Siebenter Auftritt

[1572] ÄBTISSIN tritt auf. Guten Abend, Schwester, was machst du?

BLANKA. Ich weine.

ÄBTISSIN. Übereile dich nicht, du brauchst noch lange Tränen.

BLANKA. Noch lange? – aber sind Tränen nicht wider unsre Gelübde?

ÄBTISSIN. Ich hoff es nicht. Nur Taten, nicht Empfindungen kann ja der schwache Sterbliche geloben.

BLANKA. Gut, ich bin ein Weib, und bin ich nicht das, was ich sein soll? ich beneide keine Heilige, gönn ihr ihren Weihrauch,[1572] ihren Glanz, und ihre Palmen, ihr Bild unter Engeln stehe immer auf Altären, werde in Prozessionen getragen, ihre Wunder mögen Bücher anfüllen; – Sein Sie versichert, Äbtissin, keine von diesen Weibern hat wie ich geliebt. Sonst hätten wir von ihr nur eine Legende: – sie starb vor Qualen der Liebe.

ÄBTISSIN. Du hast recht, eine Heilige ist bloß eine schöne Verirrung der Natur.

BLANKA. Ich darf also weinen? – von heut an bin ich weniger unglücklich.

ÄBTISSIN. Aber mäßige dich, Kind, man kann sich zerstreuen.

BLANKA. Zerstreuen? – Meine Seele ist nicht zum Zerstreuen gemacht, auch als ich noch lebte, hatt ich nur einen Gedanken. – Was soll ich mich zerstreuen? selbst in dem Gedanken, der von fern Andacht schien, liegt Julius verborgen, und die Betrachtung der Ewigkeit! – Ewigkeit ist ja die Dauer der Liebe. Sehn Sie, wie der Mond scheint! Sie denken sich ihn als einen leuchtenden Weltkörper – ich seh an ihm bloß den Zeugen meines ersten Kusses – ein nicht zu raubendes Andenken meiner Liebe – Sei gegrüßt, lieber Mond!

ÄBTISSIN. Auch Ricardo –


Sie drückt Blankas Hand. Pause.


BLANKA. Wie lange weint hier ein verliebtes Mädchen, ehe die letzte Hoffnung stirbt, die auf die entfernteste Möglichkeit gebaute Hoffnung?

ÄBTISSIN. Die Hoffnung stirbt nie, aber wohl das Mädchen.

BLANKA. Haben Sie Beispiele? Umarmt die Äbtissin. Nennen Sie sie mir, noch ehe der Tag anbricht, will ich ihr Grab mit Rosen und Maßlieben, und meinen Tränen ehren.

ÄBTISSIN. Spare Rosen und Tränen! – bald möchtest du sie für mein Grab brauchen.

BLANKA. Nein, Äbtissin, Ihre Tränen und Rosen für mich! Ich will mit dem Tod einen Bund machen. Martern für mich ersinnen! – solche Seufzer sollen diese Mauern nie gehört haben, Augustin soll gestehn, seine Regel sei Weichlichkeit, Heilige durch mich mit der Liebe versöhnt, sollen für Mitleiden, und Märtyrer für Beschämung das Gesicht verwenden.

ÄBTISSIN. Tochter, deine Phantasie wird wild!

BLANKA. Rosen und Tränen für mich, die so gebogene Natur wird doch endlich einmal brechen.

ÄBTISSIN. Komm, es ist Zeit zur Hora, wir sind ohnedem immer die letzten auf dem Chore.[1573]

BLANKA. Ha! wenn nun die freie Seele zum erstenmal über dem hohen Dome flattert. – Jahrhunderte werd ich brauchen, ehe ich wieder Freuden fühlen kann, zumal unendliche Freuden – und Äbtissin, wenn du denn meinem Gebeine das versprochene Opfer bringst, und du hörst ein sanftes Lispeln, so denke, das heißt auf irdisch, Schwester bald Rosen und Tränen für dich.

ÄBTISSIN im Herausgehn. Ach solche Klagen hörte dies Gewölbe seit Jahrhunderten.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1572-1574.
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