Achte Szene.


[80] Christine. Bald darauf Brahe. Ein Diener.


DIENER. Graf Brahe, Majestät.

CHRISTINE am Fenster stehend und hinausblickend gibt mit einer Handbewegung ihre Zustimmung, ohne sich umzuwenden. – Graf Brahe tritt ein. – Die Königin spricht laut für sich nach dem Fenster hinaus.

Ach, dies Land ist rauh, und die Menschen sind kalt,

Und sie wissen von keinem Himmel –


Pause.


Sie wendet sich rasch um. Glaubt Ihr, Brahe, daß jemand geraten werden kann, wenn es sich um dessen innerstes, eigenstes Leben handelt?[80]

BRAHE. Nein, Majestät. Ein guter Rat findet überall eine gute Statt, aber einen guten Rat geben, heißt noch nicht raten. Ich glaube nicht, daß ein Mensch dem andern helfen kann, wenn es um die innerste Hauptfrage des Menschen geht. Seines wirklichen Glückes oder Unglückes Schmied ist jedermann ganz allein.

CHRISTINE. Wofür haben denn also die Fürsten ihre Räte?

BRAHE. Für den Staat.

CHRISTINE. Für den Staat! Für den Staat! Für diese Rechenmaschine! – Ach ja! – Sie setzt sich. – Graf Brahe, ich wollte, es wäre anders, ich brauche Rat; aber Ihr habt recht, ich fühl's, es kann mir ihn niemand geben. Ich weiß voraus, daß ihr mir alle abraten werdet, und ich weiß ebenso voraus, daß ich nicht darauf hören werde und nicht darauf hören kann. Kein Mensch wird mir recht geben, und doch habe ich recht, recht für mich, recht in mir – setzt Euch, Brahe, sprecht zu mir, als ob ich nicht mehr Königin wäre.

BRAHE verbeugt sich und bleibt stehen.

CHRISTINE. Ja, so seid ihr alle! Ihr seid nicht herauszubringen aus der Konvenienz! Sie ist euch nicht mehr ein Kleid, sie ist euch die Haut selbst geworden. Ach, eine Königin kann die Menschen nicht mehr sehen, wie sie wirklich sind, sie vergessen die Königin keinen Augenblick, der Respekt arbeitet mit, auch in ihrer innersten Gedankenwerkstatt, und es kommt kein naiver, unverzollter Gedanke neben mir auf! – Habt Ihr auf Eurer diesmaligen Reise in Holland Cartesius gesprochen? Wie denkt er meiner? Zu was für neuen Resultaten über Gott und Menschen ist er gekommen?

BRAHE. Er denkt Eurer in großer Verehrung und bedauert, nicht mehr täglich mit Euch philosophieren zu können. Der Schwung ihrer Gedanken, sagte er, fehlt mir in diesem platten Lande gar sehr, denn es ist am Ende doch nicht genug, die Gedanken auszurechnen, wir haben ja doch noch mehr Hilfsmittel, Gott zu finden, als den Verstand –

CHRISTINE schnell. Gott weiß es, wie sehr wir daran leiden, daß der kalte Norden dies nicht begreifen will – und wie steht er jetzt mit dem Heiligen Vater?

BRAHE. Mit dem Papste? Zu seiner Bekümmernis übel, die Kirche will's nicht anerkennen, daß er, ein frei suchender Philosoph, im Dienste der Jungfrau Maria arbeite. –

CHRISTINE. Ich möchte den Heiligen Vater selbst sprechen, ich[81] möchte ihm darlegen, daß Descartes ein guter Katholik ist, ich weiß es – erkennt Ihr hier nicht das Wunder, Brahe, welches ganz Schweden leugnet, daß man einer poetischen Hingebung bedarf, daß man eines poetischen Glaubens bedarf, auch wenn man sein Leben der unerschrockensten Forschung widmet? Erkennt Ihr's nicht, daß mein Vater nicht dafür gestorben ist, um die Wunder des Herzens von der Erde zu scheuchen, daß ich ohne einen strahlenreichen Himmel nicht bestehen kann auf dieser einfarbigen Erde? – Ihr schweigt? Heraus mit dem Worte, was auf Eurer Lippe schwebt, sprecht's aus, seid ein Mann! Wie heißt das Wort?

BRAHE. Schwärmerei! – heißt's, Königin.

CHRISTINE. Schwärmerei! Und da denkt Ihr, so was Erschreckliches gesagt zu haben. Jawohl, der Schwärmerei will ich fähig bleiben, solange ich einen Gott in mir fühle, der sich nicht in Worte einschränken läßt, Schwärmerei will ich mir bewahren, um nicht in dieser trockenen Prosa einzuschrumpfen. Sie geht heftig auf und ab. Wißt Ihr's denn, was mit uns wird, wenn die Hülle des irdischen Leibes fällt?

BRAHE. Nein.

CHRISTINE. Nun, alter Mann, du weißt nichts, und willst doch nichts glauben?

BRAHE. Ich glaube den Glauben, der in mir entsteht und lebt.

CHRISTINE. Und wem nun der Glaube entsteht und lebt, wie ihn die Kirche lehrt?

BRAHE. Der gehört zur Kirche, ihm ist wohl und leicht.

CHRISTINE. Er fühlt sich sichrer in der großen Gemeinschaft.

BRAHE. So ist's.

CHRISTINE. Nun?

BRAHE. Was mehr?

CHRISTINE. Was mehr! Raten sollst du, ob ich länger von meiner Seele Frieden geschieden bleiben soll?

BRAHE. Es gibt da keinen Rat, Königin, damit begann ich, damit schließ' ich. Solchen Frieden nennen wir hierzulande der Seele Tod, und man kann nicht Königin von Schweden und katholisch zugleich sein.

CHRISTINE. Königin von Schweden! Was ist mir das? Eine Last.

BRAHE. Eure Majestät sind in gereizter Stimmung, aber dieser[82] Punkt ist von andrer Seite der Aufmerksamkeit zu bedürftig, als daß ich darüber hingehen dürfte. Königin, die Unzufriedenheit des Landes wächst von Tage zu Tage, daß Ihr katholische Männer um Eure Person hegt, man klagte über Bourdelot, klagte über Pimentel, klagte über Santinelli, und jetzt ist Monaldeschi mächtiger als alle früheren –

CHRISTINE ihn unterbrechend. Man will meinen Umgang beaufsichtigen, als ob ich unmündig wäre! Wofür bin ich Königin? Wofür trag' ich alle Lasten dieses Berufs? Dafür, um auch derjenigen Freiheit zu entbehren, die dem unmächtigsten Weibe meines Reiches zusteht, der Freiheit, mit Leuten umzugehen, an denen ich Gefallen finde?

BRAHE. Wer am weitesten gesehen wird, ist immer am wenigsten frei, dafür steht er aber auch am höchsten – in diesem Augenblicke, Königin, stehn zwei Menschenleben um dieser Verhältnisse willen auf dem Spiele!

CHRISTINE. Was?

BRAHE. Das eine scheint Euch wert zu sein, das andere ist mir teuer –

CHRISTINE. Was ist?

BRAHE. Ludolf von Malström ist in Streit geraten mit Monaldeschi, und sie sind jetzt nach dem Tiergarten unterwegs, um sich auf Tod und Leben zu schlagen –

CHRISTINE. Ha, das ist die Freundschaft Eures Hauses für mich! Sie klingelt.

BRAHE. Eure Majestät werden –

CHRISTINE zum eintretenden Diener. Santinelli!


Diener ab.


BRAHE. Eure Majestät werden bei jeder schweren Gelegenheit, die Gott verhüten wolle, erkennen, daß das Haus Brahe der Tochter Gustav Adolfs in Not und Tod folgt.

CHRISTINE. Das sind die schönen Phrasen, Ihr behaltet Euch vor, zu bestimmen, was mir dienlich und was mir nicht dienlich sei, ich kenne das.

BRAHE. Eure Majestät –

CHRISTINE. Schweigt, ihr seid einer wie der andre.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 80-83.
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