Einleitung des Verfassers.

In dem Vorworte zu »Monaldeschi« habe ich zugesagt bei Herausgabe des »Struensee« die Schlachtordnung von Schwierigkeiten aufzudecken, welche jedem neuen Stücke historischen Inhalts in Deutschland entgegensteht. Jetzt muß ich bekennen, daß ich dies nicht imstande bin. Nicht etwa, weil ich Rücksichten zu nehmen hätte! O nein. Sondern weil die Schwierigkeiten mit einem neuen auch nicht historischen Stücke so tausendfältig, so unermeßlich sind, daß man bei längerer Tätigkeit für die deutsche Bühne vor lauter erschwerenden Köpfen nicht mehr weiß, wo der eigentliche Kopf dieser Schwierigkeiten steht, daß man am Ende ausruft: »Es ist wohl gar eine nationale Furchtsamkeit vor der Öffentlichkeit!« kurz, daß man die Hoffnung aufgibt, durch Schilderung auch nur der kindischen Hindernisse für die Zukunft etwas zu bessern. Wozu die Worte verlieren, wenn keine Wirkung zu erwarten steht! Ein Achselzucker stellt sich hinter einen Verbieter, ein andrer Verbieter hinter den andern Achselzucker, und da den Leuten dies Thema nach so viel Jahren am Ende geläufig worden ist, so ist bei der Mehrzahl nicht Scham noch Schande mehr anzutreffen. Wer unabhängig wäre! flüstert Euch der Heuchler zu, obwohl er weiß, daß er es bei völliger Unabhängigkeit um kein Haar besser machen würde. »Was frag ich nach Anklagen vor Publikum oder sogenannter Geschichte, ich weiß wem ich zunächst nicht mißfallen darf!« brummt der Zweite in den Bart hinein, und der Dritte pfeift leichtsinnig die alte Melodie: das Poetenvolk macht immer einen Spektakel mit seinen Phantastereien, als ob ein Stück mehr oder weniger ein Malheur wäre! Verbrenne sich die Finger wer mag, um was Apartes aus dem Manuskriptenstoße heraus zu finden. Ist's gefunden, dann bleibt immer noch Zeit, sich das[123] Ding näher anzusehn, und sich ein Verdienst aus der Annahme zu machen. Wir sind nicht da für Neuerungen!

Es wäre leicht, zehn bestimmte Kategorien unbillig abweisender Theaterintendanten zur Warnung aufzustellen. Aber weder der Unwissende noch der Brutale, weder der Furchtsame noch der Gewissenlose würde sein Porträt anerkennen und reuig an seine Brust schlagen; und sogar mit einigem Rechte würde jeder sagen: Ich bin nicht berufen, einen ästhetischen Posten zu vertreten, mein Amt ist ein Hofamt.

Wenn diese Klagen sich nicht zersplittern sollen, so müssen sie sich um einen Mittelpunkt versammeln. Diesen Mittelpunkt nachzuweisen ist nicht schwer, aber diesem Mittelpunkte etwas anzuhaben ist nur der Geduld eines Menschenlebens möglich.

Der Mittelpunkt deutschen Hindernisses für ein wirklich schöpferisches Theater beruht darin, daß die Haupttheater nicht der Nation gehören, nicht einmal den einzelnen Staaten, sondern den einzelnen Fürsten. Diese geben das Geld dafür und betrachten sie altem Stile gemäß als einen Teil des Hofes, zu dessen Anschauung man dem Publikum für billiges Entreegeld den Zutritt gestattet habe, wie eine Konzession. Weder dem Publikum noch der Literatur ist eigentlich eine Bestimmung darüber eingeräumt. Was einer solchen Bestimmung ähnlich sieht in Kritik oder sonstigem Verlangen, das wird im innersten Grunde als eine Anmaßung der neuen Zeit betrachtet, welche sich eben in alles mischen wolle. Dergleichen Anmaßungen nachzugeben wäre Schwäche. Noch vor ganz kurzem, ja im wesentlichen jetzt noch gestattete und gestattet die Wiener Zensur keinen vollen Tadel über ein Mitglied solchen Theaters, viel weniger über die Leitung. Die Leiter selbst endlich übernehmen nicht die geringste Verpflichtung gegen das Publikum oder die Literatur; Literatur und Publikum sind ihnen durchaus unoffizielle Namen. Es fehlt ja auch nicht an niederschlagenden Anekdoten aller Gattung, welche tiefste Unwissenheit solcher Leiter in literarischen Dingen nicht nur verraten sondern unbefangen behaupten. Warum auch nicht! Ihr Institut hat weder einen literarischen Ursprung und Zweck, noch hat es in irgend einem Winkel seiner Ämter einen auch nur entfernt an die Literatur erinnernden Schatten. Die Blume der Mitte, das Haupt des überaus reinen Mittelreiches, will sagen Chinas, ist immerdar auch an und für sich der beste Schriftsteller des Reiches, mag ihm auch das Talent für Schriftstellerei vollständig versagt sein. So will es die[124] herkömmliche Bestimmung. Die herkömmliche Bestimmung will bei uns, daß der erwählte Kavalier die erste und deshalb die beste kritische Autorität des Landes sei, und daß die wirkliche Blume der Literatur, das Drama, demjenigen zu Tod und Leben überantwortet bleibe, welcher durch diese oder jene der Literatur wildfremde Eigenschaft zur Leitung des Theaters erwählt worden ist.

Es gibt nichts Unlogischeres als unsre literarischen Forderungen, welche wir an die Leitung unsrer Hoftheater richten. Sie wissen dies auch. Vor kurzem erst noch hat uns die öffentliche Anzeige eines nicht unwichtigen deutschen Hoftheaters unzweideutig davon überzeugt. Diese Anzeige lautete dahin, daß sich die Intendanz alle Zusendung von Manuskripten und dergleichen ein für allemal verbat. Konnte sie deutlicher ausdrücken, daß sie absolut gar nicht von der Literatur und deren nie ruhender Hervorbringung behelligt sein, daß sie absolut nichts mit der Literatur zu tun haben wollte? Wer mag sich auch, wenn er ein ohnedies anstrengendes Amt hat, mit der unbequemen Lektüre neuer Manuskripte befassen!

Der Organismus also ist gegen all unsre literarischen Ansprüche, welche wir an die Haupttheater richten möchten. Wir sind auf den Zufall angewiesen. Dieser kann uns einen oder gar einige Fürsten bescheren, welche ein besonderes Wohlwollen hegen für aufstrebende dramatische Literatur, er kann uns einige Intendanten schenken, welche auch literarische Einsicht und guten Willen besitzen und beides richtig und energisch anzuwenden wissen.

Ist uns der Zufall günstig? Insofern ist er es nicht, als gerade jetzt alle Fürsten, welche über die größeren Theater gebieten, mehr oder minder vorgerückten Alters und der neuen Generation produzierender Schriftsteller an Jahren voraus sind. Der Kreis von Ideen und Anschauungen ist schon deshalb ein verschiedener, der Überdrang und Ungestüm, die Mangelhaftigkeit und Übertreibung, welche von neuen Wegen der Produktion immerdar unzertrennlich sind, können von den Gebietern älteren Ursprungs nicht mit günstigem Vorurteile betrachtet werden. Im Gegenteile, sie fühlen sich zu ungünstigem Vorurteile berechtigt, da ihnen ja doch die neuen Theaterbestrebungen im Zusammenhange mit einer überall ungestüm andringenden Zeit entgegentreten. Mißtrauen und Abneigung gegen uns entstehen auf die natürlichste Weise, und wenn wir billig sein wollen, so haben wir oft für eine Zulassung und Erlaubnis zu[125] danken, die uns aller dings ganz in natürlicher Ordnung zu sein scheint, die aber gewiß oft erst das Ergebnis einer Überwindung ist, einer Überwindung, welche wir einem entsagenden Akte der Bildung danken sollten und für welche doch kein Dank erwartet wird. Solch ein Mißverhältnis ist das unglücklichste: auf beiden Seiten sind verschiedene Maßstäbe und eine richtige und deshalb wohltuende Begegnung ist fast prinzipiell ausgeschlossen. Und doch ist nur solch eine Begegnung imstande, das Ganze zu fördern. Will also das gute Glück nicht – und das deutsche Theater hat noch selten gutes Glück gehabt –, daß ein mächtiger deutscher Fürst eine der Zeit entsprechende Neigung faßt für deutsches Schauspiel, und eine gründliche, Literatur und Publikum wesentlich beteiligende Reform des Institutes an Haupt und Gliedern ins Werk setzt, will es das Glück nicht, daß ein solcher Vorgang Nacheiferung und allgemeine Folge weckt, dann gewinnt unser Theater trotz aller literarischen Bestrebungen keinen festen Grund, keine dem Nationalbedürfnis entsprechende Gestalt. Denn die literarische Einwirkung hat keine Macht auf die organischen Wurzeln des Übels bei unsern Hoftheatern, und auch ein einzelner wohl ausgerüsteter Intendant ist nicht imstande, ein organisch fehlerhaftes Wesen gründlich und folgenreich zu bessern.

Wozu also sich mit Aufzählung der Hindernisse beschäftigen, welche auch dieses Stück bei den Intendanzen der Hoftheater gefunden! Es sollen ja diese Mitteilungen der Vorreden nicht einem persönlichen, sondern einem allgemeinen Interesse dienen. Nur eines absonderlichen Widerspiels, welches dem Stück begegnete, will ich darum gedenken, weil es eine nicht unwichtige Frage über literarische Sitte oder Unsitte darbietet und weil es dazu beitragen kann, für ähnliche Fälle eine ritterliche oder unritterliche Form vorzuzeichnen.

Dies Widerspiel ging davon aus, daß vor etwa zwanzig Jahren der Struenseestoff von Michel Beer behandelt und, so viel ich weiß, nur an einem einzigen Orte, in München, zur Aufführung gebracht worden war. Nicht bloß um diplomatischer Engherzigkeit willen, obwohl auch diese an einem oder dem andern Theater die Ablehnung des Stückes unterstützte, fand jener Struensee keinen Zugang, sondern die Form versprach keine Theaterwirkung. Einige Theaterdirektoren aus jener Zeit wurden besonders durch die zweite Hälfte des Stückes, welche sich nach dem bereits erfolgten Sturze des Helden in einen Prozeß ausdehnt, abgeschreckt und das Stück geriet in Vergessenheit.[126] Mir selbst war dasselbe von keiner Bedeutung gewesen, weil es einer für uns überlebten Zeit und Richtung im Dramatischen angehörte, einer Richtung, welche nur im Äußerlichen die Schillersche Periode fort setzte und ohne besonderen Sinn für Charaktere und Handlung sich wesentlich der Deklamation hingab.

Unbefangen war ich der erste, welcher dem Bruder des verstorbenen Michel Beer, dem berühmten Komponisten Meyerbeer die Mitteilung machte, daß mich der Struenseestoff ebenfalls bis zur Abfassung eines fünfaktigen Dramas interessiert habe. Ich war der naiven Meinung, dies müsse gerade seines Bruders wegen eine gewisse Teilnahme bei ihm wecken. Der gute Stil unter deutschen Poeten bestand wenigstens bisher noch immer darin, daß man im Reiche der poetischen Wahl und Erfindung die Idee einer alltäglichen Kaufmannskonkurrenz nicht kannte, und daß sich Leute um so näher rückten in freundschaftlicher Gesinnung, welche einen gleichen Stoff in Haupt und Herzen getragen. Der Poet sucht ja in erster Linie ein objektives Gelingen, nicht aber eine persönliche Genugtuung.

Vielleicht wäre auch hierbei dieser Stil nicht verletzt worden, wenn solche Mitteilung an Michelbeer selbst hätte gelangen können. Was man von ihm weiß, spricht durchaus für ein ganz feines und edles Verständnis in solchen Dingen. Die Mitteilung geriet aber an einen Bruder, welcher in dem kostspieligen Konkurrenztreiben des Pariser Opernwesens groß geworden, und welcher offenbar eine Art Familienmajorat in dem Struenseestoffe verwerten zu müssen glaubt – meine Mitteilung bestürzte ihn bis zur Sprachlosigkeit und trieb ihn eiligst aus meinem Zimmer. Ich konnte meine Phrase kaum beendigen: daß es gerade uns besonders reizen würde, die beiden Struenseedramen einmal auf der Bühne zu vergleichen.

Von Stunde an begann ein Eröffnen der Belagerungslaufgräben gegen mein Stück, sogar an Orten, wo es bereits angenommen war, namentlich in Dresden und München. Ich war einfältig genug, den Zusammenhang nicht sogleich zu begreifen. Es schien mir ganz natürlich, daß durch das neue die Aufmerksamkeit auch für ein vergessenes Stück wieder geweckt, und daß es hie und da, wo man Zeit und Mittel genug besäße für solche Parallele, aufgeführt werden möchte. Der in Konkurrenz eingeschulte Bruder war aber ganz anderer Meinung: er eilte in eigner Person zu Herodes und Pilatus, und wendete alle Mittel an, mein Stück zu beseitigen. Sogar in[127] München, wo doch das seines Bruders gegeben worden war. Der in Paris so liberale Mann berief sich tapfer auf das Recht der Anciennität, ja er brachte eine Direktion wirklich dahin, daß sie mir in folgenden Worten die literargeschichtliche Logik der Beers auseinandersetzte:

»Es dürfe doch durch ein neues Stück ein älteres nicht in Nachteil gebracht werden, und wenn man dies ältere an die zwanzig Jahre übersehen, so sei doch nun eben durch meine Bearbeitung desselben Stoffs die Verpflichtung gegen den verstorbenen Dichter unabweislich aufgeweckt worden.«

Ist dies nicht eine tröstliche Logik zur Aufmunterung für die lebendige Produktion?! So etwas hatte nur eben noch gefehlt unter den Regimentern, welche jedes neue deutsche Stück mit abwehrenden Bajonetten empfangen! Die Uniform war ganz neu: auch die alten Stücke müssen gegen die Entstehung neuer geschützt werden.

An den genannten beiden Orten gelang es nun aber doch, die Familienlogik zu widerlegen, und zufällig sind gerade diese Orte Dresden und München die günstigsten Stätten für das neue Stück geworden. Meinen eignen Anfragen in München, ob man jetzt nicht den Beerschen Struensee wieder aufnehmen wolle, damit einer literar-geschichtlichen Aufmerksamkeit und Pietät genügt werde, nachdem das neue Stück sein Recht der Existenz erobert habe, ist ablehnend geantwortet worden. Und zwar ging der Bescheid dahin, daß die Form des Beerschen Stückes jetzt veraltet erscheine und solch ein Aufwand von Zeit dem voraus ersichtlichen Erfolge nicht entspreche. Das wäre nun allerdings ein Bescheid gewesen, um die Anstrengung des Bruders für den Vortritt seines Erbes zu rechtfertigen. Aber er kannte ihn ja nicht voraus und durfte ihn nicht voraussehn, wenn seine Anstrengung eine gründliche Berechtigung haben wollte, und für das Berliner Hoftheater, welches nun sein Hauptaugenmerk wurde, blieb ihm ja für alle Fälle der sichre breite Boden einer Vaterstadt übrig. Hier stand ihm der größte Einfluß zu Gebote, eine respektable Aufführung auch nach dem neuen Stücke zu bewerkstelligen, und hiermit eine Pietät des Bruders zu befriedigen, welche jedermann natürlich und billig finden würde.

Hier zeigte sich's denn aber grell genug, daß es sich um Konkurrenz im alltäglichsten Sinne des Wortes handle. In Berlin war der Stoff überhaupt nicht erlaubt. Mein Stück wurde von der[128] Intendanz angenommen, die Staatsbehörde verbot aber die Aufführung aus Rücksicht für Dänemark. Umsonst suchte ich geltend zu machen, daß ja alles, was für die dänische Königsfamilie verfänglich sein könne, auf das Vorsichtigste behandelt oder umgangen worden sei. Das Stück blieb verboten, trotzdem daß es sich viel mehr als das Michelbeersche von allen grellen Verhältnissen und Motiven der wirklichen Geschichte entfernt gehalten. Es bedurfte einer zweijährigen unermüdlichen Beflissenheit von meiner Seite, dies leider so tief verzweigte Vorurteil gegen Stücke aus neuerer Geschichte zu erschüttern. Nach zweijährigen Bemühungen unter allen Formen der Beweisführung gewährte im Frühjahr 1846 eine Kabinettsorder die Aufführung meines Stücks, und die Intendanz zeigte sich meinem Wunsche bereitwillig, die erste Darstellung zum Herbste, dem Beginn der Theatersaison, anzuberaumen. Wer hätte gedacht, daß so mühsame Eroberung von einem Künstler wie Herr Meyerbeer mir zu nichte gemacht und zu seinem Zwecke ausgebeutet werden könnte! Alles sprach dagegen: die natürlichste Billigkeit, der literarische Stil und die Intendanz selbst, welche nicht im Entferntesten daran dachte, die oben erwähnte Logik zum Nachteile eines neuen Stückes gut zu heißen und das Beersche Stück zu wählen. Die Kabinettsorder lag vor, die Wahl der Intendanz lag vor, einem gewöhnlichen Poeten wäre da gar kein Weg zum Einschleichen ersichtlich gewesen. Herr Meyerbeer ist kein gewöhnlicher Poet, sondern ein Geschäftsmann von Pariser Erfahrungen und literarisch ungewöhnlichen Mitteln. Er sucht und findet einen Weg, und plötzlich erscheint ein Ministerialbefehl: da Struensee durch Kabinettsorder erlaubt sei, so solle der von Michel Beer vor dem von Laube aufgeführt werden.

Bedürfen diese Wege und Fördernisse gegen neue Produktion im deutschen Drama noch einer Bezeichnung?

Was wäre nun noch über das weitere Tatsächliche zu sagen! Das fünfaktige Trauerspiel ist am Ende gar von Meyerbeer in eine Oper verwandelt worden. Er mag wissen, warum. Und so sind wir denn mit unserer armen Tragödie, welche keine Lockmittel hat für die Menge, und welche eben deshalb eines zarten Schutzes bedarf von seiten aller edleren Freunde des einfachen Dramas, so sind wir denn wieder einmal auf den banalen Kampfplatz hinaus gebracht, auf den Kampfplatz, wo das rezitierende Drama seit langer Zeit sich mühsam aufrecht erhält gegen die mit allen sinnlichen Reizmitteln[129] ausgestattete Oper. Dies ist der triviale Ausgang einer forcierten Konkurrenz, welche in literarischen Schranken und Wegen nicht das geringste Störende gehabt hätte, wenn sie natürlicher Entwickelung überlassen und nicht mit gehässiger Vordringlichkeit und unliterarischen Mitteln geführt worden wäre.

Ich erwähne sie an diesem Orte nicht bloß, weil sie eine ganz eigentümliche Wolfsgrube für neue Stücke darstellt, sondern um folgende Bemerkungen daran zu knüpfen.

Ein fremdes Element dringt neuerer Zeit überall in unsere Bahnen, auch in die der Literatur. Dies ist das jüdische Element. Ich nenne es mit Betonung ein fremdes; denn die Juden sind eine von uns total verschiedene orientalische Nation heute noch, wie sie es vor zweitausend Jahren waren. Ich gehöre keineswegs zu den Gegnern der Iudenemanzipation, im Gegenteil, ich dringe auf eine möglichst radikale; ich finde es tief fehlerhaft, der Emanzipation nicht alle ersinnlichen Wege zu öffnen. Denn als Mitmenschen haben die Juden alle Ansprüche auf menschliche, will sagen bürgerliche Rechte, und was uns an ihnen stört, das ist eben das Fremde, welches nur durch gründliche Einheimsung der Juden unter uns verwandelt werden kann. Das Nichtemanzipieren beläßt sie fortwährend in einem Zustande der Belagerung, und der Belagerte bleibt Feind und verteidigt sich instinktmäßig mit allen möglichen Waffen, also auch in diesem Falle besonders mit den von ihm natürlichsten einer uns wildfremden Nationalität. So erhalten wir gerade das lebendig in den Juden, was uns gründlich zuwider ist; alle die innerlichsten Lebensmaximen, die uns hundertfach und schreiend widerstreben, werden durch unsre halbe Abwehr aufrecht erhalten im Charakter der Juden. Entweder wir müssen Barbaren sein und die Juden bis auf den letzten Mann austreiben, oder wir müssen sie uns einverleiben.

Letzteres geschieht unausbleiblich, und somit ist es unsere heilige Pflicht, wiederholt und schonungslos aufzudecken, was in ihren innerlichsten Lebensmaximen zu uns nicht paßt, und was wir, was sie nach Kräften mildern müssen, da doch niemand sich völlig ändern kann.

Ein solches Etwas des fremden Judentums liegt hier vor und schiebt sich zudringlich in die deutsche literarische Welt, wie denn jeder Schriftsteller in sei nem Bereiche jetzt schon mit Leichtigkeit solch ein Eindringen jüdischer Maximen nachweisen könnte und[130] meines Erachtens jetzt nachweisen sollte, da der Überdrang des jüdischen Moments bedenklich wird für unsere nationalen Eigenschaften. Dies Etwas ist hier eine bereits tief verzweigte Maxime des Berliner Judentums. Unter den Berliner Juden zeigen sich mehr als anderswo reichbegabte geniale Menschen. Sie gedeihen in Berlin besonders, oder zeigen sich dort besonders, das sei dahingestellt. Berlin bietet mehr denn eine andere Stadt Gelegenheit: es ist einer zerfahrenden, bloß witzigen Äußerung sehr geneigt, es respektiert eine bloß mechanische Geistesbewegung, es ist mehr Lager als Stadt, wenigstens ist sein Hauptstadtcharakter viel mehr ein gemachter als ein innerlich aus Lage und Landschaft entsprungener, und deshalb ist in der Mehrzahl der Bewohner das starke Gefühl eines organischen Lebens, welches dem Fremden mißtrauisch zusieht, nicht ausgebildet. Man nimmt das einzelne, das Blendende günstiger auf denn anderswo in Deutschland. Hier konnte sich also das brillante Judentum, welches der Natur der Sache nach in seinen besten Leistungen einen organisch deutschen Charakter nicht haben kann, hier in Berlin konnte es sich am freiesten entwickeln.

Aus diesem Elemente des Judentums und des Berliner Judentums im besonderen stammt die Taktik Herrn Meyerbeers, welche er in unsere literarische Welt einführt und welche wir als etwas uns widerwärtig Fremdes zurückweisen. Der deutsche Stil, wenn zwei Autoren einen gleichen Stoff behandelt haben, ist ein ganz anderer. Ich will nicht sagen, daß der Neid überall ausbleiben werde. Leider sind wir gute Deutsche recht schwache Menschen wie andere Nationen eben auch. Leider ist gerade unter Künstlern der Neid ein garstig Erbteil menschlicher Natur, welches man bekämpfen und wenn auch vielleicht nicht besiegen aber doch niederhalten kann. Letzteres geschieht unter den Deutschen. Es ist uns allen gründlich zuwider, einen offnen Schacher mit Gegenständen der Kunst und Wissenschaft dergestalt zu treiben, daß dabei ein sogenannter Konkurrent – das Wort ist uns unausstehlich in der Literatur! – in Nachteil kommen könne. Ereignet sich ein solches Zusammentreffen zwischen zwei Lebenden wie hier zwischen einem Lebenden und einem Verstorbenen, so wird jeder von beiden sich geltend zu machen suchen, aber jeder wird die Forderung, daß der andere zurückgedrängt werden solle, sorgfältig vermeiden. Ein solches Zusammentreffen künstlich erzeugen zwischen einem Lebenden und einem längst Verstorbenen; dies Zusammentreffen[131] herbeiführen und betreiben zu nackter Beseitigung des Lebenden, und zwar für einen Verstorbenen, dessen nur die Familie eingedenk ist, die Literatur und deren Vertreter bei artistischer Anstalt aber nicht, ein solches Zusammentreffen mit allen erreichbaren Mitteln betreiben und durch unliterarische Hilfsmittel durchsetzen – das ist ein fremdes Element in deutscher Literaturwelt, das ist von jenem jüdischen Elemente, welches wir nicht mit aufnehmen wollen in die Kreise des literarischen Stils.

Wenn unter Poeten Ritterlichkeit und Zartsinn niedergetreten werden soll, so ist dies noch schlimmer, als wenn der marktschreierische Ausverkauf den soliden Kaufmannsstil auf den deutschen Messen untergräbt.

Nur in diesem Interesse für literarischen Stil halte ich solche Struenseekonkurrenz für erwähnenswert, und um an einem Beispiele zu zeigen, was ich unter Abweisung des jüdischen Moments in der Literatur verstanden wissen will, nenne ich einen jüdischen Schriftsteller unter uns, welcher dies uns widerstrebende Moment bereits gänzlich in sich überwunden hat. Dieser Schriftsteller ist Berthold Auerbach. Er ist ein redendes Zeugnis, daß sich der hingebende Jude unter uns gründlich deutsch nationalisieren kann. Freilich wird dies nicht leicht im oberflächlichen Getreibe des großstädtischen Lebens geschehen können. Auerbach hat auch die Lösung der schweren Aufgabe nicht in der Lungerei des Kaffeehaus- und Börsentreibens, sondern in der keuschen Einsamkeit des Landlebens gefunden. Gabriel Riesser und noch mancher andere hat vor und neben Auerbach gezeigt, daß diese Nationalisierung des Juden nicht eine persönliche Ausnahme Auerbachs, sondern eine allgemeine Möglichkeit sei für durchgebildete jüdische Naturen.

Möge diese Episode von der deutschen Schriftstellerei einer weiteren Ausführung gewürdigt werden. –

Das folgende Stück Struensee hat auf der Bühne selbst überall eine so gleichmäßig günstige Stellung gefunden, wie keines meiner anderen, und Lob wie Tadel, dem es in der Kritik begegnet ist, hat sich ebenfalls in Kreisen bewegt, die einander ungewöhnlich glichen. Den Tadel habe ich auch durchweg als wohl berechtigt und begründet anerkennen müssen.

An diesen Tadel mich haltend will ich näher einzugehn versuchen in das innere Geflecht und Getriebe dieses Stücks, zugebend,[132] wo die gerechte Anforderung meine Kräfte leider übersteigt, abwehrend, wo ich im Recht zu sein glaube.

Der Tadel hat die Form im allgemeinen mit dem Bedenken angegriffen: Wozu jetzt wieder die klassische Einheit in Zeit und Raum? Die Einführung und Empfehlung Shakespeares hat diese verarmende Steifheit ja längst überwunden, Hegel hat ja sogar zum Überflusse in seiner Ästhetik nachgewiesen, daß diese sogenannte Aristotelische Einheit nicht einmal dem Aristoteles angehöre.

Es ist nicht meine Sache, denjenigen Beweisführungen nachzugehn, welche diese Hegelsche Deutung des Aristoteles bestreiten. Ich würde mir in der Berufung auf Aristoteles sehr wunderlich vorkommen; denn nicht aus erlernter Theorie, sondern aus allmählicher eigner Bildung und Folgerung trachte ich und trachten wohl wir Neueren alle, auf Prinzipien und Gesetze zu kommen. Ich habe dem ästhetischen Stile gemäß, welchen Schlegel als Widersacher der klassischen Franzosen bei uns eingeführt und durchgesetzt, die französische Tragödie ganz so verächtlich betrachtet, wie sie nur ein deutscher Literat verächtlich betrachten kann. Selbst das Anschauen der strengen Aufführungen in Paris unter dem Vortritt der Demoiselle Rachel hat mich nicht für die konsequente Form der französischen Tragödie bekehrt. Die Verarmung, welche von solcher Konsequenz der Form unzertrennlich, ist mir nicht einen Augenblick verborgen geblieben. Ebensowenig ist mir verborgen geblieben, daß der den Franzosen innewohnende Sinn für römische Rhetorik, für Hingebung an das einzelne abstrakte Wort, an die abgerundete Phrase, für Hingebung an magere aber feste Form uns nimmer eigentümlich werden könne. Dabei ist mir aber auch deutlich geworden, daß oberflächliches deutsches Aburteilen über den Reiz französischer Tragödienklassik von geringer Bedeutung sei für denjenigen, welcher die tieferen Ursachen dramatischer Wirkung suchen und finden will. Nicht die griechische Tradition, sondern die national-französische Art erklärt die Wirkung der Tragödie in Frankreich. Der Franzose ist ein Virtuos der Form, und seine Tragödie ist und bleibt ihm ein unversiegbarer Genuß dieser ihm zum Bedürfnisse gewordenen Virtuosität. Bliebe nichts übrig in dieser Tragödie als die Virtuosität der Sprache, welche jeder Franzos wie einen Kultus verehrt, so würde die Tragödie den Franzosen noch in Ehren bleiben, und wer die Franzosen und deren klassisches[133] Schauspiel nicht sorgfältig und lange beobachtet, der wird nie begreifen, welch einen feinen und tiefen Reiz das Rezitieren des klassischen Dramas auf sie ausübt.

August Wilhelm von Schlegel hat es bekanntlich keinesweges an sorgfältiger und langer Beobachtung fehlen lassen, aber er hielt es nicht für seinen Beruf, die Nüancen zu betonen, sondern er wollte aus dem Ganzen und Großen reformieren. Er war überwältigt von dem unermeßlichen Reichtume Shakespeares, der durchaus unvereinbar ist mit der kargen französischen Form und der uns Deutschen auch unter allen Beziehungen näher liegt. Er hielt es für seinen Beruf, durch radikale Aussprüche Wirkung zu machen. Das hat er erreicht. Nicht seine, sondern unsre Schuld ist es, wenn wir es dabei bewenden lassen. In seinem Preise der Molièreschen Komödie hat er bereits gegen seine eigene Konsequenz die Wendung erlebt. Hier verehrt er bereits die Armut: für eine einzige Eigenschaft ein ganzes Stück zu erbauen, und es ist unsre Schuld, wenn wir dieses wie jenes nachbeten und nicht in die offne Lücke eindringen. Die offne Lücke heißt: Wenn du hier preisest, was du dort verwirfst, so wird es wohl ergiebig sein, hier vom Preise abzuziehn und dort am Tadel einzuschränken. Kurz, auch an jener Nationaltragödie werden sich wohl Momente auffinden lassen, welche unter allen Umständen und Nationen zu richtiger und guter dramatischer Wirkung verwendet werden können.

Ein solches Moment ist meines Erachtens die Einheit im weitesten Sinne des Worts. Man nenne es eine Pedanterie, wenn diese Einheit bis zu solchem äußersten Grade durchgesetzt wird, gut, aber man vergesse nicht, daß fast jede Pedanterie die Übertreibung einer würdigen Eigenschaft ist. Die Einheit im Drama streng zu nehmen ist für uns Deutsche etwas sehr Ersprießliches. Wir sind von Natur aus geneigt zu schweifen, und sind durch den Einfluß Shakespeares in dieser natürlichen Neigung nur gar zu sehr bestärkt worden. Was ein Genius höchster Art überwindet – und Shakespeare auch überwindet diese germanische Gefahr keineswegs immer! – das mag ein Triumph sein, aber nicht eine Regel.

Um so wenig wie möglich Einschränkung zu haben, fordern wir gern keine weitere Einheit als die Einheit der Handlung, und weil wir eben weiter nichts fordern, erweitern wir auch in betreff dieser einzigen Einheit unser Gewissen nach hundert Seiten und[134] gestatten Episoden und Nebenausführungen aller Art und erleichtern uns den Verlust des geschlossenen Eindrucks hundertfältig.

Das Resultat ist erstaunlicher Umfang der Versuche, erstaunliche Mannigfaltigkeit in den Ausführungen – erstaunlicher Mangel gefesteter und haltbarer Formen.

Daß in meinem Struensee alle drei Einheiten beobachtet sind, ist für mich selbst etwas beinahe Zufälliges. Ich bin weit entfernt, einen Wert darauf zu legen, daß die Einheit äußerlich in allen Punkten durchgesetzt sei. Die Einheiten sind mir nur ein Symptom, ein Symptom, daß innerlich alles zusammengedrängt ist. Ob dies Symptom ausgedehnt sei bis in die äußersten Spitzen einer Ultraregel, das ist mir von keiner Bedeutung.

Allerdings aber ist es meine feste Überzeugung, daß der Drang nach möglichster Einheit deutschem Drama wünschenswert und förderlich werden müsse. Ich will die Franzosen nicht weiter in Rede ziehn, weil sie eben in ihrem Wesen wenig Entsprechendes für uns haben, ich will also nicht einmal auf die französischen Romantiker aufmerksam machen, welche nach englisch-deutschen Anregungen die klassische Einheit verlassen haben. Diese Erweiterung, wieviel Ungebärdiges sie mit sich geführt, war dem eingeschnürten französischen Drama wahrscheinlich heilsam. Aber bei aller Ungebärdigkeit und Willkürlichkeit, denen sich die französische Romantik ergab, findet man nirgends bei ihr eine so völlige Nichtachtung der formellen Einheit, wie man sie bei uns sich vorherrschend gestattet, und nur deshalb ging die dramatische Revolution jenseits des Rheins nicht aus Rand und Band und nicht aus den Bedingungen heraus, welche unerläßlich sind zu einer Wirkung vom Theater herab. Sie erweiterte die Einheit, aber sie entzog sich ihr nicht, und der Ultraromantiker wagt nicht, es mit einer wirkungsvollen Einteilung vereinbar zu finden, daß während der Akte verwandelt und in Zeit und Ort gesprungen werde. Die äußerlichsten Fabrikanten helfen sich dann, wenn sie einmal ihren Stoff nicht besser bewältigt haben, mit Tableaus, welche die Sprünge in vermittelte Abschnitte bringen.

Das hat sie äußerst hilfreich vor der wirklichen Zerstreuung und Wirkungslosigkeit bewahrt, denn der Verdacht auf eine äußerliche Einheit bringt eine einheitliche innere Bewältigung des Stoffes mit sich.[135]

Unsere Schlottrigkeit in der Form fördert im Gegenteile unsere Zerstreuung und Auflösung des inneren Stoffes. Freilich ist's eine Beschränkung, aber eine solche ist jede Form, und alles in allem zu geben ist eben nicht Sache des Kunstwerks. Wie wir es vorherrschend mit dem Drama getrieben haben und treiben neben den Meistern, die uns auch im Vaterlande geworden sind, das ist ein Treiben, welches statt der Form die Genialität sucht. Die Genialität wird aber nicht gesucht, sie erzeugt sich von selbst. Sie überspringt die Regel, weil sie dies vermöge ihres Atems und Inhaltes kann – ohne ihren Atem und Inhalt zu springen gleich ihr, das bringt Nichtigkeit zuwege. In Form und Regel sich schließen und innerhalb dieses Schlusses sich nach Kräften ausdehnen, dies ist die allein etwas versprechende Methode eines Talentes. Es fehlt uns die Bescheidenheit, nur Talente sein zu wollen. Wer aber den Genius hat, dem wird er auf den Wegen und in den Formen des Talentes nicht verloren gehn. Das Sprengen der Form ist etwas ganz anderes als das Vernachlässigen derselben.

So wird derjenige lächelnd auf uns herabsehn, welcher Zeit und Ort seines Dramas weit ausdehnen, oder was noch mehr sagen will, in Sprüngen wechseln und dennoch den Zuschauer in organischer, wohltuender Teilnahme erhalten kann für sein Stück. Er hat das Recht zu lächeln, denn seine Kraft ist ungemein. Ich traue mir diese Kraft nicht zu, und hoffe nur dadurch, daß ich meinen Stoff eng zusammenhalte und Schritt für Schritt organisch entwickele, den Zuschauer auf meinem Wege mit fort zu nötigen. Ich nehme also die volle Hilfe der Form in Anspruch, und verzichte lieber auf manche mir erreichbare Ausbreitung des Inhalts, als auf ein festes Hilfsmittel der Form. Ich schreibe eben für das wirkliche Theater, was man unter unsern Genies gern für etwas Untergeordnetes ausgibt.

Nicht also aus äußerlichem Respekt für eine fremde Klassik dränge ich in meinen Stücken Zeit und Raum so eng als es mir erreichbar und mit der Handlung vereinbar ist, zusammen, sondern weil ich zu wissen glaube, daß ein Stück um so kernhafter wird, je strenger man im Komponieren alles nahe aneinander bringt, daß ein Stück um so tiefer wirkt, je enger es in seinen Bewegungen zusammengearbeitet ist, und weil ich ferner zu wissen glaube, daß das Interesse um so schwieriger aufrecht zu erhalten ist, je mehr[136] Spielraum man den Dingen und Personen einräumt. Der Zuschauer dehnt sich aus in Gleichgültigkeit und Trägheit, je weniger er sich zusammengehalten fühlt. Warum sagt man: Es fesselt mich, oder es fesselt mich nicht? Strenge Form ist Fessel. An den eigenen Arbeiten habe ich die Erfahrungen gesammelt: im Monaldeschi fing ich an auf dem breitesten Wege. In diesem vierten Stücke bin ich bereits auf dem schmalsten. Dieser hindert mich nicht, Erweiterungen zu suchen, er zwingt mich nicht Pedant zu werden, aber er hat mich belehrt, jegliche Einheit als Symptom hoch zu halten. Hinter dem Symptom ruht eine strenge Gewältigung des Stoffes, und eine solche ist stets ein wesentlicher Gewinn.

Sollte denn auch wirklich Hegel, dieser Mann der Kategorien, so obenhin über diese Lehre von den Einheiten hinweggeschlüpft sein, wie obiger Ausspruch zu bekunden scheint? Der Ausspruch ist mir im Gedächtnisse aus seiner Ästhetik, aber es sind acht Jahre her, seit ich sie gelesen.

Ich hole sie herbei, ich schlage nach im dritten Teile. »Das System der einzelnen Künste. Dritter Abschnitt. Drittes Kapitel. Die Poesie. b. Das dramatische Kunstwerk. α«:

»Das Nächste und Allgemeinste, was sich über die Einheit des Drama feststellen läßt, knüpft sich an die Bemerkung, daß die dramatische Poesie, dem Epos gegenüber, sich strenger in sich zusammenfassen müsse.« – »Als nähere Gesetze lassen sich die bekannten Vorschriften der sogenannten Einheit des Orts, der Zeit und der Handlung angeben.« »α. α. Die Unveränderbarkeit eines abgeschlossenen Lokals für die bestimmte Handlung gehört zu jenen steifen Regeln, welche sich besonders die Franzosen aus der alten Tragödie und den aristotelischen Bemerkungen abstrahiert haben. Aristoteles aber sagt nur (Poet. c. 5.) von der Tragödie, daß die Dauer ihrer Handlung meist die Dauer eines Tages nicht überschreite, die Einheit des Orts dagegen berührt er nicht, und auch die alten Dichter sind ihr nicht in dem strikten französischen Sinne gefolgt, wie z.B. in den Eumeniden des Äschylus und dem Ajax des Sophokles die Szene wechselt. Weniger noch kann sich die neuere dramatische Poesie, wenn sie einen Reichtum von Kollisionen, Charakteren, episodischen Personen und Zwischenereignissen, überhaupt eine Handlung darstellen soll, deren innere Fülle auch einer äußeren Ausbreitung bedarf, dem Joche einer abstrakten Dasselbigkeit des Orts beugen. Die moderne Poesie,[137] insoweit sie im romantischen Typus dichtet, der überhaupt im Äußerlichen bunter und willkürlicher sein darf, hat sich daher von dieser Forderung frei gemacht. Ist aber die Handlung wahrhaft zu wenigen großen Motiven konzentriert, so daß sie auch im Äußeren einfach sein kann, so bedarf sie auch keines mannigfaltigen Wechsels des Schauplatzes. Und sie tut wohl daran. Wie falsch nämlich auch jene bloß konventionelle Vorschrift sein mag, so liegt wenigstens die richtige Vorstellung darin, daß der stete Wechsel eines grundlosen Herüber und Hinüber von einem Orte zum andern ebensosehr unstatthaft erscheinen muß. Denn einerseits hat die dramatische Konzentration der Handlung sich auch in dieser äußerlichen Rücksicht, dem Epos gegenüber, das sich im Raume aufs vielseitigste in breiter Gemächlichkeit und Veränderung ergehn darf, geltend zu machen, andererseits wird das Drama nicht nur wie das Epos für die innere Vorstellung, sondern für das unmittelbare Anschauen gedichtet. In unserer Phantasie können wir uns leicht von einem Ort aus nach einem andern versetzen; bei realer Anschauung aber muß der Einbildungskraft nicht zu vieles zugemutet werden, was dem sinnlichen Anblick widerspricht. Shakespeare z.B., in dessen Tragödien und Komödien der Schauplatz sehr häufig wechselt, hatte Pfosten aufgerichtet und Zettel angeheftet, auf denen stand, an welchem Orte die Szene spiele. Dies ist nur eine dürftige Aushilfe und bleibt immer eine Zerstreuung. Deshalb empfiehlt sich die Einheit des Ortes wenigstens als für sich verständlich und bequem, insofern dadurch alle Unklarheit vermieden bleibt. Doch kann allerdings der Phantasie auch manches zugetraut werden, was der bloß empirischen Anschauung und Wahrscheinlichkeit entgegenläuft, und das gemäßeste Verhalten wird immer darin bestehen, in dieser Rücksicht einen glücklichen Mittelweg einzuschlagen, d.h. weder das Recht der Wirklichkeit zu verletzen, noch ein allzugenaues Festhalten desselben zu fordern.«

Mich dünkt, diese Entwickelung stimme in ihren wesentlichen Punkten mit dem zusammen, was ich oben als praktisch erworbene Gesichtspunkte bezeichnete. Ich führe übrigens die Worte des Philosophen nicht zu meiner Rechtfertigung an. Denen, die schöpferisch im Drama zu Werke gehn wollen, würde es nicht weit helfen, sich bloß auf die Theorie einer Autorität zu berufen, und wenn sie nicht den Mut besäßen, auch allein recht haben zu wollen, so wären ihre Ansprüche auf Schöpfung als sehr dürftige zu bezeichnen. Ich könnte schon[138] zum Beispiele den von Hegel angeführten Gegensatz zwischen der Form des Dramas und des Epos von unserm jetzigen Standpunkte der Ästhetik nicht in solcher Ausdehnung annehmen, ohne eine wesentliche Erscheinung neuerer Literatur zu verleugnen. In dieser neueren Erscheinung ist jene tiefe Trennung zwischen Epos und Drama bereits geändert, und die dramatische Form hat als vollendetste Form das Epos bereits unterjocht, die breite »Gemächlichkeit« und die »vielseitigste« Ausdehnung desselben im Raume enger und lebendiger zusammenraffend. Der moderne Roman, mehr eine innere als eine äußere Welt darstellend, vereinigt sich schon nicht mehr mit jenen vom alten Epos abstrahierten Grundlinien.

Aber trotzdem sind uns bei entscheidenden Punkten die Worte eines so universell gebildeten und trachtenden Philosophen von lehrreicher Bedeutung.

Deshalb will ich der Vollständigkeit wegen noch in Kürze berichten, was er im wesentlichen über Einheit der Zeit und der Handlung beibringt: »ß. ß. Ganz das selbe gilt für die Einheit der Zeit. Denn in der Vorstellung für sich lassen sich zwar große Zeiträume ohne Schwierigkeit zusammenfassen, in der sinnlichen Anschauung aber sind einige Jahre so schnell nicht zu überspringen. Ist daher die Handlung ihrem ganzen Inhalte und Konflikte nach einfach, so wird das beste sein, auch die Zeit ihres Kampfes bis zur Entscheidung rasch zusammenzuziehen.« Was er nun weiter ausführt über die stets nur relative und konventionelle Zeitdauer, und daß man die »sinnliche Wirklichkeit nicht als letzte Richterin«, die »bloß empirische Wahrscheinlichkeit« nicht als entscheidende Instanz gelten lassen dürfe, das kann vom Poeten in der Hauptsache alles zugegeben werden. Man vermißt aber hier die Anwendung auf das wirkliche Drama, man vermißt den Versuch eines Nachweises und Fingerzeiges an der Form selber. Das Gesagte ganz in Ehren haltend wird man doch zu der Äußerung getrieben: Das ist zu vag, und der scheinbar ganz äußerliche Vorschlag, die Sprünge in der Zeit wenigstens durch Akte zu trennen, um jedem Akte die Zeiteinheit zu bewahren, ist von größerer Hilfe. Über die notwendige Einheit der Handlung herrscht kein Zweifel und kein Streit. Was Hegel über den Begriff der dramatischen Handlung sagt, deren Wesen in einem »kollidierenden« Handeln zu suchen sei, nicht aber in der bloßen Begebenheit, das sind goldene Worte.[139]

Die Handlung entwickle sich einheitlich aus den Charakteren an den vorliegenden Zwecken, so lautet in Kürze das, was als unwandelbares Grundgesetz anzuerkennen ist.

Wenn mir ein Kritiker vorgeworfen, ich dringe in der Vorrede zu Monaldeschi fälschlich allem übrigen voraus und mit zu geringer Berücksichtigung der Charaktere auf Handlung, so ist dies ein Mißverständnis, welches ich wohl durch ungeschickten Ausdruck erzeugt haben mag. Ich kenne im Drama keine andere des Namens werte Handlung als diejenige, welche aus den Charakteren und dem Zusammenstoß derselben untereinander hervorgeht, und ich habe nur die Handlung in den Vordergrund stellen wollen, weil wir geneigt sind, dies Resultat der Charakterentwickelungen zu vernachlässigen.

Soviel über die Streitfrage der Einheiten, um Mißverständnissen vorzubeugen, als ob ich ein Ultratum wollte, und um nachzuweisen, daß doch auch die gründlichste philosophische Ästhetik nicht so weit von Forderung der Einheiten entfernt ist.

Ich komme nun zu einem zweiten Vorwurfe, welchen das Stück gefunden und verdient hat. Er betrifft das Innere der Form. Es sei eine Intrigentragödie und eine solche sei nicht deutscher Art.

Der Vorwurf ist sehr wichtig. Gründe gegen ihn vorzubringen, ist freilich nicht schwer, denn ich könnte mit gutem Fug sagen: Der Stoff selbst hat sich geschichtlich als Intrige entwickelt, und warum sollte die Intrige von der Tragödie ausgeschlossen sein, wenn sie große Zwecke zu ihrem Inhalte hat? Warum ferner sollte es nicht deutsche Art sein, eine geschichtliche Katastrophe ihrem Hergange gemäß zu behandeln? Diese objektive Treue ist ja vorzugsweise deutsch. Warum sollte es heutiger Zeit, welche auch das deutsche Wesen politisch zu ergänzen und zu erweitern trachtet, undeutsch genannt werden, eine politische Tragödie in der ihr inwohnenden Intrigenform zu versuchen? Und liegt nicht endlich eine ganz deutsche Wahrheit darin, daß der deutsche Struensee, eben weil er die Intrige gering achtet und sie den Dänen überläßt, zu Boden geworfen wird?

Solcher Fragen zu meiner Verteidigung gäb' es noch eine große Anzahl, aber ich will weder die Kritik noch mich selbst täuschen, sondern unumwunden eingestehn, daß ich ein ganz gerechtes Moment in diesem Vorwurfe anerkenne. Wenn unsere dramatische Bestrebung tieferen Eindruck machen, dauernde Folge wecken soll, so muß sie[140] Formen suchen und anbahnen, welche aus dem Kern deutscher Eigenschaften entspringen und welche uns dadurch familienhaft wert und eigentümlich bleiben. Die Intrigenform entspringt nicht aus unserm Kerne. Freilich ist das völlige Aufgeben derselben eine außerordentliche Erschwernis für dramatische Schöpfung, denn das Intrigenhafte ist etwas der dramatischen Maschinerie gar zu tief und notwendig Inwohnendes. Aber ein völliges Aufgeben ist ja auch etwas anderes als ein Beschränken. Die Intrige bleibt uns ja als Bewegungsmittel gestattet, wenn wir auch nicht gern gestatten, daß sie einziger Haupthebel sei.

Dies ist sie nun wohl in meinem Stücke nicht, und meines Erachtens wird sie nur durch die Charaktere möglich; dennoch ist sie mächtiger, als es dem deutschen Wunsche zusagt, und ich gestehe den Kritikern dankbar ein, daß mich ihr Vorwurf unablässig beschäftigt und zu ruheloser Spekulation getrieben hat: auf welchen Wegen und durch welche Mittel eine unserm eigentümlichsten Wesen angemessenere und entsprechendere Form des Dramas zu finden sei, ohne daß vorhandene Vorbilder bloß nachgeahmt würden. Mit bloßer Nachahmung wäre freilich nichts gewonnen, da ja auch sämtliche Vorbilder Lücken geboten für die Kritik, Lücken, welche wahrlich von uns schwächeren Jüngern nicht ausgefüllt werden könnten. Es ist leicht gesagt, daß Goethe nicht geschlossen und theatralisch genug sei für die Bühne und daß Schiller zu idealisch in den Gestalten und Motiven walte, wer gibt uns die Vorzüge, um so schöne Fehler zu begehn oder zu vermeiden! – Vollkommen deutsch ist allerdings Iffland, der überhaupt in den Stoffen und der Technik noch heute sehr lehrreich ist für unser Theater. Die Stoffe sind familienhaft und deshalb innerlichst national, und die Technik ist eine Entwickelung in kleinen Schritten mit Vermeidung jeglichen Sprunges wie jeglichen Schwunges.

Hieraus ist gewiß manches Ersprießliche zu folgern. Die oft gar zu hausbackenen Motive und die gar zu enge Welt braucht man ja deshalb nicht nachzuahmen. Das Theater selbst erobert niemand leichter, als wer Iffland nachgeht, denn er hat von vornherein außer dem großen Publikum auch sämtliche Schauspieler für sich. Das bürgerliche Charakterstück spielen sie nicht nur am liebsten, sondern auch am besten. Hier sind sie zu Hause und reproduzieren ihren eignen Gedankenkreis und die Anschauungen ihrer Jugend, während sie in den nichtbürgerlichen Gattungen immer ohne eigentlichen[141] Fußboden schwanken und taumeln, oder, um dies zu verbergen, Manieriertheit auftischen.

Aus diesem Wege liegen gewiß ergiebige Entdeckungen für das deutsche Theater. Der Autor muß Darsteller und Publikum nehmen, wie sie sind, er kann nach Erhöhung beider trachten, aber nicht nach Änderung. Aufsteigend vom Familienstück der langsamen Charakterentwickelung findet er im deutschen Theater die sicherste Folge. Wir fahren mit unsern Stücken noch viel zu viel umher und trachten zu ehrgeizig nach Geist, indem wir uns von einer Kritik stacheln lassen, welche nicht das Gelingen erstrebt, sondern das Rechthaben. Wir sollten zunächst nach der unter uns eigentümlichen Wahrheit trachten. Der Kenner darf es noch immer nicht verleugnen, daß in Paris viel besser Komödie gespielt wird als bei uns. Dies rührt nicht bloß daher, daß dort unvergleichlich mehr Fleiß und künstlerische Sorgfalt auf das Einstudieren verwendet wird und verwendet werden kann, weil zahllose Wiederholungen möglich sind und weil durch diese Wiederholungen hinreichende Zeit für reife Vorbereitung des Neuen gewonnen wird, bei uns aber durch das Bedürfnis immerwährender Abwechselung die Oberflächlichkeit unvermeidlich bleibt. Nicht bloß daher rührt es, ja selbst nicht bloß daher, daß die Franzosen geborene Komödianten sind. Sie spielen hauptsächlich darum besser, weil die gründliche Sorge für das Theater alles in festere Gleise gefügt hat, und weil in diesen Gleisen die Autoren dem Schauspieler viel mehr in die Hände, das heißt in die nationalen Anlagen hinein vorarbeiten. Die Schauspieler haben immer Franzosen zu spielen und deshalb werden sie fertiger. Wir wollen auch auf dem Theater Kosmopolitismus ausgeprägt sehen, wir verlangen die größte Mannigfaltigkeit und müssen uns deshalb mit der Mittelmäßigkeit begnügen.

Von der Form des Ganzen zu der Form im einzelnen übergehend habe ich dankbar anzuerkennen, daß die Kritik dem Stücke wohlwollende Teilnahme und Milde geschenkt hat. Selbst was gerügt und getadelt worden ist, das ist mild und aufmunternd gerügt und getadelt worden und ich muß der Rüge und dem Tadel auch von meinem Autorstandpunkte Fug und Recht zugestehn. Sie trafen zumeist den Helden des Stückes, Struensee selbst. Es hat allerdings etwas, ich will nicht geradezu sagen Störendes, aber doch Befremdendes, daß der Held einer politischen Tragödie nicht durch die[142] Politik in erster Linie, sondern durch ein von Liebe überwallendes Herz in sein Verderben gerissen wird. Und zwar jählings auf den Rossen der Schwärmerei, welche herkömmlich nur einem Jünglinge gebühren sollen. Soll ich mich entschuldigen mit dem geschichtlichen Tatbestande, welcher Struensee wirklich als so unbedachten Sanguiniker darstellt? Nein. Ich gestatte weder anderen noch mir solche Berufung auf gewesene Wirklichkeit. Sie ist untergeordnet neben der Wahrheit, die im Kunstwerke selbständig herrschen soll. Das Nichtgeschehene kann wahr sein durch die Kunst des Poeten, welcher eine Welt im Ganzen erschafft, und das Geschehene kann unwahr werden, wenn es unpassend dem Organismus einer Poesie angehängt wird. Ich kann mich nur damit entschuldigen, daß ein schwärmerischer Staatsmann doch auch seine Berechtigung hat als poetische Figur, und daß er nur eben befremdet, weil er nicht erwartet wird. Mir scheint es auch, als verschwinde im Laufe des Stückes dies Befremden, nachdem man sich eben in dem sanguinischen Charakter zurecht gefunden und nachdem man zugestanden, daß Struensees Interesse und Pathos gerade aus den Gegensätzen zwischen Herz und Politik erwächst.

Ich habe wenigstens kein stärkeres Motiv für das Schürzen der Handlung und für die wohltuend schmerzliche Entwickelung des Charakters zu finden gewußt. Wird diese Erfindung schwach befunden, so muß ich mich bescheiden. Wer kann über die Tragweite seiner Kräfte hinaus! Falsch ist sie nicht und auch nicht undankbar, das haben mir die Darstellungen tröstlich erwiesen.

Endlich hab' ich noch zu erwähnen, worin und warum ich an einigen Hauptpunkten von dem tatsächlich Geschichtlichen abgewichen bin. Es bedarf dies, wie ich soeben angedeutet, von meinem Standpunkte aus keiner Verteidigung und die Kritik hat auch keine verlangt. Sie hat anerkannt, daß die Zufälligkeit des Faktums unbedeutend ist vor der wahrhaftigen Innerlichkeit der Geschichte, und daß es gestattet ist, Äußerlichkeiten umzugestalten im wahren Sinne des Ganzen und zu wirklich poetischem Zwecke.

Jene Hauptpunkte sind das Verhältnis Struensees zur Königin, der Krankheitsgrad des Königs und Struensees Todesart.

Das Liebesverhältnis zwischen der Königin und Struensee war bekanntlich nicht ein entstehendes, wie es in diesem Stücke dargestellt wird, sondern ein ausgebildetes. Ich berufe mich nicht auf[143] die erhöhte Schwierigkeit der Zulassung bei unsern Hoftheatern, welche vor einem ausgebildeten Liebesverhältnisse solcher Art doppelte Scheu empfinden, das wäre zu äußerlich, ich berufe mich aber auf die größere poetische Macht, welche einer entstehenden Neigung innewohnt vor einer schon bestehenden.

Ein kranker König ferner ist überall einem schwachsinnigen vorzuziehn, und die rasche Tötung Struensees endlich war mir für die Technik des Stückes unerläßlich. Fallen oder Nichtfallen ist fünf Akte lang dergestalt auf die Spitze getriebene Hauptfrage, daß der Schluß ein sichtlich entscheidender werden mußte, wenn er nicht ungenügend sein und immer neue Chancen in Aussicht lassen wollte. Der wirkliche Hergang, ein langer Prozeß und die Kriminalprozedur einer öffentlichen Hinrichtung, ist in diesem Stoffe für jede Theaterform eine gefährliche Klippe, und wer alles der Wirklichkeit gemäß haben will, könnte auch noch mit demselben Rechte der Äußerlichkeit auf Abhauen der rechten Hand bestehn – für die zusammengedrängte, in zwölf Stunden die Katastrophe ereilende Handlung meiner Form war solch ein verzögerter Ausgang unter keiner Bedingung anzunehmen.

Feiner und ganz berechtigt ist die Frage, ob ich nicht die bloße Todesdrohung mit Köllers Soldaten bestehen und nur Gefangennehmung und Abführung zum Tode eintreten lassen könnte. Besonders für den Druck des Stückes, welches nun doch auf den Theatern eingeführt sei. Moritz in Stuttgart hat auch die erste Darstellung auf jene stille Weise endigen lassen, und Herr Fedor Löwe hatte einen passenden Monolog Struensees zu solchem Schlusse geschrieben.

Ich kann mich indessen nicht dazu entschließen. Das Bedenken, von einer bloßen Notiz der Geschichtskompendien abzuweichen – denn töten müssen sie ihn doch lassen – dies Bedenken ist mir ein zu geringes vor dem künstlerischen Bedürfnisse eines entscheidenden Schlusses. Wer nichts weiter darin findet als das Bedürfnis eines Knalleffekts, für den ist diese Freiheit des Poeten allerdings nicht aufzuklären.

Den Bühnen, welche mit Ausnahme Wiens und Berlins fast sämtlich das Stück aufgeführt, habe ich herzlichen Dank zu sagen für den Eifer und Fleiß der Vorbereitung und Darstellung, welchen gerade dieses Stück überall gefunden hat. Durch so gleichmäßigen[144] Eifer und Fleiß ist es wohl nur möglich geworden, daß ein so gleichmäßig günstiger Erfolg, eine in Deutschland seltene Erscheinung, gewonnen worden ist. Nähere Nachrichten und teilweise eigene Anschauung setzen mich instand, namentlich hervorzuheben Stuttgart, wo Herr Moritz mit bekannter Tüchtigkeit die erste Vorstellung des Stückes bewerkstelligte; Mannheim, wo Herr Düringer als Oberregisseur wenig Tage später mit sorgfältig vorbereiteter Darstellung folgte; München, wo Herr und Frau Dahn dem Stücke die schönste Hingebung bewiesen und im Verein mit Herrn Jost und Fräulein Denker ihm eine Aufnahme der innigsten und, wie die Folge gezeigt, nachhaltigsten Art bereiteten; in Norddeutschland aber allen voraus Dresden, wo Eduard und Emil Devrient, Fräulein Bayer und Berg und Herr Porth das schönste Gelingen zuwege brachten; Leipzig, wo Herr Wagner und Fräulein Baumeister, Herr Marr und Herr Richter alle Kräfte zu gutem Erfolge aufboten; Hamburg, wo Herr Baison und Herr Grunert an die Spitze traten und die tiefe Liebenswürdigkeit der gastierenden Fräulein Bayer die Aufführung überhaupt möglich machte und den glücklichen Eindruck unterstützte; Kassel und Schwerin endlich, wo Herr Bolzmann und Herr Baumeister die Rolle des Struensee zu Ehren brachten.

Schwerer als bei einem meiner anderen Stücke ist es bei Struensee, unter so vielen um das Gelingen desselben verdienten Mitgliedern des deutschen Theaters eins auszuwählen, dem ich es vorzugsweise widmen könnte zum Zeichen meiner Dankbarkeit.

Ich hoffe, Herr Emil Devrient gestattet mir, solchen Gruß der Erkenntlichkeit an seinen Namen zu richten. Er war der erste und vollendetste Darsteller des Struensee, welchen ich gesehn, und er ist damit vorangegangen, wie er einst mit Monaldeschi in Norddeutschland voranging.[145]


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 24, Leipzig 1908–09, S. 123-146.
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