8. Konstantin an Valerius.

[39] Berlin, den 6. Juni.


Symb.

Der nur ist ein großer Mann,

Der vom Himmel nichts erbittet,

Außer was man essen kann.


Der inliegende Wisch – man hört aus allem nur das bittere Nein – ist von einem Vater an seinen Sohn, worin er ihm verkündet, daß er die väterliche Hand abziehe von dem Heidensohne. Ich lege Dir ihn bei, weil Du ihn vielleicht für eine bürgerliche Tragödie oder einen zivilisierten Roman brauchen kannst. Mein Vater schreibt einen lehrreichen, deutlichen Stil; das Aktenstück kann klassisch werden.

»Bardolph eine andere Farbe, aber halte sie nicht zu hoch an Deine glühende Nase.«

»Nyms. Das ist eben der Humor davon.«

Ich habe hier einige sehr gescheite Leute kennen gelernt und manche andere.[39]

Die Mäßigkeit ist eine schöne, aber seltene Tugend. – In meines Vaters Briefe ohne Datum befinden sich einige Grobheiten, die mit dieser Erwähnung abgefertigt sein sollen. Meine Schwester, das gute Ding, schickt mir unter der Hand einiges Papiergeld – wenn ich nur gutes Wasser habe, so lasse ich alles Bier stehen und trinke Wein. Ich werde ein Dutzend fade Lustspiele schreiben – wofür bin ich fade und lustig? und darüber setzen »aus dem Französischen des X.Y.Z.« – Nur eine ausländische Firma hat Kredit und wird auch den Vater vergessen lehren. Töpfer macht es freilich umgekehrt, er übersetzt ein Lustspiel von Planché aus dem Englischen und schreibt ausdrücklich »Originallustspiel von Töpfer.«

Es freut mich immer, wenn ich irgend einem Menschen begegne: Du schriebst mir neulich »man weiß noch zu wenig«, und dieses Bewußtsein des Nichtwissens erfüllt mich jetzt ganz und gar. Hast Du Börnes Schriften noch nicht gelesen, so rate ich Dir, sie schleunigst vorzunehmen: das ist ein kapitaler Kerl.

Gestern hab' ich drei Festspiele geschrieben, weil ich heute essen wollte. Morgen werde ich eine Novelle schreiben in biblischem Stile: »Wie der ungeratene Sohn nach Berlin reist und sich betrügen läßt.« Weil ich jetzt edieren will, lobe ich des alten Claudius Alphabet:

V. Vor Kritikastern hüte Dich,

W. Wer Pech angreift, besudelt sich.

W. Wer Pech angreift, besudelt sich,

V. Vor Kritikastern hüte Dich.

Vor allen Dingen aber empfehle ich Dir dringend: halte Deine Pflegebefohlenen fern von aller produzierenden Poesie! Du weißt selbst, daß sie zwar schöne Stunden schafft, weißt aber auch, daß Poeten (nach wiederholten Bescheiden des Kammergerichts) immer noch mit Seiltänzern, liederlichen Dirnen und sonstigem Gesindel von der »feinen Welt« auf eine Stufe gestellt werden. Ferner erzeugt die Poesie Mangel an Selbstdenken, raubt die höheren Gesichtspunkte usw. –[40] welches alles zur instruktionsmäßigen Verwaltung vieler Ämter so unumgänglich notwendig ist, kurz, sie macht uns zu rohen, unbrauchbaren Menschen. Wir sind nun einmal von diesem Gifte angesteckt und werden es wohl nie wieder ganz los werden. Das müssen wir ertragen; aber verhindern wollen wir doch, daß unsere heranwachsende Jugend mehr davon erschnappe, als zur Führung eines geistreichen Gesprächs in einer Teegesellschaft nötig ist. Dixi.

– Wir wollen doch die Rezensionen abwarten, die sich im Jahre 18– oder 19– in irgend einem Literaturblatte verbreiten werden über »pp. sämtliche Werke, zum ersten Male gesammelt und zum Besten der Familie des zu früh Verblichenen von ppp.« –

Ich verbleiche schon sehr. Was Rosa macht? O, sie ist sehr munter, ich sah sie gestern in der Oper. Die Heinefetter sang vortrefflich, und Rosa schien sehr erfreut davon, wenigstens gebärdete sie sich sehr heiter und lustig mit ihren Nachbarn – ich kann's nicht verbürgen, denn ich war weit davon im Parterre, und Röschen blühte in einer Loge, und mein Glas war nicht recht durchsichtig.

Übrigens lebe wohl, mein lieber Junge! Über der ganzen Welt scheint ein unendlicher Katzenjammer zu hangen, und selbst der Mutigste erfreut sich höchstens dessen, was Tieck in bezug auf Kleist »eine herbe Frische« nennt. Die Welt ist krank, und die Zeit der Schäferspiele, Idyllen und des kindlichen Frohsinnes ist aus der Poesie und dem Leben entschwunden. Könige und Deys werden ab- und aufgesetzt wie ein Hut, und ich studiere Kriminalrecht, gegenwärtig fleischliche Verbrechen.

– Schade, daß es keine Klöster mehr gibt in unserer nüchternen Protestanterei; ich möchte auf einige Zeit Mönch oder Nonne werden. Ade! –

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 39-41.
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