Erste Szene.


[112] Offene See.

Das Theater stellt seiner Länge nach das Verdeck eines Schiffes vor, das durch nichts weiter als durch eine an den Kulissen beider Seiten hingehende, den Bord darstellende Brettwand und durch Luft darstellende Kulissen, durch herumliegende Taue, allenfalls durch ein Segel angezeigt zu sein braucht. Klappstühle lehnen umher; man hört zuweilen einen Matrosenruf. Das Theater bleibt eine Weile leer.

Christine.


CHRISTINE kommt aus dem unteren Raume heraufgestiegen. Sie ist in Männertracht, trägt Hut und Mantel. – Eine Zeitlang steht sie stumm sieht halb nach hinten über Bord.


Man hört einen Matrosen singen.


»Der Himmel ist hoch, die See ist tief,

Was droben oder drunten schlief,

Es konnt' es kein Mensch erkennen.« –


Sie schauert zusammen.


Schauerlich einsam und melancholisch

Weht mich die Meeresöde an.

Die blauen Streifen von Schweden erbleichen,

Ins Meer sinkt meine Vergangenheit,

Die Krone, die Macht – und meine Jugend.

Wir bestimmen und ordnen uns selbst die Zukunft,

Und dennoch erscheint sie völlig eigen,

Eine selbständige Macht, die uns befremdet:

Ich habe das alles herbeigeführt,

Ich sah es kommen Tag um Tag,

Und nun es da ist, ist's dennoch anders,

Und erschreckt mir das Herz wie fremde Macht.[112]

Mir ist so einsam und melancholisch,

Als wär' ich gestorben, und als erwacht' ich

Vom Todesschlafe, die Glieder zittern

Von leisem Froste, das Herz ist kalt!

Ich begegne nur wenig alten Bekannten,

Und sie besinnen sich, ob sie mich kennen –

Das Meer ist öde, die Sonne bleich,

Eintönig hebt sich und senkt sich die Woge,

Die Welt ist weit und streng, und wir sind klein

Neben der elementarischen Macht,

Neben den Mächten des Schicksals,

Neben dem öden Schritte der Zeit –

Gleichgültig gehen sie neben uns her,

Wir mögen denken, wir mögen starren,

Es kümmert sie nicht, sie gehen weiter,

Bedecken den Stein und das Tier und uns.

Mich schauert – alles ist fremd und furchtbar.


Pause. Der Matrose singt.


»Das Grab ist grün, die Zeit ist lang,

Und wer zu früh hinuntersank,

Muß lange, lange warten!«

CHRISTINE setzt sich und wiederholt langsam.

»Und wer zu früh hinuntersank,

Muß lange, lange warten!«


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 112-113.
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