Achte Szene.


[174] Königin. Struensee.


KÖNIGIN. Graf Struensee! Kurze Pause. Das Gerücht, welches Euch eine lebhafte Neigung für Gräfin Mathilde von Gallen zuschreibt, scheint wohlbegründet zu sein –

STRUENSEE. Gnädigste Königin! –

KÖNIGIN macht eine ablehnende Handbewegung und fährt fort, ohne sich unterbrechen zu lassen. Und ich begreife nicht, was Euch hindert, eine Verbindung öffentlich zu schließen, welche Eurem jetzigen Stande angemessen und Eurer bürgerlichen Stellung vorteilhaft ist –

STRUENSEE. Meine gnädigste Königin –

KÖNIGIN dasselbe Spiel. Leugnet nicht etwas, was Euch niemand verargen kann. Die Gräfin ist nicht nur reich, und dies ist für einen politischen Mann von besondrer Wichtigkeit, sie ist nicht nur geistreich und liebenswürdig, sondern sie ist auch von energischem Charakter, und das ist entscheidend für einen Mann in Eurer Stellung. Sie hat einen mächtigen Anhang unter den Großen des Reichs, und ihr mutiger Sinn würde Euch also innere und äußere Hilfe bringen für Eure politischen Pläne. Solcher Hilfe bedürft Ihr in diesem Augenblicke mehr als je, ich rate Euch also wohlmeinend, diese Verbindung nicht länger der Öffentlichkeit vorzuenthalten.[174]

STRUENSEE ihr zu Füußen stürzend. O meine gnädigste Königin, welch eine Folterqual verhängt Ihr über mich! Nie, nie hab' ich die Gräfin geliebt!

KÖNIGIN. Struensee! Ihr verleugnet, was außer Obrist Köller niemand am Hofe bezweifelt?!

STRUENSEE. O, wär' es diese Neigung, die ich zu verleugnen hätte! Wie leicht wäre mein Herz dann zu befreien, zu beglücken! Warum sollte ich dann zögern? Warum ließe ich dann länger noch Auge und Haupt gefangen halten von einer Sorge des Herzens, die mich blind und unfähig macht mitten in drohenden politischen Gefahren?!

KÖNIGIN. Steht auf, Struensee, Ihr redet irr'!

STRUENSEE. Ach, redete ich irr', mir wäre leichter, Königin! Nein, Königin! Mag alles um mich her in dunkle Schleier gehüllt sein, mag es wie ein Schattenspiel an mir vorüberstreichen, daß dies Volk meine guten Absichten mißversteht und mich mit steigender Ungunst betrachtet, daß der Adel mich haßt als ungelegenen Eindringling, daß meine alten Freunde wie Ranzau sich von mir wenden, daß die Verschwörung zu meinem Sturze täglich fester und gefährlicher wird, und daß mir im entscheidenden Augenblicke die schwankende Hand des Königs entzogen werden kann, mag alles das wüst und wirr an meinem Geiste vorüberhüpfen, – eins seh' ich deutlich, eins seh' ich klar, wie der Gefangene durch eine Spalte seines finstern Kerkers einen Stern sieht bei Tag und Nacht, dies eine, Königin, ist meines Herzens Stern, der hoch am Himmel, aber täglich vor mir steht! Und niemals red' ich irr', wenn ich den Stern bewundre! Pause.

KÖNIGIN. Steht auf!

STRUENSEE sich das Gesicht mit den Händen bedeckend. O laßt mich! Auch der Gefangene liebt seinen Kerker; denn er fürchtet draußen am zerstreuenden Tageslichte seinen tröstlichen Stern zu verlieren.

KÖNIGIN. Und darin hat er recht. Nur die Einsamkeit ist unser –

STRUENSEE rasch. Sie aber ist's? –

KÖNIGIN. Still, Struensee! Was man in Worte faßt, ist nicht mehr einsam – Sie reicht ihm die Hand. Steht auf! Er tut's, indem er ihr die Hand küßt. Gräfin Gallen kann jeden Augenblick zurückkehren, und sie liebt Euch, sie wird unsre schlimmste Feindin, wenn sie an Eurer Liebe zweifeln muß –[175]

STRUENSEE. Unsre Feindin! O, Königin, wie glücklich macht dies Wort!

KÖNIGIN. Mit ablehnender Bewegung. – Pause. Die Königin geht langsam nach einem Sessel; sie bleibt gedankenvoll daran stehn und setzt sich dann – Struensee bleibt auf seinem Platze zurück und sieht zweifelhaft auf sie. Halblaut. Unglückliches Los, das mir beschieden ist! Meine sorglose Jugend ahnte nichts von solchem Kummer, als ich England verließ und auf das prächtige Kriegsschiff stieg, welches mich nach Dänemark führen sollte. Ein junger König harrte meiner, und die Meinigen sagten mir zum Abschiede, ich sei schön und liebenswürdig, ich würde geliebt werden, ich würde einen König und ein Königreich beglücken. – Seufzend. Es ist anders geworden, ganz anders! – Noch als Ihr auf Reisen gingt mit ihm, war ich einer leidlichen Zukunft gewärtig und ertrug standhaft alle Beleidigungen, welche mir die Königin-Witwe Juliane antat Tag um Tag. Lieber Gott, dachte ich, sie hat in ihrem Sinne wohl Grund zu Widerwillen gegen dich! Du hast einen Sohn geboren, welcher dem ihrigen die Erbschaft des Thrones entzieht. Du mußt es hinnehmen wie eine unvermeidliche Schickung, daß man drüben auf Schloß Fredensburg dir unhold verbleibe für und für; König Christian wird gestärkt und gesammelt zurückkehren von seinen Reisen, wird dich und dein Kind schützen gegen Mißgunst und Neid, wird dir mit Liebe vergüten, daß du schöne Jugendjahre einsam und freudlos, ja verbittert durch Kränkungen in diesen kalten Schlössern zugebracht hast. Das durft' ich hoffen, denn Christian ist gut. Ach, Güte ist so wenig, wenn man Macht und Liebe will! – Ihr war't ihm kein glücklicher Arzt gewesen, Doktor Struensee, zerrütteter kam er heim, als er gegangen!

STRUENSEE unbeweglich stehen bleibend. Dem Organismus können wir helfen, doch ändern können wir ihn nicht.

KÖNIGIN. So wuchs das Leben mir in Sorge nur und in Entbehrung, und selbst die letzte Hoffnung löschte aus. Denn auch von Euch, Struensee, dem aufklimmenden Günstlinge erwartete ich nichts. Ich liebe sie nicht, die grellen Übergänge von niedrigem Stande zu hohem Stande: sie bringen niedrige Gewohnheiten in hohe Kreise, und Eure Seele ist uns ohne Trost, denn sie hat andere Erinnerung. Mißtrauisch sah ich Euch zu, als Ihr zu meinem kränkelnden Sohne tratet, mißtrauisch schalt ich die Kur, welche Ihr heischtet, eine rohe Bauernkur, mißtrauisch schweifte mein Auge von[176] Euch zur Fredensburg hinüber, und von der Fredensburg zu Euch – ich tat Euch Unrecht –

STRUENSEE. Sicherlich!

KÖNIGIN. Alles bewährte sich in Euch als brav: Eure Wissenschaft und Eures guten Herzens dreiste Formen –

STRUENSEE tritt einen Schritt näher.

KÖNIGIN. Ich lobe diese Formen heut noch nicht, allein ich glaub' es jetzt, daß formlose, ursprüngliche Geister gewitterhaft günstig eindringen mögen in starrendes Herkommen. So wurdet Ihr mir ein befremdliches Wesen, denn Ihr risset alles an Euch, Ihr brachtet Leben und Bewegung in eine Welt, die leblos und starr erschienen war vorher, und Ihr tatet dies alles Sie wendet sich während dieser Rede allmählich zu ihm. mit Kräften und Mitteln, die ich niemals gekannt. So wurdet Ihr mir ein befremdliches Wunder, Struensee! Ihr schuft wieder eine Macht, auf die ich mich stützen konnte, Ihr erhobt Euch, ein herrschender Mann unter Puppen und Schranzen im Königshause, ein Mann mit aller Zuversicht und Kühnheit, die verloren gegangen war Sie ist aufgestanden und ihm zugewendet geblieben, bis er bei diesen letzten lebhaft gesprochenen Worten eine leidenschaftliche Bewegung auf sie zu macht – da hält sie rasch inne, macht ein sanft ablehnendes Zeichen, und wendet sich wieder halb nach dem Publikum. Pause. Mit schwacher, welcher Stimme. Struensee, laßt Euch durch nichts übereilen und hinreißen! In der Fassung allein liegt Heil. Ich habe Pflichten zu bewahren, und Ihr habt Euch vor Argwohn zu schützen. Tausend Augen sind von Fredensburg auf Euch gerichtet, und in diesem Betracht wäre Euer zärtliches Verhältnis zur Gräfin Mathilde ein meisterhafter Schild –

STRUENSEE. Aber es besteht nicht, meine gnädigste Königin.

KÖNIGIN halb schalkhaft. Und Ihr fürchtet Euch vor der Gefahr, wenn es bestünde?

STRUENSEE. Vor welcher Gefahr?

KÖNIGIN. Ihr seid liebenswürdig schwerfällig, oder liebenswürdig klug, daß Euch die Schönheit der geistreichen Gräfin Mathilde nicht gefährlich dünkt – still! Hört genau! Je feindlicher jetzt alles gegen Euch verschworen ist, desto gefährlicher wäre in diesem Augenblicke der geringste Argwohn, der Euch träfe. Der König ist in diesem Punkte feinfühlend, und, ich fürchte, grausam, Gräfin Mathilde ist von starken Gefühlen und leidenschaftlicher Schritte fähig, alle[177] vereinzelten Feindschaften würden gemeinschaftlich nach dieser Waffe greifen, um Euch zu verderben und mich zu peinigen. Ich fürchte diesen höflichen Guldberg: er ist der einzige Nationaldäne unter uns, dies erhält ihm eine tiefe Sympathie mit dem Könige, und dies nährt ihm einen tiefen Groll gegen uns alle – also Fassung und Haltung, Struensee! Sie wendet sich zum Gehen.

STRUENSEE er schweigt und läßt sie einige Schritte tun; dann bricht er leidenschaftlich aus. Fassung und Haltung, meine Königin, während mir das Herz überströmt! Ich bin verloren, wenn ich länger diesen ungestümen Drang verschlossen halten soll, denn ich seh' und höre nichts mehr als diesen Drang; und Hof und Staat sind nicht mehr vorhanden für mich und meinen Sinn. – Ihr vernichtet mich, o Königin, wenn ich auch Euch, auch Euch allein, auch Euch in solcher Einsamkeit von Aug' zu Auge mein Herz nicht öffnen darf! Ich bitt' Euch, o verlaßt mich nicht mit diesem kühlen, lähmenden Bescheide, ich bitt' Euch, glaubt, daß ich mich selbst verderbe, daß mich mein Herz durch plötzliche Sprengung jeglicher Fessel verdirbt, wenn dieser Zwang noch länger dauert, mein Herz ist stürmischer als Eures – Auf die Knie fallend. O seid beschworen, laßt ihm den Trost, daß es, allein mit Euch, sich öffnen darf, wie sich die Blume öffnet in der Sonne Strahl.

KÖNIGIN welche während dieser Rede zittert, kehrt rasch zu ihm zurück. Um Gottes willen, Struensee, beherrscht Euch besser, sonst sind wir verloren!

STRUENSEE. Was ist verloren an einem halben Leben!

KÖNIGIN. Ist denn Voraussetzung des Herzens nicht auch Leben?

STRUENSEE. Ein dürftig Schattenleben ist's! O Königin Mathilde, leg die Hand mir auf mein brennend Haupt, das wird mich stärken!

KÖNIGIN tut's. Ungestümer Mann! Ihr ängstigt mich – Sich zu ihm beugend. Ihr seid ja außer Euch! In diesem Augenblicke tritt Gräfin Gallen durch den Vorhang ein.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 24, Leipzig 1908–09, S. 174-178.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Struensee
Struensee: Trauerspiel in fünf Akten
Struensee
Struensee
Struensee
Struensee

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon