18. Welch ein überaus heßlicher und ungestalter / dennoch weiser Mann der [29] Socrates gewesen.

Socrates ist ein überaus heßlicher und übel formirter Mensch gewesen / dem Fabelmacher Æsopo an Gestalt nicht gar ungleich. Er hat gehabt einen grossen dicken Kopff / Haar wie Sau-Borsten / aufstehende schielende Augen / niederhangende grosse Backen /eine eingebogene Bracken-Nase / dicke aufgeschwollene Lippen / schwartze Zähne / einen stinckenden Odem / einen Höcker auf dem Rücken / kurtze / dicke / krumme Beine / an einer Seiten hinckend / mit kurtzen zu sagen / Socrates ist gewesen ein rechtes Monstrum, dem Leibe nach: Aber dem Verstand belangend / ist er dermassen begabet gewesen mit Weißheit und Tugend / daß zu seiner Zeit auf der Welt seines gleichen nicht ist gefunden worden. Nun hatte Socrates ein groß Auditorium, und unzehlich viel Schüler und Zuhörer / welche täglich bey und um ihn waren /und von ihn Weißheit und gute Künste lerneten. Da trug es sich zu / daß auf einmal zum Socrates und seinen Discipulen ins Collegium hinein kam ein Physiognomus, das ist / solch ein[29] Mann / welcher aus des Leibes Proportion, und äusserlichem Ansehen und Gestalt des Angesichts und andern Gliedmassen urtheilen kan / was einer für ein Ingenium, für Sitten und Natur an sich hat. Diesen Physiognomum fragten des Socratis Schüler, was ihn deuchte bey ihrem Præceptore dem Socrate? Was er für eine Natur an sich hatte? Wie er gesinnet wäre? Was er hielte von seinem Ingenio? Der Physiognomus, nachdem er Socratem beschauet hatte vom Haupt biß zum Füssen / und seines Angesichts / benebenst der andern Gliedmassen Gestalt wol behertziget / hat er geurtheilet / und den Schülern zur Antwort gegeben / ihr Præceptor, Socrates, wäre ein dummer / unverständiger Mensch /hätte kein Gedächtniß / wäre hartlernig / darzu eines schelmischen, verrätherischen Gemüthes / ein Hurenjäger / ungerechter / leichtfertiger Mann: In Summa /er wäre von Untugend zusammen geflicket / und nicht zwey Heller werth. Wie solches unverhoffentliches Judicium die Schüler gehöret / und wohl wusten / was ihr Meister für ein fürtrefflicher Mann war / haben sie ihre Bücher und Bäncke aufgehoben / und den Physiognomum wollen zu tode schlagen / als einen Lügner / und falschen Verläumder: Aber Socrates ist aufgestanden / hat seine Schüler gestillet / und gesprochen: Lieben Kinder / dieser Mann hat recht und wohl geurtheilet / dann wann ich meiner Natur und angebohrnen Inclination hätte gefolget / so wäre ich eben ein solcher worden / als er mich beschrieben hat; Nun aber habe ich durch Hülffe der Philosophia meine Natur überwunden / bezwungen und geandert / die Philosophia hat mich gemacht von einem dummen zu einem verständigen und klugen / von einem[30] Lasterhafftigen zu einem Tugendsamen. Mit kurtzen / von einem unvernünfftigen Thier zu einem vernünfftigen Menschen. Diese Socratis Weißheit ist groß und berühmt gewesen / daß auch der Gott Apollo durch sein Oraculum gesprochen: Σωκρἀτης ἀνδρῶν σοϕἁτατος. Das ist / Socrates ist der Weiseste unter allen Menschen. Es hat auch Socrates einen Geist gehabt /den er genennet seinen Gott / oder Dæmonium, welcher ihn von allen zukünfftigen Dingen verständiget. Von diesem Deo Socratis haben Plutarchus und Apulejus eigene Bücher geschrieben. Sein Ehe-Gemahl hat geheissen Xantippe, ein Ausbund aller bösen Weiber / welche er mit grosser Gedult vertruge. Und hat man niemahls gesehen / daß Socrates seines Angesichts Gebährde / oder seinen standhafftigen Sinn solte verandert haben / was ihm auch für Unglück ist begegnet. Wie er nun alt worden / da ist er fälschlich für den Richtern zu Athen / von zweyen Buben Anito und Melito, welche fürgegeben / Socrates hätte spöttlich und lästerlich von den Göttern geredet / verklaget worden. Da hat man ihm ins Gefängniß einen Becher voll Schierlings-Safft gebracht / auf daß er denselben austrincke und stürbe. Denn solches war der Gebrauch zu Athen. Socrates, ob er wol unschuldig / hat dennoch gedultig und unverdrossen gethan / was man ihm hatte auferleget. Und wie er jetzt entschlaffen solte in den ewigen Schlaff / (denn die Atheniensische Cicuta verursachte in dem Menschen einen Todten-Schlaff.) Da hat er zu seinen Schülern gesprochen die ausbündige Oration von Verachtung des Todes / welche von dem Platone, (der des Socratis Discipel auch war /) und dem Xenophonte ist aufgeschrieben.


[31] Man muß einen Menschen nicht allezeit urtheilen nach der eusserlichen Gestalt des Leibes. Mancher ist schön wie Absolon / aber voller Unwissenheit / Laster und Schande. Hingegen sind viel heßlich vom Leibe / aber vom Gemüthe redlich / gelehrt / und tugendhafft.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 29-32.
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