2.

[99] Als du warst, ein holdes Kind,

Wonniglich geschlafen ein,

Trug die Mutter leis und lind

Dich in jenen Blütenhain.


Dort auf ihrem Schlummerbaum

Sangen Vöglein Abendsang,

Der in deinen Kindestraum

Sanft und lieblich schläfernd klang.


Und der Frühling nahte sich,

Grüßte dich mit lindem Hauch,

Freundlich segnend küßt' er dich,

Neigend seinen Rosenstrauch.


Seinen goldnen Abendschein

Goß er dir aufs weiche Haar,

Auf die Lilienwangen dein

Legt' er leis ein Rosenpaar.


Und der Mutter Augenlicht

Froh an deinem Schlummer hing,

Sah, wie dir am Angesicht

Still das Rosenpaar zerging.


Und des Frühlings Abendglanz

Wuchs am Haupt dir lang und voll,

Der im goldnen Lockentanz

Auf den Busen niederquoll.


Sennin, o wie reizend blüht

Deine Wange rosenrot,

Drauf noch immer freudig glüht

Jener süße Rosentod!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 99.
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