An L ....

Den 10. April 1773.

[245] Ach! du Liebe, Liebe – wie bin ich so unthäthig gegen dich – so unfreundlich?

Aber du weißt meine Situation. Meine Gesundheit kommt allmählich wieder.

Morgen werde ich, geliebts Gott! wie am hohen Donnerstage, predigen.

Ich wünsche, dir nützlicher zu seyn – aber – ich kanns nicht. Ich werde zu sehr geliebt.

Oft bin ich, dünkt mirs, nahe an einem großen Ziele – aber viel öfter sehr nahe am schrecklichsten Abgrunde.

Doch glaube ich mehr, als ich sagen darf, daß ich glaube – wenn Ihr Lieben gleich immer zu viel von mir glaubet.

Ihr glaubet überhaupt zu viel von mir, und zu wenig von Gott.

Nun – doch auch ein Wörtchen –

Jesus Christus werde durch den Glauben, daß er lebe, in dir lebendig – und mit ihm Gottes Kraft, Weisheit und Güte.

Grüße mir wen du willst, und so viel du willst, mit der vollen Benedeyung des Evangeliums.


Am großen Ruhetage Christi.[245]

Quelle:
Lavater, Johann Kaspar: Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst, Leipzig 1773, S. 245-246.
Lizenz:
Kategorien: