Der Rosenkranz

[825] Im Schlosse Brom verschanzt und fest verhauen

Sind tapfre Ritter, banngetroffne Ketzer,

Und rings die Burg umlagernd ist zu schauen

Das Kreuzesheer, die Schar der grimmen Hetzer.


Die Sonne neigt sich; ihr dort in der Feste,

Freut euch nochmals an ihrem holden Schimmer;

Er schwindet euch vielleicht schon heut auf immer,

Genießet froh die letzten Strahlenreste!

Doch glänzen sie von Waffen und beleuchten,

Was bald sich soll mit eurem Blute feuchten.


Der Schiffer rings vom weiten Meer umflossen,

Der Krieger in der Burg vom Feind umschlossen,

Sie sollen scheiden sehn den Abendstrahl

Nicht ohne Gruß – vielleicht zum letzten Mal.[825]

Der Feldherr Simon durch das Lager reitet,

Das weithin seine bunten Zelte breitet;

Er prüft die Schleudertürme und durchspäht

Die Mauerbrecher, jeglich Sturmgerät,

Und er befiehlt zur nächsten Morgenwacht

Den Sturm und mahnt: »Seid tapfer in der Schlacht!«

Jetzt winkt er den Legaten sich heran

Und scherzt: »Wenn wir das Schlößlein abgetan,

Will ich den Grafen Foix, den frevelnd kecken,

Mit einem Rosenkranz zur Kurzweil necken,

Den send ich ihm, dran soll er Buße beten,

Bis wir ihm auf den stolzen Nacken treten.«


Das Lager rauscht von wildverworrnen Tönen:

Hier Äxte zimmernd an Maschinen dröhnen,

Am Schleuderwerk die starken Seile knarren,

Dort zankt ein Trupp sich um den Futterkarren,

Wo jeder nach dem besten Stücke trachtet,

Dort Wehgeschrei, es ist ein Faß zersprungen,

Geblök von Tieren, die das Messer schlachtet,

Geschwätz von heimischen und fremden Zungen,

Den Ketzern Flüche, pöblisches Gelächter,

In schwerer Rüstung rasseln edle Fechter,

Die Rosse wiehern, und die Mönche singen,

Bis alles mag die stumme Nacht verschlingen.


Das Schloß verteidigt Hugo von Alfar

Mit seiner tapfern Albigenserschar.

Der Sturm beginnt beim Morgendämmern,

Steinblöcke stürzen donnernd an die Mauern,

Die Pfeile auf die Feinde niederschauern,

Und Schwert und Axt auf Eisenhelme hämmern.

Die Mauer bricht, sie sind hineingedrungen,

Reich strömt das Blut, schon ist die Burg bezwungen.[826]


Die Leichen liegen Feind und Feind beisammen,

Wie sie die Schlacht geworfen hier und dort,

Drauf tritt der Haß und schreitet drüber fort

Und kühlt an ihrer Kühle nicht die Flammen.


An Zeit gebrichts zu zählen und zu fragen:

Wie viel der Unsern, Euren sind erschlagen?

Von Herzen gönnt dem Tode man sein Teil,

Man zählt ihm nicht die Bissen in den Rachen.

Ballist und Bogen, Kolben, Schwert und Beil

Arbeiten rastlos, Leichen viel zu machen.


Wohl euch, ihr Freien! daß ihr fielt zur Stunde!

Erstarrt sind eure Augen, wie sie rollten,

Und abgebrochne Flüche noch am Munde,

Als ob sie jenseits noch ausklingen sollten.


Zu sterben rasch im mannlichen Gefecht

Und in des Hasses Flammen zu verbrennen,

Wenn frei das Herz und wenn sein Haß gerecht,

Das ist ein schöner Tod zu nennen!


Die Helden aber sind nicht alle tot.

Gefangen und gefesselt, trotzig stumm,

Erwarten hundert Simons Machtgebot;

Die Priester ordnen sich im Kreis herum,

Und jubelnd singen alle Priester Chor:

»Te Deum laudamus!« – Schergen winkt hervor

Graf Simon, die mit fluchverfallnen Händen

Sofort die hundert Helden blenden.

Nur einer wird geschont an einem Auge,

Daß er den übrigen zum Führer tauge.


Und blutend sind die treuen Kampfgenossen

Aus dieser Welt in Nacht hinausgestoßen.

Schwarz ist die Nacht der Blindheit, die sie schreckt,

Die Seele schwärzre Nacht des Hasses deckt.[827]


Simon gebeut in herrischem Belieben:

Man bringt ein Seil, des Ende reicht man dar

Zu Hand dem Ritter Hugo von Alfar,

Dem seiner Augen eines ist geblieben.

Die Blinden Mann an Mann die Leine fassen,

Daß sie sich dran des Weges führen lassen,

Und Simon ruft: »Nun mögt ihr euch entfernen,

Ihr Ketzer, und katholisch wandeln lernen,

Blind folgsam und gehorsam nur dem einen,

Dem noch ins Aug die Himmelslichter scheinen.


Dem Grafen Foix verbringet meinen Gruß,

Sagt ihm, daß sein Verderben mein Beschluß,

Wenn er nicht tief zerknirscht, zermürbet ganz,

Der heiligen Kirche schwört den Treueschwur.


Für ihn zu einem seltnen Rosenkranz

Hab ich gefädelt euch an diese Schnur,

Dran mag der stolze Ketzer Buße beten,

Bis wir ihm auf den starren Nacken treten.«


Die Blinden ziehn des Wegs durch grüne Felder,

Sie wandeln ihre Bahn durch kühle Wälder;

Doch sind für sie die Felder nicht mehr grün,

Nicht kühlt der frische Wald des Schmerzes Glühn.


Wie sie hinziehn durch einen dichten Wald,

Mahnt Hugo sie zur Rast, sie machen halt

Und lagern sich an moosbewachsnem Ort,

Und Balduin, ein Greis, erhebt sein Wort:

»Ich höre über mir die Bäume sausen,

Doch meine Kinder werd ich nicht mehr sehen;

Hör immer noch den Sang der Schergen brausen,

Doch seh ich keinen Pfaffen mehr vergehen.


Hugo! wo steht die Sonn? ein Priester fiel

Von meiner Hand in heller Abendglut,[828]

Der Sonne, wie sie sank, ein Widerspiel

War jener Tolle sinkend in sein Blut.

Da küßte, als der Pfaffe sterbend sank,

Die Sonne freudig mir das Schwert zum Dank,

Daß ich der Nacht, dem kreuzbesäten Drachen,

Geschlagen einen Zahn aus ihrem Rachen.


Was halfs? die Nacht schlug mir nun ins Gesicht,

Nun bin ich tot fürs goldne Sonnenlicht.

O daß wir Augen brauchen, um zu schauen!

Die ganze Welt zwei Punkten anvertrauen!

Warum ist nicht dem süßen Lichte offen

Der ganze Leib? er atmet noch die Luft

Und ist doch schon so finster wie die Gruft.

Wärs Innozenz, den dort mein Schwert getroffen!

Wärs Innozenz, den ich dort umgebracht!

Er ist die Seele und das Herz der Nacht.


Was flüstert hier so klug in diesem Strauch?

Bist du ein Dämon, Wind, so komm und höre

Und stärke dich an meinem warmen Hauch

Und richt es aus, was ich dich heiß beschwöre:

Komm, spinne Zauber dir aus meinem Fluch

Und webe dir daraus ein Schleiertuch,

Das wirf behende um ein jeglich Ding,

Wornach sich dreht des Papstes Augenring!


Ist es ein Priester, so verwisch die Lüge

Im Angesicht, gib ihm die wahren Züge,

Entreiß der Seele ihr verstecktes Zeichen,

Laß ihn dem Fuchs, dem Schwein, dem Tiger gleichen

Beschaut sein Antlitz Innozenz im Spiegel,

Erschein ihm drauf das schwarze Mördersiegel!

Blickt er aufs Kreuz, so schau er, wie es wankt,[829]

Zeig ihm die Schlange du, die es umrankt,

Die sie Hierarchia nennen;

Weh mir, wie meine Wunden brennen!


Hör, Dämon, hör! die ganze Welt

Sei ihm von deinem Rachedienst entstellt!

Hör, Dämon, hör! die Rosen tunk ihm ein

In Ketzerblut und schmier ihm Ketzerblut

Ins Morgenrot und in den Abendschein

Und spritz ihms in die Träume, wenn er ruht!«


Ein andrer spricht: »Der Papst hats nicht getan,

Daß wir geblendet stolpern unsre Bahn;

Dem Simon Fluch! dem ritterlichen Vieh!

Ein schlechtrer Mann trug noch den Harnisch nie.


Er scheint so fromm der Kirche nur zu dienen

Und läßt mit reichen Landen sich bezahlen

Und baut sein warmes Nest sich in Ruinen,

Kocht sich sein Süppchen bei den Bannesstrahlen.

Aus Habgier keusch, fromm, tapfer, unbescholten,

Pflegt er die Tugenden als fette Pfründen;

Und würden Laster ihm so reich vergolten,

Er wär ein Held in jeder Art von Sünden.

Ich fluche nicht dem Papst, dem heiligen Narren,

Dem seine Greuel doch von Herzen kommen;

Dem Simon fluch ich, der das Kreuz genommen,

Aus Blut und Schutt sich schnödes Gold zu scharren.«


Ein dritter spricht: »Ich aber fluche beiden,

Was jeder denkt, ich mags nicht unterscheiden,

Es gilt mir gleich; mein Augenlicht verloren

Hab ich durch Simons schergisches Gelüsten,

Der andre hat das Heer herbeibeschworen,

Die herrliche Provence zu verwüsten.[830]

Doch leichter kann ich jetzt mein Schicksal tragen,

Als ichs genommen hätt in bessern Tagen,

Da meine Heimat schön und glücklich war.

O blühend Land, voll Freude und Gesang,

Dein Leben ist dahin auf immerdar!

Ich schaue nicht mehr deinen Untergang!«


Drauf Balduin der Alte spricht:

»Die Blindheit schärft mein Unglück, linderts nicht.

Es muß ins Herz mir noch viel tiefer schneiden,

Wenn ich nicht seh, nur höre, wie sie leiden.

Wenn mir ins Ohr Verzweiflung gellt,

Ists wie ein Ruf aus einer andern Welt,

Als ob aus unsichtbaren Höllentiefen

Die Stimmen meiner Brüder riefen.«


Und jetzt erhebt sich Hugo von Alfar

Und ruft, zum Aufbruch mahnend seine Schar:

»Dem Papst nicht fluch ich, der bekreuzte Horden

Getrieben, unser Liebstes hinzumorden;

Er tats im Wahn, zum Heile sei das recht;

Auch Simon fluch ich nicht, dem Pfaffenknecht,

Der, selbst vor Rache blind, uns hat geblendet;

Doch groll ich ihm, der auf dem Kreuz geendet.


Inbrünstig küßt ihm Innozenz die Wunden,

Ein zahmer Leu, der seinen Herrn beleckt;

Doch hat die scharfe Zunge Blut geschmeckt,

Und seine Wut ist losgebunden;

Der Leu brüllt auf und hat mit seinen Krallen

Wutblind den eignen Meister angefallen,

Er hat sein Bild schon halb zerrissen

Und meint, es immer noch zu küssen.


Vom Blute seines Herrn berauscht,

Durchtobt die Welt der grimme Leu;[831]

Wohin das Ohr des Wandrers lauscht,

Hört er der Opfer Wehgeschrei.

Die Klage zieht mit allen Winden

In der Provence fern und nah;

Es ist im Land kein Kind zu finden,

Das nicht schon einen Toten sah.«


Weithin verhallt der Ruf der rauhen Kehle

Im Waldgewölb, mit Schrecken drang und Grausen

Der Fluch Alfars den Freunden in die Seele,

Und alle schweigen, nur die Bäume sausen.


Den Wald verlassen haben jetzt die Blinden;

Daß sie den Wald um offnes Feld getauscht,

Gewahren sie nur an den freien Winden,

Und daß kein Laub sie mehr umrauscht.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 825-832.
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