7. Valerius an Konstantin.

[27] Grünschloß, Anfang Juni.


Du wirst Dich wundern, wie ich aus meiner stillen Zelle plötzlich hieher gekommen bin, was mit mir vorgegangen ist.[27] Ich gestehe Dir, daß mich die letzten Tage etwas übereilt und verwirrt haben, ihre Bewegung hat an meinem ruhigen Gleichgewichte gerüttelt; es ist mir Erholung, Bedürfnis, mich ausführlich auszusprechen, mich selbst aufs Reine zu bringen. Wie einen ungeübten Novellenschreiber beunruhigt mich der Faktenstoff, der in der Hand herumspringt und Ort und Stelle und Ordnung erheischt. Wirst Du aber auch Zeit dazu haben, mein lieber Freund? Du hast einen leichten Roman angesponnen und hast Dir die Kraft zugetraut, Held und Dichter und Publikum zugleich zu sein, Du hast versucht, Dir einen kleinen Freudenplaneten zu schaffen, in ihm zu genießen und von außen her ihn zu bewegen, zu regieren. Nach Deinem letzten Briefe ist Dir der Zepter schon klirrend an den Boden gefallen, der falsche griechische Kaiser hat nur seinen Ornat noch behalten, aber das Ansehen und die Macht verloren; Dichter und Publikum sind lachend davongegangen, und der Held des Romans, der Passive, steht in den Mantel gehüllt tief in der Nacht vor des Mädchens Haus und schaut grollend und sehnsüchtig nach den Fenstern. Ja Freund, die Neigungen des Menschen sehen immer anfänglich wie kleine harmlose Mädchen aus, bei denen man einen Augenblick scherzend stehen bleibt, mit denen man spielt; und unter den Spielen wachsen sie wunderbar schnell in die Höhe, und sie werden wunderbar schön, und das kleine Händchen ist eine weiche warme Hand geworden, die uns mit wunderbarem Zauber festhält. Dies geisterartige Wachsen der Neigung hätte etwas Unheimliches, wären nicht eben Blut und Wärme ihre Waffen, die da aufreizen, statt abzuschrecken.

Schreibe mir, wie es Dir ergeht. Ratschläge sind lächerlich; es sind friedliche Landesgesetze für eine eben vom Feinde eroberte Stadt, die unter dem Martialgesetz seufzt, – ich gebe Dir keine, Du kannst keine brauchen.

Leopold schwärmte seit längerer Zeit hier auf Grünschloß, er hat den William und mich hieher gebracht. Ich[28] hielt es für nötig, die Vorhänge meiner Einsamkeit endlich aufzurollen und mich einmal nach der Sonne umzusehen. Wie ein bleicher Mann trat ich hervor aus langer Kerkernacht in die bewegte Erde – was Wunder, daß ich ein wenig bestürzt war. Beinahe ein halbes Jahr ist es her, daß ich einsam auf meinem Gartenhause lebte, nur Euch sah ich zuweilen bei mir, nur der Abend sah mich manchmal bei Euch, sonst hat mich niemand, sonst hab' ich niemand gesehen. Ihr hattet mich immer nur zurückgezogen gekannt; solange wir zusammen lebten, war ich völlig aus dem Getümmel der Welt getreten. Ein Unterschied nur mußte Euch auffallen. Früher suchtet Ihr mich oft vergebens in meiner Behausung; ich war oft nicht daheim. Ob Ihr es wißt, wo ich war, was mich beschäftigte, weiß ich nicht; ich bin Euern Fragen ausgewichen, ich habe nie geforscht, ob Ihr geforscht. Wahrscheinlich indes ist's Dir nicht neu. Ich liebte, Freund, und war bei ihr, die mich wieder liebte. Nenn es eine Schwäche oder wie Du willst: das grelle Licht der Öffentlichkeit blendet meine Augen, wenn ich sie hineinsenken kann in das Auge der Liebe. All mein Tun gehört der offenen Welt, aber meine Liebe trag' ich scheu in den dunkelsten Hain; mein Herz erschrickt, wenn es plötzlich vor aller Welt erscheinen soll mit seiner großen Sehnsucht nach einem Weibe. Dazu kam, daß es eine glückliche Unglücksliebe war; wir liebten uns über offenen Gräbern, wir wußten unseren Todestag, und da wollten wir keine Minute verlieren, und die Welt sollte uns mit ihrer Störung keinen Moment rauben. O meine süße Klara! wie redlich haben wir mit der Zeit gegeizt! Wie oft hab' ich Euch bis ans Tor begleitet, wo Ihr nach Euerm Sammelplatze, jenem klassisch gewordenen Kaffeegarten, steuertet, und wenn Ihr mich drängtet mitzukommen, und ich den Kopf schüttelte und traurig lächelnd von Euch ging, um in die Felder hinauszustreifen, da harrte sie meiner schon in jener dichtbewachsenen Laube, wo uns niemand störte, da ging ich[29] zu ihr und saß stundenlang zu ihren Füßen. Ach, die Welt ging da gemessen und harmonisch, es war alles so schön, denn ich liebte kindlich und kindisch wie ein fünfzehnjähriger Knabe. Mein demokratisches Glaubensbekenntnis sagt mir heut, daß man besser lieben könne, weiter, breiter, universeller – ich konnte in jener Laube einsam mit ihr sitzen, aber ich konnte die Welt mitbringen, die Welt der Ideen. Ich glaube es auch, ich würde heut reicher lieben. Aber damals war die Welt so arm, sie hatte noch keine Ideen, ich wußte wenigstens nichts davon, und meine modrige Wissenschaft paßte nicht dazu. Auf ihrem Schoße schrieb ich jene Lieder, die ich Euch im Vereine las, und weil wir im täglichen Abschiednehmen lebten, so waren sie im höchsten Glück so tragisch, ein schlagendes Herz, mitten durchschossen vom tödlichen Pfeil. Klaras Schicksal war unwiderruflich bestimmt und entschieden durch ihren Vater. Wie einen Gott liebte sie diesen Vater; sie wollte für mich sterben, aber nie mein Glück mit ihr in feindlicher Opposition gegen diesen Vater durchsetzen. Jeder Versuch, das Geschick zu wenden, scheiterte an ihrer eisernen Festigkeit. Es hat mich diese Festigkeit viel Schmerz gekostet. Ich sah sie vernichtet zusammenbrechen, als diese vorgeschriebene Bestimmung erfüllt werden mußte; ich sah sie zerbrochen und leblos vor mir; – aber nicht das leiseste Wort eines Änderungsversuchs ist je über ihre Lippen gekommen.

Der Zufall hatte mich mit ihr zusammengeführt; sie fürchtete sich anfänglich vor mir. Ich war bestürzt über ihre Anmut, es war eine rührende Schönheit, die meinen ganzen Menschen erweichte. Ich sah sie eine Woche lang täglich, und wir wußten beide nicht, was wir wollten. Ihre Furcht hatte bald dem Extreme, einem grenzenlosen Vertrauen, Platz gemacht, und – an einem melancholischen Abende hing sie mir plötzlich weinend am Halse, und auch ich weinte Tränen der Liebe. Wir haben überhaupt viel miteinander geweint, aber uns geliebt wie die Engel. Aber Weib war sie durch[30] und durch; zu einer Art von männlichem Kosmopolitismus in der Liebe habe ich sie nie bewegen können, sie wehrte mich hastig mit den Händen ab, sie hielt mir den Mund zu, sie schlug mich, wenn ich ihr sagte, die Liebe sei etwas Größeres als die Neigung zu dieser oder jener einzelnen Person, man könne der Liebe treu sein, während man der Geliebten untreu werde. Darin war sie einseitig und leidenschaftlich. Und damit hat sie mich gelähmt für mein ganzes Leben.

Es war eine warme, weiche, mondhelle Nacht, als Ihr einst von mir gingt, Balladen und Lieder küßten sich in mir, es war Ball in meinem Herzen, und zauberische Musik trieb Mir alles im Kreise herum. Aus dem Fenster sah ich Euch nach, mein ganzer Mensch war liebedurstig wie ein wohltuend ermüdeter Wanderer; ich ging Euch nach, bald fand ich mich vor dem Gartenzaun, der meiner Liebsten Haus umgab. Der Hofhund kam brüllend herbei; meine, eines alten Bekannten, leise Schmeichelworte beschwichtigten ihn bald, ich stieg über den Zaun. Klara hatte Besuch von ihrem Bruder. Von unserem Verhältnisse durfte er nichts ahnen; er war ein leidenschaftlicher Mensch, der in Italien geboren und erzogen war; entdeckte er mich bei meinem Vorhaben, er schoß mich wie einen Strauchdieb nieder. Ich aber war liebelustig und verachtete alle Rücksichten; in den hohen Affekten kennen wir keine künstlichen bürgerlichen Formen, man hütet mit König René Schafe, und reitet mit Hüon nach Bagdad. Jener Besuch hatte mich seit mehreren Tagen von Klara getrennt, ich lechzte nach ihrem Auge, wie nach Licht – er war noch da, das wußte ich, aber ich wußte auch, daß Klara wie ein Vogel schlief, der bei dem leisesten Geräusch die Schwingen hebt; ich wußte, daß ein hoher, breitästiger Kastanienbaum dicht unter ihrem Fenster stand. Ich schlüpfte entschlossen durch die dunkeln Gänge des Gartens dem Hause zu. Klaras Fenster waren offen, wahrscheinlich war sie noch wach – aber die Fenster des Bruders waren[31] hell, eines sogar war geöffnet, das kleinste Geräusch konnte mich verraten. Du weißt, daß ich im Sommer immer leichte Tanzstiefeln trage, dies kam mir zustatten; ohne Geräusch kam ich bis an den Stamm des Baumes, die alte Turngeschicklichkeit brachte mich bald hinauf, wie staunend sah mir unten der Hund nach. Der Mond schien geisterhaft, ich stand im Dunkel der Äste und übersah mein Terrain. Klara lag halb entkleidet auf dem Sofa, ihr dunkelbraunes Haar war zur Hälfte aufgelöst und schmiegte sich schmeichelnd wie ein sehnsüchtiger Trieb, dem man Gewährung gestattet, um Hals und Busen, ihre weiße Hand und der schöne, zur Hälfte entblößte Arm spielten damit. Sie sah träumend vor sich hin – ich habe nie etwas Reizenderes gesehen. Sie trug sonst immer ein weites faltiges schwarzseidenes oder sammtenes Kleid, es schmiegte sich dies zwar liebend an die schönen Formen, aber das warme Leben war immer verhüllt – zum erstenmal sah ich's entfesselt, und eine göttliche Sinnlichkeit, die sich mir selbst in ihrem Arm nie so klar angekündigt, kam über mich. Ich hätte zu ihr gemußt und hätte es mich tausend Leben gekostet. Wie Käthchen unter dem Hollunderbaum mit dem Mondschein buhlend lag sie da, der kleine Fuß, des Schuhes ledig, spielte tändelnd in der Luft, der auf den Busen vorgebeugte Kopf trug den Ausdruck einer glückseligen, heimlichen Erwartung. Eben wollte ich auf ihren Fensterbogen treten, da öffnete der Bruder, dessen Zimmer daneben war und den ich auf und nieder gehen gesehen hatte, den zweiten Fensterflügel und sah in den Mondschein heraus. Ich blieb regungslos stehen, der verzweifelte Hund fing an zu knurren, heraufsehend nach Baum und Fenster, ich konnte leichtlich dadurch verraten werden. – Klara träumte und tändelte ungestört fort. Eine peinliche Minute verging, der Bruder schien nach mir herzusehen, ich hielt den Atem an, plötzlich brach ein kleiner Ast, auf den ich im Rückzuge mit dem rechten Fuße getreten war; die Grabesstille der Nacht[32] machte ein auffallendes Geräusch daraus, der Bruder fuhr blitzschnell mit dem Kopf aus dem Fenster. Klara hob sich ein wenig in die Höhe und horchte, der Hund knurrte lauter, ich hielt mich mit dem Arm fest an einem Ast und wagte nicht, eine neue Stütze für meinen rechten Fuß zu suchen, aus Besorgnis neues Geräusch zu machen. Der Vetter aller Liebenden, Freund Mond, bemerkte zu rechter Zeit meine Not, er trat hinter eine Wolke; schwerlich wäre sonst des Bruders unablässigem Hinstarren nach dem Baume meine leuchtende weiße Hose entgangen. Tödliche fünf Minuten schwebte ich so auf der Folter, da gab er endlich die Sache auf, warf das Fenster zu und ging in die Tiefe des Zimmers. Ich trat jetzt keck auf den Fensterbogen und sprang behend ins Zimmer. Ein unterdrücktes »Ach!« Klaras bedeckte ich vollends mit Küssen. Die furchtsamsten Weiber, wenn sie lieben, werden nie durch eine Äußerung der Furcht etwas verraten, sie haben den Liebhaber und die Liebe zu immerwährenden Begleitern, bei sich, und wenn etwas vorfällt, so sehen sie sich immer erst nach diesen um und horchen, was diese dazu sagen. Der glühendste Mann liebt mit Geschäftspausen, er vergißt des Tags über wenigstens zehnmal die Geliebte und erinnert sich hundertmal ihrer. Das Weib erinnert sich des geliebten Mannes gar nicht, denn sie hat ihn immerwährend bei sich, er ist in ihr und verläßt sie nie; er ist nicht nur ihr Gedanke, denn der kann wechseln, er ist ihr Denken, ihre Phantasie, ja ihr Verstand. Klara hatte auch mit mir gedacht. Sie schalt meine Dreistigkeit und küßte mich und war so weich und warm und lieb wie ein Sonnenstrahl. Sie wollte ihr Negligé verbergen und schmiegte sich tiefer in meine Arme, damit ich sie nicht sehen sollte; sie war sanft wie ein spielend Kind, sie war wie eine seltene Blume, die in schweigsamer Mondnacht ihren vollen warmen Kelch aufschließt und Wärme und Sehnsucht haucht in die Nacht hinein, sie war unbeschreiblich liebenswürdig. Und[33] doch war sie neben jener Weichheit so entschlossen stark, kühn wie eine Göttin. Sie beherrschte mich in jener Nacht mit allen Waffen. Klara zog mich aufs Sofa, drängte mir den Kopf nieder in ihren Schoß und sprach mir dann leise ins Ohr: »Valer, ich will Dir angehören, wenn Du mir schwörst.« – Ich erhob den Kopf und erwiderte leise: »Ich schwöre« – »Narr, Bösewicht« – lachte sie – »Du weißt ja nicht, was.« Und nun gab's ein neues ausgelassenes Treiben übersprudelnder Wonne, wir lachten einander in die Augen, wir küßten den Stern und die Seele darin; ich suchte ihr Herz und drückte mein brennend Gesicht daran, wir jubelten wie losgelassene Gefangene. Plötzlich begann sie wieder die vorige Szene, ward ernst, weinte, beugte sich küssend zu mir, bat mich um Verzeihung, und beteuerte, sie könne nicht anders – »Schwöre mir, Valer, nie einer anderen zu gehören, schwöre mir's – still, Freund, ich bin Dein, Dein mit Seele und Leib auch ohne den Schwur – aber Du erfreust, Du erquickst meine Seele durch ihn; willst Du?«

Ermiß, ob ich wollte, ob ich's tat. Ich wußte es fast in dem Augenblick, daß ich falsch schwor, da ich ganz gewiß wußte, Klara werde mir entrissen – ach, Freund, die Erinnerung steigt mir in das Herz, in die Augen, ich drücke den Kopf in die Hand – ich kann nicht schreiben, ich will meine geschlossenen Augen in die Sofakissen pressen und Seele und Leib dem wirbelnden Gewitter der Erinnerung hingeben.


Später.


Es ist unterdes Abend geworden; ich weiß nicht, habe ich geschlummert, geschwelgt, geweint oder Schmerzen gelitten – ich fühle mich so hoch gehoben, die Welt schwingt sich so tief unter mir; es ist die Stimmung einen Thron auszuschlagen – die Phönixflamme ist uns genommen, aber die reinigende verjüngende Träne ist uns geblieben. Draußen[34] ist ein Gewitter drohend und sprühend vorübergegangen, ich habe es donnern gehört, ich sehe wie frisch die Erde ihre tausend Augen aufgeschlossen, außen und innen steigt eine Welt frisch aus dem Bade – die Welt ist schön, denn sie wechselt, sie ist eine Geliebte, die sich zu verjüngen weiß. Ich wohne sehr angenehm. Das Schloß lehnt sich an einen Hügel, der zu einer Terrasse abgeplattet ist; dahin führt meine offene Fenstertür. So hab' ich nicht das lähmende Parterre, das umsonst mit den Schwingen nach Aussicht flattert und nicht die abgesonderte Höhe, die umsonst Bewegung und Ausdehnung sucht. Die Terrasse stuft sich zu einem spiegelglatten Weiher ab, über welchen Brücken in Park und Garten führen. Ich sitze an der offenen Tür und sehe durch die offenen Partien in die fernen blauen Berge und in die durchsichtige, in der Abendsonne mit Tränenstäubchen spielende Luft. Das Geräusch der Bewohner kommt selten hieher, sie schwärmen vorn unter den Zitronen- und Mandelbäumen, die in den breiten Vorhallen des Schlosses stehen. Ich habe mich unwohl melden lassen; so denk' ich, wird mich niemand stören, wenn ich Dir weiter erzähle von meines Lebens größtem Glück und Leid. – –

Sie zog mich fort vom Sofa, weil sie befürchtete, ihr Bruder könne Geräusch hören, ging in ihr Schlafzimmer und setzte sich aufs Bett; ich kniete vor ihr. Es war keine platte Sinnlichkeit, die Poesie beugte sich lauschend wie ein rosenrotes Kind zwischen uns, der Mond schien in Klaras Gesicht, sie sah wie eine Heilige aus, die zurückgekommen ist auf die Erde, um ihre törichte Verhöhnung der Natur lächelnd und küssend abzubüßen. Klara küßte einen heißen Kuß auf mein Auge, ihre runden weichen Arme schlossen sich wie elektrische Bande der Seligkeit um meinen Nacken, eine glühende Träne fiel auf mein Angesicht – »Valer, unaussprechlich geliebter Mann, willst Du mein sein für Zeit und Ewigkeit, mein und nur mein, daß nie ein Lichtstrahl zwischen unsere Herzen[35] sich dränge, daß ich fern von Dir« – sie drückte ihr tränenheißes Gesicht in wollüstigem Schmerz in das meine – »fern von Dir, gewiß bin, sterben kann auf die Gewißheit, Du seist mein unberührtes Eigentum?« Ach, ich war aufgelöst, die Seele des schönen Weibes schien wie Maisonne in die geheimsten Winkel meines Innern, alles was gut, was edel in mir ist, tat sich auf wie die kleinen Blümlein im Frühling, Schluchzen erstickte meine Stimme, der Drang nach Seligkeit, die Fülle von Seligkeit, das ganze innere beste Leben solch eines Weibes zu besitzen, wollte mir Brust und Hals zersprengen – der flammendste Liebesschwur, unbändig wie das Kreisen der neuen Welten in meiner Seele, unbändig, daß selbst Klara davor zusammenschrak, rang sich los aus meiner Brust – ich halte nichts von Schwüren, aber ich glaube, wir würden beide innerlich zusammenbrechen, wenn wir einander gegenüberständen mit treulosen Armen. Ich meinte, wir töteten, wir erwürgten uns damals in glückseliger Gewißheit gegenseitiger riesengroßer Liebe; es war ein Umarmen, ein Küssen und Lachen, als ob die Engel trunken um die Herrlichkeit der Sonne herumsprängen, und es war die Nacht unserer Liebe. Jene Nacht ist der schönste Gedanke meines Lebens, aber sie ward auch die schönste Fessel meiner äußeren Freiheit – ich weiß es, Klara verginge wie das grüne Blatt des spanischen Feigenbaumes, über welches der giftige Solano hinstreicht, wenn aus Licht des Tages und vor ihr erschrockenes Auge die Nachricht träte, »Valer liebt eine andere.«

– Nicht der Schwur, Freund, bindet mich, aber das Schwören.

O hättest Du sie gesehen, als sie mich von sich trieb! Einen dunkelgrünen Überrock von leichter Seide hatte sie übergeworfen, nur das Gesicht war verklärt wie Seligkeitstraum, das Haar schlang sich lüstern in den offenen Busen, das weiße Unterkleid lachte schelmisch triumphierend ob seines[36] Mitwissens; so beugte sie sich über mich, der ich selig träumend auf dem Lager ruhte, und mit offenen weiten Augen in den dämmernden Morgenhimmel sah. »Valer, mein, mein, mein, o und nur mein Valer, geh – geh mein Tag, eh' der Menschen Tag kommt und uns verrät.«

Noch heute fühle ich die keusche Träne, die da auf meine Wange fiel, weil sie ein Tropfen aus heißem Herzen kam, ein Tautropfen ihrer Seele, den die Liebe entzündet hatte! O wenn mein Mund jenen Scheidekuß vergessen könnte! So küßt die Sonne die Erde, wenn sie sich im Abendrot scheiden und der rote Liebesschein den Abschied einhüllt in Purpurwolken; es wird still auf der Erde, und der letzte Sonnenhauch bringt in leisen Abendlüften die stille Versicherung, daß neuer Tag und neue Liebe anbrechen werde. Könnt' ich jenen Abschied vergessen, es läge endlose Nacht vor mir, ich hätte keinen Morgen zu erwarten. Sie strich mir mit weichen Händen das Haar von Stirn und Schläfen und drückte sich wie eine aufgeschlossene Blume in mein Gesicht. Ich weinte Freudentränen und hob sie hoch in die Höhe.

»Und der Franzose hat recht« – sagte sie und legte das Haupt auf meine Schultern und sah herauf in meine Augen – »nicht wenn er zärtlich kommt, nein, wenn er zärtlich geht, ist der Geliebte edel.« – »Aber der Morgen kommt – Ade, – Ade.« – Ich kehrte auf dem alten Wege zurück, und ging hinein ins erwachende Land und sang mit den Lerchen die Schönheit der Welt. Das Gedächtnis und die Erinnerung, so oft die Gefängniswärter unserer Leiden, sind rosenrote Bänder, die um Schläfe und Augen flattern, wenn wir Freuden gesehen. – –


In der Nacht.


– Ich ward auf eine wunderliche Weise gestört; die Wogen der Vergangenheit bedeckten mein Gesicht und Auge, ich sah über die Terrasse hinaus in die Wolken hinein und[37] war weitsichtig; denn ich bemerkte es nicht, daß die beiden jungen Damen von hier, Alberta und Kamilla, schon lang an meiner Glastür standen und mich lächelnd ansahen. Einen Augenblick war ich in Verlegenheit, als sie mich scherzend aufschreckten, weil ich nicht wußte, ob ich meine Wolkenschrift laut gelesen hätte oder nicht.

Und doch tat es mir unendlich wohl, Weiber um mich zu haben – das Weib empfindet Liebesleid um soviel besser als der Mann, wie der Mann die Kriegsgeschichten besser liest als das Weib. Die Liebe ist der Frauen Brotwissenschaft, und sie haben den Vorteil vor den Studenten voraus, daß sie selbige immer mit Leidenschaft treiben. Liebe und Liebestrost ist das Amt der Frauen, in ihrer Nähe fühlt sich der unglücklichste Liebhaber in weicherer Luft. Der Begriff von Untreue existiert zudem bei mir nicht. Das ist der tragische Widerspruch mit meinem Versprechen an Klara, welcher den letzten Akt meiner Tragödie im Schoße trägt. Ich bin der Liebe treu, nicht aber der Geliebten. Weil ich eben die Liebe liebte, so liebte ich die schöne Alberta, die muntere, geistreiche Kamilla. Meine Wehmut schüttelte den düsteren Morgennebel von den Schwingen, flatterte wie ein erwachtes Vöglein mit den Mädchen hinaus in den Garten und Abend. Sie waren freundlicher, inniger denn je gegen mich, weil sie meinten, ich sei es; der warme Gewitterregen müßte mein Herz befruchtet haben, das sonst ohne Grün und Blätter nur kühle Worte zu sprechen pflege. Leopold hüpfte herum wie ein kleiner Flamingo, der seine Farbenpracht in wehenden Flügeln schillern läßt. Wenn mein Gefühl Feiertag hält, reich' ich ihm gern dieses kleine duftende Riechfläschchen, und wenn der Herbst einen sonnigen warmen Tag bringt, da werden die Menschen alle wärmer und poetischer als im stets heißen Juni, denn die Überraschung befängt sie in goldenen Netzen, und die Überraschung ertappt das Beste im Menschen. Wir ließen uns alle auf Empfindungswogen[38] schaukeln, und die übrigen meinten, ich sei schuld daran, weil ich endlich einmal meinen Rock aufgeknöpft hätte.

Kamilla, mit der ich sonst nur in blitzenden Gefechten spiele, war weniger widersprechend, mehr ergeben, liebenswürdig, Alberta, ein südlicher Liebesgedanke, zitterte wie ein arabisch Lied in weicher Nachtluft, William war still und sanft.

Wir setzten uns in eine Laube und sprachen von Sternen und Gott und Liebe. Der Graf ritt unweit von uns am Gartenzaune vorüber, er kam aus der Stadt; William ging, ihn zu begrüßen, Leopold ward bald darauf vom Reitknecht abberufen, der ihm Briefe mitgebracht. Ich war allein mit den in Empfindung schauernden Mädchen, das Herz drängte sich in meinen Kopf, ich sprach – das nächstemal, Freund, ich sprach zuviel für unbefangene Mädchen.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 27-39.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das junge Europa
Heinrich Laubes gesammelte Werke: Band 1. Vorbericht und Inhaltsverzeichnis. Das junge Europa. Band 1. Die Poeten
Das junge Europa. 3 Bde. Bd.1: Die Poeten Bd.2: Die Krieger. Bd.3: Die Bürger.
Das junge Europa

Buchempfehlung

Jean Paul

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht / Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Zwei Erzählungen

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht / Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Zwei Erzählungen

Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon