Zwölfte Szene.


[142] Hirschgalerie.

Eine lange Galerie, deren Pfeiler mit Hirschgeweihen geschmückt sind. Aus der Tür des Hintergrundes – man sieht keine andere Tür – treten zuerst zwei Bewaffnete und stellen sich, ein paar Schritte seitwärts, an beiden Seiten der Tür auf, dann tritt Monaldeschi rasch ein, und hinter ihm, als auf sein beabsichtigtes Zurücktreten die Tür von Santinelli geöffnet wird, sieht man diesen und den Prior und dahinter Trabanten jenseits der Schwelle.


MONALDESCHI als er die Bewaffneten sieht. Was sind das für erschreckliche Vorbereitungen? Hier scheint's geratener, das Schwert zu ziehn und rückwärts zu treten. Er zieht sein Schwert und will zurück, gleichzeitig kreuzen die Bewaffneten ihre Schwerter über dem Ausgange, die Tür wird aufgerissen, Santinelli steht mit gezücktem Schwerte davor, hinter ihm Trabanten.

SANTINELLI. Renne dich auf! Du bist am Ziele.

MONALDESCHI weicht nach vorn. Henkersknecht!

PRIOR hereinstürzend. Haltet ein! Respektiert den Befehl der[142] Königin, und das Geheisch der Kirche! Seine Seele sei vorbereitet und getröstet, eh' es zum Letzten kommt!

MONALDESCHI. Was, Priester? Das klingt ja wie ein reif beschlossenes Todesurteil und dringt mir durch Mark und Bein!

PRIOR. So ist es, armer Mann, und ich bin da, deine Beichte zu hören.

MONALDESCHI. Das ist nicht möglich! Noch einige Schritte nach dem Vordergrunde weichend, immer halb mit dem Gesichte gegen die Angreifer, und sich an eine Kulisse stellend. Mann der Kirche, du lügst – oder du irrst dich! Du bist getäuscht durch jenen Schurken Santinelli, der seine Bedientenseele aufsteift zur Banditenseele, um seine Karriere zu machen –

SANTINELLI. Ergeh' dich in deinem Geschwätz, es ist das letzte. Deine Ränke sind am Ziele, und du magst nun ermessen, ob es der einfache Mann und Weg weiter bringt, als der deine – holla, beichte!

MONALDESCHI. Bis zum Henker hast du's gebracht, Schurke, und du bist so brutal einfältig, nicht zu wissen, daß man den Henker zum Teufel jagt, wenn er sein Geschäft verrichtet hat –

SANTINELLI. Beichte rasch, oder du fährst ohne Absolution zur Hölle – Zu den Bewaffneten. herbei!

PRIOR. Halt ein, im Namen Gottes! Tretet zurück!

MONALDESCHI. Wackre Henkersknechte! Zwei mindestens gehn mit mir hinab, wenn es Ernst wird! Mein Arm ist stark und meine Klinge fest.

PRIOR nähert sich ihm. Tu' ab den weltlichen Hochmut und den Trotz auf menschliche Hilfe! Belade nicht deine Seele mit Mord, denn du mußt sterben. Bezwängest du diese, so kämen andere herein, die vor der Tür harren.

MONALDESCHI. Ist es möglich? Ist es wirklich? So furchtbarer Ernst ist's? Heilige Jungfrau, steh' mir bei! Ehrwürdiger Pater, tretet näher, tretet ganz nahe zu mir! Mit gedämpfter Stimme. Um aller Heiligen willen sagt mir die Wahrheit! Spracht Ihr die Königin? Ist dies alles überlegt und unwiderruflich? Und die schwedischen Grafen schweigen dazu? Und Ihr, ein Franzose, leistet Euren Dienst solchem Morde? Euer harrt ein furchtbar Gericht! Diese Königin ist der Krone bar, hat kein Recht mehr über Leben und Tod, sie kann nicht richten, sie läßt mich morden! Und in fremdem Lande, in Frankreich! – Euer Regent, Seine Eminenz der[143] Kardinal, wird Euch zu schrecklicher Verantwortung ziehn! Er ist mit mir in Verbindung gegen die Torheiten dieser Königin; gegen ihn wie gegen mich geht dieser Angriff, Mann der Kirche, Mann Gottes, bedenke das alles, rede, rede!

PRIOR. Armer Marquis! das alles ward bedacht, ward besprochen, ward verworfen!

MONALDESCHI. Es ward? Gerechter Gott! – Entsetzlich! Dann – dann hilft nur eins! Dann eile zur Königin! Gebiete hier Stillstand, eile zur Königin! Ich wollte sie nur noch einmal sehn, ich wollte ihr beichten, ich wollte sterben, aber erst dann, eile!

PRIOR. Ich geh', aber ich geh' ohne Hoffnung!

MONALDESCHI. Gleichviel, eile! eile!

PRIOR. Ich eile. Wendet sich nach der Haupttür.

SANTINELLI. Seid Ihr zu Ende?

PRIOR. Keineswegs! Im Namen Gottes, laßt Eure Waffen ruhn, bis ich wiederkehre!

SANTINELLI. Niemand verläßt den Saal, bis der Verbrecher gerichtet –

PRIOR. Grausamer Mann, achte den Diener Gottes, ich gehe in Gottes Geschäft –

SANTINELLI. Ich achte und ehre Euch, aber ich vollbringe meinen Dienst – erst Herrendienst, dann Gottesdienst.

PRIOR. Du frevelst, Mann! und es wird dir heimkommen! Er wendet sich nach vorn und geht links auf eine Kulisse zu. Glücklicherweise bin ich hier bekannt. Er orientiert sich an den Geweihen über den Pfeilern, drückt an einer Feder, und öffnet eine verborgene Tür. Bei höchster Kirchenstrafe haltet Friede, bis ich wiederkehre! Ab.

SANTINELLI springt an diese Tür.

MONALDESCHI. Damit ich dir nicht entgleite, Schuft! Du bist einexerziert wie der beste Scherge, und der Zorn schwillt mir auf, dir das Eisen zwischen die Rippen zu stoßen – Er tritt einen Schritt vor – die Bewaffneten von der Tür sogleich ebenfalls.

SANTINELLI. Versuch's.

MONALDESCHI tritt wieder zurück.


Lange Pause.


MONALDESCHI leise vor sich hinsprechend.

Ich bin umstellt wie ein Wild und wehrlos.

Der Moment ist da, ich fühl's, es rieselt[144]

Wie Schauer des Todes durch mein Gebein!

Ich empfand sie nie – was folgt? Wer weiß es!

Schwarz, schwarz liegt die Unsicherheit da,

Und rosig erscheint der Novembertag

Dieser Erde, die ich kenne und liebe!

Hu! Entsetzlicher Frost, der die Glieder durchirrt –

Der Moment ist da! Dieser Königin

Hab' ich nichts zu sagen –

Um auf Menschen zu wirken, muß man sie lieben –

Sylva! Sylva!

Du hast mir gezeigt, daß ich machtlos geworden!

Ja, ich bin hin und gehe zugrunde

An einem verschrobenen Weibe! –


Pause.

Zu Santinelli.


Franzesko! sei ein Mensch! gedenke unsrer Jugend,

Unsrer Spiele und Träume, gedenke der Deinen,

Die mich geliebt!

SANTINELLI.

Ich bin kein Denker!

MONALDESCHI rasch.

Du bist bloß Henker!

Nein, nein, du bist es nicht. Du hattest ein Herz

Als Knabe, du hast es noch – o weck' es auf,

O laß meine Stimme es wecken! Sei menschlich!

Tritt von der Tür! – Nie siehst du mich wieder,

Dein Weg wird auf immer befreit von mir –

Franzesko, tu's!

SANTINELLI.

Ich tue meine Pflicht!

MONALDESCHI.

Tu' mehr, Franzesko, Gott wird dir's lohnen!

SANTINELLI. Nein. Pause.

MONALDESCHI.

Die letzten Momente des Lebens, entsetzlich!

Alles möcht' ich noch einmal bedenken,

Was ich gedacht und getan – und wie das Meer

Drängt sich in Masse alles zu Hauf

Über mich her!

Ich kann nichts sondern und kann nichts wählen,

Und der Augenblick flieht!

O schöne Menschenkräfte,

Die ich vergeuden mußte, weil kein Vater,

Kein Vaterland und kein Beruf sie einte –[145]

Wird's anders werden?

Gemeiner Mut, so bleib mir treu,

So bleib –


Stampft mit dem Fuße.


bleib! Und hilf mir

Über den elementarischen Schauer hinweg,

Der den Tod begleitet!


Kurze Pause.


Und die törichte Seele, sie hoffet doch!

Ich höre, ja ich höre Schritte,

Sie kommt! Ich bin gerettet!


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 142-146.
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Monaldeschi
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