Sechste Szene.


[199] Guldberg. Gräfin Gallen. Später Lorenz.


GULDBERG an die Tür zur Königin gehend und sprechend, ehe man die Gräfin sieht. Verzeiht, gnädige Gräfin, daß Ihr einen Augenblick habt harren müssen! Sie tritt ein. Ich möchte Euer Verhältnis zu Obrist Köller nicht in Verbindung bringen mit unsern Plänen, so lange Ihr dies nicht selber wollt. Deshalb empfange ich Euch allein.

GALLEN. Ich danke Euch dafür.

GULDBERG. Bei der Seelenstärke, die Euch eigen ist, darf ich voraussetzen, daß Euer gefaßter Entschluß nicht wankt noch weicht.

GALLEN. Das dürft Ihr.

GULDBERG. Daß Ihr die tödliche Beleidigung, welche er Euch angetan, tödlich vergelten wollt.

GALLEN. Das will ich.

GULDBERG. Und ich werde dafür sorgen, daß Ihr die Rache nicht nur haben, sondern auch genießen sollt. Und zwar von Stunde an! Er bittet Euch um eine Unterredung.

GALLEN. Der Unverschämte!

GULDBERG. Mäßigt Eure Stimme; sein Bote harrt dort Eurer[199] Antwort, und wenn Ihr Eurer Rache eine Freude machen wollt, und wenn Ihr bereit seid, unsre Pläne zu fördern, so gewährt Ihr ihm die Unterredung.

GALLEN. Was soll sie helfen?

GULDBERG. Er wird Euch um Verzeihung bitten, denn er hat Euch zu fürchten, er wird sich vor Euch erniedrigen, und das ist ein Genuß! Noch mehr! Dort hinter dem Vorhange sind Ohrenzeugen dieses Eures Triumphes, unter ihnen vielleicht der König selbst – so wird diese Unterredung der erste Schritt, welcher ihn unmittelbar zum Rande des Abgrunds führt! Bewilligt Ihr sie?

GALLEN. Ich bewillige sie.

GULDBERG. Ich danke Euch. Geht nach des Königs Zimmer. Würdiger Herr! Lorenz erscheint und verbeugt sich gegen die Gräfin. Diese gnädige Dame bewilligt Graf Struensees Verlangen und erwartet ihn hier.

LORENZ. Ich danke Euch, gnädigste Gräfin, und preise mich glücklich, den Weg zur Versöhnung geebnet zu haben.

GULDBERG. So eilt mit der Botschaft; und zögert mit der Trauerkunde! Der Graf braucht heute seine Fassung! Lorenz verbeugt sich und geht ab. Jetzt, gnädige Gräfin, ein entscheidendes Wort zwischen uns. Ihr seid plötzlich die Hauptperson eines Aktes, der über Dänemarks Wohl und Wehe entscheidet. Ihr seid mit den Eigenschaften ausgerüstet, die dazu nötig sind: Ihr seid tugendhaft, stolz und tapfer. Aber Ihr seid keine Dänin, Ihr seid eine Deutsche, und es ist nicht Vaterlandsliebe, die Euch zum Handeln für Dänemark treibt, sondern es ist verletzter weiblicher Stolz –

GALLEN. Was soll das?

GULDBERG. Weiblicher Stolz, den ich billige und achte. Gräfin Gallen, wir Dänen werden Euch ewig dankbar sein für Euren Beistand gegen Struensee, aber in so entscheidendem Kampfe, in einem Kampfe, der Menschenleben kosten kann, bedürfen wir einer sichern Bürgschaft von Eurer Seite. Wollt Ihr sie uns gewähren?

GALLEN. Ich versteh' Euch nicht.

GULDBERG. Hört mich zu Ende. Struensee, der Euer edles Herz betrogen und Eure Würde dem öffentlichen Hohne ausgesetzt, ist ein den Frauen gefährlicher Mann, und in der Tiefe Eures Herzens wohnt Liebe für ihn –

GALLEN. Nicht mehr –[200]

GULDBERG. In wenig Minuten wird er zu Euren Füßen sein und all seine verführerische Überredungskunst aufbieten, Euch zu versöhnen! Ihr seid eine starke Frauenseele, und dennoch ist's möglich, daß Ihr seinem Zauber weicht und ihm vergebt –

GALLEN. Das ist nicht möglich.

GULDBERG. Dafür bedürfen wir eben einer Bürgschaft von Euch!

GALLEN. Welcher?

GULDBERG. Sie ist schwer zu bestimmen, wenn Ihr auch dem freigeistigen Firlefanz Struensees jemals Euer Ohr und Herz geöffnet habt, wenn Ihr nicht mehr an einen einigen Gott glaubt, an unsern ewigen großen Gott, der unsre Herzen und Nieren prüft und uns tödlich straft, sobald wir bei seinem Namen lügen – so sprecht, war't Ihr auch darin Struensees, oder seid Ihr Gott treu geblieben?

GALLEN. Darin war ich niemals Struensees; der einfache Glaube meiner Vorfahren ist auch der meine.

GULDBERG. Und ein Eidschwur ist Euch heilig?

GALLEN. Heilig nie der Schoß meiner Mutter, wie der Glaube an Gottes Barmherzigkeit.

GULDBERG. Nun, ein Eidschwur ist die Bürgschaft, welche wir von Euch heischen. Schwört in meine Hand bei Eurer Mutter Schoße, schwört bei Gottes Barmherzigkeit, daß Ihr von diesem Augenblicke an alles tun wollt, was not ist zu Struensees Untergange, daß Ihr ihm verhehlen wollt, was ihn retten könne, Euer Herz mag dabei jubeln oder leiden! Schwört!

GALLEN. Gemach! Bürgschaft für Bürgschaft! Was versprecht Ihr?

GULDBERG. Struensees Untergang, ja, Struensees Tod! Eid für Eid – mit diesem Handschlage empfangt den meinigen; mit Gefahr meines Lebens werd' ich ihn halten, das schwör' ich Euch bei Gott, der Meer und Land voneinander hält zum Bestehen Dänemarks! Und Ihr?

GALLEN. Ich schwöre Euch, in alle Wege den Untergang Struensees zu fördern.

GULDBERG. Und Gottes Fluch gebrochnem oder nur verletztem Eide!

GALLEN. So sei's.

GULDBERG. Drauf Eure Hand!

GALLEN. Hier ist sie.[201]

GULDBERG. Es lebe Dänemark, nun wird es frei! – Jetzt mag der Falsche vor Euch heucheln –

GALLEN zusammenschreckend. Er kommt! Ich höre seinen Namen von den Türstehern rufen.

GULDBERG. Nun rasch die Übereinkunft! Preßt ihm die Wahrheit aus dem Herzen! Ein Wort von seiner Liebe für die Königin erwirbt uns seinen Kopf. Und reicht's nicht aus, gibt ihn der König noch nicht auf –

GALLEN. Die Türsteher am Ballsaale rufen seinen Namen, er ist ganz nahe, eilt –

GULDBERG. Dann entscheide der Maskenball! Euer Kostüm ist bereit, und nicht zu unterscheiden von dem der Königin?

GALLEN. Nicht zu unterscheiden – er tritt aus dem Balsaale, eilt!

GULDBERG. Seht, wie nötig der Schwur war! Ihr zittert wie Espenlaub, da er sich naht Gehend. – seid doch ein Weib! – Gott straft Euch, wenn Ihr wankt! In die Tür zum Könige ab.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 24, Leipzig 1908–09, S. 199-202.
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