16. Julia an Kamilla.

[94] Nur drei Zeilen, meine Liebste. Hoffentlich bin ich in nächster Woche bei Ihnen – mein Papa muß schleunigst nach Paris, dort soll es sehr unruhig hergehen; ich soll beim Grafen aufgehoben werden. Ich freue mich kindisch auf Grünschloß, auf meine liebenswürdige Kamilla, meine duftende Blume Alberta und Eure bunte Gesellschaft. Ich sehne mich ordentlich nach Poeten, Berlin ist sehr trocken, und der Herr Konstantin war eine auffallende, interessante Erscheinung in unserem Salon. Die Leute wußten nichts Rechtes über ihn,[94] das machte ihn mystisch, er sprach so abgebrochen, aber so bunt originell, das machte ihn pikant. Und dabei hat er ein vornehmes, sehr einnehmendes Äußere. Ich weiß nicht, ob das gestört oder erhöht wird durch einen wegwerfenden Zug von Frivolität, Leichtsinn, der oft wie Verachtung aussieht und über das ganze Gesicht streift. Er verzieht einen fein geschnittenen Mund zu einem nicht recht heimlichen Lächeln, und drückt die Mundwinkel nach unten. Die großen hellblauen Augen sind etwas unstet, das lichtbraune Haar ist aus Stirn und Schläfen gestrichen und fliegt ein wenig wild, das Gesicht ist voll, aber es scheint mehr das zu sein, was man mit den fatalen Ausdrücken aufgedunsen, schwammig, bezeichnet. Es ist von feiner Haut und schwach gerötet, meine Gouvernante nannte ihn einen unbärtigen Apollokopf. Ausdruck und Haltung des Kopfes und der vollen hohen Figur ist sehr vornehm, ich hab's wohl schon einmal gesagt; verlangen Sie nichts Geordnetes von mir. Sie wollten eine Beschreibung, ich gebe sie, wie ich in meiner Eile und Zerfahrenheit eben kann. Er war beide Male, wo ich ihn sah, braun gekleidet, trug um den vollen Hals ein leicht fliegendes Tuch, keine Krawatte und keinen steifen Vatermörder, sondern einen weichen nachgiebigen Hemdkragen. Sie sehen, wie ich Ihren Regeln nachzukommen trachte und ins Detail beschreibe, um Ihnen die Figur deutlich zu machen. Ich muß mich im Beschreiben von Personen üben, dies Zeichnen mit Worten macht mir Vergnügen. Bitte, lassen Sie mir wieder mein altes Zimmer einrichten, das auf die Terrasse sieht, es ist gar zu hübsch. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie ich mich auf Grünschloß freue; ich bin hier so sommertrocken und suche Kühle und Grün. Adieu, meine Liebe, tausendmal Adieu.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 94-95.
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