35. Kamilla an Valerius.

[165] Es ist sehr garstig, sehr garstig und ungezogen von Dir, daß Du Deine dummen Stadtgeschäfte nicht schneller abmachst und länger, als Dir erlaubt war, ausbleibst. Alberta ängstigt sich um Dich, das tu ich zwar nicht: Du bist ja ein starker Mann, der im gewöhnlichen Lebensgange den harten Nacken nicht brechen wird; aber komm Herz, Seele, Gedanke meines Lebens, ich lechze nach Deinem Auge, nach dem Druck Deiner Hand; hätte ich nur eine Wange von Dir da, um mein heiß Gesicht darauf zu drücken. Bis gestern abend war ich doch eigentlich sehr heiter, ich saß lange auf Deinem Zimmer, naschte in Deinen Papieren herum und sang Deine Lieder; ich fand es sogar schön, Dich einmal nicht zu haben, um zu sehen, wieviel mir fehle, um meiner Schwäche zu trotzen und allein zu leben. Die gute Alberta war viel trauriger und sprach immerwährend mit einiger Sehnsucht von Dir. Als der Abend kam, gingen wir Dir entgegen, die Weiber, nicht die Hexen erwarteten den Macbeth auf der Heide, – er kam nicht. Da brach alle Glut und Leidenschaft, über welche mich die Ruhe des Tages so sehr getäuscht hatte, wie ein Orkan aus mir heraus, ich mußte bitterlich weinen – o bitte, schilt mich nicht, ich dachte, Du wolltest nicht wiederkommen, – dumme schwarze Abendgedanken, fremd in meinem Blute. Heut' ist's viel besser, ich bin wieder munter und heiter und denke: »Kommt er nicht heute, so kommt er doch bald.« Aber höre, zu lang treib' mir's nicht, bin ich denn dazu auf der Welt, um getrennt von Dir zu leben?

Vergiß nicht, mir hochrotes Band zu kaufen, sonst mußt Du noch oft schelten über meine verblichenen Bänder, und Du hast recht, sie sind matt und häßlich wie blonde Augenbrauen auf einem brünetten Gesicht. Ich habe mir auch ausgesonnen, wie ich Dich viel hübscher küssen will – Du sollst nur sehen, aber laß Dir Dein Bärtchen nicht abschneiden,[166] bitte, bitte. Vergiß mir das Zeichenpapier nicht, ich muß Dein kühnes Byrongesicht malen. Deine Formen sind nicht so schön, aber es fliegt Dir dieselbe Freiheitsmelancholie um die Augenwinkel, es ist derselbe schöne Liebesmund, auf dem die großen Worte und die süßen Küsse ruhen, mit denen er die schönen Italienerinnen bestach.

Wenn Dir doch der Bote mit diesem Briefe schon unterwegs begegnete. Wärst Du nicht Du, der überaus zuverlässige Valer, Dein Wegbleiben, Deine Kameraden, von denen ich Dir gleich erzählen werde, machten mir große Angst. Wie wild, unbändig, schonungslos betrug sich in allen Verhältnissen Hippolyt und nun höre, was uns die Fürstin schreibt. Leopold hat die Prinzessin Amelie wirklich heiraten wollen; am Ende hat man doch natürlich sichere und bestimmte Dokumente über seine Herkunft und seine sonstigen Verhältnisse begehrt, er hat ein unlösbares Inkognito vorgeschützt, die Fürstin hat wunderlich genug seine Partie genommen, und es hat den folgenden Tag zur Hochzeit kommen sollen, da der schwache Fürst keine weiteren Einwendungen gemacht. Das ganze Schloß glänzt des Abends im Kerzenschein eines strahlenden Polterabends, Park und Büsche blitzen Liebeslichter, die geladene und frei herbeiströmende Menge erfüllt die Gänge, der glückliche Prinz Leopold, seine ätherische Braut am Arme, hüpft populär durch die Massen und lächelt äußerst glücklich. Er spricht im Vorübergehen mit den Bauern von Volksrechten und Freiheit und Gleichheit, der Volksjubel wird immer größer, ein wütendes Geschrei läßt den volksfreundlichen Erbprinzen leben, verlangt ihn zu sehen, trägt ihn auf den Schultern einher. Prinz Leopold hat seiner Prinzessin Braut gesagt, so hätten's die alten Minnefürsten zur Zeit der Romantik getrieben, und bestellt eine Tragbahre für die romantische Dame, damit sie teilnehme an dem Triumphzuge. Vom Balkon aus sieht der Hof zu, und die Fürstin lächelt sehr – so schreibt sie selbst. Da kommt ihr[167] Schwager an und zerstört dräuend die demokratische Herrlichkeit. Er ruft Leopold beiseite und spricht lange mit ihm. Dieser kommt zu seiner Braut zurück, spricht viel von den Tränen der Romantik, erbittet sich von William eine Summe Geldes, um die Bauern damit zu beglücken, und verschwindet. Dem zu Fuß Fortwandernden ist ein Bauer begegnet, der fahrende Prinz hat ihm erzählt, er ginge erst nach Belgien, um für die Volkssouveränität zu fechten; erst wenn diese errungen sei, dürfe man der Liebe Freuden pflegen. Prinzessin Amelie hat erklärt, Ohnmachten seien zu modern, sie werde sich nicht damit befassen; sie trägt das Haar aufgelöst und singt am offenen Fenster des Nachts Lieder von Tieck und Novalis; sie ißt nur ein Gericht und kleidet sich aschgrau, übrigens ist sie wohl. Die Fürstin setzt hinzu, viele würden die Sache einen Skandal nennen, auch Herr Valerius, und, das Ganze würde Wasser auf Deine Mühle sein. Übrigens mögest Du sie doch besuchen, sie wolle mit Dir darüber sprechen. Ich hoffe, das wirst Du bleiben lassen. Es ist ein stolzes, herrsch- und rachsüchtiges Weib, Du magst mir's glauben, und ich fürchte sehr, sie hat dies alles absichtlich angezettelt. – –

Eben kommt eine schreckliche Nachricht an. William hat des Abends auf dem Korridor den Schwager der Fürstin mit einem Dolchstich niedergeworfen, ist in die Zimmer der Fürstin wie wahnsinnig gedrungen und erst bei ihrem Hilferufen entflohen. Es wird auf das lebhafteste verfolgt; zu dem Ende kam die Nachricht mit einem Kurier hier an. Ach, wenn er nur Dir nicht begegnet! O eile, eile zu uns, mir bangt für Dich bei so grauenvollen Nachrichten.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 165-168.
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