Mittewoche der 13. Jenner 1773.

[104] Nicht erwarten durft' ich den Bericht von der Nacht meiner Mutter – Ach! wie niederschlagend war er! ... wie verabscheute ich meine Trägheit im Gebete!

Ich sprach mit meiner Frau von unsern Kindern: »Ich hätte gleichsam eine Ahndung,[104] sagte ich, daß sie nicht alt werden würden, wenn sie gleich überhaupt recht gesund wären.« – Es beruhigte mich gar sehr, daß sie mit völliger Resignation sagte: »Nun es geschehe, was Gott will! Gottlob, daß sie nun einmal sind! Sie sind nicht umsonst da! Sie sind unser und Gottes, sie mögen leben oder sterben.« – 8 O. Meine Backe stach mich einigemale heftig; und da ich aufstund, stieß ich mit der Hand daran, und hatte heftige Schmerzen davon – doch blieb ich ruhig.

Meine Mutter saß zitternd vor Elend ausser dem Bette, da ich ihr einen guten Tag wünschte. Ich konnte ihr nichts sagen, als eines meiner Leibstücklein von Klopstock:


Noch ist meines Helfers Rechte;

Sieht sie gleich mein Auge nicht!

Weiter hin im Thal der Nächte

Ist mein Retter, und sein Licht!

Ja, dort wird mir Gott begegnen!

Dort wird mich sein Antlitz segnen!

Itz, itzt ist die Prüfungszeit!

Itzt sey, Seele, stark im Streit!


Ich erhielt einen Brief von Herrn H. von St. Gallen über die Physiognomik, die Aussichten und über geistliche Erfahrungen; viel Gutes, aber ermüdend war mir der bloße Gedanke bey meiner gegenwärtigen Situation zu antworten; und nicht zu antworten, wird[105] für Indiscretion und Stolz angesehen werden. –

Ich schrieb noch ein Briefchen an Herrn Haas nach Basel wegen einer kleinen Taschendruckerey, um meinem Sohne damit eine angenehme und nützliche Beschäfftigung zu verschaffen.

Ich las meinem Vater einen Brief von dem lieben Herrn Pfr. S. von Hohentwiel; corrigirte einen Bogen; und machte für einen redlichen aber oft zweifelvollen und ängstlichen Freund in eine gedruckte Einfassung folgende Reimen:


Mein Herz von bangen Zweifeln voll,

Weiß nicht, wofür es bitten soll;

Drum fleh ich dich, so gut ich kann,

O Vater, nur um Weisheit an;

Mit Kindlichkeit auf dich zu sehn,

Und keinen eignen Weg zu gehn!

Nur Glauben, Liebe, Hoffnung, Ruh;

Nur Freude, Freude, Gott! willst du!

O schenk den Geist der Freud' in dir,

Durch Weisheit und durch Glauben mir!

O Vater, der du nur erfreust,

Auch, wenn du züchtigst, wenn du dräust,

Bewahre den zu schwachen Geist

Vor jeder Art der Schwärmerey,

Vor ängstlich frommer Künsteley,

Daß ich mich deiner kindlich freu,

Ganz Glaube, Hoffnung, Liebe sey!
[106]

Ach! was litte nicht meine Mutter übers Mittagsessen. – Auch mein Schmerz vermehrte sich – Nach dem Essen ein paar Billiete in freundschaftlichen Reimen – – – –

Quelle:
Lavater, Johann Kaspar: Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst, Leipzig 1773, S. 104-107.
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