Freytag der 15. Jenner 1773.

[115] Ach! vermuthlich der Sterbetag meiner lieben Mutter – Mit diesem Gedanken richtete ich mich in meinem Bette auf, und fieng an laut zu beten; aber, sie schien es nicht zu achten. –

Ich gieng zu meiner Frau herauf, und blieb fast eine halbe Stunde an ihrem Bette. Wir versprachen einander – vcs obd ien upe fef snw ssf stp wof khf oow fsa khx kfn pfh mkd iwo taw cfa fkh fo.

Hernach redete ich mit meinem guten, guten Vater über einige häusliche Anordnungen; beantwortete kurz einen Brief; gab einige Berichte – und dann bey meiner im Sessel ziemlich sanft schlafenden Mutter – den Rest gestrigen Tagebuches – alles mit sanfter Ruhe; ohne Aengstlichkeit und Heftigkeit. – Ich bat Pf. meine Stelle im Waisenhause zu vertreten; führte den Tuttlinger Bauer zu meiner Frau – gab ihm ein Billiet – und gieng wieder zu meiner Mutter – – sagte ihr einige Stellen aus der Schrift vor; und machte mit meinem Bruder D. einige Reflexionen über Leben, Sterben und Unsterblichkeit.

Etliche male sagte meine Mutter: »verlaßt auch den H. nicht. Vergesset alle Fehler! alle! rückt ihm nichts vor!«[115]

Ich erhielt einen Brief mit zwo Weyhnachtspredigten von einem Candidaten aus dem Berngebiete zur Beurtheilung. Ich las nur Eine Seite, und legte sie auf eine gelegnere Zeit weg.

Ein sehr freundschaftliches Billiet von einer Freundinn, das ich mit ein paar Zeilen beantwortete: »Gott segne Sie, hieß es, mit dem ganzen Segen des heutigen Tagspruches (im Jahrbüchlein).«1

Um den Mittag glaubten wir, daß nun endlich die letzte Leidensstunde unsrer lieben Mutter gekommen wäre. Ich betete mit Thränen, doch nicht so, wie etwa auch sonst bey minder wichtigen und nicht so rührenden Vorfallenheiten. – Mein Bruder betete die Fürbitte für einen Sterbenden aus dem Liederbuche. Nun konnte ich schon etwas herzlicher beten; aber, ach! – doch lange noch nicht, wie der rechte kindliche Glaube betet. –

Nach und nach erholte sich die liebe Mutter wieder. Man setzte sie in den Sessel. Ich hielt ihr eine Weile den müden Kopf – Sie schlummerte, und wurde wieder ins Bette gehoben. Ich schrieb noch einen Brief an meinen jüngern Bruder von den Umständen und den letzten Worten unsrer Mutter: ein Billiet an Herrn Antistes, ob ich ihn ersuchen dürfe,[116] bey diesem stürmischen Wetter zu uns zu kommen? Er kam bald – vorher redete ich noch Titm eine mbrO +erv DnO nser TOst eroo.

Hr. Antistes kam, konnte jedoch nicht viel mit der Patientinn reden. Sie schien aber alle Worte zu verstehen. Er betete also für sie; wir beteten nach. Die Menge der Umstehenden schien ihr bange zu machen; wir entfernten uns also ein wenig, und hatten noch eine halbe Stunde nützliche Gespräche – wie wenig können wir, mußten wir einander gleichsam aus Einem Munde sagen – »wie wenig können wir bey den Sterbebetern ausrichten! wie wenig eigentlich treffendes läßt sich mit einiger zuverläßigen Hoffnung sagen, besonders, wenn wir die Kranken nicht aufs genaueste gekannt, und uns nicht einen vertraulichen Ton mit ihnen angewöhnt haben.« – –

Noch einige andere Anmerkungen vom Segen der gleichgültigsten und an sich unfruchtbarsten Handlungen und Gesprächen, die nach den Umständen, in denen wir uns befinden, in einfältigem Glauben an die allwaltende göttliche Fürsehung, und im Gehorsam gegen unsere Pflicht geschehen u.s.w. ferner von selbstverschuldeten Vertändelungen der kurzen Lebenszeit – Da er weg war, hatte ich einen Bogen zu revidiren; und führte, auf Herrn Ant. Erinnerung meine müde Frau wieder auf ihr Zimmer – wohin ich ihr, nach[117] einem kurzen Gebete mit meiner Mutter, nachfolgte. –

Der redliche, bescheidene, erleuchtete Sch. H. aus dem Hirzel war da; ich hatte ein recht gesegneten halbes Stündchen bey ihm. Vom Gebet um Weisheit; vom Nichtsorgen für den folgenden Tag, auch in Absicht auf seine moralische Verbesserung; von dem Wesentlichen der Buße und des Glaubens, als dem Wesentlichen aller und jeden Handlungen; nämlich, Empfindung eines Bedürfnisses, und Erwartung, daß dieß Bedürfniß durch das, was wir vornehmen, gehoben werden könne – Endlich noch von unevangelischer Aengstlichkeit und Schwärmerey – In Absicht auf das, was ich sagte, habe ich mir eben nichts vorzuwerfen; aber Einfalt und Demuth Christi – gänzliche Selbstlosigkeit – fehlte mir doch merklich genug dabey.

Meine Frau erinnerte mich wieder an meine Mutter, die eben, da ich zurückkam, aus dem Bette gehoben wurde. Ich hieß meinen Freund P. hineingehen; sie kannte ihn nicht; wenigstens sagte sie nichts. Halb lebendig und halb todt saß sie da. Wir empfanden beyde gleich stark die Unmöglichkeit einer moralischen Wirkung auf einen so kranken, so leidenden Menschen. Das, was er sieht und höret, machet beynahe eben so wenig Eindruck auf ihn, als auf einen ganz Todten. Einige andre Reflexionen über den Zustand der Seele,[118] oder vielmehr des unsichtbaren Menschen, nach dem Tode. – Ich erzählte ihm einige schöne Züge aus dem Charakter meiner Mutter – Ich erhielt einen Brief von der christlichen Wittwe G ... zu S. – Sie fragte darinn nach der Fortsetzung des geheimen Tagebuches ... Ich gestehe, daß, seitdem ich wieder, wiewohl unterbrochen, ein Tagebuch schreibe, mir der Gedanke schon einige male aufgestiegen ist, daß es eine nicht ganz vergebliche Arbeit sey. Ich für mich, sagte ich mir, bin versichert, daß ich keinen Reiz zur Unredlichkeit dabey habe, und gewiß meine Fehler und Schwachheiten, in so fern dadurch andere Nutzen haben können, ohne Scheu, ja ich darf wohl sagen, lieber als das Gute bekannt mache. Doch, ich will hierüber ein ander mal nachdenken. Ich las meinem Vater den erhaltenen Brief vor. – – – Bey dem Abendessen erzählte ich von dem Tuttlinger, der heute bey mir gewesen war. »Daß er schon so viele harte Prüfungen erfahren habe; ein Kind sey ihm von einem Ofen herunter todtgefallen; ein anders, jedoch ohne Schaden, zum Fenster heraus; ein drittes sey mit einer Axt tief gehauen worden; über ihn selbst sey schon, jedoch ohne merklichen Schaden, ein Wagen gefahren. Auch sagte er« (o wie schlug mir, wie beschämte mich mein oft so kleingläubiges, zum Gebete so träges Herz!!) »daß er einen äußerst ruchlosen Sohn gehabt,[119] der, wie er sagte, härter war, als dieser Ofen da, der ihm nicht einmal einen guten Tag gewünscht; daß er aber Gott innigst um seine Bekehrung angefleht, und daß er nun der beste, gehorsamste, sanfteste, liebreichste Mensch, und Ein Herz und Eine Seele mit ihm sey« ...2 Ich gieng noch ein wenig[120] zu meiner Frau. Man hatte unterdessen die Mutter wieder einmal aus dem Bette gehoben, und mit Schmerzen wahrgenommen, daß sie vom Liegen ganz wund war ... doch bald entschlummerte sie wieder.

vcsf kol wsa fst usf kuf ost boe wef sfk ofn nkt twf stu bfo eok ttx fmd ift efs wbu fsi pdi bwg obi nkd ilp oos fnk usf dis fos tdi wme khf okd hef ibw qsf sff stua wwf stk dis mkd ieo onk ufk ofn ifg guk hfo bcf sxb isf ohp uux fht fte btt thd ief swb ufs kss fkd ifs tdi sbd ieb kdi tbi fxk ftf isf teo xbu fst din fsu auf. Wer in der Rede nicht fehlet, der ist ein vollkommener Mann, mächtig auch den ganzen Leib im Zaum zu halten.

Wir lasen in unserer Ordnung das 6. und 7. Capitel des Buches Samuels; und beteten das Lied für Kranke etc. ... Mein guter Vater redete noch recht herzlich und christlich mit der Mutter, und vergoß häufige bittere Thränen. Es hatte allen Anschein, daß es noch wohl 24 Stunden währen dürfte. Die meisten giengen also zur Ruhe; ich blieb noch auf, nicht allein um meiner Mutter willen, zumal ich ihr nichts seyn konnte, sondern um noch ein Gebet, Bekenntniß der Sünden, welches mich mein Vater für ihn zu schreiben gebeten hatte, zu vollenden. Ach![121] alles traf mich, was ich schrieb; aber lebendige Empfindung wars doch noch lange nicht.


Meine Mutter rief in bangen Schmerzen, doch immer außer sich. Sie schien nichts zu empfinden, was man ihr auch vorbetete. Sie wollte noch einmal auf – ach! wills Gott – das letzte mal ... nun schlief sie eine halbe Stunde ruhiger; und ich konnte für sie ruhiger seufzen; aber – sOu TcO iqO eoo –; ooo. – ei, nez. Ofse; ±lige: rOueis. een: tb. ±De; sst! etOs – te! in; erOu; ser; te; ri; nnz! ers – tr; eOe; etem; ich; ei! nO! ueni? gd? Dc; hri? ssi? ch! Tic; hbs, IdO! Oie; +eo: rlo. soo.

Fußnoten

1 Freuet euch im Herrn ihr Gerechten, und frohlocket alle, welche ein aufrichtiges Herz haben.


2 Bete für deinen bösen, lasterhaften Sohn, Bruder, Freund u.s.w. christlicher Leser. Dieses Gebet wird dich, wenn es vernünftig und ernstlich ist, desto williger und geschickter machen, mit sanftem Geiste und unermüdetem Eifer an seiner Besserung und Zurechtbringung zu arbeiten. Aber denke ja nicht, daß dein bloßes Gebet seine Bekehrung auf eine wunderthätige Weise bewirken werde. Dieß hat uns Gott nirgends verheißen, und wenn das Gebet diese Kraft hätte, so müßten schon längst alle Menschen fromm und tugendhaft seyn. Vermuthlich ist der ehrliche Landmann, von welchem hier die Rede ist, durch sein ernstliches und anhaltendes Gebet bewogen worden, sich seinem Sohne zu nähern, sanfter und liebreicher mit ihm umzugehen, und sich vergebliche Versuche nicht abschrecken, oder aufbringen zu lassen, und so ist es ihm unter dem Segen der göttlichen Vorsehung, die alles leitet, gelungen, sein Herz zu erweichen, seine Gegenliebe zu gewinnen, und seinen Vorstellungen, und Ermahnungen zum Guten Eingang bey ihm zu verschaffen. Anm. des Herausg.


Quelle:
Lavater, Johann Kaspar: Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst, Leipzig 1773, S. 122.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol, ein »Hypochonder der Liebe«, diskutiert mit seinem Freund Max die Probleme mit seinen jeweiligen Liebschaften. Ist sie treu? Ist es wahre Liebe? Wer trägt Schuld an dem Scheitern? Max rät ihm zu einem Experiment unter Hypnose. »Anatols Größenwahn« ist eine später angehängte Schlußszene.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon