselbe! Nun wird's schlimm!

SIEGMUND hält den Bescheinigungszettel, welchen vorhin Schladritz dem Ratsdiener hinausgetragen hat, in der Hand und liest. »Daß der Ratsdiener Mohr seinen Auftrag vom Herrn Bürgermeister noch vor Ankunft der Kürassiere ausgerichtet, bescheinigt hiermit Gottsched.« – Erstes Beutestück? Wer ist Gottsched?

GELLERT korrigierend. Herr Professor Gottsched!

SIEGMUND sieht sich nach Gellert um.

GOTTSCHED. Ich bin Gottsched und heiße ordentlicher Professor und Senior der philosophischen Fakultät –

SCHLADRITZ. Auch Dezemvir –

SIEGMUND. Still da!

SCHLADRITZ fährt zurück.

KATHARINA. Sei artig, Vetter, du bist hier bei ordentlichen, vornehmen Leuten!

SIEGMUND. Kuckuck, Käthchen! Wirft ihr eine Kußhand zu. Bin im Dienst, Felddienst, da hört aller Krimskrams auf mit Titeln, da heißt's Nummer Eins, Nummer Zwei, was drüber ist, ist Luxus. – Professor Gottsched, ich bin kommandiert, in ihr Quartier zu rücken und erstens: Sie aufs Rathaus zu befehlen vors Generalkommando binnen jetzt und einer Stunde!

GOTTSCHED. Meine Behörde ist Senat und Rektor Magnifikus, nicht aber ein Generalkommando –

SIEGMUND. Was? Senat und Rektor Soundso! Geht mich[95] nichts an! Mir unbekannt dies Kommando! 's ist Krieg, mein Herr, und der Säbel befiehlt!

GELLERT. Leider!

SIEGMUND nachdem er sich wieder umgesehen nach Gellert. Zweitens bin ich kommandiert, einen italienischen Grafen Bolza zu holen, der hier in diesem Quartiere versteckt ist!

KATHARINA. Hier gibt's keinen Grafen Bolza, unser Graf heißt Graf Balthasar –

SCHLADRITZ. Und Graf Bolza existiert überhaupt nicht –? Nickt Gottsched zu.

SIEGMUND zu Schladritz. Ruhe! Schladritz fährt zusammen. Hierher, Livree! An den Säbel schlagend. Er räsonniert?! Welcher ist Sein Graf –?

SCHLADRITZ erschrocken einen Schritt vortretend, halb auf Siegmund, halb auf Bolza blickend. Mein Graf, das heißt Graf Balthasar, ist –

SIEGMUND auf Bolza zeigend. Dieser hier! – Mein Herr italienischer Graf, Sie werden mir auf der Stelle folgen!

BOLZA. Wo ist Seine Order?

SIEGMUND. Was? Auf den Säbel schlagend. Hier ist sie! Jetzt wär's auch Zeit zur Schreiberei! Also keine Umstände gemacht!

GOTTSCHED. Aber, mein lieber Freund!

SIEGMUND. Kreuzdonnerwetter, ich bin hier kein lieber Freund!

GELLERT zögernd einen Schritt vortretend. Er ist hier, mein lieber Freund und Wachtmeister, unter gebildeten Leuten, und es würde Ihm ganz gut anstehn, wenn Er sich nicht wie auf der Landstraße, sondern etwas – höflicher betrüge!

SIEGMUND. Was untersteht man sich?! Man will einen Wachtmeister von den Seydlitzern im Dienste hofmeistern, wenn man vom schwarzen Zivil ist?! Wer ist man?

GELLERT. Man ist zivil! Das versteht Er nicht! Langsam auf ihn zutretend; mit einigem Stutzen weicht Siegmund einige Schritte vor ihm zurück. Man liebt Soldatenton nicht in Bürgerhäusern! Versteht Er das?

SIEGMUND. Wer ist man?

GELLERT. Man ist auch ein Professor, wenn Er, lieber Freund und Wachtmeister, etwa alle Welt arretieren will. –

KATHARINA. Schäm' dich doch, Vetter Siegmund, 's ist ja der ehrwürdige Herr Professor Gellert![96]

SIEGMUND die Hände zusammenschlagend. Gellert!Pause. – »Um das Rhinozeros zu sehn, erzählte mir mein Freund, beschloß ich auszugehn!« – Das ist von Ihnen?! Sie sind Gellert? Christian Fürchtegott Gellert?!

GELLERT. Ja, mein Freund!

KATHARINA. Freilich!

SIEGMUND. Der die schönen Fabeln und Geschichten schreibt?! Je so muß ja das Donnerwetter in den Wachtmeister Siegmund schlagen, daß er sich so aufgeführt hat gegen Sie! Herr, Herr, ich lieb' Sie ja schon seit vielen Jahren wie meinen Vater! Professerchen, geben Sie mir 'ne Hand, das ist ja ein Haupttreffer, daß ich Sie einmal zu sehn kriege! Mit Gellert vorkommend.

GELLERT. Na, es freut mich, wenn moralische Geschichten noch bei Ihm verfangen. –

SIEGMUND. Je, da müßt' ich ja selber ein Rhinozeros sein, wenn Ihre Geschichten nicht mehr bei mir verfingen! – Du bist doch aber ein Zu Katharina. rechtes Gänschen, daß du mir das nicht gleich gesagt hast!


Während dieser Rede ist Frau Gottsched herübergekommen, Bolza winkend, er möge den Augenblick benutzen, hinauszugehen, und hat Katharina gewinkt, sich Siegmunds zu bemächtigen.


KATHARINA Verständnis ausdrückend, ist zu Siegmund getreten. Na, warum machst du einen so unverschämten Lärm!

BOLZA kommt während dieser Worte an die Tür.

SCHLADRITZ öffnet sie beim Worte »unverschämten«.


Man sieht aber die Trompeter dahinter aufgepflanzt, und beim Worte Katharinas »Lärm« rufen beide Trompeter einstimmig dem Grafen entgegen: Parole!


SIEGMUND auffahrend. Holla! Sich umwendend. Aha, wie der Marder vom Taubenschlage! Nein, italienischer Herr! Disziplin ist da, wenn wir auch Bildung haben und gerührt werden können – dies Manöver ändert aber den ganzen Feldzug, Professerchen Den Säbel ziehend. 's tut mir leid, aber zuerst bin ich Wachtmeister! Treten Sie auf die Seite, hier Auf Bolza zeigend. muß ich Ernst zeigen! Er schiebt Gellert nach der durch Frau Gottsched leer gewordenen Stelle links; an die hintere Stelle links ist Bolza, von der Tür zurückweichend, getreten. Frau Gottsched hat auf der rechten Seite hinter Gottsched Platz genommen, Katharina ist an ihre erste Stelle zurückgeprallt. Sowie Siegmund Gellert ein wenig auf die linke Seite führt, erblickt er Cato, der sich bis dahin immer mit[97] möglichst abgewandtem Gesichte verhalten, sich aber bei den Worten »mus ich Ernst zeigen« einen Augenblick herumgewendet hat. Kreuz Element, was seh' ich da? Er prallt zurück und starrt auf Cato. Da ist ja mein Offizier von der Reichsarmee!

GOTTSCHED UND FRAU GOTTSCHED. Offizier?

KATHARINA UND GELLERT. Von der Reichsarmee!?

SCHLADRITZ. Der Cato!

SIEGMUND. Jawohl, von der Reichsarmee! Den ich bei Roßbach gefangen nahm!

CATO. Lügner!

SIEGMUND. Oder doch gefangen nehmen wollte. Der mir mein Pferd erschossen und Hut wie Gliedmaßen zerhauen hat – hurra, jetzt kommt der Tag der Rache!

CATO. Er ist besoffen! Bückt sich, hebt seinen Mantel auf und wickelt einen Degen heraus.

SIEGMUND. Besoffen? Oho, da ist ja auch der weiße Mantel vom Regimente Hildburghausen, das erkennt sich auf tausend Schritt! Und hier in Leipzig, mitten unter uns, das wird auf faule Kriegsgeschäfte hinauslaufen; Seine Papiere!

GOTTSCHED. Mein Bedienter!

SIEGMUND. Ihr Bedienter?! Das macht Sie und ihn dreifach verdächtig! Herr, hier ist Spionerie! Jeder Spion wird totgeschossen! Wer seine Person oder Papiere von ihm birgt, desgleichen!

SCHLADRITZ. Um Gottes willen, Herr Wachtmeister, ich habe vorhin aus dem Büchsenranzen des Menschen da, der mir gleich verdächtig war, Papiere gezogen, Greift an alle Taschen. die brennen mich jetzt wie höllisch Feuer. –

SIEGMUND. Wo sind sie!

SCHLADRITZ. Hier! – Übergibt ihm die Broschüre aus dem vorigen Akte und zieht sich hastig zurück.

SIEGMUND. Das sind gedruckte Papiere! Haben Sie andere noch, Herr Gottsched?

GOTTSCHED. Nein, mein Freund!

SIEGMUND. Wird sich finden! Holla, Einen Schritt auf Cato zutretend. Euer Liebden sind mein Gefangener und überliefern mir auf der Stelle Ihre Person und Ihre Papiere![98]

CATO den Degen plötzlich gegen ihn vorbringend. Meine Hiebe! wenn Er noch einen Schritt vorwärts tut! Bin ich der, für den Er mich hält, so bin ich seit langer Zeit aus dem Heere geschieden und bin keinem Wachtmeister Rechenschaft schuldig. –

SIEGMUND. Das wollen wir sehen!

CATO fast ohne sich zu unterbrechen. Herr Graf, den Degen aus der Scheide!

BOLZA hat auf den obigen Zuruf gezogen und mit dem Ausrufe. Jawohl! Sich an Cato geschlossen, vor Gellert, der rechts hinüber eilt, vortretend.

CATO. Lassen wir nicht von einem einzelnen Wachtmeister einem Hause voll Männer kommandieren! Ein paar Trompeter jagt die tapfre Kathrine allein die Treppe hinunter!

KATHARINA. Gott straf' mich! Über die Bühne nach Gottscheds Zimmer laufend. Und mit des Herrn Professors Paradedegen! Ab, und bald darauf mit einem Galanteriedegen zurück.

SIEGMUND ist einen Schritt nach rechts zurückgetreten. Soll das Ernst sein, dann wird's Euch schlecht bekommen!

GOTTSCHED im Vorschreiten zu Gellert. Durch solchen Widerstand wird's ja immer schlimmer für uns!

GELLERT sich vergnügt die Hände reibend. Das ist jung, das hat Courage!

KATHARINA eintretend und sich neben Bolza stellend. Hurra!

SIEGMUND. Werft Eure Degen weg, das rat' ich Euch als guter Freund!

CATO eindringend. Wehr' dich, Wachtmeister, oder troll' dich!

BOLZA. Hinaus mit ihm!

KATHARINA mit dem Degen fuchtelnd. Hurra! Gegen die Trompeter!

SCHLADRITZ. Juchhe! die Kathrine mit dem Bratspieße!

SIEGMUND. Ruhe! Alle senken die Waffen. Das wird eine Dummheit, die Euch allen den Hals bricht, wenn ich sie ernsthaft schief nehme! Und wenn nicht hier das dumme Mädel und dort mein Professerchen dabei wären, so nähm' ich sie auf der Stelle schief, trotz meiner beiden Trompeter, die allerdings nicht für voll gelten. Aber ich brauchte ja nur einen zum Fenster hinaus Lärm blasen zu lassen, so wären in ein paar Minuten mehr Seydlitzer hier als Haare auf Euren Köpfen, törichte Menschen! Wie gesagt, aus Gutmütigkeit will ich Fünfe gerade sein lassen, aber Dienst ist[99] Dienst, also aufgepaßt! Professor Gottsched, werden Sie mir aufs Rathaus folgen?

GOTTSCHED Gellert ansehend.

GELLERT. Lieber Freund und Wachtmeister – nein!

SIEGMUND. Professerchen, das wird böse! General Seydlitz verträgt keinen Widerspruch. – Herr Graf aus Italien und Herr Offizier von der Reichsarmee, wollen Sie gutwillig als Gefangene mit mir gehn?

CATO. Nein.

BOLZA. Nein.

SIEGMUND. Gut: ich habe also offne Widersetzlichkeit zu melden, und die Sache wird ernsthaft. Meine Trompeter bleiben an der Haustür und ziehen ihre Säbel. Wer das Haus verlassen will, wird zusammengehauen. In zehn Minuten ist ein Offizier hier mit einem Pikett und mit dem Profoß des Regiments. Dann wird es anders klingen. Bis dahin – Gott befohlen! Ab.


Totenstille.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 94-100.
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