13. Hippolyt an Konstantin.

[63] Lieber Freund, Valerius, der eben zu mir kommt und mir den ähnlichen Brief von Dir mitteilt, ist mit mir gleicher Meinung: das muß anders mit Dir werden. Beiliegende Summe wirst Du zu Deiner Akklimatisierung anwenden, oder es trifft Dich das Anathem der Böotier. Sobald Du Dir einen Frack gekauft, folge jener Einladung; nach allem was ich gehört, findest Du ein reizendes Mädchen.

Jetzt höre zu, ich erzähle weiter. Die Fürstin bedauerte, daß Goethe nicht auch dergleichen Szenen aus reicheren, vornehmeren Umgebungen geschrieben, die Weiber seien zu sehr Landschaft, ich solle ihr Elegien schreiben, wo die Frauen mitsprächen. Jenes Behagliche, Reiche – entgegnete ich ihr – was sie vermisse, ersetze der Schauplatz Italien, aber es sei allerdings ärgerlich, daß unsere übrigen Poeten noch immer so wenig Courage hätten, dergleichen zu schreiben. Einmal, sagte ich, liegt es an unserer bürgerlichen Einrichtung, die in so vielfache kleine bürgerliche Fächer abgeteilt und durch Mauern und Hecken abgetrennt ist, die so sehr der Freiheit ermangelt, daß die meisten Menschen nach dem Rechenbuche leben müssen, in die nassen Felder hinausrennen, um sich Luft zu machen, da empfängt sie unser schlechtes Klima, und sie holen sich den Schnupfen. Zweitens werden den meisten jene Fächer ins Herz hinein erzogen, sie prallen vor jeder papiernen Wand zurück, weil ihnen das leidige Herkommen zum unerschütterlichen Naturgesetz geworden ist. Sie zweifeln eher an der Richtigkeit und Gesundheit ihrer Gefühle, als an der der Verhältnisse. Der ist schon ein[63] bürgerlicher Held, der als Kanzlist der Tochter oder Schwester des Regierungsrates seine Liebe anzubieten wagt. Drittens sind unsere allgemeinen politischen Verhältnisse noch immer die der Herren und Sklaven, und der großen Masse von Sklaven fehle es an Mut zu lieben, wenigstens an Mut, Gegenliebe zu verlangen.

»Das sind wunderliche Dinge« – entgegnete die Fürstin – »ich glaube aber nicht, daß Sie zu den Sklaven gehören.« – Dabei reichte sie mir die schönste Hand, welche ich je gesehen, zum Kusse. Ich küßte sie ihr lachend mit warmen Lippen, und da sie mit dem Zurückziehen nicht eilte, so eilte ich nicht mit dem Zurücklassen. Ich sprach noch viel mit erhöhter Wärme über Poesie und Weiber. Meine Dame ward auch bewegter, zog einmal ihre Hand weg, nannte meine Theorien männerfrech, ließ mich später die Fingerspitzen wieder ergreifen, schwieg lange, sah mich forschend, durchdringend an, stand dann plötzlich auf, strich mir wie Adelheid in Goethes Götz dem Franz über das Gesicht und erlaubte mir, den andern Tag wiederzukommen und ihr Gedichte mitzubringen.

Ich war in einer Art Sinnlichkeitsrausch. Wenn Du Dich darüber wunderst, so hab' ich Dir nicht genug von der Schönheit des Weibes, nicht genug von dem stolz einhergehenden und doch von Bewegung immer in die Knie sinkenden Trotze ihres Wesens gesagt, das unwiderstehlich reizte. Eine stolze Blume, die sich des feuchten Taus nicht erwehren kann, der ihre Blätter, die Augenlider, erweicht und das Haupt beugt. Rechne dazu die reizendste, reichste Umgebung, welche der trägsten Phantasie schwellende Polster unterschob. Glaube ja nicht, daß die äußeren Umstände ohne großen Einfluß seien. Wer unter den gewöhnlichen engen bürgerlichen Verhältnissen, wo das Philisterhafte der Frau Mutter oder Frau Muhme mit beobachtet sein will, frei, mild, stark lieben will, muß einen viel größeren Grad von Freiheit und Stärke entwickeln, als wer eine Fürstin in goldenen Zimmern[64] findet, wo auch die leiseste Störung scheu nicht in die Nähe zu treten wagt. Nur die sentimentale, eine Jugendliebe, die Raserei der Liebe wächst unter erschwerenden Umgebungen – die Romanschreiber, die den Satz überall gelten lassen, verstehen nichts davon. Wie käme jeder arme Novellist in seiner kleinen Bürgerstadt mit seinen paar Papiertalern Honorar in Kreise, wo die Spirallinien des Wunsches in weiten freien Bogen springen! Daß so wenige von den äußerlich Begünstigten Romane schreiben, daß diese freieste schönste Dichtungsart so fast lediglich den armen Teufeln überlassen ist, bringt soviel Jämmerlichkeit, zusammengeschnürte Herzen in unsere Poesie. – Es ist ein ander Ding, daß die Liebe durch Hindernisse wachse – wer möchte das leugnen, aber der Feind muß des Kampfes wert, der Feind muß gewaltig die höheren Tätigkeiten aufregend sein, – wer und was ist denn aber der gewöhnliche Feind Eurer Liebschaften? Ein kleines Kastenherz, das die lebendigsten Pulsschläge als zu kühn und illegitim fürchtet, jämmerliche Furcht vor einigen herkömmlichen Rücksichten, die nicht erlaubt glücklich zu sein, weil's tausend andere Hasen nicht gewesen sind, altes Weibergeschwätz, der sogenannte Ruf, d.h. das Klatschthema aller mittelmäßigen Menschen. Solch ein Feind stärkt nicht, aber er lähmt. Man kämpft gegen einen ausgestopften Wanst, in welchem das Schwert stecken bleibt, was den Arm ermüdet, das mutige Herz aber mit Ekel erfüllt.

Ich erinnere mich eines Universitätsbekannten, der den Umgang mit einem liebenswürdigen Mädchen aus lauter bürgerlicher Verzweiflung aufgab; sowie er bei ihr saß, kam die Frau Muhme und die Frau Base und die Frau Nachbarin, und wenn er die losgeworden war, der Herr Gevatter und der Herr Bruder Handschuhmacher und der Papa und die ältere unversorgte Schwester und sprachen von den Stunden der Andacht, von den schlechten Zeiten, von der Sittenverderbtheit und noch einmal von schlechten Zeiten, daß der[65] Mensch immer zum Tode abgemattet von seinem Liebchen kam und ein Ende machte, um nicht vor Ärger, Langerweile, unbefriedigtem Sehnen, verplatteter Empfindung aufgerieben zu werden.

Der Gegensatz von all den Dingen zeitigte allerdings wie klarer Sonnenschein meine Neigung zur Fürstin. Ihr sogenannter Gemahl zählte gar nicht; einmal gehorchte er seiner Frau unbedingt und war ein kläglicher Pantoffelritter, zweitens war er ein abgestumpfter Mensch, der ein ordinärliederliches Leben geführt hatte; ferner beschäftigte ihn eine kindische Eitelkeit mit soviel andern Gegenständen, daß er keine Zeit und keinen Zugang für den Gedanken hatte, seiner Frau könne ein anderer Mann gefallen, endlich war er meist verreist. Während ich bei seiner Frau saß, ließ er sein nobles Pharospiel bewundern, seine schönen Pferde preisen, sein vielwisserisches fades Gespräch geistreich schelten. Der Bruder der Fürstin war sein Genoß und störte uns ebensowenig. Aber des Fürsten Bruder war ein kräftiger Feind, denn er liebte seine Schwägerin mit Leidenschaft. Doch davon später. Ich wollte Dir nur dartun, wie das Behagliche aller Umgebungen mich hineinlockte in das Zauberschloß zur schönen Fee, wie ich so lange einen Engel gleich Desdemona ihr nachsetzen konnte.

Sie hatte mich das erstemal in einem großen Gesellschaftszimmer empfangen; als ich den andern Tag wiederkam, fand ich sie in einem kleinen lauschigen Gemache. Schwere grünseidene Gardinen mit glänzenden Goldtroddeln verhüllten zwei hohe Fenster, der Fußboden war ein bunter Blumenteppich, an der einen Wand hingen zwei große Ölgemälde, Joseph, eh' er zu dem einfältigen Entschlusse kommt, sich der Potiphara zu entreißen, und Leda, als sie brünstig ihren Schwan küßt; an der Wand gegenüber stand ein rotseidener Diwan, über welchem ein vortrefflicher Kupferstich hing, Jupiter darstellend, wie er in goldenen Regenstrahlen zur Danaë kommt. Das Zimmer war sonst fast leer, ein breiter Spiegel strahlte den Diwan zurück und umarmte strahlend den keuschen Israeliten[66] und die begehrliche Leda, ein reicher kleiner Tisch mit Erfrischungen bedeckt stand neben dem Sofa. Es war die leichte heitere griechische Freiheit, die über das ganze Zimmer gegossen war; ich hasse nichts so, als die mit Herrlichkeiten überladenen Gemächer, wo man bei jedem Schritt befürchten muß, etwas zu zertreten.

Die Fürstin stand vor dem Spiegel und rollte eine Locke an den Fingern auf. Ich habe nie etwas Schöneres gesehen als dies Weib in jenem Augenblicke an jenem Abende. Sie trug einen leicht seidenen weißen Rock, hoch geschürzt mit einem Florüberwurf, nach Art der sarmatischen Überkleider geschnitten. Beide waren natürlich vorn offen und schlugen sich, wenn sie ging, zurück, so daß man das weiße Unterkleid und die sich rund hervordrängenden Umrisse des Schenkels und Beines sah. Schultern, Hals und Arme waren frei, die kurzen herunterhängenden polnischen Florärmel fielen zurück wenn, sie den Arm hob. Titian hat nie ein schöneres Fleisch gemalt. Sie war ungeschnürt, und der volle Busen drängte die schwache Seide wie ein volles Herz die kleinen gesellschaftlichen Rücksichten. Ihr reiches blondes Haar fiel in reichen Locken um das Haupt. Der gewöhnliche scharfe Ernst ihrer Züge war gemildert, und sie ging anfänglich in launigen Gesprächen wohl eine Viertelstunde lang im Zimmer auf und ab. Es mochte wohl Eitelkeit sein, ihre in Schönheitslinien sich schaukelnde Figur zu zeigen. Aber ich liebe diese Eitelkeit, und die stets sitzenden Frauen kommen mir wie fette Türkinnen vor, die mich nie reizen könnten. Das freieste Wort, die freieste Sprache des Körpers ist der Gang. Diese vornehme Keckheit, mit der sie ihre Reize offenen Auges, offener Stirn auftreten läßt, erfreut und stärkt meine Sinne. Es ist eine kühne Gesundheit darin. Jenes verdeckte, versteckte Kokettieren mit nackten Eckchen und Zipfelchen ist der bare Gegensatz davon und mir in der Seele zuwider. Parallel damit geht auch die krankhafte Beschreibung solcher hysterischen Schönheiten,[67] wie sie in den sogenannten schlüpferigen Romanen zu finden. Beides schwächt die Sinne. Die Natur in ihrer ungeschminkten Schönheit, in ihrer Nacktheit ist immer edel und schön, ihre Verkünstelung ist krankhaft. Weil der Novellist nicht den Mut hat, die unverhüllte Form zu zeigen, so hat er auch nicht den Mut, sie zu bewundern, und er gibt Dekokte für die bare Schönheit. Darin besteht ja die Fülle von Vollkommenheit in der Poesie, daß ihr alle Künste zu Gebote stehen, und wer die plastische verdirbt und einen löcherigen Mantel über die nackte Statue wirft, bestiehlt den Roman. Was gäbe ich darum, schrieben unsere Bildhauer Novellen, das könnte eine stärkende Kur werden; was gäbe ich darum, lebten noch zwei Heinse, die einfachen Homöopathen der Beschreibung. Das ist es, worin ich ganz mit Valer übereinstimme, nur, daß er mit größerer Vorliebe den weichen Formen des Praxiteles nachgeht, ich die dreisten Linien des Phidias vorziehe. William hat gar kein Verständnis dafür, und ich fürchte, der kleine Provenzale nimmt mehr das Lüsterne heraus, was ich ganz verwerfe, weil es entnervt.

Die Fürstin sprach von den Männern; ich mußte ihr von Weibern erzählen. Sie hatte viele von unseren einbalsamierten Herren kennen gelernt, deren Gestalt nur hier herumläuft und deren Geist in Erziehung, Liederlichkeit oder Furcht verflüchtigt ist. Wenn das Gegenteilige ihr begegnet war, so hatte es aus jener materiellen, rohen, ich möchte sagen, bestialischen Soldatenkraft bestanden, die schon seit vielen Jahrhunderten unsere höher gestellten Stände für ein Axiom der Bildung ansehen. Es ist diese Barbarei ein Kindlein des Mittelalters und eigentlich ein diplomatischer Streich des Adels. Als das Rittertum verschwand, pachteten sie die vornehme Soldaterei und Jagd; sie ahnten etwas vom Kriegerstande der Ägyptier und Inder und wollten die herrschende Partei, welche mit des Schwertes Kraft das Land erobert hat, fortspielen. Unterdes ist die Welt mit ihrer[68] Zivilisation weit über jene behelmten Häupter hinausgewachsen, darum sehen wir jetzt unter den sogenannten höheren Ständen eine solche Menge barbarischer Fratzen mit lächerlichen Schnurrbärten von einem Ohr bis zum andern, die noch immer der ernstlichen Meinung sind, sie hätten das Privilegium der Courage. Gemütern, die alle zivilisierten Anlagen zum Herrschen besitzen, also ein Wort aus Erfahrung darüber reden können, muß dieser Vandalismus greulich sein. Das klagte die Fürstin, und es beschlich sie, nachdem die Schärfe des Wortes lange genug gemäht hatte, eine leise Wehmut, die ihr sonst gar nicht eigen, darum aber doppelt verführerisch an ihr war. Männersehnsucht, Männertrauer, Tränen nach Männern sind die schärfsten Waffen eines stolzen Weibes. Sie erobert, indem sie um Gnade bittet. Ich fühlte die reiche Armut des einsamen, hochgestellten Weibes, ich fühlte meine Kraft sie zu halten und zu beglücken. »Arme reiche Frau« – sprach ich, blieb vor ihr stehen, faßte ihre beiden Hände, führte sie an meine Lippen und sah ihr drängend tief in die Augen hinein. Sie legte ihre Arme auf meine Schultern und gab mir die Blicke feucht und redlich zurück. Aber es war, als kämen sie aus einer weiten, fernen Dämmerung, als wären sie Träume von reizenden Sternbildern; sie schauten wie aus den Wogen tiefer Gedanken, sie sahen träumerisch, aber unendlich glücklich aus, diese Blicke. Es war, als bückte sich die Seele des hohen Weibes tief vor ihnen. Die starren Kräfte des kalten schönen Gesichts waren gebrochen, die Züge sanken in die Knie zu zauberhafter Milde, wehmütiger Freundlichkeit. Venus stieg aus dem Meeresschaum, und die schäumenden Wellen fielen plätschernd von ihr, und sie ward ganz das warme Weib. Lange sahen wir uns so in die Augen, näher und näher sie aneinander drängend. Keines sprach. Wenn sich die Seele unter Schmerz und Lust und Tränen nackt an den Tag drängt, da staucht und hemmt sie erst das vorlaute Wort, die dreiste Kehle, wie man ein[69] Wehr hemmt, wenn man die Tiefe des Wassers trocken und nackt sehen will. Endlich lispelte die Fürstin leise, so leise, daß es nur mit Mühe mein innerster Mensch erlauschte: »Du bist ein Mann«, und ich fühlte einen brennend heißen Kuß auf meinem Munde. Sie schlug die schönen Arme um mich, ich hob sie dicht zu mir und hielt sie, die halb schwebende, die ihre brennende Wange an mein Auge drückte und so eine Minute in meiner Umarmung verweilte. Dann hob sie den Kopf, drückte mein Gesicht in ihre Hände und küßte mich einige Male heftig, machte sich halb los von mir, warf Haupt und Locken in den Nacken zurück und mich mit halbgeschlossenen Augen betrachtend lächelte sie und nickte leise mit dem Kopfe. »Komm, Mann,« sprach sie, legte den Arm auf meine Schultern und ging mit mir einige Male im Zimmer auf und ab, hie und da blieben wir stehen und küßten uns inbrünstig, und meine passive, mir so ungewohnte Rolle von mir werfend, drückte ich die vollen straffen Glieder des schönen Weibes an mich und schleuderte die lodernden Funken der Sinnlichkeit verschwenderisch um uns herum, umschlang sie wie ein Löwe sein Weib, überließ mich ganz der heiteren Kraft meines Wesens, und küßte sie, bis sie weich und erschöpft in meinen Armen zusammenbrach, da hob ich sie, einen Arm um ihren Leib schlagend, die Hand an ihren Busen drängend, an meine Seite und ging, sie halb tragend, mit ihr durchs Zimmer. Vor dem Spiegel blieb ich stehen und zeigte ihr unser Bild. Sie wollte den Stolz ihres Wesens aufrichten, aber es gelang ihr nicht, sie ließ das Haupt nach vornhin gebeugt sinken und sah mit einem lächelnd naiven Ausdrucke, dessen ich sie gar nicht fähig gehalten hätte, auf unsere Gruppe im Spiegel. – –

Die Stunden waren geflogen, wir saßen auf dem Diwan und ich mußte ihr Liebesgeschichten erzählen. Sie meinte, eifersüchtig sei sie nicht auf die Vergangenheit. Dennoch konnte ich keine Geschichte zu Ende bringen, ohne daß sie mich da, wo sie anfing interessant zu werden, auf den Mund[70] schlug, stillschweigen hieß, aufstand, einen Gang durchs Zimmer machte, dann vor mir stehen blieb, zausend in meine Haare griff und halb zornig, halb lachend sagte: »Du hättest wohl auf mich warten können mit Deinem Lieben, dreister Mensch.« Ich lachte und zog sie an meine Brust, und drückte die Hand in ihren Busen, um den Pulsschlag ihres Herzens zu fühlen, und als ich ihr sagte, sie hätte ja kein Herz, da schlug sie mich ins Gesicht und ging hinweg. Ich sprang ihr nach – »still,« sagte sie – »Du mußt jetzt fort, es wird zu spät, meine Dienerschaft kümmert mich zwar nicht; aber es reizt mich, nichts vor dem besorgten Bürgerweibe voraus zu haben – man soll Dich fortgehen sehen. Dieser Schlüssel – sie nahm ihn von jenem kleinen Tische am Diwan – schließt die westliche Gartenpforte, ich habe ihn selbst heut mittag für Dich abgezogen, Du Schuft; in einer Stunde kannst Du zurückkehren. Schwing Dich auf den niedrigen Balkon an der Ostseite des Hauses, die mittlere Flügeltüre findest Du offen, geh dann durch die nächsten drei Gemächer bis in das Bibliothekzimmer, dort erwarte mich. Adieu, Mann meiner Liebe!« – – –

Das Palais liegt, wie Du weißt, halb im Freien; ich wollte in frischer Luft und Nacht die Stunde verbringen und schlenderte auf die Promenade und auf die Wege, die zu den umliegenden Gärten führen. Aus einem etwas seitab liegenden Gartenhause hör' ich Musik, eine Singstimme zum Klavier, und zwar Juliens Arie aus der Vestalin, die ich liebe. Ich gehe hinan, und aus einem hohen Parterrezimmer klingt die schöne volle Frauenstimme. Ein Gartenschemel, der in der Nähe steht, soll mir die Aussicht ins Zimmer gewähren, er wird unters Fenster getragen, ich steige hinauf und sehe eine Dame im schwarzseidenen Überrocke, mir den Rücken zukehrend, am Klavier sitzen. Die Arie ist zu Ende, sie läßt die Hände in den Schoß, den Kopf nach vorn niedersinken. Ich rege mich nicht. Sie hebt eine Hand und fährt[71] leise mit ihr auf den Tasten herum. Dabei bewegt sie den Kopf ein wenig nach der Seite, ich sehe das Profil, es ist – Desdemona. »Guten Abend, Desdemona!« – Sie fährt auf, sieht, erkennt mich, springt ans Fenster, greift nach meiner Hand, bedeckt sie mit Küssen und spricht: »Mein liebster Hippolyt.« Sie fragt nach nichts, sie schilt nicht, sie gießt nur ihre Seele aus dem Auge in das meine; wir schwatzen kosend wie zwei Vögel, die auf zwei Ästen sitzen, da schlägt es elf. »Einen Kuß, Desdemona, ich gehe.« Und das liebe Weib biegt sich weit heraus und bietet mir ihr Auge hin. »Gut' Nacht, Hippolyt,« sagt sie – Gut' Nacht, Desdemona, und die Vöglein flattern voneinander.

In wenig Minuten war ich an der Gartentür, auf dem Balkon, im Bibliothekzimmer, ich suchte mir Heinses Ardinghello, streckte mich aufs Sofa, und las beim Schein der Astrallampen, die den weiten Raum erhellten.

Wie amüsieren mich Eure langen Gesichter, wenn Ihr von dieser Impietät hört, wie man in voller Glut von einem Weibe zum andern laufen, jetzt diese, eine Viertelstunde später jene umarmen könne. O Ihr armen Leute! Wie können die Bettler den reichen Mann begreifen, der links und rechts ohne Not Gold spendet? Ich habe Leben für eine Million, komme Million und liebe mich! Wie sollt' ich geizen? Euer gewöhnlicher Don Juan ist ein liederlicher sinnlicher Wicht. Aber weil Ihr einmal wißt, daß den der Teufel holt, so haltet Ihr jeden für des Teufels Beute, der nur zufällig ein ähnliches Wams trägt wie Euer Opernheld getragen. Ich wollt' es dem armen Teufel nicht raten, sich an mich zu wagen; der Teufel ist der Tod, ich erdrücke ihn in der Fülle meiner Lebenskraft. – Genug, ich will zu Ende.

Die schöne Fürstin war so leise eingetreten, daß ich sie nicht bemerkt hatte, ich phantasierte über die Formenschönheit mit Ardinghello – wie eine heiße Sonne trat sie plötzlich vor mein Lampenlicht. Eine Million lebte eben in mir, ich[72] riß sie in ihrem weichen Nachtkleide zu mir nieder, ich erwürgte sie fast. »Laß mich einen Augenblick los« – flehte sie. Als sie frei war, sprang sie durch die Tür, ich ihr nach. Sie war verschwunden. Mitten im nächsten Zimmer sah ich mich um, sie schloß eben sorglich die Tür, hinter deren Flügel sie sich einen Augenblick versteckt hatte. »Der Fürst könnte zurückkehren,« – sagte sie – »und es fällt ihm zuweilen, meinem Schwager aber oft ein, sich selbst ein Buch suchen zu wollen.« Wir gingen in ihr Schlafzimmer, es ist verführerisch wie ein anakreontisches Gedicht. Eine nur angelehnte Tür führte zu einem Badezimmer; ich küßte einen Augenblick Abschied auf Mund und Busen meiner Konstantie, warf die leichten Kleider von mir und tränkte meine durstigen Glieder mit der weichen Welle. Es ist dies etwas, was Ihr Deutschen durchaus nicht lernen wollt, daß das viele Baden etwas Reizendes sei. Ihr rauhen Bären Germaniens, die Ihr vom Urzustande doch übrigens nichts als das rauhe Fell behalten habt, wo drei Schläge auf einen Fleck fallen müssen, ehe Ihr einen fühlt, begreift's nicht. Das deutsche Weib, ja selbst der deutsche Jüngling weint sich windelweich, weint sich aus, wenn er einen neuen Menschen anziehen will, der südliche badet, und erfrischt, geschmeidig, geläutert tritt er an die Luft, für deren Balsam er tausend neue Organe geöffnet hat. Das Bad ist ein Hauptakt der körperlichen Zivilisation; schon in Frankreich findest Du in jedem einfach eingerichteten Hauswesen ein Badezimmer, in Deutschland keines in dem besteingerichteten. Ich verlange nicht den Reichtum des Südens darin, denn natürlich drängt dort das Klima mehr dazu; ich verlange nur das Aneignen des reinigenden Elements. Die üppigen Thermen der Griechen und Römer bekunden heut' noch in ihren Trümmern, welchen Wert man auf diese Sitte gelegt. Geist und Gemüt entfalten sich behaglicher in einem Leibe, der aus dem Bade steigt, eine reinere frischere Sinnlichkeit hüpft durch die erregten Adern[73] – aus dem Meere hoben die Griechen ihre Liebesgöttin, die strahlende Aphrodite. Das Wasser ist ein geistigeres Element als die Erde, man fühlt sich höher, edler, wenn man die Glieder aus den Fluten hebt. Darum lob' ich die mehr und mehr überhandnehmenden Schwimmanstalten in Deutschland. Die Polizei sollte an den Toren darauf sehen, daß die Einpassierenden erst in den Fluß gingen, ehe sie in die Stadt kämen; statt die im Zimmer verkümmernden deutschen Bürger allsonntäglich wie die Herde zum nutzlosen Geschwätz eines Pfaffen zu schicken, würd' ich sie ins Wasser jagen, damit sie die trägen Flügel schütteln lernten wie die Vögel, die sich auch baden, obwohl sie in reinerem Elemente verkehren als wir. Deutschland hat die gründlichste Ästhetik ediert, und die Ästhetiker holen die Regeln aus dem Bücherstaube und schreiben ungewaschen über Schönheit. Es hat mir den Anblick manches zärtlichen Liebespaares verleidet, wenn ich daran dachte, daß beide vom Baden nichts wüßten. Man soll den Körper pflegen wie die Frucht, deren Saft unsere physischen und geistigen Teile stärkt und nährt. Deutschland geh' ins Bad.


In der Mitte des Juli.


Das Papier ist gelb geworden; ich habe das Schreiben lang liegen lassen. Du weißt, daß ich immer das künstliche Leben dem natürlichen nachsetze. Es gibt aber hier viel zu leben. Davon will ich Dir später erzählen; erst rasch meine Geschichte bis zur Ankunft auf Grünschloß beendigen. Wenn ich auch an den Bildern mehrerer Jahre vorübergehe, Konstantie bleibt das schönste Weib, das ich gesehen. Linie, Muskel, Form, Auge, Wort, Geist, Gefühl – alles ist straff an ihr; sie ist der Gedanke eines Mannes, der weibliche Form gefunden. Es hat mich nie ein Weib mit solcher Energie umarmt und geliebt als Konstantie in jener Nacht. Ich liebe diese Kraft am Weibe über alles; das Weiche,[74] Vergehende, Ergebene gewährt mir zu wenig Widerstand. Ich gehe noch einen Schritt weiter als Valerius, der ebenfalls Kraft und Stärke des Weibes bevorzugt, ich liebe sogar die Strenge der Form, des Geistes und des Gemüts. Vielleicht sind solche Weiber der Übergang zur griechischen Knabenliebe. Als Konstantie des Morgens erwachte, war nichts von jener Scham, welche der Tag so oft über die Freuden solcher Nächte gießt, an ihr zu entdecken; sie umarmte mich beim Tageslichte so glühend, wie sie beim Lampenschein getan. Ich mußte den Tag über in jenen Gemächern bis zum Balkon bleiben, weil ich nicht leicht unbemerkt fortkommen konnte. Konstantie war für die Welt krank und speiste auf ihrem Zimmer. Wir lebten wie goldene Vöglein im Käfig. Als die zweite Nacht zu schwinden begann, verließ ich sie erst – ein großer Tränentropfen der Wollust und des Schmerzes, der einzige, den ich je in den stolzen südlichen Augen gesehen, erweichte ihren Blick, als sie an der letzten Tür von mir schied. Wir hatten verabredet, daß ich ihre Salons fleißig besuchen sollte. Wenn sie mich italienisch fragte: »Wie leben die Poeten?« so war dies ein Zeichen, daß mein Schlüssel gefahrlos zu ihr führte.

Daheim fand ich einen Brief Desdemonas, ein duftender Zweig aus einem indischen Walde. Ich schrieb ihr innig zurück und ritt dann in das duftende Land hinaus. Es hüpfte ein karger Frühling über die deutschen Felder, aber es war doch ein grüner Junge mit frischem Atem; ich vergaß die springende Jugend Spaniens und ritt immer weiter und weiter. Erst nach mehreren Tagen kam ich zurück. Wieder lag ein Stück Himmel Desdemonas auf meinem Tische, daneben eine trockene Einladung zur Soiree beim Fürsten. Ich ging hin, aller sogenannte Adel der Stadt und Umgegend hatte sich geputzt eingefunden, sie machten alle ernsthaft ihre Kapriolen und spielten ihre Puppenkomödie aufs beste, d.h. ohne allen Geist. Wie sie sich gefreut haben[75] mögen, als sie nach Haus gekommen sind, jeder auf seine Weise, der eine, daß er sich keines Schnitzers im Französisch-Plappern erinnerte, der andere, daß der Fürst ihn auf die Schulter geklopft und versichert habe, er sei noch ganz derselbe wie 1806, der dritte, daß er niemand auf die Füße getreten, auch nicht gefallen sei, die erste, daß sie das zweite Paar im Kotillon und was dies Geschmeiß der Zivilisation dergleichen schwatzt. Der Adel als Begriff und Masse ist wirklich in heutiger Zeit, wie Valerius sagt, ein Indianerstamm, dessen Farbe europäisch geworden, dessen Charakter aber wild geblieben ist. Die späteren Historiker werden unsern Adel als naturhistorische Merkwürdigkeit aufführen.

Die Fürstin war so umlagert, daß ich nicht zu ihr konnte. Aber wo wäre ein Mann so klug wie ein Weib. Beim Kontertanz stand sie plötzlich mit ihrem Tänzer neben mir, und ich hatte es kaum gesehen, als ich auch schon die Frage nach den Poeten beantworten mußte. Sie tanzte mit ihrem Schwager. Er sah sehr ernsthaft aus und maß mich mit stolzen Blicken. Meine lange Gestalt machte ihm viel zu schaffen, er schien nicht einig zu werden über das Maß und fing immer wieder von neuem an. Da ich dort nichts übelnehmen konnte, so lachte ich, das machte ihn noch ernsthafter. Konstantie ignorierte mich – alles flüsterte, sie sei nie so schön gewesen. Ein Weib kann noch so schön sein, die Liebe macht sie doch erst reizend.

Die Nacht kam und ging, ich mit ihr. Dieselben Szenen wiederholten sich; Konstantie, die früher nur auflodernd heiß gegen mich war, wurde von Tag zu Tage wärmer, der männliche Tau schien mehr und mehr von ihr abgestreift zu sein, das Weib war durch und durch erweicht, sie ward mit Blicken und sanften, lind schmeichelnden Worten freigebiger und unvorsichtiger gegen mich. Die Eifersucht aber ist das Bild des alten Argus, sie sieht das meiste. Ihr Schwager ging wie ein Tiger umher; das hätte dem hypochondrischen[76] deutschen Jünglinge die Freude verdorben, die meine erhöhte es. Die Poeten waren des Abends daran gewesen, ich stand gegen Mitternacht auf dem Balkon. Als ich eintrat, fand ich Konstantien nachdenklich, den Kopf auf den weißen Arm gestützt im Lehnstuhl sitzend. Sie trug noch das himmelblaue Sammetkleid, womit sie im Salon gewesen, hatte nur allen andern Kram von sich geworfen und die Fesseln des Kleides gelöst. Ich blieb in einiger Entfernung vor ihr stehen und betrachtete im Spiegel unser eingerahmtes Bild, Du weißt, wie ich das Schaffen von Bildern liebe. Wir schwiegen beide. Endlich hub sie an: – »Hast Du wohl verschlossen, Hippolyt?« »Ich habe.« – »Mein Schwager sinnt ohne Zweifel Arges, und ich will lieber sterben als dem Menschen die kleinste Rache gegen mich gelingen lassen.« Dabei stand sie auf, kam zu mir, legte die Arme und das Haupt an meine Brust und sprach nichts mehr. Plötzlich ging sie und schloß auch die Tür ihres Schlafgemachs, was sonst nicht geschah, da die Bibliothek von uns aus verschlossen war, und von dieser Seite keine andere Tür zu uns führte. Ich lachte und küßte sie. Nach Verlauf einer halben Stunde schrak sie in meinem Arm auf, hielt mir den Mund zu und lauschte. »Es ist Geräusch in der Bibliothek – man schlägt drüben an die Tür.« – Wir horchten beide – es war so. »Auf, Hippolyt!« Ich schickte mich eiligst zur Abreise an und fragte lachend: »Wo hinaus?« Sie führte mich hastig ins Badezimmer und deutete auf ein an der oberen Wand in tiefer Nische angebrachtes rundes Fenster mit bunten Gläsern. »Kannst Du?« – fragte sie. »Ich muß.« – Ein Stuhl ward herbeigebracht, ich sprang an ihm in die Höhe und klammerte mich in der Nische fest, wo ich zusammengekrümmt mit entsetzlicher Mühe das Fenster aus seinen Angeln brach, denn es war nicht zum Öffnen eingerichtet. Ich reichte es Konstantien hinunter, sonst hätte ich's beim Hinunterspringen in den Hof mit hinabgerissen, da der[77] Raum zu eng war. Was sie damit gemacht hat, weiß ich nicht, sie wollte nur mich entfernt haben, alles übrige aber ohne Mühe dann vertreten. »Es stürmt heftig,« gab ich ihr noch als Notiz in die Hand, sie warf mir den letzten Kuß zu, ich sprang hinunter. Der Sprung war ein mäßiges Stockwerk hoch und führte in einen Seitenhof, wo glücklicherweise statt der Steinplatten Rasen war. Es krachten alle Knochen in den Gelenken, jedoch die Elastizität meiner gesunden Glieder spottete der Erschütterung. Das Geräusch hatte aber den großen Hund des Palastwächters herbeigelockt, ich stand kaum auf den Beinen, so kam er brüllend auf mich eingesprungen, setzte an mir in die Höhe und schlug Schnauze und Rachen an meine Brust. Ich hatte Eile, spannte all meine Muskeln, würgte ihm den Hals zusammen, daß ihm der Atem benommen ward und stieß seine Schnauze so heftig, als ich konnte, an die Mauer. Das Ringen seiner Glieder hörte auf, schlaff streckten sich die Pfoten, er war halb erdrosselt, das Blut schoß aus dem Rachen. Da hört' ich das kommende Nahen des Wächters – ich mußte fort, den Hund drückte ich auf die Erde, ließ ihn einen Augenblick los und trat ihn, der fast regungslos war, den Fuß mit dem ganzen Gewicht des Körpers auf den Kopf. Das Terrain kannte ich, über eine kleine Mauer springend, gelangte ich in den Garten und jagte unter den Bäumen hin nach meinem Pförtchen. Doch konnte ich meine Neugier nicht bezwingen; ich mußte mich nach dem Balkon und dem Eingange, der zur Bibliothek führte, umsehen. Die Tür war offen, man irrte mit Lichtern in den Zimmern umher – es hatte das Ansehen, als suche man einen Spitzbuben. So war ich, mit dem Gesicht nach dem Palais zugekehrt, in die Nähe des Pförtchens gekommen, jetzt kehrte ich mich nach diesem um und ward nicht wenig überrascht, als ich eine Gestalt vor der Tür auf und ab gehen sah und hörte. Es war sehr dunkel, man konnte nichts genau erkennen – »Wer da?«[78] rief's – ich meinte Livreestreifen am Kragen des Wächters zu sehen und wagte es auf gut Glück, die Stimme des Schwagers vom Fürsten, rauhe tiefe Baßtöne, nachzuahmen, dem wachstehenden Manne zuzurufen: »Du kannst gehen – es ist vorbei,« und mich wieder einige Schritte nach rückwärts zu wenden, als kehrt' ich zum Palais zurück. Es glückte wirklich, der Mensch murmelte etwas Unterwürfiges in den Bart, und fragte, ob er das Pförtchen schließen solle. In diesem Augenblicke kamen Menschen vom Balkon her. – »Nein,« herrschte ich ihm zu. Der Narr zögerte noch immer, ich mußte fort und konnte nicht an ihm vorüber ohne erkannt zu werden, die Leute kamen direkt auf uns zu. »Pack Dich,« gurgelte ich endlich nach dem Lästigen hin; er ging, ich kam hinaus. Kaum drei Schritte entfernt, hörte ich den Ruf der richtigen Baßstimme: »Andreas« – aus der Ferne gibt der Diener Antwort und kommt zurückgeeilt. Ich aber springe nun auf den Zehen eiligst von dannen, bis ich die Promenade erreiche. Da schüttle ich die Ereignisse von mir und schlendre auf einem weiten Umwege nach meiner Wohnung. Es schlug eins. Eben wollte ich aus der Vorstadt in die Hauptstraße, wo ich wohnte, einbiegen, als ein Mann aus dem Schatten einer Haustür vorspringend mit blankem Degen mich anfällt. Ich springe rasch auf die Seite, der mit aller Wucht des Körpers geführte Stoß fährt vorbei, und eh' der Bewaffnete Zeit gewinnt, von neuem auszufallen, bin ich ihm am Leibe und dränge meinen Arm in die neu ausgeholte Degenbewegung. Der Degen schneidet zwar in meinen Arm, aber die Waffe ist doch zur Hälfte gelähmt, und mit aller Kraft seinen Arm in die Höhe drängend, gelingt es mir, ihm den Degen durch einen heftigen Stoß bis ins eigene Gesicht zurückzuschlagen, und da er mit dem Kopfe zurückfährt, ihm selbigen in diesem Augenblicke seiner Bestürzung und rückwärts gebeugten Haltung zu entringen. Bei diesem Ringen entfällt ihm der Mantel, ich erkenne Konstantiens Schwager.[79] Eine Berserkerwut kam über mich, einen Augenblick wollte ich ihm mit der eigenen Klinge den Wanst durchrennen. Er drängte sich aber schnell genug an mich, als ob er sich solch eines Aktes versehe, und verhinderte mich dadurch. Ich sprang einen Schritt zurück und hieb ihm die schmale Klinge durchs Gesicht. Vielleicht war der Hieb über ein Auge gegangen: er taumelte rückwärts. Ich stieß ihn mit der Faust vor die Brust, daß er klirrend und dröhnend rücklings auf das Pflaster schlug. Den Degen bog ich heftig gegen die Steine, daß die Klinge sprang, das Gefäß mit dem Stumpf warf ich weit in die Straße, und ging zurück hinaus in die Vorstadt, da ich die Nachtwächter kommen hörte. Es war kein Wort gesprochen worden, im Dunkeln, lautlos vergossen wir unser Blut. Ich war wieder jenseits der Promenade in die Gartenstraßen geraten, mein Arm erstarrte und schmerzte, ich hatte mir auswendig über den durchschnittenen Ärmel das Taschentuch festgebunden, um das Blut zu hemmen. Desdemonas Haus war in der Nähe; ich sprang über den niedrigen Gartenzaun und klopfte an das Fenster ihres Schlafzimmers. Ich hatte damals durch die offene Tür gesehen, daß sie neben jenem Zimmer schlief, wo sie Klavier spielte. Durch den Fensterladen hörte ich Geräusch. Um ihre Angst vor Dieben und dergleichen zu verscheuchen, sprach ich meinen Namen durch die Ritzen hinein. Ein leiser Schrei, und es ward geöffnet. Desdemona war im bunten türkischen Schlafrocke mit aufgelöstem Haar. Sie hatte diesen Abend die Lady Macbeth gespielt, noch erhitzt davon hatte sie keinen Schlaf gefunden, und im Shakespeare und meinen Briefen gelesen. Sie legte ihre Hände auf meine Arme und fragte mild: »Willst Du herein?« Entsetzt fuhr sie zurück, sie hatte in das kalte Blut gegriffen, das auf meinem Ärmel lag, und ich parodierte pathetisch die Lady: »All the parfums of Arabia shall not sweeten this little hand.« – Desdemona verging fast vor Schmerz über mein Blut; ich mußte eilen hineinzusteigen,[80] um sie zu beruhigen. Sie war aufgelöst und weinte unaufhörlich. Es war, als ob ein nächtlicher Sommerhimmel warm regne. »Unglücklicher, was ist dir geschehen?« Mein Lachen tröstete sie noch immer nicht. Ich riß mit einigem Schmerz den Rock herunter, wir wuschen das Blut ab, und es zeigte sich zu meiner Freude und ihrem Entsetzen eine tiefe lange Fleischwunde. Ich beruhigte sie mit Mühe, daß das gar nichts zu sagen habe und nichts als eine kleine Narbe bringe. Ihre Tränen fielen heiß darauf, und kaum hielt ich sie vom fortwährenden Küssen der Wunde ab. Sie riß alle Schübe auf, und brachte Linnen und allerlei Verbandzeug. Unter immerwährenden Fragen, »ach, es schmerzt dich wohl sehr?« »Ach, mein armer Hippolyt!« verband sie den Arm, und wollte gar nicht daran glauben, daß ich wohl und munter sei. Ein wenig erschöpft war ich doch und streckte mich aufs Sofa, Desdemona kniete vor mir, und strich mir die verwirrten Locken von der Stirn und den wirren Bart vom Munde, und küßte mich sanft wie ein warmer schmeichelnder Luftzug. Sie sah rührend aus. Der bunte Rock stach so wunderlich ab von der stillen Trauer, die über ihr ganzes Wesen gegossen war, von dem schneeweißen Halse und der Brust, die wie stets gleichmäßige Ruhe unter den Freuden der bunten Blumen des Rockes lag. Das glänzend schwarze, geringelte Haar schaukelte sich wie eine Nacht der Poesie auf den schimmernden Bäumen des Südens. Das blasse Gesicht mit den weichen Zügen, die schmerzlichste, rührendste, tragische Maske, die je ein Maler gebildet, worauf die bezauberndste Trauer ruhte, sah so durchweichend, teilgebend in mein Antlitz, daß alles sinnliche Leben zum ersten Male diesem Weibe gegenüber aus meinen Adern wich. Die kleine weiße Hand tändelte wie arabischer Wohlgeruch auf meinen Zügen herum. Desdemona war das Weib des reizendsten Sterbens, und da ich ein Mann des Lebens bin, so ward unsere Vereinigung darum vielleicht so wunderlich, so tödlich – ich weiß es,[81] Desdemona wird nie einen Mann nach mir lieben. Sie legte sich wie ein süß schmerzlicher Traum in meine Arme, der stehend bat, ihn nicht zu verscheuchen. Ich sollte ihr erzählen, was mir begegnet sei. Die kleinlichen Winkelzüge der platten Glücksritter hasse ich; dieser Seele gegenüber, die mit offenem blutenden Herzen immer wahr vor mir lag, hätte ich das Schrecklichste nicht verschwiegen: ich erzählte ihr lächelnd mit Weglassung der Namen – alles. Das Zuhören dieses Weibes bekundete eine Liebe, wie ich sie auf dieser Welt noch nicht gesehen. Nicht die flüchtigste Entrüstung flog über das schöne Gesicht, ja sie lächelte mit, wenn ich in meiner Erzählung mich freute, und als ich zu End' war, hielt sie mir die Augen zu und sagte: »Es kann mir doch niemand wehren, dich zu lieben.« – Das überwältigte meinen harten Menschen. Das Wasser trat mir in die Augen, zum ersten Male, seit ich vor zehn Zähren in Valencia von meiner Mutter schied; ich schlug meinen gesunden Arm in ihr offenes Kleid und preßte ihre Schulter zu mir und hob mit dem andern Arme ihr Gesicht an das meine, und küßte sie, daß wir beide zitterten. »Hippolyt« – stöhnte sie – »mein Engel, dein Arm, dein Arm!« Und als ich ihre Schulter leiser faßte, da sank sie mit dem Haupt an meine Brust und sah zu mir auf und lächelte wie ein sterbender Engel und sagte: »Das ist der Himmel, du meine Seele.« – –

Laß mich aufhören, Freund, dies ist die einzige Liebesgeschichte, die ich mit Schmerz, wenn auch mit süßem Schmerz, erzähle. Sie hat mein innerstes Herz erweicht.

Viele Tage und Nächte gingen vorüber, ich war auf jenem Gartenhause und saß vor ihr am Boden, und legte das Haupt in ihren Schoß, und sah in den herabschauenden Himmel ihrer Augen. Was der Koketterie, der Kraft, Größe, Schönheit nie gelungen war, das gelang der Seele dieses Weibes: ich liebte wie ein Knabe, wie ein hüpfender Jüngling. Erst eines Abends, wo sie spielen mußte, und einen Akt lang[82] nichts zu tun hatte, kam ich in meine Behausung. Mehrere Einladungen zum Fürsten lagen da. Ich ging zurück ins Theater, ich sah nichts als jenes schwarzblaue Auge, von schweren Wimpern beschattet, das seine Millionen von den Brettern her auf meinen Mund, in meine Arme legte. Und wenn ich sie heimbrachte nach der Vorstellung, und jede Fiber an ihr doppelt lebte und ich heut' für den und morgen für den geliebten Helden ihre verschwenderische Liebe erhielt, o Freund, da war ich glücklicher denn König Réné: mein Idyll kam mir vom Himmel, ich durfte mir nicht erst bunte Kleider dazu anziehen.

Eines Tages – in unserem Bürgerleben war es Mittag und unsere kleine Mahlzeit wurde schon aufgetragen – stand ich mit Desdemona am offenen Fenster, das auf die Straße sah, nur wenige Weinranken verhinderten von außen das Hereinsehen. Ich hatte meinen Arm um ihren Nacken geschlungen, und meine Hand ruhte auf ihren Schultern – wir sahen hinaus in die grünen Gärten. Da nahten sich Reiter, eine Dame zu Pferd sah nach uns herüber – es war die Fürstin. Sie schien ihren Augen nicht zu trauen und hielt einen Augenblick ihr Pferd an. Nur einen Augenblick, dann hieb sie's mit der Gerte über den Kopf, daß es wild davonbrauste. – Um diese Zeit traf mich die Einladung hierher nach Grünschloß; Du kannst denken, daß ich wenig Lust dazu hatte. Ich ging noch einmal in die Gesellschaft zum Fürsten; durch unbefangenes Fragen bracht' ich heraus, daß der Schwager des Fürsten mit dem Pferde gestürzt sei, und krank daniederliege, daß in einer stürmischen Nacht Diebe versucht hätten, in den Palast einzudringen usw. – Die Fürstin war nicht da, man meinte, sie sei schon seit einigen Tagen unwohl und werde wohl schwerlich in der Gesellschaft erscheinen. Doch kam sie noch später. Sie sah wirklich krank und angegriffen aus. Mich behandelte sie natürlich sehr vornehm, doch entging es mir nicht, daß ihr Auge oft schwermütig auf[83] mir ruhte, oft hastig blitzend mich suchte. Ich trat in ihre Nähe, sie war sehr zerstreut. Ich war sehr munter und aufgeräumt, und tändelte mit einem kleinen flinken Dämchen, das sich gar nicht zu gut geben konnte über das prätentiöse Wesen unserer jungen Gelehrten und Schriftsteller, die in die Gesellschaften kämen um auszuruhen, nicht um die Damen zu unterhalten. Als ich sie fragte, womit sie sich den Tag über beschäftigt habe, sah sie mich fragend an, wo ich hinaus wollte und erwiderte naiv: mit vielerlei, früh bin ich spazieren gegangen, nachmittags gefahren, und eh' ich hierher kam, hab' ich einen Akt in der Oper gesehen. – »Nun bedenken Sie, mein Fräulein, ob der Mann dort im Winkel mit dem jungen leidenden Gesicht recht hat: ich habe eben mit ihm gesprochen und weiß, daß er heute den ganzen Tag alle alten Rechtsgelehrten in allen Sprachen studiert hat, wie und unter welchen Verhältnissen Revolutionen erlaubt seien – daß er einen Artikel über Abschaffung der Todesstrafe geschrieben hat, aber freilich nicht spazieren gefahren und nicht in der Oper gewesen ist. Wollen Sie ihm nun nicht erlauben« – –

Sie meinte, er hätte was Besseres tun können, und – ward von der Fürstin abgerufen, und mit einem Geschäft entfernt. So ging mir's mit einer zweiten, einer dritten, bis ich mich selbst entfernte. –

Desdemona, deren tiefes Spiel, deren blutende Seele nur von den besseren Zuschauern im Theater erkannt wurde, und deren giebt's in den deutschen Theatern sehr wenige, ward meisthin wenig applaudiert, das hohle dreschende Volk neben ihr mit dem bestialischen Spektakel galt immer mehr; – das war sie gewohnt und es kümmerte sie nicht. Plötzlich zeigte sich eine heftige Opposition gegen ihre Verehrer, man zischte und lärmte, wenn sie applaudiert wurde. Die Anzettelung war nicht zu verkennen, aber Desdemona litt unsäglich dabei: endlich erklärte sie, es sei ihr unmöglich, vor einem Publikum zu spielen, das sie nicht wolle, ihr Gefühl[84] erstarre zu Eis, sie sterbe darüber. Der Direktor des Theaters, ein Einfaltspinsel, der seine Kasse gefährdet glaubte, willigte in ihre Kündigung. Desdemona ward frei; aber mit Entsetzen sah ich, wie sie verging in der neuen Untätigkeit – sie gestand mir weinend, daß sie stürbe, wenn sie nicht spielen könne. Aber sie könne nicht von mir gehen, um ein anderes Engagement, das man ihr geboten, anzunehmen. Was blieb mir übrig? Sollt' ich das schöne innige Weib sich verzehren sehen, dessen Lebensodem die Kunst war? Ich küßte eines Abends den Abschied auf ihr weiches Antlitz, der Mond schien zitternd durch die Blätter der Bäume, unter denen wir standen, ihr Kopf lag wie ein verbleichender Stern an meiner Brust, sie schluchzte leise, obwohl ich ihr nichts gesagt, daß es ein langer Abschied sei. Ihre zartgesponnene Seele fühlte sein wie die Mimosa, sie ging mit mir bis an die Gartentür, ihr ganzer Körper schauerte, sie war heiß wie eine Fieberkranke. Ich wollte gehen und war schon einen Schritt fort, ihre kleinen Hände hielten mich noch, sie preßte sie krampfhaft in die meine und flehte innig – »Noch einmal, Hippolyt, noch einmal küsse mich!« Ich umschlang das liebe Wesen, sie brach in die Knie zusammen wie eine gebrochene Blume. Ich mußte sie ins Haus tragen und aufs Sofa legen. Dort lächelte sie sanft und winkte mir mit der Hand zum Gehen.

Am andern Morgen ritt ich hieher nach Grünschloß – erlaß mir heute das Weitere. Ich bin nicht der Mann der Sentimentalität, aber ich bin ein Mensch – schickt mir, was ein Mensch tragen kann, ich will's tragen, ich hab's getragen. Leb' wohl!

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 63-85.
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