An Hasencamp.

[7] den 14 November 1772.


Lebt Hasencamp noch? Ist er noch dein Freund? – Diese Fragen that ich mir oft – Eine gedruckte Vorrede sagt mir ja – Dank, mein Bruder, für diese Vorrede. Oetingers Schrift vom Hohenpriesterthume Christi fang ich den Augenblick, denn erst heute erhielt ich sie, zu lesen an, und will sie redlich prüfen – aber so viel fällt auf, daß der Ueberzeugungsgeist Jesu und Pauli nicht in ihm ist. Er dringt mit seinen empörenden Ideen allenthalben durch, oder stößt vielmehr allenthalben an. War das auch Jesu Christi Methode? Er zog hervor, was da war; bauete immer auf das, was gesunder Verstand und Gewissen zugaben; verband die neuen Wahrheiten mit den erkannten, zeigte die Analogie jener mit diesen.

Sonst habe ich große Ideen darinn gefunden, die ich vor kurzem, zum Theil – auch durch Gottes Licht, entdeckt habe. Dieß soll aber noch kein Urtheil seyn.

Der III. Theil der Aussichten ist nach Duisburg abgegangen, und erwartet sein Urtheil von dem redlichen, freyen, erleuchteten Hasencamp.

Ich bin nicht vollkommen gesund. P. der Erstling meiner Herzensfreunde ist bey mir – und grüßt unsern Bruder; er am letzten Tage seines 25. ich am letzten Tage meines 31. Jahres.[7]

Quelle:
Lavater, Johann Kaspar: Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst, Leipzig 1773, S. 7-8.
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